Cheboygan
Dienstag, 7. März 2023

 

Das spezielle Telefon auf William Graymills Schreibtisch klingelte exakt um 14.00 Uhr. Bills Hoffnung, nachdem sich tagelang nichts gerührt hatte, noch einmal davongekommen zu sein, verflog ins Nichts. Der bullige Mann sackte auf seinem Stuhl förmlich in sich zusammen. Es kostete ihn eine fast übermenschliche Anstrengung, zum Hörer zu greifen und das Gespräch anzunehmen.

„Hello“, meldete er sich, „ich habe Ihren Anruf erwartet. Machen Sie es kurz, wenn möglich.“

„Guten Morgen, Bill“, die aufgesetzte Freundlichkeit der zugleich eiskalten Stimme ließen Bill noch kleiner werden als er sich sowieso schon fühlte.

„Glauben Sie wirklich, Bill, ich könnte das „kurz machen“, was der Rat mir lang und breit und in allen Details aufgetragen hat? Was haben Sie sich dabei gedacht, die Kavallerie in Deutschland Jagd auf Ausländer machen zu lassen? Nicht so schlimm? Stört schon keinen? Die CIA berichtet aus dem gesamten arabischen Raum von Aufständen und gewaltsamen Ausschreitungen, die diesmal aber nicht von unseren Hilfstruppen ausgehen. Im Gegenteil, die Kämpfer, aus deren Mitte Sie Ihre Eingreiftruppe rekrutiert haben, haben das Vertrauen und die Unterstützung jener Teile der Bevölkerung verloren, die bisher für unsere vorgegebenen Ziele zu gewinnen waren. Irgendwie ist durchgesickert, was da, unter wessen Regie, ihren Freunden und islamischen Brüdern von feigen Mördern angetan wurde. In Libyen ist ein weiterer Sohn Gaddafis aufgetaucht und wurde von den Stammesältesten einstimmig zum neuen Chef ernannt. General Haftar hat sich ihm bereits angeschlossen. Die von uns eingesetzte Regierung in Tripolis hat sich aufgelöst und in alle Winde zerstreut. Aber das wissen Sie ja, Sie lesen ja auch die CIA-Berichte. In Nordsyrien hat die PKK die Unruhen genutzt, um Erdogans Truppen unter erheblichen Verlusten auf beiden Seiten über die Grenze in die Türkei zurückzujagen. Assad ist im Kreml zusammen mit Präsident Putin vor die Presse getreten. Massive Beschuldigungen gegen die USA, natürlich an die eigene Bevölkerung gerichtet. Das hat seine Wirkung nicht verfehlt. Assad sitzt sicherer im Sattel als je zuvor. Die Arbeit von mehreren Jahren, der Einsatz von hunderten Milliarden Dollar, futsch. Und das alles, weil Sie nicht bedacht haben, dass die Araber, so zerstritten sie untereinander auch immer sein mögen, dann gemeinsam aufstehen, sich um ihre wahren Führer scharen und ihre internen Fehden ruhen lassen, wenn eigene Leute, die sich als Verräter von Fremden missbrauchen lassen, die eigenen Leute gewissenlos abschlachten. Wann haben Sie sich zuletzt den Koran erklären lassen, Bill? Sie haben unsere Verbündeten in den arabischen Ländern allesamt als Verbrecher erscheinen lassen. Schuldig der Muharaba, des Verbrechens gegen Allah und seinen Propheten, zum Ausdruck gebracht durch Verrat, durch Störung der göttlichen Ordnung und den Kampf gegen die eigenen Brüder. Was haben Sie sich dabei gedacht?“

William Graymill hielt das für eine rhetorische Frage und wartete schweigend auf die Fortsetzung des Donnerwetters.

„Ich habe Sie etwas gefragt, Bill! Was haben Sie sich dabei gedacht?“

Die Chance, sich zu rechtfertigen, so klein sie auch erschien, ließ Graymill neuen Mut fassen.

„Deutschland, Germany. Die Allianz aus Linken und arabischen Clans stand kurz davor, unter Nutzung der Regierungskrise und der Schwäche der Ordnungskräfte den ersten islamisch-marxistischen Staat auf deutschem Boden auszurufen. Der Kanzler hatte mir seinen Rücktritt angekündigt. Ich habe ihn an seinen Vertrag erinnert. Rücktritt ausgeschlossen. Wenn er aussteigen wolle, müsse er sich schon selbst die Kugel geben. Dann hat der Irre sich tatsächlich selbst erschossen. Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Da soll einer klug werden, aus den Germans. Ich musste die Clans schwächen. Solange die Demokraten, zusammen mit einigen speziellen Republikanern nicht die Mehrheit in beiden Häusern des Senats haben – das sind Ihre eigenen Worte, Sir – darf es in Deutschland nicht zum Äußersten kommen. Das habe ich mir dabei gedacht.“

„Sie wagen es also, mir die Schuld an Ihrem Versagen in die Schuhe zu schieben? Es hätte, verdammt, viele andere Möglichkeiten gegeben, die Lage zu entspannen. Aber Sie wählen die brachiale Methode, ohne Rücksicht auf Verluste.“

Bill wusste, dass er verloren hatte. „Viele andere Möglichkeiten“, höhnte er. „Was denn, zum Beispiel?“

Sein Gesprächspartner wechselte unvermittelt das Thema. „Sehen Sie mal aus dem Fenster, Bill. Da hinten, dicht über dem Horizont, müssen sie jetzt auftauchen. Wie kleine wütende Hornissen, in zwei Minuten sind die Hubschrauber der CIA bei Ihnen. Man wird sie dem FBI übergeben und des vielfachen Missbrauchs von Kindern und Minderjährigen anklagen. Das dem Gericht vorgelegte Material ist Ekel erregend. Sie sind auf vielen Fotos und Videos viel zu gut zu erkennen, um auch nur die geringste Chance zu haben, sich zu verteidigen. Sie werden in wenigen Stunden im Metropolitan Correctional Center in New York exakt jene Zelle bewohnen, in denen schon Jeffrey Epstein seine letzte Nacht verbrachte. Grüßen Sie ihn, sollten Sie ihm in der Hölle begegnen.“

Das Gespräch war beendet. Von draußen drang der Höllenlärm der Helikopter in Bills Büro. Nein. Er würde nicht in der Zelle erhängt tot aufgefunden werden…

Als der erste CIA-Agent im Türrahmen auftauchte, drückt er ab. Der Revolver fiel ihm aus der Hand, sein Körper rutschte nach links vom Stuhl auf den Boden. William Graymill war nicht mehr.

Drei Tage später war der gesamte Standort geräumt und aufgelassen. Einige der Experten kamen bei anderen Stellen unter. Etliche wurden verhaftet und peinlichst verhört, wieder andere kamen innerhalb weniger Tage bei Unfällen ums Leben.

 

Jeff Adams gehörte zu jenen, die verhaftet und mit dem Hubschrauber ausgeflogen wurden. Das Ziel war ein geheimer CIA-Komplex in Kanada, nur wenige Meilen hinter der Grenze. Was hier geschah, fiel nicht in die Zuständigkeit amerikanischer Gerichte, eine Vorsichtsmaßnahme, die sich durchaus schon bewährt hatte.

Am frühen Abend saß Jeff erstmals in einem abgedunkelten Raum einem Verhörspezialisten gegenüber.

„Sie sind also Jeff Adams?“

Jeff nickte.

„Wo und wann geboren?“

„30.11.1996, Reading, Pennsylvania“

„Wir können es kurz machen, Jeff. Ich habe nur eine Frage. Sie geben mir eine passende Antwort, und dann bringen wir Sie zurück nach Cheboygan. Also, es ist wirklich ganz einfach. Wem haben Sie dieses Dokument übergeben?“

Dabei legte er den Ausdruck jener Mitteilung auf den Tisch, die am 21. Februar vom deutschen Generalkonsul in New York in einer Mail über eine absolut sichere Verbindung an das Auswärtige Amt in Berlin gesandt und von der NSA aus den Datenleitungen herausgefischt worden war.

Jeff versuchte ruhig zu bleiben und tat so, als lese er den kurzen Text aufmerksam durch. Er war froh, nicht an einen Lügendetektor angeschlossen zu sein, als er erklärte: „Ich weiß zwar, worum es hier geht. Das wurde schließlich bei uns erarbeitet. Aber ich kenne dieses spezielle Dokument nicht. Wie soll ich es daher weitergegeben haben?“

„Das war deine Chance, Jeff. Aber du willst ja, dass es ungemütlich wird.“

Auf einen Wink des Vernehmungsoffiziers hin stürzten sich drei bisher fast unsichtbar im Halbdunkel wartende Männer auf Jeff, rissen ihm die Kleider von Leib, bis er völlig nackt war, verbanden ihm die Augen mit einer schwarzen Binde, und begannen damit, ihn zur Einstimmung ein wenig zu verprügeln.

Als Jeff sich auf dem Boden liegend vor Schmerzen krümmte, meldete sich der Vernehmende wieder.

„Es gibt nach wie vor nur eine einfache Frage, Jeff. Ich denke, du solltest jetzt bereit sein zu antworten: Wem hast du räudiger Hund dieses Dokument übergeben?“

Seine Peiniger rissen Jeff an den Armen hoch. „Steh auf, wenn du vor einem Offizier stehst“, brüllte einer.

Jeff spuckte einen blutigen Schneidezahn aus und sagte, wegen der frischen Zahnlücke mit einem pfeifenden Nebengeräusch: „Ich kenne dieses Dokument nicht – und ich habe es auch nicht weitergegeben.“

„Aufhängen!“, befahl der Offizier.

Jeffs Arme wurden grob auf dem Rücken zusammengebunden. Dann bugsierten sie den Gefangen zu jener Stelle im Raum, wo eine Art Kranhaken von der Decke hing. Mit leichtem Surren senkte dieser sich auf Knopfdruck nach unten. Jeffs zusammengebundene Arme wurden eingehängt, und schon ging es wieder nach oben. Jeff schrie laut auf vor Schmerzen als seine Schultergelenke drohten, auszukugeln. Sie ließen ihn für vielleicht dreißig Sekunden frei in der Luft hängen, doch als Jeff Anzeichen zeigte, gleich in Ohnmacht zu fallen, ließen sie ihn soweit wieder herunter, dass seine Zehen den Boden erreichten, was er fast dankbar als Erleichterung wahrnahm. Das änderte sich aber schnell, als der Vernehmungsoffizier fragte: „Schon mal was von cock grilling gehört, Jeff? Nein? Na, dann viel Spaß beim ersten Mal.“

Als sich die kleinen, scharfkantigen Krallen der Kontaktklemme durch seine Vorhaut in seine Eichel bohrten, und gleich darauf noch einmal welche in seinen linken Hoden, konnte Jeff nicht anders. Er brüllte wie ein angeschossenes Tier im Todeskampf.

„Wer wird sich denn so gehenlassen?“, fragte der Offizier. Der Schmerz lässt gleich nach. Ich fast wie bei der Spritze beim Zahnarzt, und lässt sich halt auch bei uns zur Vorbereitung der eigentlichen Operation nicht vermeiden.“

Jeff hörte ihn zwar reden, aber er war schon nicht mehr in der Lage, dem Gesagten wirklich zu folgen. Sein Körper war ein einziger Schmerz, und trotz aller Schulungen über das Verhalten unter Folter war er so gut wie am Ende.

Eine schnelle Folge kurzer, sehr schwacher Stromstöße durchzuckte seine Genitalien. Jeff empfand das im ersten Augenblick weniger schmerzhalt als vielmehr sexuell stimulierend.

Aus dem Hintergrund fragte der Offizier: „Na, ist das nicht ein wonniges Gefühl, Jeff?“, und dabei drehte er den Regler für die anliegende Spannung ein gutes Stück hoch.

Jeff keuchte nur noch.

„Das ist jetzt deine letzte Chance, Hurensohn. Wenn dir wieder nichts einfällt, brutzeln wir dir dein gutes Stück einfach weg. Und was dann noch von dir übrig ist, wird relativ schnell ausbluten. Wem hast du dieses Dokument weitergegeben?“

„Harry Grimm“, röchelte Jeff.

„Lauter!“, brüllte der Offizier, „ich kann dich nicht verstehen.“

„Harry Grimm!“, stieß Jeff mit letzter Kraft noch einmal hervor.

 

Drei Tage später wurde Jeffs Leiche, vollständig bekleidet, eingeklemmt im Wrack eines Pkws aufgefunden, das wie von einer Riesenfaust kunstvoll um einen Alleebaum gewickelt worden war.

Damit war das letzte Glied in der Kette des Verrats gefunden. Jeff war schon länger unter Verdacht, als Maulwurf zu arbeiten, doch war es nie gelungen, herauszufinden, wie er seine Meldungen weiterleitete. Er verließ die Station so gut wie nie – und die dort vorhandenen Kommunikationseinrichtungen wurden vollständig überwacht. Handys und Smartphones der Mitarbeiter sowieso.

 

Harry Grimm betrieb ein kleines, einträgliches Rundflugunternehmen mit zwei einmotorigen Sportflugzeugen, mit denen er Touristen aus der Luft einen atemberaubenden Eindruck von den schönsten Winkeln der großen Seen verschaffte.

Dirk Westermann erfuhr es in keiner kurzen Mitteilung in den Abendnachrichten.

Aus bisher noch unbekannten Gründen ist heute Morgen eine mit vier Passagieren und dem Piloten besetzte Maschine des Unternehmens „Grimm Aerofun“ in den Lake Huron gestürzt. Die Bergungsarbeiten laufen noch. Mit Überlebenden wird jedoch nicht mehr gerechnet.

Der deutsche Generalkonsul in New York glaubte nicht an Zufälle. Er ließ sich auf den nächsten Flug nach Deutschland buchen und orderte ein Taxi zum Flughafen. Er musste nicht viel erklären. Seine Familie befand sich schon seit Tagen in Deutschland, sozusagen auf Heimaturlaub, er wollte nun mit seinen Lieben noch ein paar schöne Tage zuhause verbringen.

 

 

 

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Dieser Roman wurde im Sommer 2020 geschrieben. Die Handlung beginnt am 17. November 2022 und endet am 1. Mai 2023. Die Kapitel tragen das jeweilige Datum der visionären Handlung. Die weiteren Veröffentlichungstermine und die Links zu allen bereits veröffentlichten Kapiteln finden Sie hier.  Viel Spaß beim Mitlesen.