Entgeltgleichheit – Gerechtigkeitsinitiative oder Hetzkampagne?

Alle halbe Jahre, spätestens, liegt der Gender-Pay-Gap wieder einmal auf dem Tisch und alles was links ist, ruft danach, dass endlich auch den Frauen gleicher Lohn für gleiche Arbeit gezahlt werden müsse.

Mit dieser Forderung beginnt die Problematik allerdings bereits, denn die „gleiche oder gleichwertige berufliche Tätigkeit“, wie es der Gesetzgeber formuliert hat, hebt lediglich auf die Tätigkeitsbeschreibung im Anstellungsvertrag ab, weder die Frage der Quantität noch der Qualität der Leistung sind in dieser Formulierung berücksichtigt.

Beschäftigte in Stücklohn-, bzw. Akkordlohn-Verhältnissen können bei dieser Betrachtung ausgeklammert werden. Hier besteht eine direkte Abhängigkeit zwischen Leistung und Entgelt, wenn es sich um identische Arbeitsplätze mit identischem Aufgabenumfang handelt. Allerdings sind solche Arbeitsplätze inzwischen ziemlich selten geworden.

Die Mehrzahl der Beschäftigten erhält ein Entgelt für die am Arbeitsplatz verbrachte Zeit. Dieses Entgelt wird zunächst bei der Einstellung vereinbart und erhöht sich im Laufe der Zeit durch Lohnerhöhungen, die im Rahmen der zulässigen Bandbreiten der  jeweiligen Tarifwerke liegen. Wo es keine Tarifbindung gibt, handelt es sich um freie Vereinbarungen zwischen Angestellten und Unternehmen, die größere Entlohnungsspielräume eröffnen.

Es bleibt unwidersprochen, dass es bei Beschäftigten mit gleicher, bzw. gleichwertiger Tätigkeit Lohndifferenzen gibt. Diese sind zunächst unabhängig vom Geschlecht der Beschäftigten. Es können zwei Männer mit gleichen Aufgaben nebeneinander im Büro sitzen und höchst unterschiedlich bezahlt werden, und die beiden Frauen, die im gleichen Team arbeiten, können besser bezahlt werden als der höchstbezahlte Mann, auch schlechter als der schlechtbezahlteste, oder sie können einen Lohn erhalten, der im Bereich zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Entgelt liegt. Für alle diese Konstellationen wird es in der Regel geschlechtsneutrale Erklärungen geben, die sich auf legalen betriebswirtschaftlichen Überlegungen gründen.

Das Einstiegsgehalt

In vielen Fällen entscheidet sich das Gehaltsniveau, das ein Angestellter für viele Jahre beibehalten wird, bereits bei der Einstellung. Dabei sind die Dringlichkeit einer Stellenbesetzung und die Zahl geeigneter Bewerber die beiden Größen, die darüber entscheiden, welches Einstiegsgehalt angeboten wird.

Ist – unter vielen Bewerbern für eine Stelle – mit Herrn A. der als am besten geeignet erscheinende Mitarbeiter gefunden, ohne dass es einen großen Abstand zum abgeschlagenen Bewerberfeld gäbe, wird die Personalabteilung nicht mehr Gehalt in den Vertragsentwurf schreiben als gerade eben noch als angemessen angesehen werden kann. Im Wissen darum, dass er unter einem großen Bewerberfeld die Chance erhält, eingestellt zu werden, wird dieser Bewerber, bei aller Enttäuschung über das mickrige Gehalt, dennoch glücklich sein, überhaupt einen Job bekommen zu haben. Und sollte er wider Erwarten ablehnen, zu diesen Konditionen anzutreten, dann kommt einfach der Nächste in der Rangreihe zum Zug.

Der übernächste Bewerber mit der etwas geringeren Qualifikation kann jedoch bei einem Konkurrenzunternehmen das doppelte Einstiegsgehalt aushandeln, wenn der Markt für Menschen seiner Qualifikation inzwischen leergefegt ist und das Unternehmen eine frei gewordene Stelle dringend nachbesetzen muss, um nicht in Schwierigkeiten zu geraten. Wenn auch der Arbeitsmarkt durch eine Vielzahl von Beschäftigungslosen von den Stellenangeboten der Unternehmen dominiert wird, gibt es doch immer wieder Konstellationen – manchmal branchenweit, z.B. wenn neue Technologien Einzug halten – in denen die entsprechend qualifizierten Arbeitnehmer ihre Marktmacht ausspielen können.

Der Witz dabei: Eine solche Konstellation hält nicht lange  vor. Das Wissen um attraktive Gehälter lässt den Zulauf in entsprechende Qualifzierungsmaßnahmen anschwellen, so dass der „Fachkräftemangel“ umschlägt in eine „Fachkräfteschwemme“. Damit entfällt die Notwendigkeit, hohe Einstiegsgehälter zu zahlen, doch der zuerst mit hohem Gehalt eingestellte Mitarbeiter wird in aller Regel nicht mit einer Einkommenskürzung rechnen müssen.

Die Einarbeitungsphase

Ob die neue Mitarbeiterin oder der neue Mitarbeiter die Probezeit überstehen werden, ist dem direkten Vorgesetzten üblicherweise nach zwei, spätestens vier Wochen klar. Weil ein Teil des Versagens bei der Einarbeitung aber auch auf den Vorgesetzten zurückfällt, wird er bis zum Ende der Probezeit versuchen, den Neuen fit zu machen. Geht er dann mit dem Vorschlag, den Neuen nicht zu übernehmen, zur Personalabteilung, wird er in aller Regel inquisitorisch befragt, warum er zu dieser Entscheidung gelangt sei, und, wie lange der Neue seiner Auffassung nach mit intensiver Unterstützung brauchen würde, um die erforderliche Leistung zu erbringen. Der Personalchef weiß, was es kostet, einen Neuen zu finden und einzuarbeiten, und es erfreut ihn gar nicht, diesen Prozess mit neuem Aufwand wiederholen zu müssen. Allerdings wirkt sich die Beurteilung zum Abschluss der Probezeit für einige Jahre negativ auf Gehaltsanpassungen aus.

Wo zwei Mitarbeiter gleichzeitig  eingestellt wurden und nach drei Jahren eine absolut vergleichbare Leistung erbringen, wird derjenige mit der unerfreulichen Probezeit üblicherweise immer noch weniger Gehalt bekommen als der Kollege, der von Anfang an die erwartete Leistung erbracht hat. Das kompensiert den Mehraufwand und die Minderleistung während der Einarbeitung. Die Beziehung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber ist eben nichts, was sich in einer Momentaufnahme zu einem Stichtag vollständig abbilden ließe, sondern ein dynamischer Prozess, der von der Einstellung bis zum Ausscheiden immer neue Aspekte aufweist, die im Rahmen der Strategien zur „Personalentwicklung“ beobachtet werden und sich mehr oder minder auch auf die Gehaltsentwicklung auswirken.

Flexibilität und Engagement

Wo zwei Mitarbeiter die gleiche Aufgabe zu gleichen Teilen mit gleicher Qualität erfüllen, der eine strikt innerhalb der vereinbarten Arbeitszeiten und vollständig konzentriert auf die ihm zugewiesene Aufgabe, während der andere über das eigene Aufgabenfeld hinaus Interesse an betrieblichen Abläufen und Funktionen zeigt, eventuell Verbesserungsvorschläge zu Themen macht, die außerhalb seines Aufgabenfeldes liegen, der seine Arbeitszeit dem Arbeitsanfall anpasst und von sich aus Überstunden ableistet, wenn es darauf ankommt, dafür aber auch einmal später kommt oder früher geht, werden sich von Gehaltsrunde zu Gehaltsrunde die Brutto-Gehälter dieser beiden auseinander entwickeln. Wenn es die Gegebenheiten zulassen, wird der flexiblere und interessiertere Mitarbeiter in erweiterte Aufgaben hineinwachsen und womöglich in der Hierarchie eine Stufe aufsteigen, während der „nur Zuverlässige“ in seiner Gehaltsentwicklung stehen bleibt.

Objektive Merkmale und subjektive Wahrnehmung

Als die Gewerkschaft IG Metall und der Arbeitgeberverband Gesamtmetall in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts den Tarifvertrag für Angestellte  von 5 auf 7 Gehaltsstufen umstellten, was mit einer Ausweitung und Differenzierung der Tätigkeitsmerkmale verbunden war, musste die tarifliche Einstellung aller Tarifangestellten überprüft werden. Der Großteil dieser Überprüfungen führte dazu, dass das Gehalt des neu eingestuften Mitarbeiters in der neuen Tarifgruppe in etwa dem entsprach, was er vorher auch erhalten hatte. Und sollte die neue Einstufung eine geringfügige Schlechterstellung mit sich gebracht haben, wurde das  meist über eine übertarifliche Zulage ausgeglichen. Es gab Fälle, in denen die Neueinstufung zu kräftigen Gehaltssprüngen führte, weil die neu festgesetzten Tätigkeitsmerkmale dies verlangten – und es gab den umgekehrten Fall, dass nämlich die neu eingeführten Tätigkeitsmerkmale an manchen Arbeitsplätzen nicht im erforderlichen Maße gegeben waren, so dass es zu tariflichen Zurückstufungen kam, die mit Einkommensverlusten verbunden waren.

Von rund 500 Angestellten in dem Betrieb, in dem ich damals als Organisator tätig war, haben rund 30 gegen die Neueinstufung, die von den Abteilungsleitern gemeinsam mit der Personalabteilung und in Abstimmung mit dem Betriebsrat vorgenommen worden war, Widerspruch eingelegt.

Mir fiel die Aufgabe zu, zu allen diesen Widersprüchen ein „neutrales“ Gutachten zu erstellen, was bedeutete, dass ich mich mit jedem Betroffenen an seinem Arbeitsplatz getroffen habe und in ausführlichen Interviews herausgearbeitet habe, welche Anforderungen der Arbeitsplatz an den Mitarbeiter stellt und in welchem Maße der Mitarbeiter diesen Anforderungen gerecht wird.

Ich traf auf drei ziemlich klar zu unterscheidende Gruppen von Mitarbeitern, die mit ihrer Eingruppierung nicht zufrieden waren:

Die größte Gruppe bestand aus denjenigen, die gewitzt und clever genug waren, es einfach einmal zu probieren, ob nicht doch etwas mehr für sie drin sei. Das ist zunächst einmal vollkommen legitim. Doch wenn dann die Tätigkeit in allen ihren Facetten erfasst war und mit den Tätigkeitsmerkmalen abgeglichen wurde, blieb es in der Regel bei der ursprünglichen Eingruppierung und nachdem dies den Betroffenen ausführlich erklärt worden war, konnten sie sich damit auch einverstanden erklären, zumal sie über diesen Prozess auch erfahren hatten, welche Möglichkeiten es gab, ihren Job – durch Übernahme von mehr Verantwortung oder zusätzlicher Aufgaben – so auszubauen, dass die nächsthöhere Tarifgruppe erreichbar war. Das war der angenehme Teil dieser Arbeit, zumal bei fast allen die Chancen zur Weiterentwicklung gegeben waren und in Gesprächen mit den Vorgesetzten auch realisiert werden konnten.

Die zweitgrößte Gruppe bestand aus Menschen, deren Selbstwahrnehmung mit der Realität nicht übereinstimmte. Leute, die ihren Sachbearbeiter-Tätigkeiten eine Wichtigkeit und Verantwortlichkeit zumaßen, die real einfach nicht existierte. Dass die sich gar nicht vorstellen konnten, wieviel mehr Verantwortung alleine schon ihr direkter Vorgesetzter zu tragen hatte, wurde mir allerdings erst viel später klar. Zum Zeitpunkt der Arbeitsplatzanalyse hielt ich sie nur für Wichtigtuer, die mich mit ihren maßlos übertriebenen Schilderungen über den Tisch ziehen wollten. Denen zu erklären, dass sie mit der neuen Einstufung gut bedient waren, war unmöglich, und dass der Betriebsrat mir am Ende auch noch zustimmte, hielten sie für ein abgekartetes  Spiel. Da habe ich mir einige Feinde gemacht.

Die kleinste Gruppe bestand aus drei Menschen, die ein sehr klares Bild von sich und ihrer Leistung hatten, was ich im Zuge meiner Arbeit bestätigen konnte. Es stellte sich dabei heraus, dass im Zuge der „Massen-Neu-Einstufung“ einige Elemente ihrer Tätigkeiten nicht gewürdigt worden waren. Die Überraschung: Die Vorgesetzten, die bei der Einstufung mitwirkten, wussten gar nicht, was diese Mitarbeiter leisteten, bzw., sie wussten es zwar, hatten sich aber so daran gewöhnt, dass immer alles gut gelaufen ist, dass sie den Wert der Arbeit nicht zu schätzen wussten.

Leider ist das ein verbreitetes Problem. Wer durch permanent gute Leistung nicht auffällt, wird weniger beachtet als derjenige, der ein- oder zweimal richtigen Bockmist baut,

wodurch erst – durch Schaden wird man klug – erkennbar wird, wie wichtig sein Job ist,

und dann die gute Arbeit zuverlässig abliefert.

Verwirrende Statistiken

Wenn ich heute im Zusammenhang mit „ungleicher Entlohnung“ von „Entgeltdiskriminierung“ lese, stellen sich mir die Nackenhaare auf. Wenn dies dann auch noch damit begründet wird, dass „Frauen hierzulande im Schnitt immer noch 21 Prozent weniger als Männer verdienen“, halte ich das für einen schlechten Scherz, wie er gut von den Angehörigen der oben beschriebenen zweiten Gruppe mit verzerrter Selbstwahrnehmung hätte stammen können.

Natürlich kann man hergehen, und aus den Gehältern aller berufstätigen Frauen und Männern jeweils den Durchschnitt bilden und dann eine Differenz von 21 Prozent feststellen.

Das ist jedoch eine vollkommen blödsinnige Zahl! Auch wenn sie vom Statistischen Bundesamt stammt und als „Unbereinigter Gender Pay Gap“ bezeichnet wird.

Erst wenn der „Bereinigte Gender Pay Gap“ ermittelt wird, bei dem vergleichbare Tätigkeit und gleiche Qualifikation zugrunde gelegt werden, kommt man dem Lohnunterschied zwischen Frauen und Männer näher. Diese Zahl ermittelt das Statistische Bundesamt seltener, der Lohnunterschied in den Stundenlöhnen liegt dann aber schon (Stand 2014) nur noch bei etwa 6 Prozent. (Siehe Handelsblatt von heute, ganz unten)

Ich habe in meinem Berufsleben sehr viele, sehr unterschiedliche Arbeitsplätze und Mitarbeiter sehr intensiv kennengelernt, weil ich im Grunde immer damit befasst war, Organisationsstrukturen zu optimieren, gleichgültig ob in der Funktion als Organisator, Projektmanager oder als Führungskraft in der Sacharbeit.

In Bezug auf den vermeintlichen Gender Pay Gap kann ich aus dieser Erfahrung heraus feststellen:

Der Anteil derjenigen Beschäftigten, die sich im Beruf so verhalten, dass sie ihre Aufgabe gewissenhaft erfüllen und ihre Arbeitszeit exakt einhalten,  die also als „Nur Zuverlässige“ einzustufen sind, ist unter den Frauen deutlich höher als unter den Männern. Nach meiner groben Einschätzung handelt es sich um etwa 80 bis 90 Prozent der Frauen und um 70 bis 80 Prozent der Männer. Es ist müßig, hier auf die Ursachen für diesen Unterschied einzugehen, denn diese Ursachen sind für den Arbeitsvertrag und die Gehaltsfindung in gewinnorientierten Unternehmen nicht relevant.

Dass der Unterschied zwischen „Nur Zuverlässigen“ und „Flexiblen und Engagierten“ einen Unterschied im Nutzen des Mitarbeiters für den Betrieb ausmacht, ist hingegen sehr wohl relevant und drückt sich in einem Unterschied in der Entlohnung, wie vorstehend bereits geschildert, aus.

Wieviel von den 6%  des  Bereinigten Gender Pay Gap noch übrig bliebe, wäre das Statistische Bundesamt in der Lage, auch den Aspekt von Engagement und Leistung zu berücksichtigen, kann niemand sagen.

Ich halte es jedoch für möglich, dass sich dann sogar ein Gender Pay Gap zu Lasten der Männer ergeben könnte.