London
Mittwoch, 19. April 2023

 

Die Atmosphäre in den Räumen des elitären Clubs im Zentrum der City of London war entspannt.

Die vier Herren, die sich rings um den niedrigen, reich mit Schnitzereien versehenen und mit floralen Elfenbein-Intarsien geschmückten Tisch aus altem Mahagoni-Holz niedergelassenen hatten, waren zusammengekommen, um eine neue Verabredung zu treffen. Kein Gedanke mehr an die dreißig Milliarden Dollar, die in den letzten Jahren aus dem Gemeinschaftsfonds zur Verfügung gestellt worden waren, um die Figuren auf dem globalen Schachbrett in noch günstigere Positionen zu schieben. Das Vermögen des Fonds war in der gleichen Zeit auf mehr als vierhundert Milliarden angewachsen – und, es war ja sowieso nur Geld.

„Ich hatte ja immer schon gesagt, dass das mit den Satelliten eine ziemlich wacklige Angelegenheit ist. Nun, wir haben es ausprobiert und sind dabei klüger geworden. Menschliches Versagen, wie es zum Verlust unseres Operation Centers in Michigan geführt hat, lässt sich nie völlig ausschließen. Vielleicht wäre es sinnvoll gewesen, eine redundante Einheit vorzuhalten, die aus dem Stand hätte weitermachen können. Aber auch darüber hatten wir vorher ausführlich diskutiert. Wachsende Größe heißt eben auch, ein größeres, schwerer zu tarnendes Ziel abzugeben, die Erfolgschance verändert sich dabei nicht.“

„Sehr richtig. Außerdem führt zusätzlicher Aufwand nicht immer zu zusätzlichem Ertrag. Es ist wie beim Kunstdünger. Die richtige Menge bringt den optimalen Ertrag – und wer glaubt, viel hilft viel, steht eines Tages vor einem Acker, der überhaupt keinen Ertrag mehr bringt.“

„Was schlagen Sie vor?“

„Abwarten. In aller Ruhe abwarten, und gegebenenfalls Tee trinken, oder einen 82er  Pétrus Pomerol aus eigenem Anbau.“ Dabei hob der Sprecher sein Glas und brachte den üblichen Toast aus: „Auf all‘ das, was wir ererbt von unsren Vätern!“

Als alle ihr Glas wieder abgesetzt hatten, fuhr er gelassen fort: „Wer, außer uns, verfügt denn über die Ressourcen, wer, außer uns, kann es sich leisten, geduldig den richtigen Zeitpunkt abzuwarten? Wir waren und wir sind unangreifbar und wir werden unangreifbar bleiben. Das kleine Missgeschick der letzten Wochen hat doch noch nicht einmal den Lack angekratzt. Wir haben mit zwei Weltkriegen unter Beweis gestellt, dass alles ersetzbar ist. Menschen nicht anders als materielle Güter. Es wird neue Pläne und neue Mittel und Methoden geben. Doch erst einmal wollen wir abwarten. Wir haben bisher weder diesen German-Q identifizieren können, noch dessen Hintermänner. Ich wette fünf Pfund, dass sie noch vor Ablauf dieses Jahres öffentlich in Erscheinung treten werden, und dann werden auch wir wissen, was als nächstes zu tun sein wird. Hält jemand dagegen?“

Gedämpftes Lachen war die Antwort auf die mehr rhetorische Frage.

„Dann ist das also beschlossen. Wir sehen uns in einem halben Jahr wieder. Ach, und ehe ich es vergesse: Morgen werde ich mehrere große Pakete aus dem DAX abstoßen. Nur dass niemand überrascht ist. Sollte sich jemand daran beteiligen wollen, nur zu. So ein kleiner Schuss vor den Bug kann nie schaden.“

Die Runde saß noch eine Weile zusammen, doch die Gespräche drehten sich nur noch um Familiäres. Eine Verlobung stand bevor. Vor- und Nachteile der neuen Verbindung innerhalb der eigenen Reihen wurden ausführlich abgewogen. Am Ende erteilte man der Paarung einstimmig das Einverständnis. Sollte sich das anders entwickeln als erwartet, waren Korrekturen schließlich immer noch möglich. Meist reichte eine dezente Erinnerung an Grace Kelly und Lady Diana. Nur Närrinnen und Narren ließen sich davon nicht beeindrucken.

 

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Dieser Roman wurde im Sommer 2020 geschrieben. Die Handlung beginnt am 17. November 2022 und endet am 1. Mai 2023. Die Kapitel tragen das jeweilige Datum der visionären Handlung. Die weiteren Veröffentlichungstermine und die Links zu allen bereits veröffentlichten Kapiteln finden Sie hier.  Viel Spaß beim Mitlesen.