Schwarz-Rote Politik – Schwarz-Rote Zukunft

Zur geplanten Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht

Noch ist die Kuh nicht vom Eis.

Frau Lambrecht will es den Unternehmen gestatten, nicht nur bis Ende September 2020 mit dem Insolvenzantrag zu warten, wie es bereits beschlossen wurde. Sie will die „Gnadenfrist“ vorläufig bis Ende März 2021 verlängern – und wenn das gelingen sollte, wird es auch keinen vernünftigen Grund mehr geben, auf weitere Verlängerungen zu verzichten.

Ich möchte allerdings bezweifeln, dass die Verlängerung die erhoffte Wirkung zeigen und die von allen Beobachtern befürchtete Insolvenzwelle aus dem Oktober 2020 in den April 2021 verschieben wird.

Ohne hier über das Insolvenzrecht dozieren zu wollen, schon gar nicht in der Absicht, eine verbindliche Auskunft zu erteilen, muss zunächst eine grobe Unterscheidung getroffen werden, und zwar in Unternehmen, für die eine Insolvenzantragspflicht besteht –  nämlich grundsätzlich alle Kapitalgesellschaften, die GmbHs und die Aktiengesellschaften,  und jene, die zwar zum Zwecke der Restschuldbefreiung ein Insolvenzverfahren anstreben können, aber keiner Antragspflicht unterliegen. Letzteres betrifft Einzelkaufleute, Selbstständige und Freiberufler, wie auch Personengesellschaften. Diese unterliegen nicht der Insolvenzantragspflicht, weil ihre Haftung nicht auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt ist, sondern auch das Privatvermögen (der voll haftenden Gesellschafter) einschließt.

Insolvenzgründe sind a) Zahlungsunfähigkeit und b) Überschuldung. Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn ein Unternehmen nicht mehr in der Lage ist, seine Verbindlichkeiten zu bedienen. Von Überschuldung wird gesprochen, wenn die Vermögenswerte des Unternehmens (Aktiva) zu „Liquidationswerten“ geringer sind als die Werte der Passiva – und eine Fortführung des Unternehmens mit Überwindung der Überschuldung nach den Umständen nicht überwiegend wahrscheinlich ist.

 

Befassen wir uns zunächst mit jenen Unternehmen, für die keine Insolvenzantragspflicht besteht.

Gastronomie, kleine Einzelhandelsgeschäfte, Architekten, Selbstständige IT-Spezialisten, kleine Handwerksbetriebe, usw., die nicht als Kapitalgesellschaft geführt werden und sich – ob nun wegen Corona oder aus anderen Gründen – mit Umsatz- und Gewinnrückgang auseinandersetzen müssen, werden das Geschäft/Gewerbe dann aufgeben, wenn die laufenden Kosten die laufenden Einnahmen übersteigen, so dass die Zahlungsfähigkeit nur noch durch Einsatz des Privatvermögens gewährleistet werden kann und befürchtet werden muss, dass die Krise so lange dauern wird, dass der Verlust des zur Aufrechterhaltung des Betriebes eingesetzten Privatvermögens nicht mehr ausgeglichen werden kann.  

Es kommt hier sehr auf die individuellen Gegebenheiten an, auch darauf, ob Inhaber, bzw. Gesellschafter, eher optimistisch oder pessimistisch gestimmt sind, bzw. ob ausreichend Realitätssinn vorhanden ist, die eigene Lage korrekt einzuschätzen.

So werden die einen früher, die anderen später, die Ladentüre endgültig zusperren, die letzten offenen Rechnungen begleichen und ihr Gewerbe abmelden.

Dieses Sterben vollzieht sich leise und schleichend und wird nicht einmal von der Lokalpresse erwähnt. Es ist ein Prozess, der bereits eingesetzt hat und da, wo die „Lockerungen“ wirksam sind, schon wieder zum Stillstand gekommen ist, weil jetzt wieder Hoffnung besteht, der aber da, wo die Lockerungen keine ausreichende Wirkung zeigen, von Monat zu Monat fortschreitet und dabei jeweils diejenigen betrifft, die zum jeweiligen Zeitpunkt für sich beschließen: So kann es nicht mehr weitergehen.

Unter „normalen“ konjunkturellen Bedingungen ist eine solche „Geschäftsaufgabe“ ein „normaler“ Akt der Marktbereinigung. Wer im Wettbewerb nicht mehr mithalten kann, scheidet aus, seine Marktanteile wandern an die überlebende Konkurrenz.

Es herrschen jedoch keine normalen konjunkturellen Bedingungen, sondern die Wirtschaft hat einen Nachfrage-Einbruch zu verzeichnen, für den es zwei Ursachen gibt, nämlich das faktische Verbot, bestimmte Waren und Leistungen zu konsumieren, und den durch Entlassungen und Kurzarbeit bedingten Kaufkraftschwund.

Ein Unternehmen, das seine Pforten schließt, gibt folglich keine Marktanteile an die Konkurrenz ab. Dies hat zur Folge, dass auch bei Zulieferern – im weitesten Sinne beginnt das beim Vermieter der Geschäftsräume und der beauftragten Putzkolonne – Umsätze ausfallen, die nicht so leicht an anderer Stelle neu zu akquirieren sind. Auf der Basis durchschnittlicher Margen kann über den dicken Daumen gepeilt davon ausgegangen werden, dass jeweils zwei bis drei Unternehmen, die direkt mit Endkunden Geschäfte machen, mindestens ein weiteres Unternehmen wegen wegbrechender Umsätze mit in den Abgrund reißen.

Dieser Umsatzeinbruch kann und wird durchaus auch größere Unternehmen treffen, die üblicherweise verpflichtet wären, rechtzeitig, bei drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung die Reißleine zu ziehen und den Insolvenzantrag zu stellen.

 

Die Prognose für die Antragspflichtigen

Die Zahlungsunfähigkeit ist auch für die Kapitalgesellschaften ein so massiver Insolvenzgrund, dass selbst bei Aussetzung der Antragspflicht kein Weg daran vorbei führt, das Insolvenzverfahren zu beantragen. Trotz einer ausgeklügelten Rechnungslegung und Bilanzierung trifft die Zahlungsunfähigkeit, mit der Brutalität der einfachen Einnahme-Überschuss-Rechnung auch den größten Konzern.

Geldbeschaffung durch die Emission von jungen Aktien oder Anleihen ist für jene, denen das Wasser bis zum Halse steht ebenso schwierig, wie die Hausbank zu überreden, die Kreditlinien noch einmal zu verlängern.

Letzte Rettung ist die Hilfe durch den Staat. Wer nicht auf der Liste der systemrelevanten Unternehmen steht, kann nicht anders, er muss die Insolvenz beantragen, auch wenn die Antragspflicht ausgesetzt ist.

Im Grunde hilft die Aussetzung der Antragspflicht nur jenen Unternehmen, bei denen die Überschuldung droht oder bereits eingetreten ist.

Dies allerdings  hat fatale Wirkungen!

Ein Unternehmen, dessen Vermögenswerte noch nicht vollständig aufgezehrt sind, hat durchaus Möglichkeiten, seine Zahlungsfähigkeit aufrecht zu erhalten, indem es Vermögenswerte „versilbert“.

Man kann – nur zum Beispiel – die Liquidität dadurch verbessern, dass Fertigerzeugnisse zu Preisen unterhalb der Selbstkosten angeboten werden. Das ist ein Verlustgeschäft – das wirkt sich durchaus auch in Richtung Überschuldung aus, weil der „Lagerbestand“ zu 100% Selbstkosten aus der Bilanz rausgeht, im Gegenzug aber nur ein geringerer Gegenwert in Form von „Geld“ in die Bilanz eingeht, mit der Neigung sich daraus  auch schnell wieder zu verflüchtigen, weil das Geld ja benötigt wird, um Rechnungen zu bezahlen. Das bleibt allerdings bilanzneutral, weil mit dem Geld ja gleichzeitig die Verbindlichkeiten abnehmen.

Man kann – auch nur zum Beispiel – das Betriebsgrundstück verkaufen und vom Käufer zurückpachten. Es kommt Liquidität herein, die allmählich und in relativ kleinen monatlichen Raten für die Pachtzahlungen wieder abfließt.

Man kann ebenso – auch nur zum Beispiel – die wesentlichen Maschinen und Anlagen aus dem Unternehmensvermögen herausnehmen und sie vom Käufer zurückleasen.

Dies alles wären nach dem Insolvenzrecht schon strafbare Handlungen, doch wer nicht gezwungen ist, Insolvenz zu beantragen, erhält damit Zeit und Gelegenheit, wirklich kriminell zu handeln, indem „Stille Reserven“ still und heimlich aufgelöst werden. Man kann – nur zum Beispiel – ein auf zwei Millionen Euro abgeschriebenes Innenstadtgrundstück mit einem Verkehrswert von 25 Millionen Euro für jene zwei Millionen, die in den Büchern stehen, an einen Strohmann verkaufen und hat damit wieder zwei Millionen in der Kasse, welche Zeit verschaffen, noch raffiniertere Tricks auszuhecken, um auch noch das letzte Stückchen Wert aus dem Unternehmen herauszuziehen, bis dann tatsächlich und endgültig die Zahlungsunfähigkeit eintritt und das Insolvenzverfahren mangels Masse gar nicht mehr eröffnet wird.

Insolvenzverschleppung ist immer von der Absicht geleitet, Geschäftsvermögen in Privatvermögen umzuwandeln, bevor die Gläubiger Zugriff erhalten.

Die Aussetzung  der Insolvenzantragspflicht – so gut sie gemeint sein mag – stößt das Tor für die Insolvenzverschleppung sperrangelweit auf. Jede Verlängerung ermöglicht die Fortsetzung der Plünderung und damit die Schädigung der Gläubiger.

Dies wiederum führt dazu, dass in weitaus größerem Maße als bei den nicht antragspflichtigen Unternehmen mit Folgeinsolvenzen bei Zulieferern gerechnet werden muss, und da, wo die Risiken kumulieren, nämlich bei den Banken, die zum Schluss die Kreditausfälle verkraften müssen, die Lichter besonders schnell ausgehen.

Wenn keine Verlängerung der Aussetzung der Antragspflicht über den 30. September hinaus erfolgt, wird es im Oktober eine Flut von Insolvenzanträgen geben. Die Überlastung der Insolvenzgerichte und der potentiellen Insolvenzverwalter wird ein heilloses Durcheinander hervorrufen – doch es wird immer noch gelingen, einen Teil der Forderungen der Gläubiger zu befriedigen.

Wird verlängert, werden auch in den folgenden sechs Monaten nur jene Kapitalgesellschaften Insolvenz anmelden, die im Stadium der Zahlungsunfähigkeit angekommen sind und über keine nennenswerten Vermögenswerte mehr verfügen. Die Gläubiger schauen in die Röhre.

Die Welle kommt dann eben im April – und es darf davon ausgegangen werden, dass den Gläubigern dann nicht einmal mehr die Röhre übrig bleibt, in die sie noch schauen könnten.

 

Absicht?

Es hat gute Gründe gegeben, das Insolvenzrecht so zu gestalten, wie es bis zur Aussetzung der Antragspflicht war. Es ist anzunehmen, dass die höheren Beamten im Finanzministerium, im Justizministerium und vielleicht auch im Wirtschaftsministerium diese Gründe auch noch im Schlaf hersagen könnten.

Es ist anzunehmen, dass die Entscheidung gegen den Rat der kompetenten Fachleute aus rein politischen, bzw. ideologischen Gründen getroffen wurde.

Fakt ist, dass der Staat die Krise nutzt, um bestimmte Unternehmen mit Krediten, Bürgschaften und Beteiligungen am Leben zu erhalten. Dass dazu ausgerechnet ein nicht überlebenswichtiger Vergnügungsdampfer wie die „Tui“ gehört, die sich m.E. noch als ein Fass ohne Boden erweisen wird, dass eine Fluggesellschaft, wie die Lufthansa, gerettet wird, dass Kaufprämien für die E-Mobilität ausgeschüttet werden und massive Investitionen in die Ladeinfrastruktur erfolgen, obwohl niemand sagen kann, wo der Strom für die E-Autos herkommen soll, ist politischer Wille.

Fakt ist, dass der Staat mit seiner „Beihilfe zur Insolvenzverschleppung“ dafür sorgt, dass „Zombie-Unternehmen“ noch bis zum Zusammenbruch abgemolken und damit Privatvermögen gerettet werden können.

Spekulation ist es, dass dies vorsätzlich erfolgt, um bis zur Bundestagswahl im Herbst nächsten Jahres den Anschein einer – Dank kluger politischer Führung – florierenden Wirtschaft zu erwecken.

Meine Einschätzung geht allerding dahin, dass dies nicht gelingen kann.

Die Statik unserer Volkswirtschaft ist schwer beschädigt.

In den großen Unternehmen beginnen mit dem Ende der Urlaubszeit die konkreten Planungen für das Geschäftsjahr 2021. Die Zahlen einfach fortzuschreiben und drei Prozent Wachstum zu prognostizieren, das ist in dieser Planungsperiode nicht möglich.

Die exportorientierte Wirtschaft wird von der Schwäche der übrigen EU-Mitglieder ebenso wie vom nicht enden wollenden Welt-Wirtschaftskrieg geplagt und folglich mit Umsatzrückgängen im hohen einstelligen Prozentbereich rechnen, Investitionen zurückstellen und Personal abbauen.

Die Automobilindustrie wird, was den Binnenmarkt betrifft, mit Sorge auf die Halden unverkaufter Verbrenner und die anlaufende Produktion immer noch faktisch unverkäuflicher, nur mit massiven Staatshilfen auf die Straßen zu bringender E-Automobile blicken und Umsatzrückgänge von mehr als zehn Prozent in den Stückzahlen bei zugleich sinkender Marge einkalkulieren. Auch hier werden Investitionen nur da erfolgen, wo sie unvermeidlich sind, die Modellpaletten werden überall schrumpfen, es werden ganze Bänder stillgelegt und Schichten gestrichen.

In der Gastronomie und im Beherbergungsgewerbe sind die Reserven bereits aufgezehrt. Es wird ein massives Kneipen-, Restaurant- und Hotelsterben geben, dem sich nur die großen Ketten mit der Schließung der bisher am wenigsten rentablen Niederlassungen entziehen können. Neueröffnungen mit entsprechenden Investitionsimpulsen sind nicht zu erwarten, wohl aber ein massiver Rückgang der Beschäftigung in der gesamten Branche.

Im Einzelhandel wird sich zeigen, dass nicht nur die Kaufhäuser (Beispiel Galeria Kaufhof) aus den Innenstädten verschwinden, sondern auch immer mehr Supermärkte (Beispiel Real) in den städtischen Quartieren und auf dem flachen Land die Türen für immer schließen.

Die in diesem Jahr noch boomende Baubranche wird den Schock im Auftragsbuch im nächsten Jahr zu spüren bekommen. Der Bau von Gewerbe-Immobilien wird bei allgemeiner Investitionszurückhaltung zum Erliegen kommen. Der Wohnungsbau wird auf dem derzeitigen Niveau stagnieren, weil immer noch Anleger versuchen, ihr Vermögen in Betongold anzulegen und dabei mit niedrigeren Mieten auch negative Renditen in Kauf nehmen.

Dies alles immer noch unter der Voraussetzung, dass es die befürchtete „Zweite Welle“ in diesem Herbst nicht geben wird und daher auch keinen zweiten Lockdown.

Was offiziell herausgestellt wird, dass nämlich die fantastische Kurzarbeit den wirklichen Absturz verhindern konnte, verdeckt die tatsächliche Krise auf dem Arbeitsmarkt. Für den Juli berichtete die BA:

1.149.000 Personen erhielten im Juli 2020 Arbeitslosengeld, 409.000 mehr als vor einem Jahr. Die Zahl der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) lag im Juli bei 4.079.000. Gegenüber Juli 2019 war dies ein Anstieg von 179.000 Personen.

Man muss die Zahlen addieren. Offiziell werden 5,228 Millionen Personen gezählt, die erwerbsfähig sind, aber auf Transferleistungen aus Arbeitslosengeld und Grundsicherung angewiesen sind. Das ist gegenüber dem Juli 2019 ein Anstieg um 588.000 „Arbeitslose“.

Hinzu kommen rund 6,7 Millionen Kurzarbeiter (Stand Mai 2020, neuere Zahlen liegen nicht vor), die es vor einem Jahr praktisch nicht gab.

Vorsichtig geschätzt, und die Dynamik der Entwicklung der Zahlen berücksichtigend, ist damit in den vier Monaten April, Mai, Juni, Juli ein Kaufkraftverlust der Privaten Haushalte im Binnenmarkt von rund 20 Milliarden Euro eingetreten, wobei mindestens der gleiche Betrag aus den öffentlichen Kassen in Form von ALG und Grundsicherung zusätzlich abgeflossen ist, während das Steuer und Beitragsaufkommen aus Lohnsteuer, Sozialversicherungsbeiträgen und Mehrwertsteuer rückläufig war.

Bis zum Jahresende wird sich der Kaufkraftverlust im Binnenmarkt auf 50 Milliarden Euro summiert haben, während die Fehlbeträge und Mehrausgaben in den öffentlichen Kassen die Reserven aufgezehrt haben werden und die Fortzahlung von ALG und Grundsicherung nur durch Kreditaufnahme des Bundes gewährleistet werden kann.

Der Effekt, dass sinkende Einkommen nicht zu vermehrten Ausgaben führen sondern, im Gegenteil, versucht wird, einen Notgroschen anzulegen, was die Konjunktur zusätzlich schwächt, darf dabei ebenfalls nicht aus den Augen verloren werden.

Für Nullwachstum bei gleichzeitiger Inflation wurde zu Zeiten des ersten Ölpreis-Schocks der Begriff „Stagflation“ geprägt.

Wie man die konjunkturelle Situation benennen wird, in die wir unter vollen Segeln hineinlaufen, wird sich noch herausstellen. Aber der Name, den man dafür finden wird, wird bei vielen zukünftigen Generationen ebenso lang anhaltend Angst und Schrecken verbreiten, wie der Schwarze Freitag von 1929.