Was Wähler wirklich wollen würden

PaD 29 /2021 Hier auch als PDF verfügbar: PaD 29 2021 Was Wähler wirklich wollen würden

 

Es ist relativ einfach, auszudrücken, was man nicht will.

Wie schwierig es hingegen ist, klar und deutlich zu formulieren, was man will, erkennt man erst, wenn man sich ernsthaft damit befasst. Denn zwischen der Realität und dem Gewollten klafft ein scheinbar unüberwindlicher Graben, gefüllt mit einem ekelhaften Gemenge aus längst festgeklopften, gegenteiligen gesetzlichen Regelungen und nicht revidierbaren vertraglichen Vereinbarungen einerseits, sowie der lauten Empörung derjenigen, die jeden in ihrem Programm nicht vorgesehenen Wählerwunsch als Anschlag auf ihr vermeintlich alleinseligmachendes Lebenswerk betrachten.

Es ist schwierig, überhaupt noch ein lohnenswertes Ziel zu formulieren, weil der Karren so tief im Dreck steckt, dass die vernünftigen Ziele und die Umrisse des wünschenswerten Zustandes überhaupt nicht mehr in Sichtweite sind.

Es ist schwierig, weil jene Kräfte, die behaupten, man müsse den Karren nun mit aller Kraft weiter in den Dreck hineinschieben, jeden Versuch, den Karren rückwärts herauszuziehen, nach Kräften sabotieren und als rückschrittlich bezeichnen, weil ja, wenn man nur auf dem einmal eingeschlagenen Kurs bleibt, zwangsläufig irgendwann wieder fester Grund kommen müsse

Sich die Frage zu stellen, was die bestmögliche Regierung, die man sich vorstellen kann, nach den Wahlen im Herbst bewerkstelligen könnte, ist zutiefst frustrierend.

Gleichgültig an welche Politikfelder man denkt, welche Zielvorstellungen man anstrebt: Überall findet sich am Ende der Furche ein Igel, der triumphierend grinst und sagt: Ich bin schon da – und an mir kommst du nicht vorbei.

Was, zum Beispiel, könnte die beste denkbare Regierung tun, um sich den Pflichten der von Frans Timmermans frisch verkündeten neuen Klimaschutzagenda der EU noch zu entziehen? Über die Veränderung von Maßnahmen im Detail könne man noch reden, sagt er, aber nicht über das Ziel. Das Ziel lautet 55 Prozent. 55 Prozent weniger. Das wird Angela Merkel noch unterschreiben, auf ihre alten Tage im Amt. Und das Aus für Autos mit Verbrennungsmotoren ebenfalls.

Widerstand seitens der nächsten deutschen Regierung? Die Kommission würde bitterböse Briefe schreiben, ein Vertragsverletzungsverfahren ankündigen, und, wenn sich bis dahin nichts bewegt, auch Klage vor dem EUGH gegen Deutschland anstrengen. Der EUGH wiederum würde die Klage annehmen und im Sinne der Kommission entscheiden und Strafen im dreistelligen Milliardenbereich gegen Deutschland verhängen – und bei vermuteter Zahlungsunwilligkeit wäre es auch kein Kunststück,  deutsche Guthaben bei der EZB schlicht und einfach auf das Konto der Kommission umzubuchen.

Was, zum Beispiel, könnte die beste denkbare Regierung tun, um sich aus der Schuldenunion wieder heraus zu kämpfen, um der Kommission die Aufnahme eigener Schulden wieder dauerhaft zu verwehren? Was könnte sie tun, um sich aus den Verpflichtungen aus den Rettungsfonds und Stabilitätsmechanismen herauszuwinden?

Natürlich könnte sie vor den EUGH ziehen und die Einhaltung der Verträge von Maastricht einfordern. Doch der EUGH würde diese Klage in der Luft zerreißen und verkünden, alle Schritte der Kommission seien geeignet, den Prozess der europäischen Einigung zu unterstützen und zu stärken. Freispruch erster Klasse für die Kommission.

Das sind nur zwei Beispiele von vermutlich hunderttausenden von Fesseln, mit denen die EU ihren Mitgliedern jegliche Bewegungsfreiheit geraubt hat. Die Gurkenkrümmung und das Glühlampenverbot waren ja nur die ersten Anfänge. Jetzt ist jede Subvention die eine nationale Regierung an ein Unternehmen vergibt, jeder größere Auftrag, der nicht EU-weit ausgeschrieben wird, schon eine Angelegenheit, die im Zweifelsfall von der Kommission wieder gekippt werden kann.

Ich muss das nicht weiter ausführen. Muss gar nicht an die gemeinsame Impfstoffbestellung erinnern, auch nicht daran, dass sich die Sommerzeit einfach nicht mehr abschaffen lässt, obwohl sie niemand mehr will. Ich muss nicht daran erinnern, dass Deutschlands Autobahnmaut von der EU zu Fall gebracht wurde.

Ich muss nicht daran erinnern, dass das Wohl und Wehe der deutschen Landwirte vollständig in den Händen Brüsseler Bürokraten liegt …

Deutschland hat bereits so viel von seiner Souveränität abgegeben, dass selbst die beste aller denkbaren Regierungen mit den besten Plänen und den besten Absichten für das deutsche Volk schon alleine an der EU jämmerlich scheitern würde.

Wen wundert es da noch, dass die Anstrengung, den Karren Deutschland rückwärts aus dem EU-Sumpf zu ziehen, von vielen als so gewaltig und damit als aussichtslos angesehen wird, dass sie sich lieber von den tiefen Strömungen des Sumpfes willenlos hin und her treiben lassen, als noch ernsthaft anpacken zu wollen.

Wenn es nur die EU wäre.

Der nächste dick und fett am Ende der Furche grinsende Igel ist die NATO.  Wollte die beste aller denkbaren Regierungen den Versuch unternehmen, die Bundeswehr so umzugestalten, dass sie tatsächlich in der Lage wäre, Deutschland zu verteidigen, wie es das Grundgesetz gebietet, und nichts sonst, wäre wohl der transatlantische Teufel los. Stattdessen haben wir eine bedingt einsatzfähige „schnelle Auslands-Einsatztruppe“. Verbunden mit der Verpflichtung, jährlich 2 % des BIP für das Militär auszugeben. Aber wir verfügen über keine nennenswerten Fähigkeiten zur Landesverteidigung, obwohl, oder vielleicht gerade weil, der von der NATO angestrebte Krieg gegen Russland in weiten Teilen auf dem Schlachtfeld Deutschland ausgetragen würde, wo wichtige US-Befehlszentralen und Logistik-Drehscheiben den massiven Präventivschlag oder Zweitschlag geradezu herausfordern. Eine auf Landesverteidigung ausgerichtete Bundeswehr müsste auf dem globalen Schachbrett so positioniert werden, dass Deutschland von keinem Staat dieser Welt als „Flugzeugträger“ missbraucht und zum Ziel gegnerischer Angriffe gemacht werden könnte.

Die Panzer der Bundeswehr werden zu Staub zerfallen sein, wenn tatsächlich einmal russische Bodentruppen kommen sollten, um das von Raketen und Cruise Missiles sturmreif geschossene Land zu besetzen.

Ein anderer Igel, der sich selbst der besten aller denkbaren Regierungen in den Weg stellen würden, ist die UNO.

Alleine deren Migrationspakt, dieser „vollkommen unverbindliche“ Pakt, wäre ausreichend, um eine Resolution nach der anderen gegen Deutschland auszulösen. Das könnte dazu führen, dass die gelegentliche Einbeziehung in den Sicherheitsrat nicht mehr gewährt wird – und es könnte schlimmstenfalls dazu führen, dass die UNO, aufgrund der immer noch nicht gestrichenen Feindstaatenklausel, einen heißen Krieg der einstigen Siegermächte und Hilfssieger gegen Deutschland ausdrücklich billigen könnte.

Wichtiger als der Igel in New York ist allerdings der Igel in Washington. Wenn US-Interessen im Spiel sind – und wann sind sie das nicht – hat auch die beste denkbare Regierung schlechte Karten. Entweder sie duckt sich gleich weg, oder sie bietet eine Kompensation an, wie die „Zahlungen an die Ukraine für die Genehmigung der Inbetriebnahme von North Stream 2“. Daran hat sich seit 1945 für die alten Bundesländer nichts geändert, und die Menschen in den neuen Bundesländern haben schnell festgestellt, dass sie es statt mit dem Hegemon im Kreml nun mit dem Hegemon im Weißen Haus zu tun haben.

Daneben gibt es noch die kleinen Igel. Jeder für sich wäre zu überwinden, aber es handelt sich um ganze Schwärme, die zwar alle ihre eigenen, individuellen Ziele verfolgen, die aber gegen die Regierung fester zusammenstehen als die NATO nach Ausrufung des Verteidigungsfalles, wenn es einmal nicht darum gehen sollte, einen eigenen Überfall zu inszenieren.

Da ist die große Kommune der Feministinnen, die Kommune der LBQTSXYZ-Unterstützer, die Kommune der Sprachvergenderer, die Kommune der hüpfenden Klimastreiker, die Kommune der Rettungsschiffer,  die Kommune der Immobilien-Enteigner, die Kommune der Antifanten und Hausbesetzer, die Kommune der Faktenchecker und Löschantragssteller, die Kommune der Deutschenhasser, alle verbunden über ihre Sprachrohre in den Mainstream-Medien und längst auch in den großen christlichen Religionsgemeinschaften, die sie so groß erscheinen lassen, dass kaum jemand mehr wagt, überhaupt noch eine kritische Meinung dazu zum Ausdruck zu bringen.

Wer wollte dagegen alleine mit dem kleinsten Wunsch, nämlich keine weiteren Toiletten für das „Dritte Geschlecht“ mehr zu installieren, noch anrennen? Wer sollte noch in der Lage sein, den Missbrauch unserer Sozialsysteme durch Armutsmigranten aus aller Welt wenigstens zu begrenzen?

Die Fäkalienstürme würden kein Ende nehmen und der erste, der sich mit einer solchen Forderung öffentlich zu Wort meldet, würde dermaßen zugeschissen, dass er nie mehr ans Tageslicht zurückfinden könnte.

Die Schilderung kann nur unvollständig sein. Die Beispiele stehen stellvertretend für den ganzen großen Sumpf, der sich von Horizont zu Horizont erstreckt. Da ist kein sicherer Grund mehr, auf den man sich verlassen könnte. Da ist kein Recht mehr, auf das man mittel- und langfristig vertrauen könnte. Ein falscher Schritt, und wo früher nur ein Fettnäpfchen war, aus dem man schnell wieder herauskommen konnte, tun sich nun grundlose Abgründe auf.

Doch auch diese unvollständige Schilderung ist vollkommen ausreichend, um zu erkennen, dass es nach der Wahl im September selbst für die beste aller denkbaren Regierungen keine Spielräume geben wird. Dabei sind es gar keine Sachzwänge, nichts, was im Range von Naturgesetzen stünde, was die Vernunft am Handeln hindert – es sind zu Dogmen erstarrte Hirngespinste und per Gewohnheitsrecht zu Eigentumsrechten gewordene Pfründen, gerade im Bereich des weltlichen Rechts.

So ungefähr muss sich die im Netz gefangene Fliege fühlen, nachdem sie von der Spinne als Reserve für schlechte Tage – fein säuberlich und bei lebendigem Leibe – in einen Kokon eingesponnen und in die Vorratskammer gehängt wurde.

Es ist nicht schwer, von dieser Illustration des Zustandes zum Gordischen Knoten zu gelangen. Alexander der Große hat das im Wortsinne unlösbare Rätsel allerdings nicht gelöst, sondern zerstört. Kolumbus, der das Ei auf den Kopf stellte, hat es auch zerstört, bevor es so stehen blieb. Die 68er skandierten einst: „Macht kaputt, was euch kaputt macht!“

Dies aber ist in allen Fällen (die 68er sind ja auch schon am Ziel) der Verzicht auf Konventionen und Verabredungen, auf Regeln und Gesetze. Das Ergebnis ist mindestens die Rückkehr des Faustrechts als oberstes Prinzip des Zusammenlebens.

Ich halte das Durchschlagen des Knotens nicht für die geeignete Methode, um langfristig und nachhaltig wieder „normale“ Zustände herzustellen. Das Durchschlagen des Knotens ist ein Ausdruck von Egoismus und Willensstärke, es ist das Vor- und Kennzeichen der Diktatur. Haben wir nicht 16 Jahre lang erlebt, wie es ist, wenn die Anführerin einfach jeden Knoten zerhaut, den aufzudröseln einen etwas komplexeren Verstand und umsichtiges, vorausschauendes Handeln erfordert hätte? Sind wir nicht genau mit dieser Politik in eine Lage gekommen, von der wir nun unsererseits meinen, sie nicht mehr anders verändern zu können, als mit „Gewalt“?

 

Vor beinahe unendlichen Zeiten gab es mit „hobby“ eine Technik-Schrift für Schüler, in der in den frühen 60er Jahren des letzten Jahrhunderts ein „Roboter“ vorgestellt wurde, der – unseren heutigen Saugrobotern nicht unähnlich – einfach so lange kreuz und quer in der Gegend herumfuhr, bis er müde wurde. Dann suchte er sich eine Steckdose und lud den Akku wieder auf. Was er sonst noch konnte? Hindernissen ausweichen und nicht die Treppe hinunterfallen. Das war alles.

Einige Jahre später wurde von einem anderen Roboter berichtet, der sich mit seinem Greifarm irgendwie im Treppengeländer verfangen hatte. Eine Weile lang versuchte er durch Rütteln und Schütteln wieder frei zu kommen. Das half nicht wirklich weiter. Danach hat er für einige Minuten „nachgedacht“. Das Ergebnis war: Er wiederholte alle Bewegungen, die er zuvor gemacht hatte, rückwärts, also von der letzten, vor dem „Nachdenken“, bis zur ersten, vor dem Verhaken im Treppengeländer, und kam auf diese Weise wieder frei. Die Entwickler waren sehr stolz auf ihren „selbst lernenden“ Roboter und sprachen damals schon von künstlicher Intelligenz.

Ich habe ein ungefähre Vorstellung von der Programmierung dieses „Roboters“, werde ihn und sein Verhalten aber im weiteren Text der Verständlichkeit halber – und wegen der Vergleichbarkeit – mit menschlichen Eigenschaften beschreiben.

Der „Roboter“ stellte also fest, er befinde sich in einer misslichen Lage, er habe sich in eine Sackgasse manövriert und hänge irgendwie fest. Ihm war „bewusst“, dass er alle weiteren Vorhaben aufgeben müsse, gelänge es ihm nicht, sich aus dieser misslichen Lage zu befreien. Also hat er sich überlegt, wie es denn geschehen konnte, dass er feststeckte, und als erste Versuche, sich gewaltsam (Rütteln) zu befreien, nichts halfen, kam er auf die „Idee“ das Programm Schritt für Schritt rückwärts ablaufen zu lassen, bis an dem Punkt, an dem er seine Bewegungsfreiheit wiedererlangt hatte.

Der Vorteil dieses Roboters bestand darin, dass er zu diesem Zeitpunkt der „Alleinherrscher“ über seine Ressourcen war und sich voll auf das eine wichtige Ziel, der Befreiung aus der Klemme, konzentrieren konnte.

Stellen wir uns nun spaßeshalber vor, in diesem Roboter sei nicht eine CPU verbaut gewesen, sondern deren sechs, alle mit unterschiedlichen Grundroutinen programmiert, genau so, wie wir in Deutschland mit CDU, CSU, Grünen, SPD, AfD, FDP und Linke sechs Parteien haben, die alle, teils im Großen und Ganzen, teils im Detail, unterschiedliche Vorstellungen vom optimalen Vorgehen haben.

Stellen wir uns weiter vor, dass die Steuerung der Motoren des Roboters immer nur dann einen Befehl ausführen würde, wenn mindestens vier der isolierten CPUs gleichzeitig die gleiche Anforderung an die Motorensteuerung senden.

Damit hätten wir grob den Zwang zur Bildung einer Koalition abgebildet. Im Roboterbeispiel würden übereinstimmende Steuerungsbefehle nur zufällig, allerdings relativ häufig und mit wechselnden Mehrheiten, zustande kommen können. Dabei sind die übereinstimmenden Steuerungsbefehle, die umgesetzt werden können, nicht in konsequenter Folge als die Abarbeitung einer Strategie zu erkennen. Stattdessen wird ein in sich nicht konsistenter Bewegungsablauf zu beobachten sein, verbunden mit der Gefahr, dass sich der Roboter immer mehr im Geländer verheddert, anstatt der Freiheit einen Schritt näher zu kommen.

Im richtigen Leben sind die Folgen sehr ähnlich, obwohl die Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse komplexer und zugleich transparenter sind.

Im richtigen Leben muss nicht auf eine zufällige gleichartige Entscheidung gewartet werden. Stattdessen werden Kompromisse geschlossen und Regierungsprogramme vereinbart.

Im richtigen Leben kann es jedoch vorkommen, dass manche Lösungen aus dem Entscheidungsprozess vollkommen ausgeschlossen werden, weil Koalitionen mit Parteien, die neue Ideen vortragen, erst einmal verweigert werden. Das war bei den Grünen so, das war und ist zum Teil noch bei den Linken so und es ist bei der AfD so.

Die Entwickler und Konstrukteure unseres Roboters mit sechs unterschiedlich programmierten CPUs würden schnell feststellen, dass dieser Roboter „krisenuntauglich“ ist. Sie würden das Konzept also insoweit verändern, dass es zwar nach wie vor sechs CPUs gibt, die Sensordaten empfangen und daraus Steuerbefehle generieren, sie würden nach wie vor die Mehrheitsentscheidung, vier von sechs, beibehalten, aber sie würden alle sechs CPUs mit identischen Grundroutinen versehen und die Vier-Stimmen-Mehrheit jetzt vorsehen, um mögliche Fehlfunktionen einzelner CPUs von der Entscheidungsfindung und den Handlungsanweisungen auszuschließen.

Der Roboter würde also in aller Regel von allen sechs CPUs die gleichen Anforderungen an die Motorensteuerung erhalten und könnte sich, wie im Ausgangsbeispiel geschildert, relativ schnell durch „Nachdenken“ aus der misslichen Lage befreien. Selbst wenn eine oder zwei der sechs CPUs aus nicht nachvollziehbaren Gründen die gemeinsame Entscheidungslinie verlassen sollten, würde das keine negativen Auswirkungen auf den Befreiungsprozess haben.

Was hat nun aber die Konstrukteure unserer Demokratie bewegt, schon einfache Mehrheitsentscheidungen unter Parteien mit mehr oder minder stark divergierenden Zielsetzungen als „richtig“ anzusehen?

Vermutlich war es die nicht hinterfragte Annahme, dass alle Parteien letztlich die gleichen großen Ziele verfolgen, so dass Abweichungen nur in unwesentlichen Details in Erscheinung treten könnten, die eben in der einen Legislaturperiode mal so, in der nächsten vielleicht ganz anders behandelt werden könnten, ohne dass dadurch die Absicht, den Nutzen des deutschen Volkes zu mehren und Schaden von ihm zu wenden auch nur im Geringsten gefährdet wäre. Sie verstanden Demokratie noch als ein gemeinsames Ringen um die optimale Lösung für alle, als Debatte im Parlament, die zum Ziel hat, die Lösungsansätze gegeneinander abzuwägen und sich auf die optimale Lösung zu einigen.

Sie konnten oder wollten sich nicht vorstellen, dass es einmal so weit kommen könnte, dass egoistische Partei-Interessen im Parlament höher bewertet würden als optimale Lösungen. Sie konnten sich nicht vorstellen, dass die Stimmen der Opposition schlicht überhört werden könnten, so lange eine Partei oder eine Koalition über die notwendigen Stimmen für die einfache Mehrheit verfügt.

Sie konnten oder wollten sich nicht vorstellen, dass das deutsche Volk eines Tages aufhören würde, als Schicksalsgemeinschaft zu existieren, und dass die demokratischen Parteien nicht mehr gleichberechtigt in den Parlamenten vertreten sein dürften, sondern stattdessen die wahren Demokraten sich genötigt sehen müssten, politische Mitbewerber als „Feinde der Demokratie“ auszugrenzen und zu bekämpfen.

Sie konnten oder wollten sich nicht vorstellen, dass Politik damit zu einer fortgesetzten Trotzhaltung der Mehrheitsparteien führen würde, die sich grundsätzlich allem verweigern, was von der Opposition kommt, nur weil es von der Opposition kommt.

Dazu werden in den Wagenburgen der Abwehrkoalitionen kürbisgroße Kröten geschluckt und absurde Kompromisse geschlossen. Regierungspolitik folgt nicht mehr primär den wichtigen Zielen, sondern unterwirft sich der infamen Regel, Vorschläge und Forderungen der Opposition zu ignorieren, und, wo immer möglich, stattdessen das Gegenteil zu verwirklichen.

 

Daran ist mit der Wahl zum Deutschen Bundestag am 26. September nichts zu ändern.

Im Grunde steht eine Regierungspartei bereits fest. Obwohl vermutlich deutlich unter der 20-Prozent-Marke bleibend, können sich die Grünen heute schon darauf verlassen, der nächsten Bundesregierung anzugehören. Ob sie mit SPD und Linken den Bundeskanzler wählen, oder mit CDU und CSU und eventuell der FDP, spielt für die Grünen gar keine Rolle. Sie sind nicht, wie einst die FDP, das Zünglein an der Waage – sie sind die einzig bestimmende Kraft, weil sich die „wahren Demokraten“ darauf verständigt haben, eine Koalitions-Alternative zu den Grünen auszuschließen. Wer also mitregieren will, ob nun die Laschet-Union oder das rot-rote Scholz Lager, der muss sich dem Willen der Grünen vollständig unterwerfen, oder es kommt kein Koalitionsvertrag zustande.

Das muss man erst einmal in seiner vollen Wirkung begreifen!

Der Wähler ist diesmal den Grünen ausgeliefert, noch bevor die Wahllokale geöffnet haben. Die Hoffnung darauf, dass es stattdessen zu einer Einigung auf eine Deutschland-Koalition kommen könnte, also Union + SPD + FDP ist trügerisch, denn die SPD wird dafür nach dem Aderlass der GroKo-Jahre kaum zu gewinnen sein. Zudem befindet sich die Union in den Umfragen im zügigen Sinkflug, wovon auch die CSU nicht verschont bleibt.

Armin Laschet steht in der Wählergunst nicht ganz vorne, sondern ohne großen Abstand zwischen Olaf Scholz und Annalena Baerbock.

Markus Söder hat alles in seiner Macht Stehende getan, um die Stammwählerschaft der CSU zu verprellen.

Aiwanger hat sich mit seiner persönlichen Impfverweigerung gegenüber Söder für viele Wähler stark profiliert.

Die Landwirtschaft will ihr Grün auf den Feldern bewahren, was mit Söder-Grün ebenso gefährdet wäre wie mit Baerbock-Grün. Und wer in Bayern mehr Grün will, der misstraut dem einst in Veitshöchheim als Shrek verkleideten Söder und stimmt lieber gleich für das Original.

Der Weg zurück, wie ihn der einfache „Roboter“ mit seiner einen CPU nach kurzem „Nachdenken“ finden konnte, ist im richtigen Leben, in dieser vielfach gespaltenen Republik nicht mehrheitsfähig.

Selbst das Zusammenrücken in der Not, das früher einmal selbstverständlich war, wird nun mit der Ausgrenzung so genannter „rechter Kräfte“ zu einem Akt des real existierenden Irrsinns, in dem Hilfe nur von jenen angenommen werden darf, die sich per Parteibuch als gute Helfer ausweisen können, auch wenn sie mit ihren zwei linken Daumen den Schaden nur vergrößern können.

Das Interessante dabei ist, dass es den Geschädigten selbst nur wichtig ist, dass geholfen wird und dass ihnen jeder Helfer recht ist, der zur Schadensbegrenzung und Schadensbehebung beitragen kann. Der Keil, der da zwischen die Hilfsbereiten und die Hilfebedürftigen getrieben wird, ist das Instrument einer relativ kleinen Gruppe von „Gesinnungswächtern“, die sich nicht scheuen, ihren Blödsinn mit großer Stimmkraft zum ungeschriebenen Gesetz zu erklären.

Das hat fürwahr längst sektiererische Züge angenommen. Warum gelingt es aber nicht, diese Verblendeten ebenso an der Haustür abzuweisen, wie die missionierenden Mitglieder christlicher Splittergemeinschaften?

Der Unterschied besteht doch nur in abweichenden Formulierungen, das große Ziel betreffend. Die einen verheißen ein angenehmes Leben nach dem Tode, die anderen versprechen ein angenehmes Leben auf der um nicht mehr als 1,5 Grad erwärmten Erde nach dem Jahr 2.100.

Die einen fordern regelmäßigsten Gottesdienstbesuch und bereitwillige, großzügige Spenden für die Kollekte und predigen zugleich Verzicht auf alle weltlichen Genüsse und Vergnügungen. Die anderen fordern höchste Steuern und teure Investitionen in Wärmedämmung und Wärmepumpen, in Solar- und Windkraftanlagen als die weithin sichtbaren Zeichen ihres Glaubens, und sie predigen zugleich den Verzicht auf Flugreisen und Fleischverzehr, Individualverkehr und Plastiktüten.

Auch diese Aufzählungen ließen sich erweitern, doch wichtiger ist, dass hinter jedem der vielen Verbote und Gebote eine Horde von Aufpassern steht, die nicht aufhören, ihren Anhängern ein schlechtes Gewissen einzureden und – zur Buße – noch stärkere Anstrengungen, noch größere Opfer zu verlangen.

Das Hubble-Teleskop, das seit 30 Jahren faszinierende Bilder des Weltalls liefert, ist eine weitaus komplexere Konstruktion als die beiden „Roboter“, die in diesem Text als Analogien verwendet wurden. Vor gut einem Monat hat es den Dienst eingestellt – und konnte von der Erde aus repariert werden. Weitsichtige Konstrukteure hatten in den 80er Jahren den Ausfall von bestimmten Hardware-Komponenten nicht ausschließen wollen und daher einige Komponenten redundant, ja sogar mehrfach redundant verbaut, um im Notfall auf eine Back-Up-Hardware umschalten zu können.

Wir müssen uns heute fragen, nachdem die aktiven Systeme verrückt spielen und unerwünschte Ergebnisse hervorbringen, ob es nicht möglich wäre, unter den aktiven Politikern und Wirtschaftsführern aus allen Parteien eine „Gruppe“ zusammenzustellen, die das aktive System ablösen und quasi als Back-Up-Lösung ersetzen könnte, um wieder jenen Normalzustand herzustellen, den die Väter des Grundgesetzes für unsere Republik vorgesehen hatten.

Wir bräuchten eine überparteiliche Koalition der noch verbliebenen Vernünftigen, um die im Laufe der letzten Jahrzehnte vollkommen außer Tritt geratene Demokratie zu sanieren, mit dem Ziel, alle Kräfte darauf zu verwenden, Gesetze, Regelungen, Institutionen und Denkverbote, die dem Deutschen Volke schaden, abzuschaffen und, wo erforderlich, durch solche zu ersetzen, die stattdessen den Nutzen des Deutschen Volkes mehren.

Ich bin überzeugt, dass es die Menschen gibt, die diese Herkulesarbeit vollbringen und den Augiasstall ausmisten könnten.

Die Frage ist, ob es ihnen gelingen kann, aus den Gefängnissen ihrer parteipolitischen Denkverbote auszubrechen und sich gegen den Willen ihrer Partei- und Fraktionsvorsitzenden zur Zusammenarbeit zu entschließen.

Hans Georg Maaßen fällt mir dabei als erster ein. Dicht gefolgt von Sahra Wagenknecht, auch Thilo Sarrazin passt dazu. Die CDU-Rebellen, die sich gegen die Schuldenaufnahme der EU-Kommission stellten, Michael von Abercron, Veronika Bellmann, Hans-Jürgen Irmer, Saskia Ludwig, Sylvia Pantel, Hans-Jürgen Thies und Dietlind Tiemann, würden ebenfalls dazu passen. Florian Post, SPD, der sich gegen die Corona-Notbremse und damit gegen die eigene Partei stellte, Thilo Scholpp, von der FDP, dessen Einstellung  zu den Klimaaktivisten von Fridays for Future (versehentlich?) bekannt geworden ist, könnte mitspielen. Gerhart Baum, wäre er nicht schon fast 90, würde ich mir ebenfalls wünschen. Den ehemaligen Vorsitzenden des Verfassungsgerichts, Voßkuhle, könnte ich mir gut in einer solchen Gruppe vorstellen, und die vielen anderen, die aus SPD, CDU und CSU ausgetreten sind, weil sie die Absichten der Parteiführung nicht mehr mittragen wollten. Da liegt unheimlich viel Potential brach, das – stünde es bei den Bundestagswahlen als „Erneuerungspartei“ zur Wahl – vermutlich mühelos die Kanzlermehrheit erreichen würde.

Solange aber Parteiräson noch vor Staatsräson geht, solange in Berlin nur das Taktieren im Parteiinteresse anzutreffen ist, statt einer vernünftigen Strategie für Deutschland, so lange werden wir auf diese Erneuerung vergeblich hoffen.

 

Es ist lästig, bei offenkundigen Dingen noch Beweise beizubringen.
(Dante Alighieri)