Feldkirchen
Samstag, 18. Februar

 

Die erweiterte Telefonkonferenz war beendet. Fritz war noch dabei, seine Notizen zu sortieren und für sich selbst eine Aufgabenliste zu erstellen, als es an der Haustür klingelte.

Der Monitor zeigte Bernd Brenners fröhliches Gesicht. Fritz öffnete – und Bernd trat ein. Allerdings nicht alleine. „Entschuldige Fritz, wenn ich hier so hereinplatze, aber ich muss dir unbedingt jemanden vorstellen – und dazu wohl auch eine Erklärung abgeben. Das ist Elke Seyfarth. Das, Elke, ist Karl-Friedrich von Henningsberg, ich habe dir von ihm erzählt.“

Nachdem „Angenehm“ und „Sehr erfreut“ abgearbeitet waren, begab sich die kleine Gesellschaft in das Arbeitszimmer. Fritz ergriff das Wort: „Was verschafft mir die Ehre? Vor einer halben Stunde haben wir noch miteinander telefoniert, hättest du dich, euch, nicht ankündigen können?“

„Gerade das wollte ich vermeiden. Ich muss schließlich Zweierlei beichten. Erstens, dass ich unsere gesamte Organisation an diese bildhübsche Frau verraten habe, zweitens, dass Elke seit vorgestern meine Arbeit unterstützt und mein Leben mit mir teilt.“

„Gratuliere!“, knirschte Fritz zwischen den Zähnen. „Ich hoffe, du weißt, was du tust. Ich bitte um eine Erklärung.“

„Lieber Herr von Henningsberg“, begann Elke, „wir können uns gut vorstellen, dass Sie nicht vor Begeisterung im Dreieck springen, wenn Sie unvermittelt mit einer völlig Unbekannten konfrontiert werden. Aber wir kennen uns. Vom Telefon. Oft genug habe ich die Verbindung zwischen Bernd und Ihnen hergestellt – als seine Sekretärin bei den Stadtwerken. Ich habe Bernd als einen äußerst kompetenten Mann über Jahre beobachtet – und bewundert. Seine wenigen, aber scharfsinnigen Äußerungen im Betrieb zu politischen Fragen, haben mich immer wieder zu intensivem Nachdenken angeregt. Sein gesamtes Verhalten den Mitarbeitern gegenüber und seine Standhaftigkeit gegenüber dem Aufsichtsrat und den Hitzköpfen im Stadtrat war gar nicht hoch genug einzuschätzen. Dass er außerdem nie versuchte, seine Position mir gegenüber auszunutzen, sondern immer eine höfliche und freundliche Distanz wahrte, empfand ich als außergewöhnlich, wenngleich ich es manches Mal auch ein bisschen bedauerte. Er hat begriffen, dass er als Einzelgänger nicht arbeiten kann. Er braucht ein Team, als Rückhalt, für die Detailarbeit – und er ist auf mich zugekommen, ob ich nicht wieder für ihn arbeiten möchte. Ich habe zu viel gefragt. Er hätte mich belügen müssen und damit die mögliche Zusammenarbeit schon beschädigt, bevor sie begonnen hat. Ich bin froh, nun zu wissen, dass es noch aufrechte Männer gibt, die den Widerstand wagen. Ich bin bereit, mich mit allen meinen Kräften anzuschließen. Außerdem“, und dabei lächelte sie verschmitzt, „haben wir herausgefunden, dass wir uns lieben, und nicht nur beruflich wie füreinander gemacht sind. Entweder, Sie nehmen uns beide, …“

„Genug, genug!“, raunzte Fritz, nun schon weniger ärgerlich, „Sie können einen alten Mann ja um Kopf und Kragen reden, Frau Seyfarth. Ich denke, es wird funktionieren. Willkommen im Club. Und passen Sie auf, dass ich Sie nicht abwerbe.“

Bernd, dem vor dem Zusammentreffen doch ziemlich mulmig gewesen war, atmete auf. Elke hatte sich für sie beide bestens geschlagen und den alten Fritz glatt um den Finger gewickelt. Gut zu wissen, dass alles echt und aufrichtig war. An Fritz gewandt, knüpfte er an ein Thema der Telefonkonferenz von vorhin an: „Ich muss nochmal auf unsere medienwirksame Aktion von vorgestern zurückkommen.“

„Ja, das war wirklich ein harter Hammer. Die öffentliche Reaktion war allerdings geringer als man das hätte erwarten können. Dieses D-minor ist doch ein Teufelszeug – und dass ausgerechnet die Araber und Muslime, nachdem ihnen der Artikel in ihren Blättern übersetzt worden war, in Massen auf die Straßen gegangen sind und dabei wohl auch wieder einiges an Porzellan zerdeppert haben, war eher kontraproduktiv. Das Kanzleramt hält sich auch vollkommen bedeckt. Kein Kommentar, von niemandem, auch nicht aus den Fachressorts. Da war Kohls Aussitzerei ja noch leichter zu ertragen. Irgendwie unheimlich. Aber, lasst uns vorwärts schauen. Die IT-Installation für unseren Q? Wie sieht es da aus? Und dein Schreiber? In Sicherheit, hoffe ich?“

„Das schöne am Internet ist, dass es nicht nur überall empfangen werden kann, sondern dass man auch von überall auf der Welt seine Artikel hochladen kann. Jonas ist inzwischen bei einer unserer Unterstützungsgruppen in Wuppertal eingetroffen. Er ist vorsichtshalber überhaupt nicht mehr in der Redaktion aufgetaucht. In Wuppertal hat man eine Wohnung für ihn angemietet und für seine Zwecke eingerichtet. Eine von den Frauen wohnt bei ihm, macht Besorgungen und den Hausputz und zeigt sich in der Nachbarschaft. Die Freunde betreuen ihn gut. Solange die Suche nach ihm noch läuft, darf er das Haus nicht verlassen. Vielleicht in vier Wochen mit entsprechender Tarnung. Bis dahin darf er sich in die Q-Rolle einarbeiten. Sein erster Auftritt wird allerdings schon früher möglich sein. Wir sprechen das aber noch mit dir ab.“

„Ich habe dann auch noch etwas für euch“, meinte Fritz, und kramte eine Weile in einem Stapel von Visitenkarten, den er aus einer Schublade gezogen hatte. „Wie ihr vorhin gehört habt, sieht Gunther eine Chance, die Satelliten zu stören, eventuell sogar zu zerstören. Er hat mit einigen Spezialisten über eine Art Laserkanone diskutiert. Hildegard Schöning hat zugesagt, eine Richtvorrichtung mit einer Präzision von einem hundertstel Bogengrad in beiden Achsen, also horizontal, wie vertikal konstruieren und produzieren zu können, kann mit der Ausführung aber erst beginnen, wenn die technischen Daten des angedachten Geschützes vorliegen. Die hängen aber wieder davon ab, welche Laserkomponenten wir beschaffen können. Und da wird es nun heikel: Niemand in unseren Reihen hat damit hinreichend Erfahrung.

„Dieser Mann“, und damit reichte er die Visitenkarte weiter, „ein gewisser Kevin Albrecht, ist Leiter des Einkaufs der Complus AG, hier in München. Die Complus beschäftigt sich mit Entwicklung und Produktion von nicht an Glasfaserkabel gebundenen Hochgeschwindigkeits- Datenübertragungssystemen für das Gefechtsfeldmanagement der vierten Generation. Smarte Projektile, Hubschrauber, Cruise-Missiles, Radarsysteme, was immer sich bewegt und schießen kann oder zum Zielen erforderlich ist, wird über eine Art fraktal-holografischer Laserverbindung untereinander ohne Zeitverlust vernetzt. Soweit jedenfalls haben meine Recherchen mich geführt. Zu Details gibt es keinerlei Informationen. Kein Wunder auch.

Kevin Albrecht habe ich im November als immun identifiziert. Wir haben uns kurz unterhalten, ganz oberflächlich. Er war an mehr interessiert. Ich habe ihm versprochen, ihn anzurufen. Leider habe ich das bis heute immer wieder vor mir hergeschoben. Bitte nehmt mit dem Mann Kontakt auf. Grüßt ihn von mir, und erinnert ihn gegebenenfalls daran, dass wir uns auf der Rolltreppe im U-Bahnhof Marienplatz gemeinsam den Weg freigekämpft haben. Das kann er nicht vergessen haben – und außer ihm und mir kann davon auch niemand wissen.“

 

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Dieser Roman wurde im Sommer 2020 geschrieben. Die Handlung beginnt am 17. November 2022 und endet am 1. Mai 2023. Die Kapitel tragen das jeweilige Datum der visionären Handlung. Die weiteren Veröffentlichungstermine und die Links zu allen bereits veröffentlichten Kapiteln finden Sie hier.  Viel Spaß beim Mitlesen.