Berlin

Samstag, 26. November 2020

 

„Die SMS ist da. Der Bulle bekommt jetzt seine letzte Spritze, dann die Uniform. Die Waffe kriegt er erst, wenn der Neger die Rolltreppe hochkommt.“

„Okay, ich werde unseren Gast pfleglich behandeln, soll ja gut aussehen, auf dem Video.“

Eddie machte sich auf den Weg in den Keller. Vor zwei Wochen, am Freitag, an seinem letzten Arbeitstag vor dem Urlaub, hatten sie Jonas Adler vor seiner Haustür abgefangen und entführt. Der Junggeselle würde drei Wochen lang von niemandem vermisst. Der Tipp stammte aus dem unmittelbaren Umfeld des Senators für Inneres und Sport. Eine Hand wäscht die andere …

Während der letzten vierzehn Tage hatten sie den Polizeihauptmeister für seine Aufgabe trainiert. Die Zeit war zwar knapp, aber glücklicherweise musste auf gesundheitliche Schäden keine Rücksicht genommen werden. Er würde zwar den Tag seines Auftritts überleben, aber die nächste Woche garantiert nicht mehr. Sie gaben ihm während der ganzen Zeit einen speziellen Amphetaminmix – intravenös, und ließen ihn zunächst drei Tage lang nicht schlafen. Dann kam er auf den Schießstand. Gut dreißig Meter lang. Die alten Häuser haben ja alle noch unterirdische Verbindungsgänge. Viele Eingänge sind zwar zugemauert, aber wer an die alten Pläne kommt, weiß, wo er zu suchen hat. Es war ein richtiges Schießkino – und sie zeigten ihm immer den gleichen Film. Der Ausgang einer U-Bahnstation in Berlin. Ein großer, muskulöser Neger taucht langsam am oberen Ende der Treppe auf. Fast ganz oben springt er plötzlich los, schwingt eine Eisenstange und schlägt damit scheinbar gezielt auf ein vielleicht achtjähriges Mädchen und dessen Mutter ein.

Sie waren sehr stolz, auf diesen Film. Drei Tage hatten sie im Studio zugebracht, bis alles stimmte. Die Schreie des Mädchens, Hilferufe und das Ersterben der Stimme der Mutter waren perfekt synchronisiert. Kein normaler Mensch konnte dem Treiben länger als dreißig Sekunden zusehen, doch der Film war insgesamt zehn grausame Minuten lang.

Als sie Jonas, voll mit Amphetaminen, zum ersten Mal mit verbundenen Augen in den Keller gebracht hatten, noch ohne Waffe, musste der die vollen zehn Minuten über sich ergehen lassen, bevor sie ihm die Augen wieder verbanden und in seine Zelle zurückbrachten. Der Psychologe sprach eine halbe Stunde lang mit ihm. In dieser Situation sei Töten erlaubt, suggerierte er immer wieder mit den unterschiedlichsten Argumenten. Vor allem, erklärte er nachdrücklich, seien Verbrecher, Totschläger und Mörder keine Rasse. Niemand würde ihn vor die Rassismus-Kommission stellen, im Gegenteil. Es könnte dafür sogar das Bundesverdienstkreuz geben.

Danach ließen sie ihn schlafen. Beim nächsten Mal gaben sie ihm eine Pistole. Seine Dienstwaffe hatte er leider nicht dabeigehabt, als sie ihn schnappten. Also besorgten sie eine nicht registrierte Beretta und Übungsmunition – und damit gab er dann tatsächlich einen Schuss ab, kaum dass der Kopf des Negers über dem Pflaster auftauchte. Das Licht erlosch und der Psychologe machte ihm klar, das sei zu früh gewesen, ein Kopfschuss sei auf diese Distanz viel zu unsicher.

Der Film lief wieder an – und nochmal, und nochmal, bis sie ihn soweit hatten, dass er exakt in dem Moment die Waffe hob und drei Schüsse schnell nacheinander abfeuerte, in dem der Oberkörper des Negers aus der dreißig-Meter-Distanz am Ende der Treppe vollständig zu sehen war. Der Psychologe war sicher, es würde funktionieren. Heute sollte es sich herausstellen. Knifflig war das Timing. Sie hatten die Wege immer wieder abgeschritten. Ihr Bulle würde mit verbundenen Augen in einem dunklen Kleinbus antransportiert. Der würde ungefähr dreißig Meter vor dem U-Bahnausgang an einer wegen der Alleebäume von den Überwachungskameras schwer erfassbaren Stelle halten. Der Zugang zur Station Uhlandstraße befindet sich auf dem Mittelstreifen. Am besten also Warnblinkanlage einschalten, Panne vortäuschen und links anhalten. Der Polizist würde dann mit dem Fahrer zum Mittelstreifen hin aussteigen. Es sollte für Passanten und ggfs. „echte“ Streifenpolizisten aussehen, als fordere er sie auf, weiterzufahren.

Sobald sie den Neger unten an die Treppe gestellt hatten, käme das Signal aufs Handy – und daraufhin würden sie den Polizisten in Richtung U-Bahn drehen und ihn „aktivieren“. Die Aktivierung gehörte zur Dressur. Dutzende Male war er im Keller auf das Kommando hin: „Jetzt kommt er, los!“, gestartet. Sekunden später würde er schießen. Mit scharfer Munition. Drei Schüsse. Aus dann vielleicht noch zehn, höchstens fünfzehn Metern Entfernung.

 

Der Neger, der glaubte, er solle für eine Gage von 150 Euro ein paar Sekunden in einem kurzen Imagefilm für das weltoffene, bunte Berlin auftreten, hätte nicht einmal mehr Zeit, sich zu wundern.

„Eigentlich ein schöner Tod“, dachte Eddie, als er Jonas Adler in den Kleinlaster bugsierte. Sie lagen exakt in der Zeit.

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Dieser Roman wurde im Sommer 2020 geschrieben. Die Handlung beginnt am 17. November 2022 und endet am 1. Mai 2023. Die Kapitel tragen das jeweilige Datum der visionären Handlung. Sie werden jeweils an dem Tag, der in der Kapitelüberschrift genannt ist, in Form eines Fortsetzungsromans veröffentlicht. Viel Spaß beim Mitlesen.