Ammersee, Ausflugslokal bei Dießen
Montag, 13. Februar 2023

 

Man hatte sich darauf geeinigt, mit zwei Delegationen von je acht Personen in die Kooperationsgespräche zu gehen. Weil die Bayern im Vergleich zu allen anderen Bundesländern immer noch am konservativsten dachten und wählten, und der Einfluss und der Organisationgrad von SPD, Linken und Grünen hier immer noch am geringsten war, sollte das Treffen in Bayern stattfinden. Von Henningsberg hatte Oberleutnant Korn, der zur Vorklärung kurz in Feldkirchen weilte, vorgeschlagen, einfach einen Konferenzraum im nahegelegenen Tagungshotel in Westerham anzumieten, doch der widersprach entschieden: „Miete nie einen Raum in einem Tagungshotel, wenn du Wichtiges zu besprechen hast. Die sind alle total verwanzt. Konferenzräume sind eine der besten Quellen für jede Art von Wirtschafts- und Industriespionage. Da werden Pläne ausgeheckt, von denen im eigenen Haus nichts ruchbar  werden soll, Entwickler halten ihre Brainstormings in solchen angemieteten Räumen ab, Leute aus den zweiten Reihen der Hierarchie treffen sich hier, um die Bedingungen für Übernahmen und Beteiligungen auszuhandeln. Immer ist vorher jemand dagewesen, der das notwendige Mithörgerät installiert – und wenn man vorher zwei Techniker mit Messinstrumenten reinschickt, sorgt man nur für zusätzliche Aufmerksamkeit. Der beste Ort für eine solche Besprechung ist der große Nebenraum in einem Ausflugslokal am Ruhetag. Wir haben schon mehrfach ein hübsches, bayrisches Wirtshaus am Ammersee genutzt, wenn wir ungestört sein wollten. Hat den Vorteil, dass die Wirtsleute uns schon kennen und uns gerne am Ruhetag aufsperren und sehr diskret, und nur dann, wenn wir darum bitten, auch für das leibliche Wohl sorgen.“

Jede Delegation sollte in einem Referat von etwa einer Stunde Dauer die eigenen Ziele und Vorstellungen vorstellen, sowie über die jeweils verfügbaren Ressourcen zumindest grob Bericht erstatten. Dafür war der Vormittag vorgesehen. Nach dem Mittagessen sollten dann gemischte Teams gebildet werden, die jeweils zu speziellen Themenbereichen noch offene Fragen abklärten und Ansatzpunkte für mögliche technische und personelle Zusammenarbeit herausarbeiten. Die Ergebnisse sollten am späten Nachmittag im Plenum vorgestellt werden und dazu führen, dass Klarheit darüber bestand, ob eine Kooperation von allen insgesamt als nützlich angesehen würde, oder ob man sich, nach näherer Betrachtung der beiderseitigen Interessen, lieber doch wieder solo auf das eigene Terrain zurückziehen sollte.

Es kam ganz anders.

Gregory Korn, der Oberleutnant und Mike Michaelis waren als erste eingetroffen und hatten den Raum einer kurzen Inspektion unterzogen. Es gab keinen Hinweis auf eventuelle „Unregelmäßigkeiten“. Kurz nach ihnen traf Major Wendler, der Verbindungsmann im MAD zusammen mit dem IT-Spezialisten ein, der die Datenbank aufgebaut und die Suchalgorithmen optimiert hatte. Bernd Brenner und Harald Mischke, die bis zuletzt noch im Haus von Henningsberg in Feldkirchen an den Verhandlungspositionen des Konservativen Mittelstands gefeilt hatten, trafen als nächste ein und machten sich mit den Anwesenden bekannt, bzw. zeigten Freude darüber, sich nach dem Kennenlernen in Hammelburg wiederzusehen. Hildegard Schöning kam alleine aus Bad Canstatt und war nach wenigen Augenblick der Mittelpunkt der Männerrunde. Gunther war nach München geflogen, hatte dort übernachtet und traf als nächster per Taxi ein. Der Kanadier, ein gebürtiger Deutscher, hatte die Gelegenheit genutzt, hier Verwandtschaftsbesuche zu machen und auch an manchem Grabstein zu verweilen und dabei Erinnerungen an die Zeit wachzurufen, bevor er als junger Mann die Enge Deutschlands gegen die Weite Kanadas eintauschte. Er traf fast gleichzeitig mit Gunther ein. Gunther erklärte der Runde, dass der Botschafter leider in letzter Minute absagen musste, er sei aber bevollmächtigt, bei eventuellen Abstimmungen dessen Stimmrecht mit wahrzunehmen. Fünf Minuten vor neun erschienen mit militärischer Pünktlichkeit der Regimentskommandeur einer Panzergrenadiereinheit, Oberst Rückert, sowie sein Vize, Major Helfricht, gleich darauf Waldo Fuchs, Ministerialrat im Bundesfinanzministerium und Friedhelm Engel, zweiter Mann im sächsischen Verfassungsschutz. Die Delegation der Militärs war damit pünktlich vollständig. Vom Konservativen Mittelstand fehlt noch zwei. Der Schweizer Bankier Beat Silberstein – und Karl-Friedrich von Henningsberg. Das Taxi des Schweizers tauchte – noch fast pünktlich – drei Minuten nach neun auf. Kaum dass dieser alle begrüßt hatte, klingelte Haralds Handy. Das Gespräch war sehr kurz, und als er aufgelegt hatte, erhob Harald die Stimme und bat um Ruhe.

„Herr von Henningsberg bittet dringend darum, erstens noch etwa zwanzig Minuten auf ihn zu warten, und zweitens die vereinbarte Tagesordnung über den Haufen werfen zu dürfen. Aber er habe absolut wichtige und vordringliche Informationen, die er, obwohl noch keine offizielle Vereinbarung getroffen sei, in diesem Kreis vortragen werde. Er sei überzeugt, danach ergäben sich alle weiteren Schritte einer erfolgreichen Zusammenarbeit wie von selbst.“

Es dauerte noch ein paar Minuten länger, aber dann stürmte Fritz geradezu in den Raum, fand zielsicher den für ihn freigehaltenen Stuhl an dem quadratisch zusammengestellten „runden“ Tisch, setzte sich aber gar nicht erst hin, sondern begann nach kurzen Begrüßungsworten unmittelbar mit der Schilderung dessen, was er in der Eifel erlebt und erfahren hatte.

„Wir haben sie!“, begann er und ließ diesen Spruch erst einmal ein paar Sekunden wirken. „Meine Dame, liebe Hildegard, meine Herren, ich komme direkt aus der Vulkaneifel vom Radioteleskop Effelsberg. Wie wir wissen, wurden wir von Ihnen bereits vor der Gesprächsanbahnung gründlich unter die Lupe genommen. Oberleutnant Korn erwähnte in Gespräch mit Harald Mischke, wir wären ‚einer Drogensache‘ auf der Spur, würden nach Immunen suchen, und uns dabei ziemlich naiv anstellen. Hier muss ich Sie fragen: Sind Sie über diese Drogensache, an der wir dran sind, im Bilde, oder fehlen ihnen weiterführende Informationen?“

Major Wendler, der Mann aus dem MAD, antwortete spontan: „Wir sind dem Gedanken, es würden Drogen verabreicht, mit der gebotenen Umsicht nachgegangen. Wir haben Wasser- und Bodenproben untersuchen lassen, haben überall im Lande Proben der Atemluft genommen, aber nichts gefunden, was Ihre Theorie bestätigen könnte. Wir halten diesen Ansatz einfach für falsch und sind eher davon überzeugt, dass hohe Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, das Nachlassen der Schulbildung, die Märchenstunden der Politiker in den Talkshows in Verbindung mit dem Auftreten des von allen Seiten hofierten Sven Groot, die sowieso schon länger vorherrschende, depressive und apathisch machenden Stimmung noch einmal potenziert haben. Nein, wir haben dazu keine Informationen – und wir sind gespannt, was Sie dazu vorzutragen haben.“

„Danke, Major Wendler, für diese offenen Worte. Wenn Sie wüssten, wie lange wir im Dunkeln tappten, bevor uns ein Zufall auf die Spur brachte, wüssten Sie, wieviel Verständnis ich für Ihre Skepsis aufbringe. Ein Freund von mir ist Pathologe. Ich bin Biochemiker mit Leib und Seele. Wenn mein Freund nicht weiterweiß, aber den Verdacht hat, ein Todesfall könne auf eine Vergiftung mit einer unbekannten Substanz in Zusammenhang gebracht werden, spielt er mir Gewebeproben zu. In zwanzig Proben von Menschen, die Opfer eines Gewaltverbrechens geworden waren, teils Opfer von Messerstechereien, teils Opfer von U-Bahn-Schubsern, fand er sonderbare Veränderungen, die zwar nicht todesursächlich gewesen sein konnten, aber seine Aufmerksamkeit erweckten. In allen zwanzig Proben fand ich die gleiche Substanz, ein Molekül, das ich so vorher noch nicht gesehen hatte. Von einigen Opfern wussten wir aus den Polizeiakten, dass sie sich praktisch duldsam, ja demütig den Gewalttätern ergeben hatten und nicht einmal den Ansatz einer Flucht oder Abwehrreaktion gezeigt hatten. Wir brachten das mit der allgemein zu beobachtenden Wesensänderung unserer Mitmenschen in Verbindung und gingen wie Sie vor. Wir suchten die Substanz aus den Gewebeproben überall in der Umwelt. Da war sie aber nicht. Nirgends.

Erst als wir feststellten, dass dieses sonderbare Molekül strukturell dem Vitamin D3 ähnelt, einer überwiegend vom Körper selbst hergestellten Substanz zu deren Produktion UV-Licht bestimmter Wellenlängen erforderlich ist, kamen wir auf die Idee, dass die gleichen Zellen, die D3 produzieren bei Bestrahlung mit anderen hochfrequenten elektromagnetischen Wellen möglicherweise diese Substanz, statt D3 produzieren können. Wir tauften das Molekül  D-minor, verwendeten also einen der Musik entlehnten Tarnbegriff. Die Gewebeproben sprachen eine eindeutige Sprache. D3-Mangel, der zugleich einen Großteil der Symptomatik erklärt, und stattdessen Sättigung mit D-Minor. Mein Freund in der Eifel, von dem ich direkt hierher gekommen bin, hat in den unglaublichen Datenwüsten der Radioteleskope nun tatsächlich kurze Impulse gefunden, die nicht von fernen Galaxien, sondern aus einem niedrigen Orbit stammen. Impulse die mit leicht differierenden Frequenzen gleichzeitig von drei Satelliten abgestrahlt worden sein mussten. Zwischen der Aussendung dieser Signale und dem nächsten Schub der – ich nenne es hier einfach einmal Verblödung – gibt es eine deutliche Korrelation. Zu prüfen war, ob es sich tatsächlich auch um einen kausalen Zusammenhang handelt.

Durch einen Zufall, wie er in keiner Wahrscheinlichkeitsrechnung auch nur mit geringster Signifikanz auftauchen würde, erhielten wir Kenntnis davon, dass der nächste Impuls am Sonntag, also gestern, zwischen fünfzehn und sechzehn Uhr ausgelöst werden würde. Ich bin sofort in die Eifel gefahren und habe meinem Freund die Frage gestellt, ob es eine Chance gäbe, diesen Impuls zu identifizieren und seine Herkunft möglichst genau zu orten. Ich habe keine Ahnung, wie er das geschafft hat, da müssen viele gute Beziehungen und auch noch offene Gegenleistungen im Spiel gewesen sein, jedenfalls hat er die Kontrolle über mehrere große Antennenspiegel bekommen, die auf die für den Bestrahlungszweck wahrscheinlichste Position, nämlich neunzig Grad über dem Unstrut-Hainich Kreis in Thüringen ausgerichtet wurden, denn dort liegt der geografischen Mittelpunkt Deutschlands. Das Signal traf exakt um 15.30 Uhr MEZ ein. Die Funkpeilung mit mehreren Antennen und die gemessenen Laufzeitunterschiede der Signale ermöglichten, wie beim GPS, nur eben umgekehrt, die exakte Positionsbestimmung – und über einen kleinen, aber eben noch messbaren Dopplereffekt, wegen der Eigengeschwindigkeit der Satelliten über Grund, konnten sogar Flugbahn und Geschwindigkeit ermittelt werden. Das Studium des Verzeichnisses der künstlichen Satelliten unserer Erde verwies auf drei Teile Weltraumschrott. Alte, längst abgeschaltete TV-Satelliten, die jemand mit ausgesprochen hohem Expertenwissen und extrem teuren technischen Einrichtung reaktiviert, aus der äquatornahen Umlaufbahn abgelenkt und in ihrer Funktion modifiziert haben muss, bevor sie, von heute an in zwei bis drei Jahren, nacheinander in der Atmosphäre verglühen werden. Für Detailauskünfte stehe ich Ihnen gleich zur Verfügung. Aber jetzt brauche ich erst einmal eine Pause und einen starken Kaffee.“

Einen Augenblick später entstand ein geradezu babylonisches Stimmengewirr, jeder schien gleichzeitig mit jedem kommunizieren zu wollen. Fritz stand auf und verließ den Raum, um draußen, in der Schänke nach einem Kaffee zu fragen. Sein Auftritt hatte gesessen. Die komplette Mannschaft war wie elektrisiert. Von nun an waren sie auf der Siegerstraße, auch wenn das größte Rätsel noch vollkommen ungelöst war, denn auch das stand während des kurzen Vortrags als offene Frage im Raum:

Wer steckt wohl hinter dem Ganzen, und was ist das angestrebte Ziel?

Bevor von Henningsberg in den Saal zurückkehrte, veranlasste er noch, dass mehrere Kannen Kaffee, Erfrischungsgetränke und ein paar Teller mit Gebäck angeliefert wurden.

Als die Gespräche der Teilnehmer abebbten und sich alle mit Getränken versorgt hatten, ergriff Fritz erneut das Wort.

„Meine Dame, meine Herren, Ihre Reaktionen stimmen mich zuversichtlich, dass wir über das „Ob“ einer Kooperation nicht mehr zu diskutieren brauchen. Allerdings will ich nicht versäumen, den ursprünglich als ersten vorgesehenen Tagesordnungspunkt jetzt doch noch aufzurufen. Ich, für unsere Seite, kann mich sehr kurzfassen.

Wir, der Konservative Mittelstand, sehen mit Bestürzung, wie dieses Land einerseits in ideologischer Verblendung, andererseits durch den soeben geschilderten, infamen Angriff einer uns noch unbekannten Macht, mehr und mehr in den Abgrund der Bedeutungslosigkeit taumelt. Als Wissenschaftler und als mittelständische Unternehmer sehen wir deutlicher als viele andere, wie uns, dem Rückgrat der Volkswirtschaft und dem Ursprung der Innovationskraft, immer weniger Raum gelassen wird, während international agierende Konzerne Deutschland als ihre Beute betrachten und dieses Land, seine Menschen, seine Kultur nur noch als Standort ansehen, der auszubeuten ist. Unser Ziel, ich weiß, es klingt als sei es von Donald Trump entlehnt, lautet, auf den Punkt gebracht: Wir wollen Deutschland retten, ihm neues Leben einhauchen, und über dem Individualismus, der ja nicht schlecht ist, das verlorengegangene Gefühl der gemeinsamen Verantwortung für dieses Land wieder aufrichten.

Nun noch ein paar Worte zu unserer personellen Organisation und unseren Ressourcen, was allerdings, wie Sie gleich hören werden, so ziemlich auf das Gleiche hinausläuft.

Der Konservative Mittelstand wird geführt von einem inneren Zirkel, der hier, bis auf eine Person, vollständig vertreten ist. Mir hat man die Rolle des Sprechers angetragen, vertreten werde ich von Gunther Liebermann. Jeder von uns unterhält den Kontakt zu Mitgliedern, die, nun ja, der gleichen Fakultät angehören. Gunther, z.B. arbeitet mit mittelständischen Einzelhändlern zusammen, Frau Schöning hat viele Vertreter der mittelständischen Industrie auf unsere Seite gezogen, und so weiter. Aus diesem erweiterten Kreis beziehen wir einerseits Informationen und Anregungen, andererseits sind wir in der Lage, durch koordinierte Aktionen innerhalb bestimmter Wirtschafts-, Wissenschafts- und Lebensbereiche, die Interessen der Global Player zu stören, und das ist uns auch bereits gelungen.

Letztlich handelt es sich um ein Netzwerk persönlicher Freundschaft und Verbundenheit, das sich im Grunde durch interne Rückkopplungsmechanismen ständig auf neue Herausforderungen hin ausrichten kann. Es ist uns allerdings schon früh klar geworden, dass wir ohne ein breit aufgestelltes Fußvolk – und das ist keineswegs herabwürdigend gemeint – viele wünschenswerte Aufgaben nicht wahrnehmen können. Wir haben daher eine nahezu selbstständig arbeitende Unterorganisation gegründet, deren Aufgabe es ist, Mitstreiter zu rekrutieren, die mit ihren speziellen Kenntnissen und Erfahrungen praktisch auf Abruf für spezielle Aufgaben bereitstehen. Diese Truppe hat inzwischen annähernd tausendfünfhundert Mitglieder, die in regionalen Gruppen, die kleinste in Wuppertal mit zehn Mitglieder, die größte im Landkreis Bayreuth, mit 95 Mitgliedern, betreut und instruiert werden.

Ich glaube, damit habe ich einen ausreichenden Überblick gegeben. Die Details werden Sie, meine Herren von der militärischen Fraktion, im Verlaufe unserer Zusammenarbeit dann kennenlernen, wenn es erforderlich ist – und das wird nicht mehr allzu lange dauern.

Vielleicht darf ich jetzt einen von Ihnen bitten, in möglichst ähnlich knapper Form über Ihre Ziele und Ressourcen zu berichten.“

Major Wendler erhob sich für einen Augenblick und sagte: „Diesen Part übernehme ich. Ähnlich wie Sie, Herr von Henningsberg, bin ich informeller Sprecher unserer Gruppe. Eigentlich hatte ich ja den gewünschten einstündigen Vortrag vorbereitet, doch es ist mir lieber, jetzt nur kurz und knapp Bericht zu erstatten.“

Damit nahm er wieder Platz, warf einen kurzen Blick auf seine Notizen und begann dann frei zu sprechen.

„Ähnlich wie bei Ihnen sitzt in diesem Raum der innere Zirkel eines Bündnisses, das als Reaktion auf die fachliche Inkompetenz und Arroganz der Verteidigungsminister schon entstanden ist, als zu Guttenberg begann, seine fehlerhaften, inkonsistenten und unvollständigen Pläne zur Bundeswehrreform umzusetzen. Jeder, der über genug militärischen Sachverstand verfügt, konnte schon damals an fünf Fingern abzählen, dass damit einerseits die Weichen für eine Interventionsarmee gestellten wurden, die im Grundgesetz so nicht vorgesehen ist, während andererseits durch eklatante Sparmaßnahmen, wozu durchaus auch die Aufhebung der Wehrpflicht zählt, soviel Substanz und notwendige Redundanz verloren ging, dass in einem Ernstfall schon nach den ersten größeren Verlusten nur noch die bedingungslose Kapitulation in Frage käme. Die Hoffnung, nach zu Guttenberg könnten wir wieder zur Normalität zurückkehren, erfüllte sich nicht. Das hat den Ausschlag gegeben, aus einem lockeren Gesprächskreis eine Organisation zu schmieden, die sich zunächst zur Aufgabe gestellt hatte, bei einem Regierungswechsel mit fertigen Plänen zur Restrukturierung der Bundeswehr antreten zu können. Dazu mussten wir allerdings tief in die Truppe einsteigen, die Sorgen und Nöte aller Einheiten in den Teilstreitkräften erkunden und deren Wünsche erfassen. Das war nicht einfach, handelte es sich doch um eine konspirative Arbeit, die in jedem Fall vorsichtig und unauffällig angebahnt werden musste. Der Erfolg gab uns allerdings recht. Wir stehen in engem Kontakt mit über dreihundert Offizieren aller Dienstgrade, den Generalsrang dabei nicht ausgenommen, die sich zu unserer Organisation bekennen.

Als der Regierungswechsel allerdings auch 2017 wieder ausblieb, versuchten wir mit unseren Mitteln, das Verteidigungsministerium in öffentliche Erklärungsnot zu bringen. Man war sich dort zwar sicher, dass die Meldungen über die unzureichende Einsatzfähigkeit der Hauptwaffensysteme nicht stimmen konnten, doch war eben auch niemand da, der einem Panzer von außen ansehen konnte, ob er fahrbereit war oder nicht. Schon gar nicht, wenn der Motorraum geöffnet und Einzelteile und Werkzeug überzeugend drumherum verteilt waren. 

Beim Heckler und Koch „Skandal“ konnten wir mit unserer Beteuerung, das Gewehr G36 sei für den Einsatz gut geeignet, und die von der Verteidigungsministerin gerügten Probleme seien von keinerlei Relevanz, durchaus punkten. Da halfen ihr auch alle externen Berater nicht weiter.

Der Krieg gegen uns wurde dann aber von der sachlichen Ebene, wo er aus dem Ministerium nicht gewonnen werden konnte, auf eine ideologische Ebene verschoben. Plötzlich war die Bundeswehr, ebenso wie die Polizei, ein einziges rechtsextremes Netzwerk, das ausgeräuchert werden müsse. Das Schlimme daran: Die längst nicht mehr zum selbständig Denken fähige Mehrheit der Bevölkerung stürzte sich mit gleicher Euphorie in den Kampf gegen rechts, wie sie sich Teddybären werfend dem Strom der Migranten an den Hals geworfen hatte.

Sagen wir es so: Unser primäres Ziel ist der Erhalt der essentiellen Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr. Dafür sind wir bereit, wenn wir zu der Überzeugung gelangen, die Situation sei anders nicht mehr zu bereinigen, mit einer möglichst vollkommen unblutigen Aktion für einige Jahre die Macht in Berlin zu übernehmen und in dieser Zeit die Medien dazu zu benutzen, der Bevölkerung reinen Wein einzuschenken, um dann auf dem Weg der Neuwahlen wieder zu den Regeln des Grundgesetzes  zurückzukehren.

Etwas über Ressourcen zu sagen, ist schwierig. Wir haben bewusst darauf verzichtet, auch in die Mannschaften und das Unteroffizierskops hineinzuwirken. Wir wissen aber, dass die von unseren Mitgliedern geführten Truppenteile notwendigen Befehlen Folge leisten würden. Das heißt, wir könnten alles, was erforderlich ist, einsetzen, um dieses Ziel zu erreichen. Und damit will auch ich es bewenden lassen, wir werden uns bald genug im Wust der Details wiederfinden.  

Eines noch: Sie haben uns wissen lassen, dass die Apathie der Deutschen zumindest zum Teil auf eine von außen durchgeführte, bösartige Manipulation zurückzuführen ist. Mir ist das Märchen vom Dornröschen eingefallen, das von der bösen Fee in einen hundertjährigen Schlaf geschickt wurde. Lassen Sie uns diejenigen sein, die Deutschland wieder wachküssen. Ich schlage daher vor, wir nennen unser gemeinsames Projekt „Operation Dornröschen“. Was meinen Sie?

Der Name wurde mit Begeisterung und einstimmig angenommen. Operation Dornröschen konnte anlaufen.

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Dieser Roman wurde im Sommer 2020 geschrieben. Die Handlung beginnt am 17. November 2022 und endet am 1. Mai 2023. Die Kapitel tragen das jeweilige Datum der visionären Handlung. Die weiteren Veröffentlichungstermine und die Links zu allen bereits veröffentlichten Kapiteln finden Sie hier.  Viel Spaß beim Mitlesen.