Kurzarbeit – ein kalkulierbares Risiko?

PaD 12 / 2020 – Hier auch als PDF verfügbar: PaD 12 2020 Kurzarbeit

Kurzarbeit – ein kalkulierbares Risiko?

Am Dienstag dieser Woche huschte eine jener kurzlebigen Meldungen durch die Medien, die mangels permanenter Wiederholung nicht in das kollektive Bewusstsein eindringen:

470.000 Unternehmen  haben bereits Kurzarbeit beantragt.

Wo Gesundheits- und Finanzminister sowie Frau von der Leyen in Brüssel tagtäglich von hunderten von Milliarden Euro reden und selbst Söder im vergleichsweise kleinen Bayern zweistellige Beträge an Hilfsmilliarden mobilisieren und ausschütten will, geht eine Zahl, die noch nicht einmal die halbe Million erreicht, schnell im Kampfgetöse der Corona-Schlacht unter.

Grund genug, genauer hinzusehen.

Ein paar Zahlen kann ich Ihnen an dieser Stelle leider nicht ersparen, um die Größenordnung der heranrollenden Welle der Kurzarbeit richtig einordnen zu können.

Insgesamt sind in Deutschland rund 2,5 Millionen Unternehmen tätig. Grob gerechnet, und weil die Zahl der Kurzarbeitsanträge ja weiter wächst, kann gesagt werden, jedes fünfte Unternehmen ist von verordneten Betriebsschließungen, Nachfrageeinbrüchen, Unterbrechungen der Lieferketten, Ausfall von erkrankten und unter Quarantäne gestellten Mitarbeitern nicht mehr in der Lage, seine Arbeitsplätze normal auszulasten.

Betrachtet man die Unternehmen nach Branchen, kann man eine detailliertere Abschätzung vornehmen, wo die Schwerpunkte liegen werden.

Im Gastgewerbe sind 235.000 Unternehmen tätig, die allesamt mit gewaltigen Einbrüchen leben müssen, weil nur noch der Außerhaus-Verkauf, einschl. der Lieferdienste gestattet ist. Dort waren zuletzt 1,9 Millionen Personen beschäftigt – und damit kommt erstmals jenes mulmige Gefühl auf, das sich angesichts von fast zwei Millionen Kurzarbeitern auch bei jenen einstellen muss, die voraussichtlich nicht betroffen sind.

Im Handel und dem Bereich der Kfz-Werkstätten finden wir 590.000 Betriebe.
Davon 26.000 mittlere und große Unternehmen, während es sich bei 564.000 Unternehmen um kleine Unternehmen und Kleinstunternehmen handelt. Insgesamt sind hier rund 6 Millionen Menschen beschäftigt. Die Lebensmittelmärkte, die – wie die Apotheken und Tankstellen – geöffnet bleiben, dürften überwiegend im Bereich der Großunternehmen angesiedelt sein, der Zwischenhandel, der auch kaum betroffen ist, fällt überwiegend in den Bereich der mittleren Unternehmen. In den 460.000 meist inhabergeführten Geschäften, die oft ohne, maximal mit 9 Angestellten arbeiten, werden wir eher wenige Anträge auf Kurzarbeit finden – wohl aber bei den 106.000 kleinen Unternehmen mit 10 bis 49 Angestellten. Nehmen wir an, dass nur 2/3 dieser Unternehmen den Betrieb wegen unzureichender Auslastung einstellen müssen und dass durchschnittlich dort 30 Beschäftigte betroffen sind, kommt der nächste Schock: Im Bereich Handel ist mit ungefähr 2,1 Millionen Kurzarbeitern zu rechnen, die so lange in Kurzarbeit bleiben, wie die Ausgangsbeschränkungen in Kraft bleiben.

Bei aller Schätz-Ungenauigkeit, auf die ich mich hier einlasse, wage ich zu behaupten: Die Kurzarbeitsanträge von gut 305.000 Unternehmen reichen bereits aus, um eine Zahl von 4 Millionen Kurzarbeitern vorherzusagen.

Verkehr und Lagerei sind mit 110.000 Unternehmen in Deutschland tätig. Hier ist insbesondere der Bereich der Luftfahrt betroffen. Alleine die Lufthansa will knapp 90.000 Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken, aber auch die Speditionen, der Bustourismus, die Taxi-Unternehmen haben mit massiven Ausfällen zu rechnen, so dass hier mindestens 250.000 Kurzarbeiter, auf eine relativ kleine Zahl von – vielleicht 50.000 – Unternehmen entfallen.

Das Baugewerbe ist bisher wenig beeinträchtigt, Freiberufler und wissenschaftliche und technische Dienstleister können in der Regel den Betrieb aufrecht erhalten, Informations- und Kommunikationsdienste, das Grundstücks- und Wohnungswesen, Wasser- und Energieversorgung sowie Bergbau und Steine und Erden, sind allesamt weniger betroffen, falls es gelingt, die Ausbreitung der Pandemie optimal zu kontrollieren.

Die noch nicht lokalisierten 120.000 Unternehmen, die Kurzarbeit beantragt haben, dürften im Wesentlichen im Bereich des Verarbeitenden Gewerbes angesiedelt sein und dabei Kurzarbeiterzahlen produzieren, die in etwa denen des Handels entsprechen, wobei wir heute schon wissen, dass die Automobilbauer in Deutschland mit großen Zahlen vorangehen. VW hat aktuell 80.000 Beschäftigte in Kurzarbeit, bei BMW trifft es 20.000, Audi bisher 6.500, bei Daimler werden es wohl über 100.000, bei OPEL und Ford spricht man jeweils von Tausenden, und da sind die Zulieferer noch gar nicht eingepreist. Continental, als einer der größten Zulieferer schickt 30.000 Beschäftigte in Kurzarbeit, Bosch ist mit 35 Standorten dabei …

Da tut sich ein Abgrund auf, der sich für das gesamte verarbeitende Gewerbe leicht auf weitere 2 Millionen Kurzarbeiter aufschaukeln kann, nicht zuletzt, weil es auch hier in den Lieferketten zu Kettenreaktionen kommen wird.

Ich ziehe hier einen Strich unter das Zahlengebirge – und prognostiziere, dass wir uns darauf einstellen müssen, in Kürze minimal vier, eher aber fünf, maximal sechs Millionen Beschäftigte in Kurzarbeit vorzufinden.

Das Bundesinnenministerium geht davon aus, dass, wenn es gelingen sollte, das Schlimmste zu verhindern, indem die Zeitspanne der Verdoppelung der bestätigten Krankheitsfälle bis Mitte April auf neun Tage verlängert werden kann, die Belastungsgrenzen der intensivmedizinischen Einrichtungen nur geringfügig (15%) überschritten werden, die notwendigen Beatmungsplätze aber vollständig zur Verfügung stünden. In diesem günstigen Szenario wird bis Ende Juni mit rund 200.000 Todesfällen in Deutschland gerechnet, die danach nur noch geringfügig zunehmen.

Allerdings hat dieses Vorgehen einen hohen Preis,
denn der Ausnahmezustand müsste dann über etwa sieben Monate aufrecht erhalten werden – und damit sind wir im Oktober – und das heißt, dass  die voraussichtlich 5 Millionen Kurzarbeiter von jetzt an, bis in den Oktober hinein, an sieben Tagen in der Woche 24 Stunden täglich in zumeist engen Wohnungen ohne direkte, persönliche soziale Kontakte ausharren müssten, die sie nur in begründeten Ausnahmefällen (Einkaufen, Arzt, Apotheke, kurze Spaziergänge alleine) verlassen dürfen.

Doch in diesen Wohnungen befinden sich ja gleichzeitig die Kinder, deren Schulen geschlossen bleiben, die nicht berufstätigen, oder Teilzeit- oder ebenfalls kurzarbeitenden Mütter. In den Wohnungen links und rechts die Rentner, so dass sich da schnell so etwas wie ein „Lagerkoller“ breit machen kann – was heißt kann? – wird!

Es ist überflüssig, ein solches Szenario in den düstersten Farben auszumalen. Wer über genug Vorstellungsvermögen verfügt, dem werden sich jetzt schon die Nackenhaare sträuben, und die vielen, die lieber jenen Propheten glauben schenken, die trotz der verheerenden Zustände in Norditalien, im Elsass, in Paris, in New York und in vielen unserer Alten- und Pflegeheime nach wir vor nicht müde werden, zu verkünden, es handle sich nur um eine gezielte Panikmache, um uns unsere Rechte zu rauben und die Schuld am Finanzcrash auf ein unschuldiges Virus schieben zu können, die wird es unvorbereitet treffen.

Die Gefahr eines unbeherrschbaren Massenaufstandes, die m.E. spätestens Ende Mai droht, wenn die Ausgangsbeschränkungen aufrecht erhalten bleiben, wird auch der Bundesregierung bewusst sein.

Man wird abwägen, ob man es darauf ankommen lässt, dass die Menschen von sich aus die Regeln brechen und unter Vernachlässigung aller Seuchenbekämpfungsmaßnahmen auf die Straße gehen und sich auch von der Bundeswehr nicht in die Häuser zurücktreiben lassen, weil sie lieber das Risiko der Infektion – die ja sowieso bei 80 Prozent harmlos verläuft, wie es (noch) heißt – auf sich nehmen, als das Eingesperrtsein zu ertragen.

Das Risiko vollkommen anarchischer Zustände und das beschleunigte Zusammenbrechen der bis dahin noch mühsam aufrecht erhaltenen Infrastruktur ist real und die Eintrittswahrscheinlich sehr hoch, vor allem, wenn aus Italien und Frankreich vermeldet wird, dass man dort die Quarantänevorschriften längst missachtet.

Man wird in dieser Abwägung zu dem Schluss kommen müssen, dass es unter dem Strich weniger Chaos und weniger Tote geben wird, wenn man die Ausgangsbeschränkungen aufhebt und lediglich an die Vernunft der Menschen appelliert, sich weiterhin freiwillig selbst  zu isolieren.

Ich rechne damit, dass die Ausgangsbeschränkungen über den 19. April hinaus noch einmal für drei, maximal vier Wochen verlängert werden, mit der ausdrücklichen Zusage, dass es danach keine weitere Verlängerung geben wird, dass alle Geschäfte wieder öffnen dürfen, auch Theater, Kinos, Diskotheken, dass das Oktoberfest stattfinden darf und die letzten Spiele der Bundesliga mit Stadionbesuchern und Fanclubs stattfinden können.

Ich rechne damit, dass mehr als die Hälfte der Deutschen glauben wird, dass das Schlimmste überstanden sei und sich – ausgehungert nach Normalität – wieder voll ins Leben stürzt. Zumal man auch aufhören wird, die Zahlen der Infektionen und Todesfälle täglich zu aktualisieren, wenn man nicht ganz auf die Veröffentlichung verzichtet.

Das wird dazu führen, dass die schnelle „Durchseuchung“ und damit ein erstes Stadium der Herdenimmunität erreicht wird, dass spätestens im August 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung ausreichend intensiven Kontakt mit dem Virus hatten um sich zu infizieren, dass von daher die Zahl der Neuansteckungen zwangsläufig zurückgehen wird, weil man einen bereits Infizierten nicht noch ein zweites oder drittes Mal infizieren kann, während versucht wird, die unsäglichen Zustände in den Krankenhäusern so gut wie möglich aus den Medien herauszuhalten, denn diese Entscheidung der Freigabe wird statt den 200.000 Toten, die auch im besten Fall unvermeidlich sind, deutlich mehr als das Doppelte an Corona-Toten produzieren, aber dafür die Gefahr des totalen Zusammenbruchs der Ordnung, der Infrastruktur und der Grundversorgung weitgehend mindern, denn die Folgen eines solchen Szenarios sind nur insoweit abschätzbar, als man davon ausgehen muss, dass sie noch weit schlimmer wären.

 

 

Ich appelliere an jeden, der dies liest:

Seien Sie vernünftig!

Halten Sie sich an das Kontaktverbot!

Bleiben Sie zu Hause, wann immer es geht und wann immer Sie es einrichten können.

Gehen Sie nicht täglich einkaufen, sondern maximal einmal pro Woche.

Halten Sie das für sich auch weiter durch, wenn die Vorschriften gelockert werden. Die Vorschriften werden nicht gelockert, weil die Gefahr vorbei ist, sondern weil eine weit schlimmere Gefahr droht, würden sie nicht gelockert.

Versuchen Sie, mit Ihrem Verhalten Vorbild zu sein. Aber produzieren Sie sich nicht als Besserwisser und Oberlehrer. Sie provozieren damit nur noch mehr Stress und beschleunigen den Ausbruch des Lagerkollers.

 

Bleiben Sie gesund, und bleiben Sie am Leben.

Nächstes Jahr wird es ein Medikament geben, das kann als sicher angenommen werden. Ende nächsten Jahres mit Sicherheit auch eine Schutzimpfung.

Im Laufe des nächsten Jahres ist die Rückkehr zur Normalität möglich. Wir werden alle stauen, wie einfach es sein wird, die am Boden liegende Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Wahrscheinlich werden wir mit einer neuen Währung an den Start gehen, weil die vielen frisch gedruckten Rettungsmilliarden ihren Wert schon im Ausklingen der Krise verlieren werden.

Es wird ein bisschen so sein, wie nach dem letzten Weltkrieg. Mit dem großen Unterschied, dass es außer den Unterbrechungen der Wirtschaftstätigkeit und dem Verlust vieler Menschenleben keine nachhaltigen Schäden geben wird.

Die Straßen, die Schienen, die Wasserleitungen, die Strommasten sind alle noch da. Kein einziges Haus wird vom Virus zerstört, es wird keine Trümmerfrauen geben, die den Mörtel von den Ziegelsteinen klopfen um schnellstmöglich neue Häuser errichten zu können.

Die Menschen werden, nach der erzwungenen, sinnvollen Isolation wieder zusammenrücken und einen neuen Gemeinschaftsgeist entwickeln.

Einen Gemeinschaftsgeist, der wieder wahrnehmen lässt, worauf es wirklich ankommt – und der sich auch in den Ansprüchen an die politischen Führer auf allen Ebenen ausdrücken wird.

Ob die derzeitige Regierung die Pandemie übersteht? Vielleicht. Dass wir aber, wenn wir 2021 einen neuen Bundestag wählen, sehr viel genauer hinsehen werden, wer sich da zur Wahl stellt, und ob er außer einem Studium der Politikwissenschaften auch über wirklich realitätstaugliche Qualifikationen verfügt, das halte ich für sehr wahrscheinlich, wenn nicht gar für unvermeidlich.

Wir werden aus der Pandemie mit neuem, frischem, klaren Geist hervorgehen und vieles besser machen als wir es bis zum Anfang dieses Jahres gemacht haben.

So viel Optimismus kann, darf und muss sein, denn er ist gut begründet.