Die Weisheiten der Wirtschaftsweisen

PaD 11 /2023 – Hier auch als PDF verfügbar: Pad 11 2023 Die Weisheiten der Wirtschaftsweisen

Das Frühjahrsgutachten des Sachverständigenrates hangelt sich mit Aussagen, in denen zwischen „zwar“ und „jedoch“ immer wieder ein Fünkchen Hoffnung ausgegraben wird, an den Fakten entlang wie Tarzan an den Lianen im Dschungel.

So wird aus dem zu Jahresbeginn noch von der Bundesbank und der Wirtschaftsweisen Malmedier prognostizierten „milden Abschwung“ nun ein minimaler Aufschwung um 0,2 Prozent für 2023, dem in 2024 ein Wachstum um gleich 1,3 Prozent folgen soll.

Auf die dazu genannten Annahmen gehe ich noch ein, doch zunächst ist ein Detail zu beleuchten, das den ganzen Optimismus der Weisen in einer einzigen Zahl zeigt.

Der Schuldenstand der Republik, gemessen am BIP, soll in 2024 um 3,9 Prozent niedriger liegen als noch 2022.

Was heißt das in Milliarden?

2022 lag der Schuldenstand bei einem BIP von 3,87 Billionen Euro bei 67,4 Prozent, also 2,61 Billionen.

Lässt man den unwahrscheinlichen Fall außen vor, dass nämlich die Schulden durch Tilgung reduziert werden könnten, dann müsste, auch wenn 2023 und 2024 keinerlei Netto-Neuverschuldung stattfände, das BIP auf 4,11 Billionen anwachsen, um den Schuldenstand auf 63,5 Prozent vom BIP zu senken. 

Dafür wäre allerdings innerhalb der beiden Jahre 2023 und 2024 ein Wachstum von 6,2 Prozent erforderlich. Aus den Wachstumsprognosen von 0,2 und 1,3 Prozent lässt sich das leider nicht ableiten.

Soll also doch getilgt werden?

Mit den Wachstumsprognosen der Weisen berechnet, ergäbe sich für 2024 ein BIP in Höhe von 3,93 Billionen Euro. Der Schuldenstand müsste also um 120 Milliarden auf 2,49 Billionen heruntergefahren werden.

Mit welchen Mitteln soll das gelingen, wenn sowohl für 2023 als auch für 2024  mit einem Staatsdefizit von 1,6 bzw. 0,4 Prozent gerechnet wird, für dessen Deckung zwangsläufig die Neuverschuldung angehoben werden muss?

Es gibt bei mir eine kleine Restunsicherheit, ob nicht die ARD in diesem Artikel schlicht und einfach falsche Zahlen wiedergegeben hat (wie beim Lotto: ohne Gewähr) und alle anderen Medien, welche die gleichen Zahlen verwenden, einfach nur falsch  von der Tagesschau abgeschrieben haben.

Auch die Annahme, die Weisen hätten bei den Staatseinnahmen die prognostizierte Inflation mit eingerechnet und aus diesen Mehreinnahmen einen Beitrag zur Senkung der Staatsverschuldung durch Netto-Tilgung abgezweigt, kann nicht zutreffen, da für die beiden Jahre 23 und 24 jeweils ein Haushaltsdefizit prognostiziert wird.

Woher die Absenkung der Schuldenquote kommen soll, wenn einerseits die Zeitenwende mit Wumms und Doppelwumms alleine 300 Milliarden neue Schulden hervorgebracht hat und der Finanzminister, angesichts von 70 bis 80 Milliarden bisher nicht eingeplanter Anforderungen der Ressorts den Haushaltsentwurf für 2024 einfach nicht fertig bekommt, bleibt also offen.

Dass es zu erheblichen Beitrags-Rückerstattungen der EU kommen sollte oder gar die Verursacher Schadensersatz für die zerstörte Ostseepipeline zahlen werden, kann ich mir nicht vorstellen.

Nachdem dieser „Hammer“ nun abgearbeitet ist, einige weitere Details, in denen sich nach meiner Beurteilung weitere Widersprüche verbergen.

Ich beginne mit den Aussagen, mit denen ich übereinstimme.

  • Die Stabilität der Finanzmärkte sei durch die jüngsten Turbulenzen im Bankensektor nicht gefährdet. Dazu habe ich mich erst gestern im gleichen Sinne geäußert.
  • Inflation, schlechtere Finanzierungsbedingungen und sich nur langsam erholende Auslandsnachfrage wirken dem Aufschwung entgegen. Das sehe ich genau so – und eigentlich kann man es gar nicht anders sehen.

Doch damit beginnen auch schon die Widersprüche.

  • Wenn die Sachverständigen zu der Aussage gelangen: „Die Inflation kommt zunehmend in der Breite der Wirtschaft an“, gleichzeitig aber davon ausgehen, dass die Jahresinflation 2023 (von 8,7 Prozent im Januar und Februar) nur 6,6 Prozent erreichen werde, dann sehe ich darin einen Widerspruch.
    Inflation wird erst dann wirksam und messbar, wenn sie in den Verbraucherpreisen angekommen ist. Dazu muss sie sich – von der Urerzeugung bis zum fertigen Produkt – durch die Kalkulationen durchfressen und am Ende auf den Preisschildern des Handels ihren Niederschlag finden. Natürlich hält der Handel, von eigenen Kostensteigerungen geplagt, so lange es geht dagegen, weil man dort die verfügbare Kaufkraft der Endverbraucher am besten kennt und weiß, dass Preiserhöhungen – wenn sie nicht, wie kartellmäßig abgesprochen, gleichzeitig erfolgen – erhebliche Wettbewerbsnachteile mit sich bringen können.
    Es muss angenommen werden, dass sich in der Wertschöpfungskette ein Prozess vollzieht, der nach und nach jene Unternehmen in Schieflage bringt, die zwischen dem Kostendruck (auch der Vorlieferanten) und dem Preisdruck der Abnehmer zerrieben werden, die aber bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Markt den wahren Umfang der Inflation zu Lasten ihrer Umsatzerlöse und Gewinne verschleiern. Fallen diese Unternehmer jedoch als Wettbewerber weg, verbessert sich die Situation der Anbieter gegenüber den Nachfragern weil damit ein neuer Knappheits-Effekt entsteht, dem die Nachfrager nicht mehr ausweichen können. Dies alleine wird nach meiner Einschätzung ausreichen, um die Inflation über das ganze Jahr nahe der 10-Prozent-Marke zu halten.
    Wenn auch die Energiepreise als hauptsächliche Preistreiber wahrgenommen werden und deren leichte Abschwächung als Signal für eine sinkende Inflation angesehen werden kann, ist es doch die Energie nicht alleine, was die Inflation antreibt.
    Es haben sich fast alle Rohstoffe verteuert und werden sich weiter verteuern, so lange der Wirtschaftskrieg gegen Russland und China fortgeführt wird. Das beginnt bei Holz und Stahl und endet bei den Wirkstoffen für Medikamente noch lange nicht.
    Zudem steigen die Preise für landwirtschaftliche Produkte, weil die Regulierungen der EU in Bezug auf die Nutzung der landwirtschaftlichen Flächen, in Bezug auf die Düngemittel und Düngungsmengen und in Bezug auf die Nutztierhaltung die Erträge senken, was Knappheit verursacht, aber auch notwendigerweise höhere Erzeugerpreise nach sich zieht, wenn der landwirtschaftliche Betrieb nicht untergehen soll.
    Nicht zu vergessen die sich immer weiter zuspitzende Situation auf dem Wohnungsmarkt, der einerseits von Knappheitsmieten gekennzeichnet ist, andererseits wegen der überbordenden Bauvorschriften nicht durch Neubauten zu bezahlbaren Mieten entlastet werden kann. Die Vonovia baut 2023 keine einzige Wohnung neu, weil sich damit keine kostendeckenden Mieten mehr erzielen lassen.
    Die bisher angeführten preistreibenden Faktoren sind aber nicht das, was als klassische Inflation bezeichnet werden kann. Es handelt sich um Teuerung, nicht um eine Aufblähung der Geldmenge. Doch genau diese Aufblähung der Geldmenge hat bereits begonnen. Staat und Wirtschaft ergänzen sich dabei.  Die Wirtschaft sieht sich mehr und mehr gezwungen, den Lohnforderungen der Gewerkschaften nachzugeben und der Staat hilft mit schuldenfinanzierten Hilfspaketen für Verbraucher, Subventionen für die Energiewende und der Alimentation von mehr als 1 Million Ukraine-Flüchtlingen und einer großen Zahl nicht erwerbstätiger Migranten aus anderen Weltgegenden dabei mit, das Geld bereitzustellen um die Inflation auf ein noch einmal höheres Niveau zu heben. Das ist nicht grundsätzlich verwerflich. Keine Lohnerhöhungen und keine staatlichen Hilfsprogramme würden die Tür zum beschleunigten Untergang der Wirtschaft mit deflationären Vorzeichen aufstoßen. Da ist die Inflation schon leichter zu ertragen. Aber ein Rückgang auf 6,6 Prozent 2023 und auf 3 Prozent 2024 erscheint mir als reines Wunschdenken.
  • Worauf dieses Wunschdenken zielt, wird in den Aussagen der Weisen erkennbar. Da heißt es: Weil die Inflation noch weit vom Zwei-Prozent-Ziel der EZB entfernt sei, dürften weitere Zinserhöhung in diesem Jahr erforderlich sein, die sich im Laufe des Jahres merklich auf die Inflation auswirken und ihre Entwicklung spürbar bremsen.
    Diese Theorie mag dann aufgehen, wenn eine überhitzte Wirtschaft aus dem Ruder läuft, wenn die Banken großzügig Kredite vergeben und der sinkende Geldwert die Geldvermögen vernichtet. Sie kann nicht aufgehen, wenn die Volkswirtschaft den Pfad der Deindustrialisierung beschritten hat, wenn Unternehmen aufgeben oder Insolvenz anmelden müssen, während andere ihr Heil in der Flucht ins Ausland suchen. Sie kann nicht aufgehen, wenn überall im Land die Bäckereien, die Schuh- und Bekleidungsgeschäfte schließen, Kliniken, Senioren und Pflegeheime aufgeben müssen, wenn die auf Zulieferteile für die Verbrennertechnologie spezialisierten Unternehmen nach und nach vom Markt verschwinden und da, wo es noch Wertschöpfungs-Potentiale gäbe, der Fachkräftemangel das Wachstum begrenzt. Steigende Zinsen sind Gift für eine bereits notleidende Volkswirtschaft.

    Es ist einfach nicht möglich, den Schaden, den eine die Volkswirtschaft beschädigende Außenpolitik und wachstumshemmende EU-Verordnungen und die Dekarbonisierungsanstrengungen angerichtet haben, durch Drehen an der Zinsschraube zu kompensieren.
    Bauen wird billiger, wenn auf teure Bauvorschriften verzichtet wird und die Zinsen sinken.
    Lebensmittel werden billiger, wenn die Landwirtschaft nicht von EU-Regularien daran gehindert wird, ihre Potentiale auszuschöpfen und die Zinsen sinken.
    Rohstoffe und Energie werden billiger, wenn „autoaggressive“ Sanktionen aufgehoben werden und die Zinsen sinken.
    Sollte die EZB ernst machen und bis Ende des Jahre den Leitzins auf 4,5 oder 5,0 Prozent anheben, wird der Traum von 0,2 Prozent Wirtschaftswachstum zerplatzen wie eine Seifenblase und stattdessen das BIP um ein bis zwei Prozent schrumpfen lassen.
  • Wir müssen weiterhin umfangreich Energie sparen, mahnen die Wirtschaftsweisen an, soll eine Gasmangellage im nächsten Winter vermieden werden.
    Auch diese Empfehlung deutet nicht darauf hin, dass es Deutschland gelingen könnte, der drohenden Rezession zu entgehen. „Sparen müssen“, das heißt doch nichts anderes als „es fehlt an allen Ecken und Enden“. Das Energiesparen der Industrie wurde durch negatives Wachstum, also durch Produktionseinschränkungen, Stilllegungen und Verlagerung ins Ausland erreicht. Aber auch schon fest eingeplantes Wachstum löst sich wieder in Luft auf. Tesla hat beschlossen seine Batteriefabrik doch nicht in Deutschland zu errichten. VW hat beschlossen, eine große Batteriezellenfertigung in Kanada zu errichten. Intel zögert immer noch mit dem Baubeginn für die Chipfabrik in Magdeburg. Kaum ein in Deutschland produzierendes Großunternehmen, dass seine Zukunftsinvestition nicht vollständig in den USA oder in China platzieren will.

Fazit

Anhaltender Energiemangel, der zu umfangreicher Sparsamkeit zwingt, weiter steigende Zinsen, die als Investitionsbremse wirken, unverändert wirksame Teuerungsursachen, die Produktion und Konsum in Deutschland gleichermaßen bremsen, sind, verbunden mit überbordender Bürokratie und dem Verlust jeglicher Planungssicherheit durch das permanente Überschreiten immer neuer roter Linien durch die Regierung, nicht die Basis, auf der auch nur mit einem noch so kleinen Wirtschaftswachstum, geschweige mit einem Rückgang der Staatsschuldenquote  gerechnet werden kann. 

Doch würden die Wirtschaftsweisen wagen, dies so deutlich zum Ausdruck zu bringen und die wahren Ursachen zu benennen, sie würden sich im Lager der Querdenker, Schwurbler, Klimaleugner, Putinversteher und Verschwörungstheoretiker wiederfinden.

Wer’s nicht glaubt, sei an Hans Georg Maaßen erinnert.