Die preiswerte Energie der Frau Kemfert

Die Bundesregierung unterhält einen Sachverständigenrat für Umweltfragen. Diesem speziellen Sachverständigenrat wiederum gehört Prof. Dr. Claudia Kemfert als Vize-Vorsitzende an. Spezialisiert hat sie sich auf Energiewirtschaft und Energiepolitik, wovon neben der Bundesregierung auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung und die Universität Lüneburg wissenschaftlich profitieren.

Der in jüngster Zeit recht bellizistisch eingestellten Frankfurter Rundschau hat Frau Kemfert in einem Interview verraten, dass sie auch im Bereich der Energieversorgung fein zu unterscheiden weiß, zwischen risikoreichen Militärtechnologien und risikoarmen Friedenstechnologien, was ich für einen hoch interessanten Ansatz zur Lösung der Energieprobleme Deutschlands halte.

Statt der Atomkraft hinterher zu laufen, deren Zeit abgelaufen ist, sollten wir den Erneuerbaren Energien den Weg ebnen, verkündet Frau Kemfert.

Nun wäre es müßig darüber zu streiten, ob die Zeit der Kernkraftwerke wirklich abgelaufen ist. Lassen wir es also beim Beschauen des eigenen Nabels, und da steht fest: Der Atomstrom im deutschen Strommix kommt nicht von AKWs auf deutschem Boden, denn deren Zeit ist von Angela Merkel und Robert Habeck tatsächlich abgelaufen worden, sondern hauptsächlich aus Frankreich. Tschechien plant aktuell den Bau von drei neuen Kernkraftwerken, vor allem, um zur Deckung des bayerischen Strombedarfs  beizutragen.

Doch dieses Interview fällt durch zwei weitere Aspekte auf, die ich ebenfalls in die Kategorie hoch interessant einordnen möchte. Ob es an der Fragestellung gelegen haben mag, oder an einer gewissen Abneigung der Interviewten, es wurden zwei wesentliche Elemente der Energiedebatte vollständig ausgeklammert.

CO2 – als Treiber der Energiewende – kommt im Interview nicht vor.

Lediglich die CO2-Abgabe findet kurz Erwähnung, aber nicht im Zusammenhang mit den Risiken des Klimawandels, sondern lediglich als Begründung dafür, warum die Verstromung von Gas und Kohle bei uns so teuer (geworden) ist.

Wasserstoff – als die Lösung für alle Speicherprobleme – kommt ebenfalls nicht vor.

Dies ist insofern nicht verwunderlich, als Frau Kemfert einige Überzeugung in sich trägt, die den Gedanken an eine Wasserstoffwirtschaft gar nicht erst aufkommen lassen.

Die wichtigste dieser Überzeugungen lautet:

“ … dass Deutschland jederzeit in der Lage ist, seinen Strombedarf durch heimische Energien zu decken.“

Damit verbunden eine weitere Überzeugung der Frau Kemfert:

„Je intelligenter, sparsamer, dezentraler, effizienter und flexibler das Stromsystem ist, desto weniger Leitungen und Speicher sind nötig, desto geringer die Kosten, desto billiger der Strom.“

Beide Überzeugungen der Vize-Vorsitzenden des Sachverständigenrates der Bundesregierung für Umweltfragen stehen meines Erachtens in eklatantem Widerspruch zu den bekannten Plänen der Bundesregierung, so dass es sich erübrigt, tiefer darauf einzugehen, inwieweit sie möglicherweise auch grundsätzlich im Widerspruch zur Realität stehen.

Ein paar Takte zum Stromverbrauch

Deutschland ist eben nicht in der Lage, seinen Strombedarf jederzeit durch heimische Energien zu decken, selbst wenn importiertes Gas aus den USA und importierte Kohle aus Kolumbien ganz großzügig als „heimischen Energien“ durchgehen sollten, weil sie schließlich in heimischen Kraftwerken verstromt werden.

Dass Strom nur deshalb importiert wird, weil Importstrom gelegentlich günstiger eingekauft werden kann, als ihn in Kohle- und Gaskraftwerken selbst zu erzeugen, entspricht auch nicht der ganzen Wahrheit. Ein weiterer Teil der Wahrheit besteht nämlich darin, dass der Strombedarf Süddeutschlands an Tagen geringer Stromernte im Süden von den Windkraftwerken im Norden deshalb nicht gedeckt werden kann, weil die bestehenden Leitungen den Strom nicht aufnehmen können. Der letzte Teil der Wahrheit lautet schlicht und einfach, dass der Strom, der in Deutschland – wetter- und tageszeitabhängig – produziert werden kann, schlicht nicht jeden Tag und zu jeder Stunde ausreicht, um den Bedarf zu decken.

Hinzu kommt der fest eingeplante, endgültige Ausstieg aus der Kohleverstromung und der gleichzeitig geplante massive Ausbau des Einsatzes von Heizungswärmepumpen und die Vermehrung der Elektromobile auf deutschen Straßen. Nicht zu vergessen der Traum von grünem Stahl, grünem Beton, grünem Glas, grünen Ziegeln, grünen Chemieprodukten, usw.

Es gibt schlicht kein unumstrittenes Konzept zur Deckung des Energiebedarfs Deutschlands ohne den Einsatz fossiler Energieträger. Auch der Traum vom Wasserstoff, der in den erforderlichen Mengen aus Afrika importiert werden könnte, hat seine Entsprechung in der Realität noch lange nicht gefunden, jedenfalls nicht im Rahmen jenes Planungshorizontes, in dem Deutschland seine CO2-Emissionen auf netto-null heruntergefahren haben will.

Ein paar Takte zur eierlegenden Wollmilchsau

Intelligent soll es sein, das Stromnetz, und sparsam und effizient, und flexibel, und dezentral, wenige Leitungen und wenige Speicher brauchen, damit die Kosten gering sein können und der Strom billig wird.

Das geht alles irgendwie überhaupt nicht zusammen. Das ist nichts als eine Ansammlung schmückender Adjektive, die besser nicht hinterfragt werden sollten, zumal darin auch noch hübsche Widersprüche versteckt sind.

Tatsächlich weist diese Beschreibung der Eigenschaften eines optimalen Netzes nicht auf ein Prinzip hin, das die jederzeitige, zuverlässige Stromversorgung aller Verbraucher sicherstellt, sondern auf ein Prinzip, das darauf aufbaut, dass die Verbraucher den Strom dann abnehmen (müssen!), wenn er zur Verfügung steht.

Das beginnt mit „intelligent“ und den intelligenten Zählern, die ja nicht nur in kurzen Abständen einen Überblick über die Last-Situation im Netz vermitteln, sondern auch Tarifmodelle mit ständig wechselnden, der Lastsituation angepassten Strompreisen möglich machen, und letztendlich auch die Trennung bestimmter Verbraucher vom Netz vorsehen, wenn das Netz dadurch vor dem Absturz bewahrt werden kann.

Je stärker dieses Lastmanagement zu Lasten der Verbraucher genutzt werden kann, desto weniger Speicher werden gebraucht. Das ist korrekt. Optimiert man das System in Richtung „Null Speicher“, dann ist eben Strom da, wenn die Sonne scheint und der Wind weht, und es ist kein Strom da, wenn der Wind in der Nacht nicht wehen will.

Damit ist dann auch die Leitungsproblematik vom Tisch. Die rings um einen Windpark angeordneten Fotovoltaikanlagen als Basis einer (autarken) dezentralen Versorgungsstruktur, benötigen idealerweise lediglich ein Netz in dessen Zentrum die Leitungen der Erzeuger zusammengeschlossen werden, von wo aus dann sternförmig die Verbraucher angeschlossen sind. Leitungen zu anderen autarken dezentralen Netzen sind nicht erforderlich. Warum überhaupt jemals ein europäisches Verbundnetz aufgebaut wurde, erscheint aus dieser Sicht vollkommen schleierhaft.

Das wäre dann auch absolut effizient, also mit dem geringstmöglichen Aufwand zu realisieren und zu betreiben.

Was daran dann allerdings noch flexibel sein könnte, erschließt sich mir nicht. Nur die Verbraucher müssten hochflexibel sein und sollten vor allem auf den Betrieb von Kühlschränken oder Gefriertruhen ganz verzichten.

Will man zur Effizienz aber auch noch Effektivität erreichen, nämlich den Strombedarf der Verbraucher effektiv dann befriedigen, wenn er anfällt, platzt diese Seifenblase.

Dann brauchen wir auf einmal dringend die gigantischen Nord-Süd-Trassen, dann brauchen wir Speicher mit einem Volumen, das technisch über Batteriesysteme nicht mehr darstellbar ist, und wir kommen auch nicht darum herum, überall in deutschen Landen neue Gaskraftwerke zu errichten.

Letzteres hält Frau Kemfert aber für kontraproduktiv, denn: „Die Energiepreise sind nur deswegen zu hoch, weil wir zu lange an fossilem Erdgas hängen.“

Wenn die Industrie niedrige Strompreise will, dann kann sie „vor allen Dingen vom schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien profitieren, vom Energiesparen und von der schnelleren Transformation weg von fossiler Energie. Nur darin sollte man sie unterstützen.“

Es gäbe durchaus noch weitere Highlights aus diesem Interview zu besprechen, doch die bestätigen im Grunde nur das bisher bereits genannte.

Bleiben wir also noch kurz bei den Empfehlungen für die Industrie. Vom schnellen Ausbau profitiert die Industrie seit Jahren nicht, und für die schnellere Transformation, weg von fossiler Energie, fehlt es weiterhin an ausreichend verfügbaren und preiswerten Alternativen. Was bleibt der Industrie also: Energie sparen!

Das tut sie aber inzwischen bereits auf die ganze harte Tour. Wo die Energie zu teuer ist, um noch wirtschaftlich zu produzieren, spart sie nicht nur Energie, sondern gleich auch noch alle übrigen sonst benötigten Ressourcen, einschließlich der Arbeitskräfte ein.

Wenn Frau Kemfert nun empfiehlt, die Industrie dabei zu unterstützen, dann habe ich die Lösung:

Subventionieren Sie die Verlagerung energieintensiver Produktion ins Ausland, Herr Habeck!

Eine Million Euro pro Gigawattstunde Jahresverbrauch, unabhängig vom genutzten Energieträger, sollten Anreiz genug sein, um das Land ohne Wehmut zu verlassen. Das kostet nur eine halbe Billion Euro, und schon ist der Industriestrombedarf in Deutschland auf die Hälfte reduziert.

Die Gegenfinanzierung ist relativ einfach.

  • Das Schienennetz ist von den Lasten des Güterverkehrs befreit und muss weder saniert, noch ausgebaut werden.
  • Gleiches gilt für das Straßennetz. Da spielt es keine Rolle mehr, dass tausende Brücken saniert werden müssten. Die dürfen einstürzen.
  • Subventionen für den ÖPNV erübrigen sich, weil mit der Deindustrialisierung auch das Pendler-Problem verschwunden ist.
  • Alle Behörden, die mit der Überwachung und Kontrolle der Wirtschaft beschäftigt sind, vom Bergamt bis zum Finanzamt, von der Gewerbeaufsicht bis zu den Statistikämtern, können auf die Hälfte des Personals zurückgestutzt werden.
  • Der Ausbau des Stromnetzes kann eingestellt werden, die bestehende Netzinfrastruktur reicht dann dicke aus.
  • Ein Netz für Wasserstoff muss gar nicht erst errichtet werden.
  • Insgesamt können so die CO2-Ziele bis 2045 ohne zusätzlichen Aufwand sicher erreicht werden.

Nur eines könnte dabei schmerzlich sein, aber Opfer müssen nun einmal gebracht werden:

Ein Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz
braucht es nach diesem Befreiungsschlag
auch nicht mehr.