Berlin hat genug Strom für E-Mobilität und Wärmewende

„Genug Strom ist also vorhanden“, fasst die Berliner Zeitung zusammen, was der Berliner Netzbetreiber und Grundversorger Vattenfall zum Thema zu sagen hatte.

Die Sorge um steigende Strompreise (74% der von Harris Interactive für Consors Finanz Befragten) und flächendeckend verfügbaren Strom für E-Mobilität (62%) sei unbegründet: „Am Strommangel wird es nicht liegen – es geht immer um die Netzinfrastruktur.“

Da weiß ich nun wirklich nicht, ob ich lachen oder weinen soll.

Der Deutsche Bundestag hat auf Wunsch der Bundesnetzagentur eigens den neuen Paragraphen 14a in das Energiewirtschaftsgesetz eingefügt, der es den Stromnetzbetreibern erlaubt, den Strom für Wärmepumpen und Ladestationen zu drosseln, wenn dies die Netzstabilität erfordert.

Das hört sich durchaus so an, als liege es an den Netzen, und nicht am Stromangebot, doch es gibt neben unterdimensionierten Kabeln auf allen Spannungsebenen eben auch den unterdimensionierten Kraftwerkspark, der die Netzstabilität dann gefährdet, wenn mehr Strom angefordert wird als produziert werden kann.

Seit der Abschaltung der letzten drei deutschen Atomkraftwerke ist Deutschland nahezu unterbrechungsfrei auf Stromzulieferungen aus dem europäischen Verbundnetz angewiesen und ebenso nahezu unterbrechungsfrei liegt die Netzfrequenz unter den einst zuverlässig verfügbaren 50 Hertz. Beim Absacken unter 49,8 Hertz ist die Primärregelleistung überfordert, sinkt die Frequenz auf unter 49,2 Hertz kommt es zu Lastabwürfen bis hin zur vollständigen Einstellung des Netzbetriebs. Das nennt man dann Blackout.

Dass Robert Habeck im Februar 2023 bei der Vorstellung des Berichts der Bundesnetzagentur zur Sicherheit der Stromversorgung Deutschlands versicherte, dass wir, auch bei vorgezogenem Kohleausstieg bis 2030 und dem durch E-Mobilität und Wärmepumpen steigendem Strombedarf, in den Jahren 2025 bis 2031 kein Problem mit der Stromversorgung haben werden, sollte man allerdings vor dem Hintergrund der in diesem Bericht tatsächlich getroffenen Aussagen mit einiger Vorsicht genießen. Ich zitiere hier auszugsweise aus meinem Buch „Kipppunkt Energiewende“ (Seite 517ff):

Was steht nun da im fünften Satz des Vorwortes des Berichts der Bundesnetzagentur? Da steht:

Mit Blick auf Strommarkt und Stromnetz wird gemäß den rechtlichen Vorgaben die Frage geklärt, wie sich die Versorgungssicherheit mit Elektrizität in Zukunft darstellen wird,

  • wenn die Ziele und Pläne der Bundesregierung und Europäischen Union etwa
  • hinsichtlich des Ausbaus der Erneuerbaren Energien,
  • des Ausbaus bzw. der Erschließung von Flexibilitäten,
  • sowie der Stromnetze erfüllt werden und
  • die Marktteilnehmer im Rahmen der geltenden Marktregeln darauf reagieren.

Worauf dann im sechsten Satz eigentlich folgen müsste:

Falls Ziele und Pläne von EU und Bundesregierung allerdings nicht schnell und ohne Einschränkung erfüllt werden und/oder die Marktteilnehmer anders reagieren als erhofft, dann wird das nichts.

Die 107 Seiten des Berichts entsprechen vollständig jenem Luftschloss, welches das Milchmädchen errichten wollte, bevor es die Milch verschüttet hatte. Zu den Highlights gehört – und ich erwähne das zuerst, weil es den ganzen Irrsinn am besten illustriert – dass Deutschland, zur Sicherstellung seiner Stromversorgung mehr Strom aus dem Ausland importieren müssen wird.

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Das liebe Ausland wird uns schon aus der Patsche helfen. Das liebe Ausland, dem wir die Nachahmung unserer Dekarbonisierung aufzwingen, um ebenfalls in Versorgungsprobleme zu geraten, soll uns aus der Patsche helfen. (…)

Aber gut. Vertrauen wir einfach darauf, dass in jedem trüben kalten Januar der Jahre 2025 bis 2031, wenn der Stromertrag aus Windparks und Solarfarmen in Deutschland wegen Dunkelflaute gegen null tendiert, dafür in Österreich und Frankreich die Sonne täglich 24 Stunden scheint und der Wind dort so weht, dass die Ausbeute auch für Deutschland noch reicht. Natürlich muss dazu auch unterstellt werden, dass der Netzausbau nach den Vorgaben des Netzentwicklungsplanes fortschreitet und die unterstellten Redispatchkapazitäten bereitgestellt werden, die zur Engpassbehebung erforderlich sind, was auch die Kapazitäten der grenzüberschreitenden Netzkopplungstellen entsprechend den Vorgaben der EU einschließt.

Immerhin wird im Bericht ein europaweiter Kapazitätszuwachs bei Wind und Solar von 460 Gigawatt Nennleistung auf 1.167 Gigawatt Nennleistung (+150%) unterstellt. Deutschland wird, weil es so im Koalitionsvertrag festgelegt ist, von 123 auf 386 Gigawatt (+213%) ausbauen. Soweit ich weiß, haben auch alle potentiellen Investoren den Koalitionsvertrag unterschrieben, so dass von daher keine Probleme zu erwarten sind, auch wenn das Ausbautempo gegenüber den letzten 10 Jahren verdreifacht werden muss. Nachtigall, ick hör dir trapsen: „Wir schaffen das!“ Denn auch der Ersatz der Altanlagen, deren Nutzungsdauer zwischenzeitlich endet, wird – ohne dass es dafür einer Lösung des Entsorgungsproblems bei den Windmühlenflügeln bedürfe – mühelos möglich sein. Dass die Rohstoffpreise zwischenzeitlich durch die Decke gehen und womöglich unverzichtbare Materialen auf dem Weltmarkt gar nicht zur Verfügung stehen, wie Kritiker gerne argumentieren, darf gerne vernachlässigt werden, weil sich ja das allgemeine Preisniveau im Gleichschritt verändert, wodurch das alles wieder kompensiert wird.

Außerdem wird von den Berichtserstellern unterstellt, dass zur Deckung der Spitzenlast eine Reihe substituierbarer Optionen mit großen Potentialen zur Verfügung stehen, wozu

  • Gaskraftwerke, mit großer Kapazität, aber kleiner Anzahl von Betriebsstunden, Neubau von ca. 17 bis 21 Gigawatt
  • Speicher, (gibt es die wirklich?)
  • Netzersatzanlagen (das ist das neue Verschleierungswort für große Notstromgeneratoren) und
  • „Nachfrageflexibilität“

gehören.

Zu den Gaskraftwerken merkt die Bundesnetzagentur sogar vorsichtig an, es gäbe Unsicherheiten, wie sich die Rahmenbedingungen für die Investitionen in neue Gaskraftwerke entwickeln werden, und ob die hier berechneten Neubauten tatsächlich errichtet werden.

Nachfrageflexibilität ist auch ein schöner Begriff, der im Kontext des Berichts zum Ausdruck bringt, dass die Stromversorgung nur dann als gesichert bezeichnet werden kann, wenn immer dann, wenn sie normalerweise wegen zu geringer Produktion und zu hoher Abnahme nicht gesichert wäre, mittels der nachstehenden Maßnahmen Versorgungsicherheit erzwungen werden wird:

  • Preisanreize für Privathaushalte

Das stelle ich mir dann so vor: Waschen und bügeln Sie an Werktagen nur noch zwischen 01.00 und 04.00 Uhr zum Preis von 36 Cent/KWh – in der übrigen Zeit wird die Kilowattstunde zwischen 92 Cent und in der Hauptlastzeit mit automatisch ermittelten, flexiblen Preisen von bis zu 12 Euro abgerechnet.

  • Preisanreize für die Industrie

Das stelle ich mir dann so vor: Installieren Sie ein Lastmanagementsystem, so dass Sie Spitzenlasten selbständig und vollautomatisch abregeln können, ohne in die nächsthöhere Tarifstufe zu rutschen, oder verlagern Sie stromintensive Prozesse am besten gleich ins Ausland, was sich auch positiv auf den Umfang der für Deutschland erforderlichen Stromimporte und Redispatchmaßnahmen auswirkt.

  • Lastmanagement im Netz

Das stelle ich mir dann so vor: Wenn im Winter wegen der großen Anzahl im Volllastbetrieb laufender Wärmepumpen zu viel Strom verbraucht wird, können die Wärmepumpen per Smart Meter stundenweise vom Netz getrennt werden. Gleiches gilt für die private Wallbox. Dem drastischen Absinken von Raumtemperaturen oder der unzulänglich geladene Batterie im E-Mobil haben Sie vertraglich zugestimmt.

Relativ viel Raum nimmt im Bericht auch die Thematik der Rentabilität der Investitionen für die schöne neue Stromwelt ein. Dafür müsse gesorgt werden, denn sonst könne nichts draus werden.

Ich breche hier ab.

Ein paar essentielle Punkte habe ich angesprochen, die m.E. bereits zeigen, dass die Bundesnetzagentur absolut seriös gearbeitet hat. Denn im Bericht heißt es eben nicht, dass die vielen Voraussetzungen erfüllt sein werden, es gibt auch nur sehr punktuell leichte Zweifel daran, dass das, was die EU und die Ampel im Koalitionsvertrag beschlossen haben, überhaupt realisierbar sei. Es wird einfach unterstellt, dass dies alles pünktlich  geschaffen sein wird – und dann:

Dann könne man davon ausgehen, dass die Stromversorgung Deutschlands mit viel Strom aus dem Ausland, mit vielen neuen Gaskraftwerken, mit vielen neuen Notstromgeneratoren und einem klugen System von Preisanreizen und Lastabwurfsmöglichkeiten als gesichert angesehen werden kann.

Ob irgendwo im Bericht darauf hingewiesen wird, dass die drei Atomkraftwerke, die im April abgeschaltet werden, nicht ausreichen würden, um jenen Strom zu erzeugen, den die auf 386 Gigawatt ausgebauten Windkraftanlagen bei Flaute aus dem Netz ziehen müssen, um „am Leben“ zu bleiben, habe ich noch nicht herausgefunden. Das sollte jedenfalls auch bedacht werden.

Unter Berücksichtigung dieser Informationen wird es allerdings erst möglich, die Aussage des Vattenfall-Repräsentanten richtig einzuordnen. Wenn es da heißt: „Am Strommangel wird es nicht liegen – es geht immer um die Netzinfrastruktur“, dann  meine ich zu hören: „Selbst wenn wir den Strom hätten – wir könnten ihn mit dem bestehenden Netz nicht verteilen.“

Aber gleichzeitig heißt es für Berlin, man wolle die Netzkapazität in den nächsten fünf Jahren von 2,2 Gigawatt auf 4,1 Gigawatt erweitern.

Das Netz! Nicht die Stromerzeugung.

Dafür sollen in den nächsten fünf Jahren mehr als 2 Milliarden Euro in den Netzausbau investiert werden. In Berlin gibt es 2,2 Millionen Stromanschlüsse. Rechnerisch kostet der Netzausbau, wenn es denn nicht viel teurer wird, als jetzt veranschlagt, pro Netzanschluss 1.000 Euro. Überall sonst in der Republik dürfte es nicht viel anders sein. Und wofür das alles?

Damit die Argumentation in fünf Jahren umgedreht werden kann?

„Am Netzausbau liegt es nicht  – es geht immer nur um die Stromerzeugung“

Ganz im Ernst: Welches Unternehmen ließe es sich entgehen, am Netzausbau mitzuverdienen, nur weil die Stromerzeugungskapazitäten fehlen?

Wenn die Beteiligten dazu argumentieren: „Unser Auftrag ist das Netz. Die Regierung wird schon wissen, wo der Strom dafür herkommen soll. Warum sollten wir daran zweifeln“, dann kann man das ja nachvollziehen.

Was allerdings die Regierung sagt und plant, das ist schon schwieriger nachzuvollziehen, und wenn man sich an den jüngsten Enthüllungen der Kraftwerksbetreiber zum möglichen Weiterbetrieb der Kernkraftwerke orientiert, dann kann man auf ganz dumme Gedanken kommen.