Hammelburg
„Du wolltest um neun geweckt werden, Harald.“ Schlagartig war Harald wach. Es dauerte nur einen winzigen Moment, bis ihm klar war, in welchem Bett er aufgewacht war, und wer ihn angesprochen hatte. „Danke Mike!“ Mike stand seit seiner Schulzeit als Kurzwort für den Familiennamen von Benjamin Michaelis – und war darüber zum Ersatzvornamen geworden. Dass er eigentlich Benjamin hieß, das hatte er selbst schon fast vergessen. „Du findest den Weg ins Bad. In einer halben Stunde gibt’s Frühstück. Danach erwarte ich einen ausführlichen Bericht!“ Beim letzten Satz hatte er die Stimmlage ihres letzten gemeinsamen Vorgesetzten, Oberleutnant Korn nachgeahmt – und beide brachen in ein schauerliches Gelächter aus. „Hast du noch Kontakt zu Korn?“ „Und wie. Du wirst noch staunen.“ Nachdem Harald sich frisch gemacht hatte und in sauberen Klamotten am Frühstückstisch erschienen war, begann das große Erzählen. Sie hatten sich, seit Harald den Dienst quittiert und Mike nach Hammelburg versetzt worden war, nur noch einmal persönlich getroffen. Damals hatten sie sich gegenseitig sicheren Unterschlupf angeboten. Harald war mehrmals umgezogen, und hatte den früheren Kameraden jeweils per Mail darüber informiert. Aber darüber hinaus herrschte seitdem Funkstille. Sie wussten beide, dass versucht wurde, die Kommunikation aller Ehemaligen auszuspähen und verhielten sich entsprechend vorsichtig. Es gab also viel zu erzählen. „Wo bist du denn hergekommen, mitten in der Nacht?“ „Das wirst du mir kaum glauben. Ich habe gestern etwa fünfzigtausend Freie Siedler aus ihren schäbigen Zelten und Hütten geholt, sie nach Garmisch getrieben und dort einquartiert.“ „Ach! Bei der Aktion warst du dabei? In den Nachrichten war kurz die Rede davon. Aber die Zahl war deutlich kleiner …“ „Ich war da nicht dabei. Ich war das ganz alleine. Alter psychologischer Trick, funktioniert sogar bei Gorillas und Schimpansen: Den alten Anführer angreifen und schlagen – und schon folgt die Horde dir. Außerdem waren es mindestens fünfzigtausend. Als die ersten unten Quartier bezogen, waren die letzten oben noch nicht aufgebrochen. Ein Karnevalsumzug der sonderbarsten Figuren, die du dir vorstellen kannst. Alle ganz vernarrt ins Universum, in ihren Yogi, der nun leider verstorben ist, und in diesen Arsch Sven Groot, der mit seinem Gesülze allmählich die ganze Welt in einen Ponyhof verwandelt.“ „Und das war ein Job?“ „So ähnlich. Ich bin ja quasi wieder fest angestellt und stehe für Spezialaufgaben zur Verfügung.“ „Und bei welchem Verein hat du unterschrieben?“ „Das wüsste ich selbst gern genauer. Ich habe nur einen Kontakt. Aber ich kann mir viel zusammenreimen. Es muss da so eine Art Club alter weißer Männer geben, von denen nicht nur jeder ein Experte auf seinem Gebiet ist, sondern die auch über schier unerschöpfliche Geldquellen verfügen. Was die letztlich wollen, weiß ich nicht, aber ich erkenne natürlich, dass es denen vor allem um eines geht: Recht und Ordnung wiederherzustellen, in Deutschland. Dass sie mich im Darknet gefunden haben, spricht dafür, dass sie auch vor unorthodoxen Methoden nicht zurückschrecken, und die Aufträge, die ich von ihnen erhalten habe, beweisen, dass sie, wenn ihnen etwas im Weg steht, vor dem Äußersten nicht zurückscheuen.“ „Du bist also als Killer unterwegs?“ „Waren wir das nicht beide? Sind wir nicht perfekt dafür abgerichtet worden? Kannst du noch zählen, wie viele Opfer bei unseren gemeinsamen Einsätzen auf dein Konto gingen? Nein, ich betrachte mich nicht als Killer. Ich bin weiterhin Soldat, wenn auch nicht mehr Angehöriger der Bundeswehr, doch seit ich selbstständig arbeite, bin ich mir sicher, dem, was wir bei der Vereidigung geschworen haben, nämlich der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen, heute mehr gerecht zu werden als je zuvor. Die Leute, für die ich arbeite, stehen eindeutig für unsere nationalen Interessen, und dazu gehört eben nicht nur der Schutz der Rohstofflieferungen aus fernen Ländern, sondern vor allem der Schutz unseres Volkes, seiner Kultur, seiner wissenschaftlichen Errungenschaften und seiner Heimat, als Heimat der Deutschen. Das alles ist in Gefahr und ich behaupte, es geht nicht von alleine den Bach runter. Die Verblödung mit Gender und dritten Toiletten, mit dem Streichen des Begriffs „Rasse“ aus dem Grundgesetz, und dem Einfügen eines Tierwohlartikels und eines Kindeswohlartikels, die sukzessive Abschaltung der stabilen Stromversorgung, die Vertreibung der Automobil- und Stahlindustrie aus Deutschland und das weiterhin bei scheunentorweit offenen Grenzen, für jeden der Asyl sagen kann … das ist alle irre. Und es fällt nicht von alleine vom Himmel. Dabei sollen wir noch das Sozialamt für die ganze Welt sein, aber von denen, die noch einen Funken Verstand im Kopf haben, traut sich ja kaum noch einer den Wahnsinn beim Namen zu nennen. Die Medien feuern sieben Tage die Woche vierundzwanzig Stunden lang ein wahres Trommelfeuer der Gutmenschlichkeit auf die Deutschen ab, dass sie geschichtlich verpflichtet seien, ihre ewige Schuld ewig abzutragen – und der Rest der Welt lacht sich krank über die verrückten Deutschen. Aber nur, wenn keiner zuhört. Man soll ja keine schlafenden Gutmenschen wecken!“ „Donnerwetter! Da hast du dich aber in Rage geredet. Aber tröste dich. Mich musst du nicht überzeugen. Mir steht das alles auch längst bis zum Hals, und weil ich hier in Hammelburg praktisch kaltgestellt bin, und im Grunde nie im Dienstplan auftauche, damit ich bloß keine Gelegenheit habe, den Neuen so etwas wie einen Korpsgeist einzupflanzen, habe ich viel Zeit. Viel freie Zeit. Ich werde heute überhaupt nicht zum Dienst antreten. Sie merken das natürlich, aber sie werden keinen Ton sagen. Vielleicht kommt irgendwann mal alles miteinander auf den Tisch, wenn sie mich endgültig loswerden wollen, doch bis dahin gebe ich mich meiner Lieblingsbeschäftigung hin: Alte Kontakte in die Truppe hinein pflegen.“ „Das meintest du also vorhin, als ich nach Korn fragte?“ „Ja, das meinte ich – und noch ein bisschen mehr. Ich habe Korn heute morgen kontaktiert und ihm erzählt, dass du bei mir übernachtest. Er ist ins Auto gesprungen, hat sich für eine dringende Dienstfahrt nach Hammelburg abgemeldet, und wird wahrscheinlich in einer halben Stunde vor der Tür stehen.“ „Im Ernst? Das ist ja ein Ding. Der Korn. Der Korn kommt meinetwegen von Calw nach Hammelburg!“ „Du wirst dich noch mehr wundern, wenn er erst da ist, aber die Geschichte, das hat er mir ausdrücklich abverlangt, die will er dir selbst verklickern.“ „Kannst du mir nicht wenigstens einen kleinen Tipp geben, damit ich vorbereitet bin?“ „Sorry. Dazu bin ich nicht befugt.“ Und wieder hatte Mike die etwas brüchige Stimme des Oberleutnants Korn täuschend ähnlich nachgeahmt. Nur wenige wussten, dass ihm diese Stimmlage nicht vom Stimmbruch übriggeblieben war, sondern dass sie mit der feinen Narbe an seinem Kehlkopf zusammenhing, und wer das wusste, der wusste auch, dass ihm ein medizinisches Experiment an den Soldaten der Elite-Einheit fast das Leben gekostet hätte. Sie wollten herausfinden, ob moderne, blutdrucksenkende Mittel, die so genannten ACE-Hemmer, im stressigen Einsatzfall unter Umständen dazu verwendet werden könnten, die Leistungsfähigkeit über die biologisch vorgegebene Grenze hinaus auszudehnen. Also bekam die ganze Kompanie täglich drei Mal die kleine Pille – und wurde dann in den härtesten Übungsszenarien an ihre Grenzen geführt. Die dritte Kompanie, als Vergleichsgruppe, durchlief die gleichen Übungen, jedoch ohne Pille. Am Ende der ersten Woche wachte Oberleutnant Korn mitten in der Nacht auf und hatte den Eindruck, seine Lippen seien dick geschwollen. Er stand auf, machte Licht und betrachtete sich im Spiegel. Zu seinem Erschrecken stellte er fest, dass er aussah wie nach einer misslungenen Schönheitsoperation mit viel, viel Silikon. Er wollte einen Schluck trinken, und stellte irritiert fest, dass er kaum noch schlucken konnte. Irgendwie war auch die Speiseröhre dicht. Während dieses Experiments waren die teilnehmenden Kompanien kaserniert und standen unter Ausgangsverbot. Korn verließ seine Stube und ging nach unten, zum UvD. Er wollte sagen, dass er womöglich einen Arzt bräuchte, doch er brachte keinen Ton mehr hervor. Gestikulierend zeigte er auf seine dicken Lippen und deutete unter Röcheln auf seinen Hals. Der UvD schaltete schnell und weckte einen Sanitäter. Der sah, dass Oberleutnant Korn kurz davor war zu erststicken – warum auch immer – und tat das einzig Richtige, er setzte einen Luftröhrenschnitt. Leider war seine Erfahrung im Setzen von Luftröhrenschnitten nur theoretischer Natur – so dass Oberleutnant Korn das massive Angio-Ödem, das von den ACE-Hemmern hervorgerufen wurde, zwar überlebte, aber eben mit einer ungewohnten, neuen Stimme. Er selbst hatte sich damit abgefunden. Seine Männer respektieren ihn weiterhin, doch Außenstehenden zog schon mal ein leichtes Grinsen übers Gesicht, vor allem dann, wenn Oberleutnant Korn militärische Kommandos geben musste. „Ja, ja, der Korn“, sinnierte Harald, „gut, dass der damals nicht abgekratzt ist. Ich freu mich richtig auf ihn, seit du seinen Besuch angekündigt hast.“ Zehn Minuten später stieg Gregg, eigentlich Gregory, Korn aus dem matt-olivgrün lackierten Passat Kombi mit den Y-Kennzeichen und läutete Sturm. Die Männer, die sich in mehreren Einsätzen besser kennengelernt hatten als so manches alte Ehepaar in fünfzig Jahren begrüßten sich überschwänglich. Umarmungen, Schulterklopfen, leichte Boxhiebe vor die Brust, bis Korn sich aufrichtete und ziemlich ernst sagte: „Schön, euch beide wiederzusehen. Ich habe nicht viel Zeit, ich habe tatsächlich dafür gesorgt, rein dienstlich in Hammelburg zu tun zu haben, und bin für dreizehn Uhr in der Kaserne verabredet. Bis dahin muss ich loswerden, was ich loswerden will – und das betrifft vor allem dich, Ex-Oberfeld Harald Mischke. Jetzt nennst du dich ja Wolfshöfer, soll mir auch recht sein.“ „Woher …?“ „Tut nichts zur Sache, nun ja, eigentlich fängt damit die ganze Geschichte an. Aber, Jungs, habt ihr nicht wenigstens einen Kaffee für euren alten Pfadfinder?“ Mike beeilte sich, Pulverkaffee und heißes Wasser zusammen zu rühren und reichte Gregg den dickwandigen Becher. Dann fuhr er fort: „Namen sind so eine Sache, und wie man dazu kommt. Ihr kennt mich als Gregg. Dazu gekommen bin ich, weil mein Großvater, ein gewisser Gregory Walsh aus Missouri 1945 als GI nach Deutschland kam, um dort meine Großmutter zu schwängern. Bevor daraus eine Beziehung werden konnte, erhielt er den Marschbefehl nach Hause. Oma Anne brachte pünktlich im August 1946 eine Tochter zur Welt, ein hübsches Mädchen, dem alljährlich zwischen Oktober und April deutlich anzusehen war, dass ihr Vater keinesfalls bei der Wehrmacht gedient haben konnte. Diese Tochter, meine Mutter, heiratete mit dreißig jenen Alfred Korn, dem ich meinen Familiennamen verdanke – und als ich dann 1979 zur Welt kam, nannte sie mich Gregory, nach ihrem Vater, weil ihre damals schwerkranke Mutter dies praktisch als ihren letzten Wunsch geäußert hatte.“ „Dafür, dass du keine Zeit hast, kannst du ganz schön ausschweifend erzählen, Gregg.“ „Ach, ich denke, bei Harald hat’s schon längst geklingelt. Er weiß jetzt, womit er sich verraten hat. Als wir im Kompanie-Unterricht über die juristische und die moralische Einordnung von Attentaten, speziell von solchen zum Zwecke des Tyrannenmordes sprachen, und ihr einen Aufsatz zum Thema abliefern solltet, der vor einem historischen Hintergrund spielt – da hat Harald …“ „Da habe ich einen Heinrich Wolfshöfer erfunden, als einen Weggefährten von Wilhelm Tell und die beiden einen Dialog um das Thema führen lassen. Ich erinnere mich. So hast du mich also wiedergefunden.“ „Nicht ich. Wir. Frau AKK kann ja glauben, wenn sie eine Elite-Einheit auflöst, habe sie ihr Problem gelöst, doch eines kann sie nicht. Das zerstören, was in Kameradschaft, in gemeinsam durchlebten Drill und gemeinsam überstandenen Einsätzen zusammengewachsen ist. Das hat sie nicht geschafft. Wenn ihr euch erinnert, wurde ich damals von einem Freund beim MAD über alle bevorstehenden Schritte informiert – und ich kann euch sagen, als die bei uns die Bestände nachgezählt haben, war alles da! Alles! Jede Patrone, jedes verdammte Gramm Sprengstoff, sogar jede Dose Waffenöl, die jemals bei uns gelandet und nicht gegen Quittung ausgegeben worden ist. Die Fehlmengen waren ausgeglichen, die Berichte darüber gelogen. Vermutlich, weil es schon vorher einen unter uns gab, der sich entweder an uns rächen oder sich im Ministerium einschleimen wollte. Als IBUK hat sie dann ja auch nicht gewagt, klipp und klar zu sagen, sie hätten festgestellt, dass etwas fehlt, es könne auch ein Buchhaltungsfehler sein, schlängelte sie sich zwischen Wahrheit und Lüge durch. Man müsse das noch prüfen. Jeder Angeklagte gilt so lange als unschuldig, bis seine Schuld erwiesen und er verurteilt ist. Aber bei uns war die Vorverurteilung in der Welt – und die Aufklärung konnte warten, soweit ich weiß, hat nie wieder jemand nach der Buchführung gefragt. Hauptsache die Linken hatten einen handfesten Grund für einen entrüsteten Aufschrei und konnten wieder einmal die Auflösung von KSK, Verfassungsschutz, BND, MAD und der gesamten Polizei fordern. Der Trick mit Verleumdung und Vorverurteilung ist uralt und leicht zu durchschauen, aber weil niemand von uns Gelegenheit erhalten hat, die Sache so darzustellen, wie sie war, blieben die Anschuldigungen als einzige Information für die Öffentlichkeit stehen. Also schlug die Stimmung in die gewünschte Richtung um. Mit der Auflösung der KSK waren auf einmal Wahlen zu gewinnen. Es wurde jedoch noch ein ganz anderer Effekt erzeugt. Mein Freund beim MAD und dessen Freunde, ich und meine Freunde, haben ein geheimes Rechercheteam gebildet, mit dem wir die Wege und den Verbleib aller Kameraden jederzeit nachvollziehen können wollten. Dazu haben wir Berge von Daten in eine Datenbank eingespeist, einschließlich aller schriftlichen Unterlagen, die wir von euch hatten – und eben auch diesen Aufsatz.“ „Komplizierter gings wohl nicht, oder?“ „Das Schöne an einer Datenbank, mein Lieber, ist die Möglichkeit, auf einfache Abfragen komplexe Antworten zu erhalten. Da war dieses abgehörte Telefonat, dass den Spezialisten von der KI aufgrund zutreffender Suchbegriffe vorgelegt wurde. Es ging darin um einen Job, um eine Menge Geld, und um einen Wolfshöfer, der offenbar beauftragt werden sollte, den Job zu erledigen. Dass überhaupt so großes Interesse an diesem abgehörten Telefonat bestand, kam aber daher, dass es sich um eine Konferenzschaltung mit mindestens sieben Teilnehmern gehandelt hat, dass die Gespräche äußerst raffiniert verschlüsselt und über ein VPN-Netzwerk geführt wurden, was die Identifizierung der Teilnehmer ausgesprochen schwierig machte. Nun ja, je härter die Nuss … Wir wissen, dass der Inhaber einer Einzelhandelskette in Berlin, ein Privatbanker in der Schweiz, ein Chemiker in München, der Geschäftsführer einer kommunalen GmbH, ebenfalls in München, die Inhaberin einer feinmechanischen Fabrik in Bad Canstatt, sowie ein Selfmade-Millionär in Quebec, Kanada, sowie – man höre und staune – der deutsche Botschafter in den USA offenbar Spaß daran haben, konspirative Telefonate miteinander zu führen.“ „Das ist ja eine hochinteressante Versammlung, Gregg. Da sehe ich erstens die Möglichkeit, viel Geld in Bewegung zu setzen, zweitens die Möglichkeit feinmechanisch Waffen zu erzeugen, drittens alles, was die Chemie hergibt, von Sprengstoff bis LSD, die Chance, eine Stadt zu erpressen, womit und wie auch immer, und das alles mit Kontakten nach Kanada, ins Auswärtige Amt und in die USA.“ „Stimmt, Mike, Und unser Freund Harald hier, hat zweifellos einen Job für die erledigt. Er ist heute Nacht bei dir angekommen. Ich denke, er steckt hinter der Sache in Garmisch, die den Leuten dort bald voll um die Ohren fliegen wird. Aber egal. Es kommt auf eines an, Harald. Wir müssen zu dieser Gruppe Kontakt aufnehmen. Dort ist alles, was uns fehlt versammelt – und bei uns gibt es alles, was denen fehlt, außer dir natürlich. Von wem also hattest du den Auftrag?“ Harald zeigte Nerven. Er stand auf und ging rasch im Zimmer auf und ab: „Du hast mir viel erzählt, Gregg. Einiges davon wusste ich, einiges habe ich mir zusammengereimt, doch manches war mir bisher nicht klar. Was wollt ihr von diesen Leuten? Was wäre das Ziel einer, … einer solchen Kooperation?“ „Wir wissen, dass diese Leute unterwegs sind, um eine Truppe zu rekrutieren. Sie erzählen bei den Einstiegstreffen hochinteressante Sachen, die eigentlich niemand laut erzählen sollte, wenn er sich der Verschwiegenheit nicht absolut sicher sein kann. Irgendwie haben sie herausgefunden, was mit den Leuten nicht mehr stimmt, warum die Weißen immer furchtsamer und duldsamer werden. Drogensache, raffiniert eingefädelt, würde hier zu weit führen. Sie suchen nach Menschen, die immun sind. Das ist naiv, denn auch wer gegen die Verblödungsdroge immun ist, kann ein Schwein sein. Sie nehmen aber alle. Legen sie irgendwie auf Halde, führen Dateien über sie, Ausbildung, spezielle Fähigkeiten, usw., als wollten sie bei Bedarf über Spezialisten verfügen. Diese Hilfstruppenrekrutierung ist ein Problem für die Ziele dieser Bewegung. Wir könnten die durchleuchten – und wir könnten sie ausbilden und trainieren. Das wollen wir vorschlagen, und eine Abstimmung unserer Ziele und, wenn es geht, einen Plan für ein gemeinsames Vorgehen. Für beide Seiten sind größtmögliche Synergieeffekte zu erwarten. Das wollen wir von denen.“ „Und, warum kontaktiert ihr sie nicht direkt?“ „Mein Gott! Du weißt, wie problematisch das ist, wenn beide Seiten sich belauern, sich nicht trauen, auf den Punkt zu kommen, weil sie zu Recht misstrauisch sind. Du hast den Kontakt. Du genießt ihr Vertrauen. Du wirst den Kontakt herstellen, je eher, umso besser.“ „Und was passiert mit mir – ich habe schließlich einen gut dotierten Vertrag mit denen? Wenn ihr da drin seid, werde ich für die doch überflüssig.“ „Da appelliere ich jetzt nur noch an deinen guten Kern und deine Verantwortung für Deutschland, Harald. Sicherlich wird dich niemand fallen lasen wie eine heiße Kartoffel, und sicherlich wird sich auch für dich eine neue Aufgabe finden. Aber wenn du dich jetzt verweigerst, verhinderst du womöglich das beste, denkbare Widerstandsbündnis aller Zeiten. Also, wer ist dein Kontakt?“ „Stadtwerke München. Bernd Brenner. Es war seine Idee, ich weiß nicht einmal, inwieweit das mit den anderen abgestimmt war, die Belastung des Münchner Trinkwassers dadurch zu reduzieren, dass die Wildpinkler, wie er sie nannte, das Gebiet oberhalb von Grainau verlassen. Das WIE, das war mein Job. Ich werde ihn morgen kontaktieren, auch wegen der Übergabe des Erfolgshonorars.“ „Telefonisch?“ „Ja.“ „Geht nicht, du musst nach München, ich habe da nämlich noch ein Empfehlungsschreiben, das du übergeben musst. Du solltest es nicht öffnen. Den Inhalt versteht nur der Adressat, und das ist vermutlich noch nicht einmal dein Herr Brenner, sondern sein Berliner Freund. Außerdem entlastet es dich von einem Verdacht, der unmittelbar aufkommen wird, wenn du versuchst, den Kontakt herzustellen. Also schau nicht rein. Es ist das Beste, die Überraschung trifft auch dich.“ „Eine Frage noch, Gregg. Wenn dich Mike nicht informiert hätte, wenn ich gar nicht bei ihm aufgetaucht wäre, was hättet ihr dann unternommen?“ „Wir hätten weiter nach dir gesucht, Harald. Und jetzt ist es höchste Zeit. Ich muss zu meinem Termin.“ „Halt, warte noch! Wie sollen die euch denn kontaktieren, wenn sie Interesse zeigen?“ „Steht alles in dem Brief. Servus, macht‘s gut!“
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Dieser Roman wurde im Sommer 2020 geschrieben. Die Handlung beginnt am 17. November 2022 und endet am 1. Mai 2023. Die Kapitel tragen das jeweilige Datum der visionären Handlung. Sie werden jeweils an dem Tag, der in der Kapitelüberschrift genannt ist, in Form eines Fortsetzungsromans veröffentlicht. Viel Spaß beim Mitlesen.