Demokratie in der Krise

Die Überschrift ist bewusst doppeldeutig gewählt – und Sie sollten sich schon fragen, für welche Deutungsmöglichkeit Sie sich anfänglich spontan entschieden haben, und warum.

Ich möchte heute die Behauptung aufstellen, dass wir uns schon länger in einer Demokratie-Krise befinden, und, dass mit der Pandemie-Krise die brennende Frage aufgetaucht ist, ob dieser Bedrohung mit demokratischen Mitteln überhaupt noch adäquat begegnet werden kann.

Wo Regierungschefs in Notkabinetten außerhalb des verbindlich beschlossenen Rechts unter heimlicher Berufung auf einen übergesetzlichen Notstand sich von – alleine wegen der 2-Meter-Abstandsregel – ausgedünnten Notparlamenten jeden administrativen Schnellschuss genehmigen lassen, kann Otto Normalbürger nur noch seinem Bauchgefühl folgen und dies entweder als furchtbar, aber unumgänglich ansehen, weil ja schließlich schnell und entschlossen gehandelt werden muss, oder sich auf den Standpunkt zurückziehen, dies alles sei furchtbar, aber nicht von Verfassung und Gesetz gedeckt und folglich, wo das Mandat überschritten wird, vollkommen unzulässig.

Womöglich wird sich erst in einigen Jahren abschließend beurteilen lassen, ob das Handeln der Verantwortlichen – von nicht mehr als einem Feigenblatt demokratischer Legitimation gedeckt – unter allen Strichen richtig war oder nicht.

Deshalb muss heute – unter dem Druck der bedrohlichen Lage – die Frage gestellt werden, wie es dazu kommen konnte, dass uns genau dann, wenn es darauf ankäme, nicht nur Atemschutzmasken, Desinfektionsmittel, Beatmungsgeräte und Intensivbetten fehlen, sondern eben auch klare, durchdachte und letztlich demokratisch beschlossene Handlungsanweisungen für den ganz großen Katastrophenfall.

Es liegt nämlich der Verdacht nahe, dass sowohl das Fehlen der materiellen Ausstattung als auch der notwendigen Regelwerke auf  die gleiche Ursache zurückzuführen ist, die ich glaube, hinter dem Wirken der Verantwortlichen in Regierung (und Opposition) feststellen zu können, nämlich eine hochbrisante Mischung aus Gier, Arroganz und Inkompetenz.

Hinter der strahlenden Fassade der Demokratie lauern ungeheuerliche Abgründe. Auf die Missachtung des Wählerwillens, die so weit geht, dass dem  Wähler ja nicht einmal eine Chance gegeben wird, seinen Willen zu artikulieren, will ich in diesem Kommentar nicht eingehen, auch nicht auf den Fraktionszwang, mit dessen Hilfe das Parlament insgesamt in die Rolle einer Horde vom Steuerzahler zu honorierender Claqueure des jeweiligen „Diktators“ gedrängt wird, wohl aber von jenem Abgrund, der sich auftut, wenn man das Werden, Wollen und Wirken der Alpha-Tiere näher betrachtet.

 

Die „Alpha-Tiere“

Der Weg an die Spitze eines Rudels ist eine lange Kette von Zweikämpfen rivalisierender Jungtiere, bis zuletzt die entscheidende Auseinandersetzung mit dem bisherigen Anführer zu bestehen ist.

Der Weg an die Spitze einer Partei unterscheidet sich davon nur dadurch, dass im Tierreich der Stärkste und Durchsetzungswilligste in der Regel auch der am besten geeignete Anführer ist, während in der Demokratie zwar ebenfalls der kampfeslustigste, intriganteste, bissigste Kandidat am Ende ganz oben steht, dass dieser damit jedoch nicht auch zwangsläufig jene Eigenschaften mitbringt, die für eine Politik zum Wohle des Volkes erforderlich wären. Introvertierte Wissenschaftler ziehen in diesen Auseinandersetzungen regelmäßig ebenso den Kürzeren, wie arglose Weltverbesserer und Menschenfreunde.

Da letztlich nur diese aus innerparteilichen Kämpfen hervorgegangenen Alpha-Tiere eine Regierung anführen können, verfügen sie in der Regel über einen sehr unausgewogenen Mix an Fähigkeiten, der sie in den vielfältigen Sachfragen, denen sie sich zu stellen haben, auf die Unterstützung von Vertrauten abhängig macht, die wiederum selbst auf die Unterstützung von Experten angewiesen sind. So entwickelt sich in der Behandlung von Sachfragen so etwas wie eine „Stille Post“, mit der üblichen Folge, dass die unterwegs zwangsläufig auftretenden Informationsverluste Fehlentscheidungen begünstigen.

Da solche Fehlentscheidungen nur unter Inkaufnahme eines Gesichtsverlustes korrigiert werden könnten, bleiben Alpha-Tiere in der Regel stur bei ihren einmal getroffenen Entscheidungen. Ein Meister darin war Helmut Kohl, dem wir eine Renaissance des Begriffs „Aussitzen“ zu verdanken hatten.

Nur wenn es gar nicht mehr anders geht, werden – unter neuer Flagge – die notwendigen Kursänderungen heimlich still und leise vorgenommen.

Doch noch einmal zurück zu den Experten. Es ist nur menschlich, dass jene engeren Vertrauten des jeweiligen Regierungschefs, die zwischen diesem und den Experten als Mittler auftreten, vorausahnen müssen, wohin der Chef tendiert, so dass bei der Auswahl der Experten nur solche in Frage kommen, deren Expertise in die gewünschte Richtung weist. Der angesprochene Experte selbst, dessen Tätigkeit in der Regel auf eine üppige Honorar-Rechnung hinausläuft, wird, um den Auftraggeber bei Laune zu halten und sich weitere Aufträge zu sichern, seinerseits versuchen, seine eher neutral gehaltenen Erkenntnisse vor der Weitergabe so zu bearbeiten, dass sie dem Wunsch des Auftraggebers bestmöglich entgegenkommen.

So paaren sich in den absoluten Führungsfiguren also regelmäßig sachgrundlose Autorität mit einem eklatanten Mangel an Fachwissen, so dass es allenfalls approbierten Hofnarren erlaubt ist, sich mit abweichenden Erkenntnissen oder Einschätzungen hin und wieder zu Wort zu melden.

Wer in den inneren Zirkel der Macht vordringen will, muss sich so lange dem Willen des Alpha-Tieres widerspruchslos unterwerfen, bis dieses in einem Ausmaß erkennbare Schwächen zeigt, dass ein Angriff zu mindestens 95 Prozent aussichtsreich erscheint. Wer vorher den Kopf aus der Deckung reckt, riskiert, ihn zu verlieren.

An dieser Stelle ist ein vergleichender Blick in die Wirtschaft unverzichtbar. Selbstverständlich sind auch die Konzernmanager ausgeprägte Alpha-Tiere, doch gibt es zwei ganz wesentliche Unterschiede:

  1. Niemand schafft es, nach dem Studium ohne jegliche Berufserfahrung und ohne den Nachweis exzellenter Sachkenntnisse in seinem Spezialgebiet erbringen zu können, an die Spitze einer großen Aktiengesellschaft aufzusteigen. Auch kein Außenstehender wird als Vorstandsvorsitzender angeworben, der noch nicht seine Führungsfähigkeiten und seine Verantwortung in einem anderen Unternehmen vergleichbarer Bedeutung unter Beweis gestellt hat.
  2. Führungskräfte in der Wirtschaft werden nicht von den Mitarbeitern per Wahl oder Akklamation von Stufe zu Stufe nach oben gehoben, wie es in der typischen Parteikarriere unter den Mitgliedern üblich ist, sondern hier kümmert sich zunächst das Nachwuchsmanagement im Verantwortungsbereich des Personalchefs um die Aspiranten. Danach, wenn ihre Köpfe sichtbar geworden sind und Profil gewonnen haben, nimmt sich der Vorstand ihrer an. Doch am Schluss entscheidet alleine der Aufsichtsrat über die Besetzung der Stelle ganz an der Spitze.

Die Instanz der Vertretung der Anteilseigner existiert in den Parteien nicht. Hier kann sich, anders als in der Wirtschaft, tatsächlich der Starke und Gerissene gegen eine Konkurrenz mit vergleichbar einseitigen Fähigkeiten durchsetzen, ohne dass es einen übergeordneten „Schiedsrichter“ gäbe, der neben den Rambo-Fähigkeiten auch das Wohl von Partei und Staat gleichermaßen so aufmerksam im Auge hätte, wie sich der Aufsichtsrat um sein Investment und seine Rendite sorgt.

Weder der Wähler, als der nach der Verfassung eingesetzte Souverän, noch der Bundespräsident, als formales Staatsoberhaupt, können einen solchen Aufstieg und die Machtübernahme im Staat verhindern. Letzterem fehlt die Kompetenz, die Ersteren haben kein Werkzeug, um eingreifen zu können.

Am Schluss ist es nichts als der Kotau der Abgeschlagenen, der den Sieger aufs Treppchen bringt. Und wieder wird die Loyalität der Abgeschlagenen gefordert, wollen sie nicht von Abgeschlagenen zu Abgesägten verwandelt werden.

Was Sie soeben über Alpha-Tiere gelesen haben, findet sich so auch in meinem  vor zwei Jahren erstmals erschienen  Buch

„Demokratie – Fiktion der Volkswirtschaft“

Wie bereits mein Roman „Der Goldesel“ , wird auch dieses Buch, das in der Erstausgabe vergriffen ist, als Book on Demand in einer leicht überarbeiteten und druckfehlerbereinigten Fassung in einigen Tagen wieder verfügbar sein.

Legen Sie schon mal 18,80 Euro zur Seite.

Ich gebe Bescheid, sobald Sie Ihr Exemplar bestellen können.

Für die neue Ausgabe habe ich übrigens auch das Cover neu gestaltet. In der Erstausgabe sah das so aus:

Künftig ist DAS das äußere Erscheinungsbild.