Einigung in der Metall- und Elektroindustrie: Reallohnverlust

Was Tarifpartner so alles vereinbaren.

Die Ausgangslage für diejährigen Tarifverhandlungen war problematisch wie kaum je zuvor.

  • Die Unternehmen sind wegen der extrem gestiegenen Energiekosten und zum Teil wegen fehlender Zulieferungen sowieso schon in der Klemme.
  • Die Arbeitnehmer haben gegenüber dem letzten Tarifabschluss mindestens jene 10,4 Prozent an Kaufkraft verloren, die vom Statistischen Bundesamt für den Oktober ermittelt wurde.
  • SIEMENS hat soeben ein Rekordergebnis für das Geschäftsjahr 2021/2022 verkündet, aber viele mittelständische Unternehmen der Branche haben die Produktion zurückgefahren, Kurzarbeit ausgerufen, Mitarbeiter entlassen, Standorte geschlossen oder gleich Insolvenz angemeldet.
  • Beschäftigte in den unteren Tarifgruppen stellen fest, dass es die paar Euro, die ihnen mehr übrig bleiben als den Hartz-IV- und künftig Bürgergeldempfängern, kaum lohnt, dafür 40 Stunden pro Woche zu malochen.

Nun hat man sich darauf geeinigt, sich die Last zu teilen.

Für die Arbeitnehmer

sieht das so aus,

  • dass sie für die nächsten vier Monate erst einmal weiter den inflationsbedingten Reallohnverlust alleine zu stemmen haben.
  • Mit dem März-Gehalt gibt es dann 1.500 Euro steuer- und sozialversicherungsfrei vom Arbeitgeber, d.h., die von der Bundesregierung eröffnete Möglichkeit, bis zu 3.000 als Energiekostenzuschuss an die Mitarbeiter auszuzahlen, wird zur Hälfte genutzt. Der Arbeitgeberanteil an den Soziaversicherungsbeiträgen dürfte dabei ebenfalls wegfallen.
  • Ende Juni finden die Beschäftigten dann 5,2% mehr brutto auf dem Gehaltszettel. Dass ist sinnigerweise exakt die Hälfte der aktuell gemessenen Inflation.
  • Ende März 2024 sollen dann weitere 1.500 Euro Energiekostenzuschuss gezahlt werden.
  • Ende Mai 2024 erfolgt eine weitere Tariferhöhung um 3,3 Prozent.

Damit kann festgestellte werden, dass die Gewerkschaften – alleine auf dem aktuellen Stand der Inflation – für die nächsten beiden Jahre einem fortdauernden Reallohnverzicht zugestimmt haben. Wie groß dieser tatsächlich ausfallen wird, ist abhängig von der weiteren Inflationsentwicklung, die wohl auch 2023 nicht zum Stillstand kommen wird.

Für die Arbeitgeber

sieht es so aus,

  • dass sie bis zum Ende des Winters keine Personalkostensteigerung zu verkraften haben.
  • Wenn die Tage dann wieder länger werden, wird zwar der Energieverbrauch der Unternehmen kaum sinken, doch die Knappheitspreise für Energierohstoffe dürften sinken, so dass sich hier, falls es gelungen sein sollte, die notwendigen Preiserhöhungen am Markt durchzusetzen, etwas Luft für Lohnerhöhungen gibt.
  • Mit der langen Laufzeit und der geringfügigen Anpassung der Tarife im zweiten Schritt, ist dann ausreichend Planungssicherheit gegeben.
  • Die Belastung der Kalkulation durch Personalkosten hält sich in Grenzen.
    6 Monate Dez. 22 – Mai 23 unverändert 100,00 600,00
    10 Monate Jun. 23 – Apr. 24 erste Erhöhung 105,20 1052,00
    8 Monate Mai 24 – Dez. 24  zweite Erhöhung 108,67 869,37
    Summe 2521,37
    Steigerung gegen 24 Monate
    bisheriger  Tarif
    5,05 %
  • Die 3.000 Euro Sonderzahlung kann man, verteilt auf 24 Monate, auf das Durchschnitts-Brutto der Branche von 4,500 Euro beziehen. Daraus ergeben sich über die Laufzeit weitere 2,8 Prozent, insgesamt also ein Abschluss von 7,85 Prozent.
  • Die Metall- und Elektroindustrie gehört allerdings nicht zu den Branchen, in denen die Personalkosten einen hohen Anteil an den Gesamtkosten hätten. Rechnet man großzügig mit 25 % Personalkostenanteil, dann schlägt der neue Tarifvertrag mit nur noch 2% in den Gesamtkosten zu Buche. In den einzelnen Unternehmen ergibt sich allerdings eine Spreizung die von unter einem bis zu etwa drei Prozent reichen kann.

Insgesamt ein gelungener Kompromiss?

Nein.

Ein inkonsequentes Gemauschel.

Ein zielloses Umherirrern in den von der Bundesregierung mit Corona-Maßnahmen, Energiewende, Mobilitätswende, Russland- und Chinasanktionen, Ukraine- und Ukrainer-Hilfen, sowie mächtigem Inflations-Gewummse zum Negativen hin veränderten Rahmenbedingungen.

Wenn die Rezession und die damit verbundene Deindustrialisierung Deutschlands hätte aufgehalten werden sollen, dann wäre es an den Unternehmern, hier als „Arbeitgeber“ bezeichnet, gewesen, nicht nur jegliche Tariferhöhung vollständig zu verweigern, sondern von den Belegschaften sogar Lohnverzicht zu fordern, und zwar in exakt der Größenordnung, die erforderlich ist, um die externen Kostensteigerungen soweit zu kompensieren, dass am Geschäftsjahresende eine schwarze Null in den Büchern steht.

Das hätte nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit der Branche im internationalen Geschäft erhalten, es hätte zudem mehr dazu beigetragen, die Inflation zu dämpfen als die Zinsschritte der EZB, und es hätte geholfen, sehr viele Arbeitsplätze zu erhalten, von denen heute schon absehbar ist, dass sie in den nächsten beiden Jahren in Deutschland verlorengehen werden.

Dazu hätten die Arbeitgeber ihren Belegschaften erklären müssen, wo die Verursacher von Teuerung und Inflation zu suchen sind, und dass von denen keine Bereitschaft zur Umkehr zu erwarten ist.

Aber so, wie es ausgegangen ist, und wie es Signalwirkungen für die folgenden Tarifverhandlungen anderer Branchen haben wird, kann es die gemeinsame Anstrengung, den Karren wieder aus dem Dreck zu ziehen, gar nicht geben. Stattdessen werden beide Seiten sich dem Jammern hingeben und sich gegenseitig die Schuld für die Misere zuweisen, während die Karre Zentimeter für Zentimeter weiter im Morast versinkt.

Ihr wolltet das totale Grün. Nun habt ihr es.