Die Rolle der Wirtschaft in der Demokratie

Die Präsidentin des Deutschen Bundestages, Frau Bärbel Bas, ist überzeugt:

… „neben den eindrucksvollen Demonstrationen der Zivilgesellschaft (sind) auch die Unternehmen gefordert, stärkere Signale für unsere Demokratie und den Zusammenhalt in unserem Land zu setzen.“

Aus dem Kontext ihrer Aussage gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe geht klar hervor, dass Bärbel Bas, die in der Rangreihe der deutschen Demokratie das zweithöchste Amt im Staate bekleidet, damit meint, die Unternehmen sollten sich (noch) stärker gegen die AfD positionieren. Sollte nämlich, so Bas, in einem Bundesland ein AfD-Mitglied Ministerpräsident werden, würde dies dem Ansehen Deutschlands schaden.

Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat am 19. März 2018 zu der Frage der Zulässigkeit politischer Äußerungen von Hoheitsträgern grundsätzlich festgestellt:

Der zugrundeliegende Konflikt ist allen Fällen gemein: In der Demokratie des Grundgesetzes muss sich die politische Willensbildung von unten nach oben, also vom Volk zu den Staatsorganen vollziehen. Greifen hier Hoheitsträger, denen ein gewisser „Vertrauensvorschuss“ in der Bevölkerung zugesprochen wird, mit der Autorität ihres Amtes und mit staatlichen Ressourcen ein, besteht die Gefahr einer Umkehrung des Willensbildungsprozesses. Ihren Äußerungen werden daher rechtliche Grenzen gesetzt.

Auch wenn der Wissenschaftliche Dienst im Detail von dieser grundsätzlichen Aussage Abstriche gemacht hat, die sich vor allem auf die Rolle beziehen, in der solche Äußerungen gemacht werden:

  • In der Rolle als Hoheitsträger: zumindest bedenklich,
  • in der Rolle Privatperson: zulässig im Rahmen der gesetzlichen Grenzen,
  • in der Rolle als Parteimitglied eher auch zulässig, aber nicht in jedem Fall,

Nach meinem Demokratieverständnis, das natürlich nicht zur Norm erhoben werden kann, hat Bärbel Bas mit ihren Äußerungen im Interview mit der Funke Medien Gruppe zumindest eine Grenze überschritten, nämlich die Grenze des Anstands gegenüber den Vertretern und den Wählern einer – als Ergebnis von demokratischen Wahlen –  im Deutschen Bundestag und in den Länderparlamenten vertretenen Partei. Inwieweit sie als Präsidentin des Deutschen Bundestages dabei dazu neigen dürfte, sich als wohlwollende Präsidentin einer Mehrheit der Abgeordneten zu gerieren und gleichzeitig als verurteilende und strafende Präsidentin gegenüber einer Minderheit der Abgeordneten aufzutreten, soll hier gar nicht erwogen werden, denn die streitbaren Sätze hat sie ja nicht von ihrem erhöhten Sitz im Hohen Hause aus, sondern in einem Zeitungsinterview von sich gegeben. War sie also als Privatperson zum Interview erschienen um nichts als ihre ganz persönliche Meinung kundzutun?

Daran sind doch erhebeliche Zweifel anzumelden. Überall wo ich in den Medien Hinweise auf – oder Auszüge aus – diesem Interview gefunden habe, wurde zuerst das Amt – und dann der Name der Amtsinhaberin genannt. Zum Beispiel so: „Bundestagspräsidentin Bärbel Bas hat die Wirtschaft dazu aufgerufen …“ Diese Reihenfolge ist wichtig. Ist sie doch ein eindeutiger Hinweis auf die Rolle, in der Frau Bas aufgetreten ist. Für die Privatperson oder das Parteimitglied hätte es heißen müssen: „Bärbel Bas, SPD, derzeit Präsidentin des Deutschen Bundestages hat die Wirtschaft dazu aufgerufen …“

Es gibt jedoch noch eine weitere Argumentation gegen die Annahme, es habe sich  um die Meinung der Privatperson Bärbel Bas gehandelt, und die ist einfach darin zu finden, dass in der Öffentlichkeit eine Privatperson „Bärbel Bas“ faktisch nicht existierte, bevor sie der Deutsche Bundestag zu seiner Präsidentin wählte. Überspitzt und ohne die Absicht der Herabwürdigung könnte Bärbel Bas auf ihr Amt reduziert werden, ohne dass dies mit nennenswerten Informationsverlusten verbunden wäre.

Der Wissenschaftliche Dienst hat hier allerdings auch ein kleines Türchen offengelassen, wenn er formuliert: “ … mit der Autoriät ihres Amtes und mit staatlichen Ressourcen …“ Staatliche Ressourcen waren hier höchstwahrscheinlich nicht im Spiel. Es sei denn, man wollte den Einfluss jener Regierungspartei, der Frau Bas angehört, als die Ressource ansehen, die sie genutzt hat, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen. Aber das ist vielleicht zu weit hergeholt. Lassen wir das.

Weiters muss zur Entschuldigung von Frau Bas angeführt werden,  dass sie mit dieser Tendenz zur Grenzüberschreitung nicht alleine ist. Sie könnte sich also immer noch darauf berufen, nur ausgesprochen zu haben, worüber doch sowieso breiter Konsens herrscht, also – lupenrein demokratisch – der Mehrheit eine Stimme gegeben zu haben.

Aber wozu hat Frau Bas da nun tatsächlich aufgerufen? Es hat den Anschein, dass die „Unternehmen“ von der Präsidentin des Deutschen Bundestages zu einer Verletzung des §74 Betriebsverfassungsgesetz animiert werden sollten. Da heißt es unzweideutig:


§ 74
Grundsätze für die Zusammenarbeit

(1) Arbeitgeber und Betriebsrat sollen mindestens einmal im Monat zu einer Besprechung zusammentreten. Sie haben über strittige Fragen mit dem ernsten Willen zur Einigung zu verhandeln und Vorschläge für die Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zu machen.

(2) Maßnahmen des Arbeitskampfes zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat sind unzulässig; Arbeitskämpfe tariffähiger Parteien werden hierdurch nicht berührt. Arbeitgeber und Betriebsrat haben Betätigungen zu unterlassen, durch die der Arbeitsablauf oder der Frieden des Betriebs beeinträchtigt werden.
Sie haben jede parteipolitische Betätigung im Betrieb zu unterlassen;
die Behandlung von Angelegenheiten tarifpolitischer, sozialpolitischer, umweltpolitischer und wirtschaftlicher Art, die den Betrieb oder seine Arbeitnehmer unmittelbar betreffen, wird hierdurch nicht berührt.

(3) Arbeitnehmer, die im Rahmen dieses Gesetzes Aufgaben übernehmen, werden hierdurch in der Betätigung für ihre Gewerkschaft auch im Betrieb nicht beschränkt.


Gleiches gilt übrigens auch in nur leicht abgeschwächter Form für die Belegschaftsmitglieder. Das Expertenportal „Beratung.de“ gibt dazu folgende Hinweise:


Für Arbeitnehmer gibt es kein direktes Verbot der politischen Betätigung. Allerdings sind sie aufgrund der Treuepflicht nach § 241 BGB dazu verpflichtet, die Interessen des Arbeitgebers zu wahren. Sie dürfen demnach nichts unternehmen, um den Betriebsfrieden zu stören. Arbeitnehmer, die sich am Arbeitsplatz politisch betätigen, sollten folgende Aspekte beachten:

  • Politische Äußerungen, die rassistisch oder diskriminierend sind, haben am Arbeitsplatz nichts verloren. Unter Umständen erfüllen sie außerdem den Straftatbestand der Beleidigung. 
  • Arbeitnehmer dürfen ihre politische Meinung kundtun. Allerdings sollten sie keine politischen Streitigkeiten und Diskussionen anzetteln.  
  • Die Arbeitszeit ist grundsätzlich zum Arbeiten da. Eine Arbeitsunterbrechung zur politischen Betätigung ist nicht zulässig. 
  • Arbeitnehmer dürfen keine Materialien des Arbeitgebers für den Zweck der politischen Betätigung einsetzen. 

Hat der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz Kontakt mit betriebsfremden Personen, etwa Kunden oder Lieferanten, hat er sich diesen gegenüber in politischer Zurückhaltung zu üben.


Ich kann mich übrigens erinnern, solche Klauseln in meinen Arbeitsverträgen selbst unterschrieben zu haben.

Wenn Unternehmen, also Arbeitgeber, nun aufgefordert werden, sich gegen die AfD zu positionieren, und anders kann die Aufforderung, „stärkere Signale für unsere Demokratie und den Zusammenhalt in unserem Land zu setzen“, in der derzeitigen politischen Großkampflage nicht verstanden werden, dann können daraus zwei Effekte erwartet, bzw. erhofft werden.

Erstens eine Breitenwirkung ins Volk hinein über die Gestaltung der Öffentlichkeitsarbeit der Unternehmen, einschließlich der Werbung, und zweitens die Ausübung eines mehr  oder minder subtilen Drucks auf die Belegschaften, sich entsprechend dem Vorbild des Arbeitgebers zu verhalten.

Damit aber wird der Grundsatz, dass sich die politische Willensbildung von unten nach oben, also vom Volk zu den Staatsorganen vollziehen muss, durchbrochen. Es kommt also nicht nur zu einer Verletzung des genannten §74 BetrVG, sondern auch zu einem verfassungsgefährdenden Verhalten der Arbeitgeber, indem die politische Willensbildung von den Staatsorganen übernommen und über die Arbeitgeber an das Volk durchgereicht wird.

Wo die Wirtschaft für politische Zwecke eingespannt wird, nimmt das kein gutes Ende. So, wie es mit der DDR kein gutes Ende genommen hat. Dort gab es die Institution der so genannten Betriebs-Partei-Organisationen (BPO). Das FDGB-Lexikon weiß darüber:


Die BPO waren gemäß dem demokrat. Zentralismus einer straffen Hierarchie unterworfen und hatten für die Umsetzung der Beschlüsse der SED-Führung zu sorgen. Sie leiteten auf dieser Basis auch die propagandist. Tätigkeit und die polit. Massenarbeit. Hierzu unterstand ihnen die betriebliche Presse und der Betriebsfunk (vgl. u. Gewerkschaftspublizistik).
Die BPO wurden von einer Betriebsparteileitung mit einem Parteisekretär an der Spitze geführt, die wiederum dem jeweiligen SED-KV direkt unterstellt waren. Ihnen kam bereits in den 40er Jahren die Aufgabe zu, „die führende Kraft innerhalb des Betriebes in allen polit., wirtsch., sozialen und kulturellen Fragen“ zu sein (s.a. Betrieb als Sozialisationsinstanz). Sie waren also nicht nur innerparteiliche Basisorganisation, sondern hatten vielfältige anleitende und kontrollierende Funktionen im Bereich der Arbeitsmobilisierung, der Ideologievermittlung und Erziehung sowie der Ideologie- und Verhaltenskontrolle. Die Mitglieder der Betriebsparteileitungen und in kleineren Betrieben auch der Parteisekretär waren ehrenamtliche Funktionäre.
Solche BPO bestanden nicht nur in Betrieben im eigentlichen Sinne, sondern wurden in allen staatlichen und wissenschaftlichen Einrichtungen und Verwaltungen gebildet. SED-Grundorganisationen wurden aber auch in den hauptamtlichen Leitungsgremien der Massenorganisationen, also auch des FDGB, gebildet. Die SED-Grundorganisationen konnten in Parteigruppen und in Abteilungsparteiorganisationen (APO) untergliedert sein.
Die Anleitung und Kontrolle des FDGB durch die SED, deren sog. „führende Rolle“, war auf allen Ebene sicherzustellen.


Da fällt mir nur noch ein:

Ich bin ein Wessi! Lasst mich hier raus!