Q 2
Samstag, 25. Februar 2023

 

Freunde von Q,

es herrscht Nachrichtensperre. Natürlich habt ihr das nicht bemerkt, denn ihr werdet mit unsinnigen und ablenkenden Nachrichten aller Art überschüttet.

Seit gestern Nachmittag sitzen die Spitzen der grün-schwarzen Koalition ununterbrochen zusammen und sind – wie üblich – nicht in der Lage einen gemeinsamen Beschluss zu fassen.

Nein, der Bundeskanzler ist nicht zurückgetreten, obwohl er es bereits im Kabinett angekündigt hatte. Es sieht so aus, als hätte jemand Druck auf ihn ausgeübt, trotz der schweren Vorwürfe, die gegen ihn im Raum stehen, noch durchzuhalten. Dem hat er nicht standgehalten. Gestern Nachmittag wurde der allseits geschätzte Inhaber jener Richtlinienkompetenz, von der er nie Gebrauch zu machen wagte, tot in seinem Amtszimmer aufgefunden. Vermutlich liegt er noch immer dort und teilt das Schicksal der Leichen der Freien Siedler in den Alpen. Die Auffindesituation war eindeutig. Tod durch Suizid per Pistolenschuss in den Mund. Sieht nach einem Schuldeingeständnis aus.

Bin gespannt, wann sein Tod bekanntgegeben wird, und welcher natürlichen Todesart er dann offiziell erlegen sein wird.

Vermutlich müssen wir darauf warten, bis man sich auf einen Nachfolger geeinigt hat. Die CDU dringt darauf, denn zur Hälfte der Amtszeit hätte sie laut Koalitionsvertrag sowieso das Kanzleramt übernehmen sollen. Die Grünen sperren sich und wollen weiterregieren, bis die ihnen zugesagten Vorhaben durchgesetzt sind. Bleiben beide Seiten stur, kommt es zu Neuwahlen. Das kann die CDU bei ihren derzeitigen Umfragewerten nicht wirklich wollen. Stellt euch also darauf ein, dass demnächst die stellvertretende Vorsitzende der Grünen den Stuhl des Bundeskanzlers erklimmen wird.

Zweite Nachricht.

In einer Woche, voraussichtlich in der Nacht vom ersten auf den zweiten März, wird es heiß hergehen am Nachthimmel. Eine Rotte von schweren Transporthubschraubern wird unbemerkt in den deutschen Luftraum eindringen, voll beladen mit Terroristen, Waffen und Munition. Der Auftrag: In mehreren deutschen Städten gleichzeitig ein Blutbad unter ihren Brüdern anzurichten.

Bleibt zu Hause, vor allem bleibt den No-Go-Areas und den üblichen Partyzonen fern. Der Angriff zielt ausnahmsweise nicht auf Deutsche.

Mehr beim nächsten Mal

Euer Q

 

Schrobenhausen
Mittwoch, 1. März 2023

 

Alarm! Alarm! Auf die Gefechtspositionen.

Die seit einem halben Jahr jeglichen militärischen Dienstes entwöhnten Soldaten, die in zwei Dutzend Containern in einem abgezäunten und bewachten Gelände, mitten im Hagenauer Forst bei Schrobenhausen untergebracht waren, trauten ihren Ohren nicht. Das war doch wieder so eine Laune vom Heiligen Ralf, der keine Gelegenheit ausließ, darauf hinzuweisen, dass sie, trotz der Sonderaufgabe, immer noch Soldaten seien. Aber einen Alarm, abends um halb zehn, den hatte es, seit sie hier Stellung bezogen hatten, noch nie gegeben.

Dazu muss man wissen, dass sich seit über vierzig Jahren sich im Hagenauer Forst bei Schrobenhausen ein Erprobungsstandort eines Rüstungsunternehmens versteckt. Ein Großkonzern, der nach mehrfachen Fusionen und Reorganisationen heute den Namen MBDA trägt, unter französischer Führung steht und zum Weltmarktführer in Sachen Lenkwaffensysteme geworden ist.

Seit vielen Jahren wird bei MBDA nun – nach langen Vorstudien – auch die schon bezahlte Entwicklung des neuen Taktischen Luftverteidigungssystems (TLVS), nicht gerade vorangetrieben, aber immerhin betrieben.

Die noch nicht offiziell benannte Einheit unter Führung von Oberstleutnant Ralf Spengler hatte den Auftrag, das erste funktionsfähige System – Hand in Hand mit den Entwicklern – zu testen und es letztlich als den Spezifikationen entsprechend vom Hersteller abzunehmen.

Schon im September 2022 hatten die abschließenden Tests begonnen, Probeschüsse auf fliegende Zielmarkierer, ohne Sprengköpfe allerdings, waren erfolgreich gewesen. Die Radarsysteme mit hoher Empfindlichkeit und das Feuerleitsystem, mit dem mehrere Ziele gleichzeitig bekämpft werden konnten, hatte seine Feuertaufe auch bereits bestanden.

Während die Soldaten ziemlich unmilitärisch aus den Unterkünften zu den Fahrzeugen trotteten, auf die das gesamte System einsatzfähig montiert war, und hier und da die Überzeugung auftauchte, dass jetzt bald alles vorbei sei, hier im Wald. Da es vermutlich heute Nacht um die letzte Prüfung unter Einsatzbedingungen ginge, frage sich Oberstleutnant Spengler, ob er bald tatsächlich das zu sehen bekäme, was ihm angekündigt war.

Gefechtsbereitschaft war nach gut dreißig Minuten hergestellt. Die neuen Weitbereichssensoren erfassten vorerst nur die momentan zwischen den Alpen und dem Sauerland in der Luft befindlichen zivilen Luftfahrzeuge, deren Transponder problemlos angesprochen werden konnten.

Spengler suchte nach und nach die Männer in den einzelnen Funktionsbereichen in oder bei ihren Fahrzeugen auf und erläuterte, dass dieser Alarm dazu diene, die Reaktionszeit des Gesamtsystems, einschließlich seiner menschlichen Komponente, zu überprüfen, weshalb er ihnen dringend empfehle, mit voller Konzentration bei der Sache zu sein.

„Wenn MBDA mit gut bewertet werden sollte, und wir nur mit befriedigend oder ausreichend abschließen, dann werden die nächsten Wochen für euch etwas ganz Besonderes“, versprach er feierlich.

Dann zog er sich in seinen Befehlsstand zurück, wo er über einen großen Bildschirm mit vielen kleineren Fenstern den gesamten Systemzustand überwachen und sich ggfs. einschalten konnte. Im Übrigen bestand seine einzige Aufgabe darin, im entscheidenden Moment das Feuer freizugeben. Den Rest konnte man der Elektronik ganz alleine überlassen, menschliche Reaktionszeiten waren einfach zu langsam für raketenwerfende Computer.

 

Um 01.24 krächzte im Headset des Piloten des Führungshubschraubers die Stimme seines Hintermannes: „Hast du das auch? Bei mir blinkt die rote Laterne. Werde von feindlichem Zielradar verfolgt.“

„Nee, bei mir ist nichts. War ja auch zugesagt, dass alles ausgeschaltet ist.“

Dann meldeten sich nacheinander Helikopter fünf und sieben. Auch bei ihnen blinkte die Warnlampe. Wenig später hatten alle elf den Alarm.

„Scheiße. Wir trennen uns. Auf mein Kommando erst Täuschkörper nach oben ausstoßen. Dann runter auf 150 Fuß über Grund. Achtet auf Hochspannungsleitungen. Jeder versucht auf sich gestellt seinen Absetzort zu erreichen. Viel Glück. Und jetzt: Raus mit den Dingern und ab!“

 

„Schön, sie haben uns bemerkt und geraten in Panik.“ Auf dem Radarschirm erschienen, neben den elf Helikoptern eine Vielzahl kleiner, als Infrarot-Täuschkörper markierte Punkte.

„Und nun glauben sie auch noch, Tiefflug hilft. Wie ihm alten Lehrbuch trennen sie sich voneinander. Ich denke, von MEADS haben die noch nie etwas gehört.“

„Sollen wir feuern“, fragte der Hauptmann im Befehlsstand neben Stegner.

„Nicht meine Entscheidung. Ich halte Rückfrage.“

„MEADS Erprobung, Oberstleutnant Stegner, elf Ziele, wie angekündigt, erfasst. Befehlen Sie Abbruch oder Einleitung der Abwehrsequenz?“

Major Wendler, am anderen Ende der Leitung, konnte sich vor Lachen kaum halten. „Das macht er gut, der Stegner, grinste er in sich hinein. Niemand von seiner Truppe merkt, dass hier mit ihrer Hilfe ein Fake abgefahren wird.“

„Abwehrsequenz einleiten. Ein Einzelziel mit Simulationsmunition unter Feuer nehmen“, gab Stegner das weiter, was Wendler gar nicht mehr zu sagen gebraucht hätte, weil es längst so abgesprochen war.

„Welchen nehmen wir?“

„Den letzten, ID 7214. Feuer frei!“

Einen Augenblick später schoss eine einzelne Luftabwehrakte aus dem Abschusscontainer.

„Entfernung?“
„82.5“

„Restlaufzeit?“
„1:15“

Mit knapp dreifacher Schallgeschwindigkeit raste das Geschoss durch den Nachthimmel. Der langsame Helikopter war ein leichtes Ziel. Der Pilot versuchte zwar noch, seine Maschine hoch und seitwärts wegzuziehen, als er die Gefahr erkannte. Doch drei Sekunden später explodierte die ganze Welt um ihn und der Heli mit allen Insassen fiel wie ein Stein vom Himmel in einen Acker zwischen Starnberger- und Ammersee.

„Wo ist der denn jetzt?“ Hauptmann Unger staunte. Simulationsmunition hinterließ zwar eine hübsche Signatur auf dem Schirm, die das Ziel kurzzeitig überdeckte, doch dann war das angegriffene Luftfahrzeug wieder auf dem Schirm. Diesmal nicht.

Über den internen Funk befahl Oberstleutnant Stegner seinen Männern: „In zehn Minuten antreten vor dem Unterkunftsbereich. Manöverkritik.“

„Das war gute Arbeit, Männer. Ich bin sehr zufrieden. Die Sache hat nur einen kleinen Haken.

Das war kein Manöver.

Was ich euch jetzt sage, verlässt diesen Kreis nicht. Sollte jemand den Mund nicht halten können, wird er das nicht lange überleben. Fakten: Heute Nacht, zwischen null null und null fünf Uhr gab es über Deutschland weder eine zivile noch eine militärische Luftraumüberwachung. Abgeschaltet, angeblich massive Rechnerstörung. Egal.

Damit sollte es insgesamt elf schweren Transporthubschraubern vom Typ CH 53K ermöglicht werden, unbemerkt in unseren Luftraum einzudringen und in mehreren deutschen Großstädten kampferprobte Terroristen aus Syrien und Libyen, sowie Kämpfer der kurdischen PKK einzufliegen. Einen dieser Hubschrauber haben wir eben gemeinsam abgeschossen, die anderen ganz bewusst durchgelassen. Die Nachricht davon wird höchstwahrscheinlich, wie so vieles andere, nicht öffentlich werden. Wohl aber das, was die schätzungsweise 250 überlebenden Terrorkämpfer in der nächsten Nacht anstellen werden.

Das, woran Sie ohne ihr Wissen, aber mit allen ihren Fähigkeiten heute Nacht teilgenommen haben, war ein Kommandounternehmen der Operation „Dornröschen“. Es gibt da draußen jene, die überall lauthals verkünden: ‚Wir sind mehr‘. Ich sage euch heute, ‚Wir sind genug‘, genug, um es mit denen aufzunehmen. Es kommt nicht auf die Menge an, sondern auf die Qualität. Und mit dieser Qualität wird es uns gelingen, Deutschland, das schlafende Dornröschen, wieder wachzuküssen. Noch Fragen?“

Ein eher schmächtiger, unsoldatisch wirkender Offiziersanwärter meldete sich.

„Hat Q das nicht genauso vorhergesagt?“

„Er hat es. Warum fragen Sie noch?“

„Weil ich zum zweiten Mal über Q erstaunt bin, und weil ich den Eindruck habe, Q steht auf der richtigen Seite, und weil ich herausfinden wollte, ob Sie Q kennen, und weil ich gerne der Organisation angehören möchte, der offenbar auch Sie angehören, und die Q als ihr Sprachrohr verwendet.“

„Ich denke, das können Sie haben. Ich erwarte Sie morgen, zehn Uhr, in meinem Container“, und an die versammelte Truppe gewandt fuhr er fort: „Wegtreten – und danke, Männer“

 

 

Zurück zur Folge 24         weiter zu Folge 26     

Dieser Roman wurde im Sommer 2020 geschrieben. Die Handlung beginnt am 17. November 2022 und endet am 1. Mai 2023. Die Kapitel tragen das jeweilige Datum der visionären Handlung. Die weiteren Veröffentlichungstermine und die Links zu allen bereits veröffentlichten Kapiteln finden Sie hier.  Viel Spaß beim Mitlesen.