Der Winter

Was die Modelle der Meteorologen schon länger und mit wachsender Wahrscheinlichkeit prognostiziert hatten, traf Deutschland und die Nachbarländer in den ersten Dezembertagen mit voller Wucht. Drei Tage lang fielen in allen Höhenlagen dicke weiße Flocken aus einem dunkelgrau verhangenen Himmel. Dann war die sogenannten Omega-Lage da und die beteiligten Hoch- und Tiefdruckgebiete bewegten sich nicht von der Stelle. Eisige Luftmassen aus Sibirien hielten die Temperaturen tagsüber deutlich unter null, in den sternenklaren Nächten waren Temperaturen zwischen minus 20 und minus 30 Grad Celsius die Regel.

Der Winterdienst hatte dem starken Schneefall der ersten Tage nur wenig entgegenzusetzen, so dass der Dauerfrost die Schnee- und Matschdecke auf den Straßen und Gehwegen in den Städten ebenso wie auf den Landstraßen und Autobahnen in eine betonharte Eisschicht verwandelte. Im Freien geparkte Pkws mussten mühsam freigeschaufelt werden, und oft zeigte sich dann, dass die Mühe vergebens war, weil der Motor nicht mehr anspringen wollte. Auch die Bahn stand weitgehend still. Es wurde zwar fieberhaft versucht, durch Schneeverwehungen gesperrte Strecken freizuräumen und unter der Schnee- und Eislast gerissene Oberleitungen zu reparieren, doch gab es kaum noch Möglichkeiten überhaupt an die betroffenen Streckenabschnitte heranzukommen. Außerdem fehlte es überall am Personal, weil die Mitarbeiter ihre Arbeitsplätze nicht erreichten.  Am meisten traf es die Vorreiter der E-Mobilität. Die Kälte hatte die Kapazität der Batterien soweit reduziert, dass allenfalls noch Entfernungen von bis zu dreißig Kilometer gefahren werden konnten, ohne Gefahr zu laufen, auf freier Strecke stehen zu bleiben. Das Problem wurde noch dadurch verschärft, dass die meisten Ladesäulen wegen der andauernden Flaute und dem dadurch verursachten Totalausfall des Windstroms von den Netzbetreibern abgeschaltet wurden.

Auf die öffentlichen Verkehrsmittel, die schon länger nicht mehr fahrplanmäßig unterwegs waren, war mit dem Kälteeinbruch überhaupt kein Verlass mehr. Wer nicht unbedingt musste, blieb zuhause, hielt Fenster und Türen dicht geschlossen, und versuchte verzweifelt mit allen Mitteln gegen die Kälte anzuheizen.

Weite Teile der Wirtschaft kamen zum Erliegen, weil zu viele Mitarbeiter nicht mehr zur Arbeit erschienen oder weil die Stromkontingente, die den Betrieben zugeteilt wurden, nicht ausreichten, um die Produktion aufrecht zu erhalten.

Zu Beginn der dritten Woche verkündete Jörg Kachelmann, dass vermutlich noch nicht einmal die Hälfte der Kälteperiode überstanden sei. Die Bundesregierung rief den Notstand aus und verhängte eine absolute Ausgangssperre von jeweils 15.00 Uhr bis zum nächsten Tag 10.00 Uhr. Bundeswehr, Technisches Hilfswerk, Feuerwehren, Polizei und Rettungsdienste arbeiteten bis zur Erschöpfung daran, die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und Heizmaterialien zu sichern, während nach und nach eingefrorene Wasserleitungen dazu zwangen, irgendwie auch noch ausreichende Mengen Trinkwasser zu den Menschen zu bringen.

Arztpraxen, soweit sie noch geöffnet waren, und die Kliniken versorgten überwiegend Patienten mit schweren Erfrierungen, die oftmals Amputationen erforderlich machten.

Die Mitglieder der Komiker waren von der Situation ebenso betroffen, wie der allergrößte Teil der Bevölkerung. Sie waren gezwungen, in ihren Wohnungen auszuharren und die Meldungen der lokalen Radiosender zu verfolgen, denn nur dort erfuhr man, welcher Supermarkt wann für ein paar Stunden öffnen würde, wenn eine neue Lebensmittellieferung eingetroffen war. An der wöchentlichen Telefonkonferenz hielt man zwar fest, doch außer sich gegenseitig zu versichern, dass man noch gesund sei und mit der Lage einigermaßen zurechtkomme, gab es nichts zu berichten.

Für die Freien Siedler, die überall auf den Almhöhen vom Allgäu bis ins Berchtesgadener Land, im Vertrauen auf die unaufhaltsam fortschreitende Erderhitzung überzeugt waren, so etwas wie Winter, würde es nie wieder geben, war der Wintereinbruch das Todesurteil. Ohne jegliche Vorsorge für den Kälteeinbruch getroffen zu haben, waren sie der Naturkatastrophe schutzlos ausgeliefert. Nur wenige waren psychisch gesund und physisch kräftig genug, um sich aus dem tiefen Neuschnee, der ihre Hütten unter sich begraben hatte, herauszuarbeiten und den Weg ins Tal zu den ersten Höfen und Dörfern zurückzulegen. Hunderttausende kämpften vergeblich gegen die Kälte und erfroren da, wo sie erschöpft zusammengebrochen waren.

Die Krisenstäbe von Bayern und Baden-Württemberg mussten erste Rettungsversuche schnell wieder aufgeben. Als der Schneefall aufgehört hatte, scheiterten die für die Evakuierung vorgesehenen schweren LKWs bei dem Versuch, die tief verschneiten, schmalen Wirtschaftswege, die hinauf zu den Anhöhen der Siedlungsgebiete führten, zu befahren. Der Einsatz von Hubschraubern zur Rettung der Eingeschlossenen war bei der Masse der Menschen, die hätten geborgen werden müssen, von vornherein aussichtslos. Also beschränkte man sich darauf, Hilfsgüter per Helikopter nach oben zu schaffen und beim Rückflug jeweils ein paar Kranke und Verletzte mit ins Tal zu nehmen. Es dauerte jedoch nur eine Woche, bis sich in den so genannten Siedlungen keinerlei Leben mehr regte. Mehrere hunderttausend Menschen waren jämmerlich erfroren.

Weil die Gebiete nicht erreichbar waren und es zudem unmöglich erschien, schweres Gerät heranzuschaffen, mit dem im hartgefrorenen und felsigen Untergrund wenigstens Massengräber hätten ausgehoben werden können, wurden die Gebiete der Freien Siedler zu Sperrzonen erklärt und die steifgefrorenen Leichen einfach liegen gelassen. Erst mit Einsetzen des Frühjahrstauwetters würde man sie, bzw. was dann noch von ihnen übrig war, bergen können. Bis dahin fanden Füchse, Marder, Adler und Krähen und die schon länger von Osteuropa her eingewanderten Wolfsrudel dort eine willkommene und schier unerschöpfliche Nahrungsquelle.

Zum Jahreswechsel schlug das Wetter um. Das stabile Hoch über Mitteleuropa zog unter Abschwächung nach Osten ab. Milde Meeresluft vom Atlantik kam mit vielen Wolken in einer südöstlichen Strömung über das Land. Gefrierender Regen überzog Häuser, Straßen und Fahrzeuge mit einer dicken Eiskruste auf die anschließend wieder große Mengen Schnee fielen. Doch tagsüber erreichten die Temperaturen manchmal schon wieder fünf bis sieben Grad über null, und nachts wurde es kaum noch kälter als minus zehn Grad.

Wer diesen Dezember überlebt hatte, begann wieder Hoffnung zu schöpfen. Die Menschen kamen aus den Häusern, räumten auf, reparierten, was beschädigt worden war und erschienen wieder an ihren Arbeitsplätzen. Die Presse arbeitete massiv daran, eine neue Normalität zu verkünden. Schlagzeilen, wie: „Wir sind davongekommen!“, oder, „Der Winter ist besiegt“, wechselten sich mit heroischen Erfolgsmeldungen zu Reparaturarbeiten und dem Wiederanlaufen von Fabriken ab. Auch dass die Stromrationierungen nach der langen, fast windstillen Zeit teilweise wieder zurückgenommen werden konnten, wurde gefeiert, wie einst die Eröffnung des Suezkanals oder die Planerfüllung des VEB Plaste und Elaste in der DDR.

Geholfen hat es wenig. Das kurze Aufflackern von Freude und Lebensmut schlug bei der Masse der Bevölkerung schnell wieder in jenen Zustand von Apathie und Duldsamkeit um, der die verantwortungsbewussten und klar denkenden Immunen erneut entsetzte und Zorn  hervorrief, aber eben auch den Mut und die Motivation mit sich brachte, den Kampf wieder aufzunehmen.

Doch auch die Verfechter der Neuen Weltordnung der Globalisten, und ihre allzu naiven und willfährigen Hilfstruppen blieben nicht untätig.

 

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Dieser Roman wurde im Sommer 2020 geschrieben. Die Handlung beginnt am 17. November 2022 und endet am 1. Mai 2023. Die Kapitel tragen das jeweilige Datum der visionären Handlung. Sie werden jeweils an dem Tag, der in der Kapitelüberschrift genannt ist, in Form eines Fortsetzungsromans veröffentlicht. Viel Spaß beim Mitlesen.