Zahnräder aus Friedrichshafen – Kugellager aus Schweinfurt – Achsantriebe aus Hangzhou

PaD 26 /2024 – Hier auch als PDF verfügbar: Pad 26 2024 Zahnräder aus Friedrichshafen

Als das Gespenst der Deindustrialisierung noch ein Gespenst war, haben sich die „Aufgeklärten“ darüber lustig gemacht: „Gespenster gibt es nicht. Also gibt es auch keine Deindustrialisierung.“

In diesen Tagen geht es  wieder um ZF. ZF steht nichtssagend für das, was früher stolz „Zahnradfabrik Friedrichshafen“ hieß. Aber bitte! Zahnradfabrik Friedrichshafen, wie klingt das denn? Langweilig, dröge, nichts mit Fortschritt, eher wie alte weiße Männer, klingt das, irgendwie auch so „deutsch“, beinahe „völkisch“. ZF hingegen, darunter kann man sich alles vorstellen, wenn man will.

Wenn ich hier schon abschweifen wollte, würde ich jetzt auf die vielen in Deutschland tätigen Unternehmen hinweisen, die sich mit Fantasienamen schmücken, aus denen weder der Geschäftszweck, noch die ursprüngliche Firma, aus der sie hervorgegangen sind, noch abzulesen ist. Aber ich will noch nicht abschweifen.

Zahnräder sind Bestandteile von Getrieben. Da kommt es auf höchste Präzision und Festigkeit an, wenn die Kraftübertragung zuverlässig funktionieren soll und der Verschleiß der mechanisch hochbeanspruchten Zahnräder nahe null gehalten werden soll. Die Zahnradfabrik Friedrichshafen hatte sich hier eine technologische Spitzenstellung erarbeitet. Auf dieser Basis hat die ZF sich nach dem Zweiten Weltkrieg zum Weltunternehmen entwickeln können. Wikipedia erzählt davon.

In diesen Tagen geht ein Raunen durch den Blätterwald. Es heißt, ZF wolle in Deutschland 12.000 Arbeitsplätze abbauen.

Ich frage mich, warum erst jetzt.

Vor einem halben Jahr bereits berichtet der SPIEGEL „ZF  will offenbar 12.000 Arbeitsplätze in Deutschland abbauen“

Aber im Januar 2024 waren es ja nur die Betriebsräte, die diesen Stellenabbau befürchteten. Das Unternehmen wollte das  damals nicht bestätigen. Von daher: Bloß keine Aufregung!

Aber das war ja gar nicht der Anfang.

Am 23. Oktober 2023 berichtete die Saarbrücker Zeitung, bei ZF in Saarbrücken müsse damit gerechnet werden, dass nur 2.830 Stellen von bislang 10.000 übrigbleiben würden. Also deutlich mehr als bisher angenommen. Das war aber auch nur eine Befürchtung der IG Metall. ZF hat widersprochen. Also bloß keine Panik!

Außerdem war das ja nur eine Wiederholung der Warnung des Betriebsrates, von der KA-Insider schon am 19. April 2023 berichtet hatte – und da war sogar von 9.000 Jobs die Rede, die wegfallen würden. Olaf Scholz, der den Konzern zu dieser Zeit besuchte, meinte voller Optimismus: „Wir haben die besten Aussichten, dass wir bei der Zukunft mitmischen, bei den Fragen, die wichtig sind für die Welt.“ 

(Was hat er gesagt? Nein, nicht die Worte, inhaltlich?)

Es geht natürlich noch früher!

Am 3. Februar 2023 hat die Schwäbische Zeitung eine sehr ausführliche und detaillierte Warnung  vor einem massiven Stellenabbau bei ZF veröffentlicht, ich zitiere daraus:

  • An den deutschen ZF-Standorten könnten rund 6000 Stellen wegfallen. Im schlimmsten Fall werden es sogar noch Tausende mehr sein.
  • Zukunftsprodukte, wie der der Bordcomputer „ZF Pro AI“ sollen nicht mehr in Deutschland hergestellt werden.
  • Offen ist, wie es mit den 5.000 Jobs im Nutzfahrzeugbereich in Deutschland weitergeht. Das ZF-Wekr in Serbien soll dagegen personell deutlich expandieren.
  • Das Werk in Brandenburg (1.500 Mitarbeiter) und das Werk in Eitorf (680 Mitarbeiter) stehen auf der Kippe.
  • Das Werk in Saarbrücken könnte von 9.500 auf 3.500 Arbeitsplätze abschmelzen.
  • In Schweinfurt wird es nur noch 7.800 von 10.000 Stellen geben.

ZF hat damals (Februar 23) auf die bis 2025 bzw. 2026 laufenden Standortsicherungsverträge hingewiesen und erklärt, die Zukunft der deutschen Standorte hänge von deren internationaler Wettbewerbsfähigkeit ab.

Von der beabsichtigten Schließung des Standortes Eitorf hatte der Kölner Stadt-Anzeiger übrigens schon Ende September 2022 berichtet.

Ach, wie schön ist es doch, in der Vergangenheit zu wühlen!

Der NDR hatte im April 2021 verkündet, ZF habe bereits im Mai 2020 den Abbau von 15.000 Stellen weltweit, die Hälfte davon in Deutschland angekündigt. Jetzt werde offenbar damit begonnen. Das Werk in Diepholz soll verkauft werden, die Produktion nach Serbien verlagert werden. 500 Jobs konkret betroffen. (Dieser Beitrag ist beim NDR leider nicht mehr online)

Vier Jahre später.

Die Schlagzeilen dieser Tage:

Die wohl seriöseste Information kommt von Tichys Einblick: VW und ZF Friedrichshafen: 15.000 Arbeitsplätze auf der Kippe

Die Passauer Neue Presse macht zwar auf den Ernst der Lage aufmerksam, vermeidet in der Headline aber konkrete Zahlen: ZF-Chef spricht über Sparkurs: „Ja, die Situation ist sehr ernst“ Gleichlautende Überschriften finden sich auch bei anderen Publikationen.

Geradezu grotesk  mutet es an, wenn – wie beim SR – getitelt wird: ZF will schon bis Ende  2026 in Saarbrücken 2.900 Stellen streichen. Und dies, ohne auf die 12.000 Jobs, um die es insgesamt geht, auch nur hinzuweisen. 

Von ähnlicher Bedeutung für den deutschen Maschinen- und Automobilbau war einmal die Firma Kugelfischer aus Schweinfurt.

Bis 2001.

Dann erfolgte die feindliche Übernahme durch die Schaeffler-Gruppe.

Der Bayerische Rundfunk hat am 10. April 2024 getextet: „SOS Kugellagerstadt“: Industriestandort Schweinfurt in Gefahr?

Vier große Industrieunternehmen fertigen in Schweinfurt. Neben Schaeffler finden sich auch Betriebe von Bosch-Rexrodt, SKF, und – natürlich auch – ZF. Alle bauen ab.

Ich habe  auch für Schaeffler eine Historie. Der dort erfasste Stellenabbau lässt allerdings keinen sauberen Rückschluss auf die reinen Kugelfischer-Anteile zu.

09.10.2019 – Der SPIEGEL: Schaeffler streicht weitere 1300 Stellen

02.06.2020 – BR: Statt 1.300 sollen nun 1.900 Stellen gestrichen werden (nicht mehr online)

05.02.2021 – inFranken.de: Autozulieferer Schaeffler baut 4.400 Stellen ab

16.03.2021 – ?: Das Wuppertaler Werk mit 700 Arbeitsplätzen wird geschlossen

07.10.2021 – SR: Das Schaeffler-Werk in Luckenwalde mit 300 Arbeitsplätzen wird geschlossen (nicht mehr online)

08.11.2022 – Focus: Autozulieferer Schaeffler baut 1.000 Jobs in Deutschland ab

27.07.2023 – radio-in: Schaeffler  Standort sicher – 100 Stellen werden abgebaut

01.12.2023 – Fränkischer Tag: Schaeffler streicht 200 Jobs im Werk Hirschaid

 

Dass sich die Abbaupläne von ZF in meiner Statistik nicht jetzt finden lassen, wo das Geschrei wieder groß wird, liegt daran dass ich die Ankündigungen dann aufgenommen habe, wenn sie wirklich neu waren. Das liegt im Falle ZF bis zu vier Jahre zurück.

Was hat  das Wirtschaftsministerium unternommen, um die industrielle Basis Deutschlands zu erhalten?

Nun, lassen Sie sich überraschen.

Habeck hat sich in einem Werk von ZF modernste Technologie in Sachen Elektromobilität vorstellen lassen. Dort werden unter  anderem elektrische Achsantriebe gefertigt, die zu den Vorzeigeprodukten des Unternehmens in Sachen Industrie 4.0 gehören.

(Allerdings musste Robert Habeck dafür nach Hangzhou in China fliegen. Dort betreibt ZF dieses Werk.)

Wieder zu Hause, hat sich Habeck mit dem Kanzler und dem Finanzminister zusammengesetzt und dieses Papier abgenickt:

„Wachstumsinitiative –
neue wirtschaftliche Dynamik für Deutschland“

Es enthält auf 31 eng beschriebenen Seiten eine Flut von Ankündigungen – alle für Deutschland! – aus denen man unschwer die politischen Versäumnisse und ideologischen Fehlentscheidungen der letzten Jahre ablesen kann.

Wer sich durch diese 31 Seiten durchquält, kann sich vom Sinngehalt des Satzes: „Humor ist, wenn man trotzdem lacht“, praktisch auf jeder Seite überzeugen.

Wenn ich dort lese: „Die  Wirtschaft braucht sichere, preiswerte und klimaneutrale Energie“, dann kann ich nur sagen:

Nein. Genau das braucht sie nicht, weil es sich dabei nämlich um eine Fata Morgana*) handelt.
*)= Trugbild in heißer Luft

Jeweils zwei der drei Attribute schließen das dritte aus.

Sicher und preiswert geht mit klimaneutral nicht zusammen.
Sicher und klimaneutral geht mit preiswert nicht zusammen.
Preiswert und klimaneutral geht mit sicher nicht zusammen.

Wirklich lachen können Sie darüber nicht? Nun, wie wäre es mit dem Gebäudeelektromobilitätsinfrastrukturgesetz? Ein Zitat von Seite 4 der 31 Seiten:

Zudem wird die Bundesregierung die Vorgaben aus der EU-
Gebäuderichtlinie in Bezug auf Ausbauverpflichtungen für
Ladeinfrastruktur im Gebäudebereich noch in der
laufenden Legislaturperiode in das
Gebäude-Elektromobilitätsinfrastruktur-Gesetz umsetzen
und dabei das laufende Gesetzgebungsverfahren
„Tankstellenversorgungsauflage“ nutzen, das
voraussichtlich
im Herbst im Parlament verhandelt wird.

Mit diesem Maßnahmenpaket stellt
die Bundesregierung insgesamt
sicher, dass Laden in Zukunft
so rasch und bequem wie Tanken
heute erfolgen kann.

Es ist m.E. nicht auszuschließen, dass auch dieses Gesetz eher zu einem weiteren Rückgang der Bautätigkeit als zu einer Verbesserung der Ladeinfrastruktur führen wird.

Ein Gutes wird dies alles am Ende aber doch gehabt haben:

Der Fachkräftemangel wird – auch ohne weitere Zuwanderung – bald unser geringstes Problem sein.