Vom Nicht-wissen-Wollen

Pad 18 /2024 – Hier auch als PDF verfügbar: Pad 18 2024 Vom Nicht-wissen-Wollen

 

Oft genug höre ich die Klage, dass Kollegen, Bekannte, ja selbst die eigenen Kinder sich abwenden, wenn sich das Gespräch genau jenen Themen annähert, die für den Zustand und die Entwicklung des Landes von Bedeutung sind.

Da wird das „Nicht-wissen-Wollen“ zelebriert. Ganz freundlich und lieb gemeint heißt es da beim ersten Mal: „Ach, lasst uns von etwas anderem reden.“

Im Wiederholungsfall klingt das dann schon härter – und wenn alles zu spät ist, dann heißt es: „Danke für die Einladung – aber wir fühlen uns bei euch einfach nicht wohl.“

Natürlich erlebe ich das selbst auch.

Damit umzugehen, ist nicht einfach.

Man kann sich noch so oft und noch so fest vornehmen, alle heiklen Themen zu meiden: Die, die nichts wissen wollen, lenken das Gespräch ganz von alleine darauf, weil sie sich ihrer Überzeugungen so sicher sind, dass sie gar nicht bemerken, wenn sie selbst die Provokationen setzen.

Da werden die Lockdowns, der Maskenzwang und die 3-G-Regeln mit einem verschwörerischen „Weißt du noch?“ zu einer Art Abenteuerurlaub verklärt. Da war es der Überfall Putins auf die Ukraine, der die Energiepreise in die Höhe getrieben hat, und es war Habeck, der sie mit übermenschlichen Anstrengungen wieder gesenkt hat. Bargeld? Bargeld ist doch sowieso nur lästig. Schade, dass man noch nicht überall mit dem Smartphone zahlen kann. Dann noch die Frage: „Wie lange willst du deinen alten Diesel eigentlich noch fahren? Wir sparen richtig Geld, seit wir den Stromer haben und die Wallbox mit unserem Solarstrom.“

Wenn man sich dazu nicht äußert, hat man verloren. Wenn man Zustimmung heuchelt, hat man verloren, und wenn man sagt, was man denkt, hat man ebenfalls verloren.

 

Es scheiden sich die Geister.

Das muss man wörtlich nehmen. Sich scheiden. Das ist Trennung. Alles einst Verbindende wird darüber in die Tonne getreten, hat keinen Wert mehr. Das tut weh. Nicht nur, wenn sich Ehepaare trennen. Auch wenn Freundschaften zerbrechen, und selbst dann, wenn dir nur der Nachbar erkennbar aus dem Weg geht.

Die Fragen, die sich dem stellen, der auf diese Weise ausgegrenzt wird, sind vielfältig und widersprüchlich. Sie reichen von: „Wie kann ich es denen nur erklären?“, bis hin zu: „Liege ich denn daneben?“, und: „Bin ich wirklich schuld?“

Aber diese Fragen führen nicht weiter. Alles läuft auf die Entscheidung hinaus, von sich aus ebenfalls den Kontakt abzubrechen und den Verlustschmerz tapfer zu verdrängen, oder die Beziehung unter unerträglichem Druck durch Selbstverleugnung aufrecht zu erhalten.

Das macht nicht glücklich. Doch der Weg zur Wiederherstellung des guten Einvernehmens ist versperrt.

 

Beide Seiten sind Opfer.

Das muss man verinnerlichen. Beide Seiten sind Opfer.

Wenn das verinnerlicht ist, und erst dann, sollte die Frage gestellt werden, wessen Opfer sie geworden sind.

Bei einer Scheidung vor dem Familiengericht handelt es sich in der Regel um den gemeinsamen Irrtum, die Frühlingsgefühle hielten bis in den Herbst an. Ist es damit dann vorbei, und man erkennt sich nicht mehr am gegenseitigen Begehren, sondern an allen sonstigen Eigenschaften, die eben nicht in allen Fällen gut zusammenpassen, ziehen es viele vor, den Rückzug anzutreten. Den Wunsch haben häufig beide. Der Dumme ist allerdings meist, wer dabei den ersten Schritt unternimmt. Man ist also Opfer der Hormone geworden und damit Opfer des zur Arterhaltung erforderlichen Triebes, der auf die individuellen Ziele und Absichten letztlich überhaupt keine Rücksicht zu nehmen pflegt.

Bei jener Scheidung, über die hier zu sprechen ist, kann vom gemeinsamen Irrtum eher nicht ausgegangen werden. Ja, beide kennen sich als stets freundliche, nette, interessante Menschen, mit denen man sich gut unterhalten kann, mit denen man ein Hobby teilt, und wenn es nur das Grillen am Vatertag ist, so dass beiden die Gemeinschaft irgendwie wertvoll ist.

 

Daran hat sich nichts geändert.

Was sich geändert hat, das ist die „allgemeine Lage“.

War vor Kurzem alles noch so unbeschwert und locker, dass niemand auch  nur an ein Risiko dachte, ist die Lage nun unsicher und gefährlich geworden. Freiräume sind verschwunden, stattdessen sind immer mehr sonderbare, ja geradezu kafkaeske Regeln zu beachten, von denen es heißt, nur ihre strikte Einhaltung würde es ermöglichen, die Ordnung und die Freiheit und die Sicherheit wieder herzustellen.

 

Jetzt scheiden sich die Geister.

Sie scheiden sich in solche, die sich so sehr nach den  guten Zeiten zurücksehnen, dass sie gerne daran glauben und nach diesen Regeln leben wollen. Dem entgegen stehen jene, die den versprochenen Nutzen in den neuen Regeln nicht erkennen können, wohl aber weitere Risiken und Gefahren, so dass sie die damit verbundenen Verheißungen in Zweifel ziehen.

Nun darf man jemandem, der glauben – also „nicht wissen“ – will, nicht mit irritierenden Fakten oder gar mit logischen Schlüssen kommen. Das empfindet er als Angriff auf sich selbst, und weil er glaubt, ist er auch nicht in der Lage, anders als aus seinem Glauben heraus mit Glaubensbekenntnissen zu argumentieren, was zwangsläufig schiefgehen muss, denn er müsste Fakten oder logische Schlüsse widerlegen, weshalb er es gar nicht erst versucht, sondern, je nach Charaktertypus, sich entweder stillschweigend zurückzieht oder eben aggressiv auf den losgeht, der nicht glauben kann, sondern wissen will.

Für jene die zweifeln, sind die Gläubigen ein Buch mit sieben Siegeln. Man kommt nicht mehr an sie heran. Sie sitzen in ihrer festen Burg und lassen den vermeintlichen Feind gegen haushohe, meterdicke Mauern anrennen, bis er erschöpft aufgibt.

Die Zeiten, als auf deutschem Boden noch die Fürsten darüber bestimmten, ob ihre Untertanen nun dem katholischen oder dem evangelischen Glauben anzuhängen hatten, waren für das Volk einfacher zu bestehen, weil eben innerhalb des jeweiligen Fürstentums alle dem gleichen Glauben anzuhängen hatten. Da blieben die Familien- und Freundesbande unbeschädigt (jedenfalls in den meisten Fällen).

 

Glauben aus der Angst heraus

Die neuen Glaubenslehren, hinter denen nicht ein unsichtbarer Gott steht, sondern die ebenso unsichtbare Mehrheit von 97 Prozent der Wissenschaftler, werden über Angst, ja sogar Todesangst, vermittelt.

Karl Lauterbach hätte es gar nicht explizit aussprechen brauchen, dieses …Ungeimpfte sind bis März „geimpft, genesen oder leider verstorben“.  Die Angst war schon lange vorher geschürt worden, zielgerichtet auf die Erlösung durch die Impfung hin. So wie die Angst vor der brennenden Erde geschürt wird, auf die Erlösung durch die Dekarbonisierung hin.

Keine Frage, in Bezug auf ein unbekanntes Virus und eine neuartige Impfung oder auf die Klimaentwicklung stehen wir alle mehr oder weniger dumm da. Die Spezialisten, die sich auskennen, sind rar gesät, und nicht wenige von ihnen wurden von den neuen Glaubenslehren  ebenso überrascht, wie Max Mustermann nebst Ehefrau.

Doch spätestens als erkennbar wurde, dass Wissenschaftler diffamiert und mundtot gemacht werden, wenn sie auch nur erste Zweifel anmelden, wurde es für diejenigen, die nicht wissen wollten, zur Gewissheit, dass es besser sei, sich der Mehrheit anzuschließen und den Anführern und Sprachrohren zu glauben, als selbst mit dem Denken zu beginnen, weil die Materie ohne spezielles Studium und jahrelange Forschung einfach nicht durchdrungen werden kann. Dazu das instinktive Wissen, dass es sicherer ist, sich in der Mitte der großen Masse aufzuhalten, als am Rand oder gar völlig im Abseits.

 

Ist das verwerflich?

Nein. Natürlich nicht. Ein Verhalten, dass stets die Mitte im großen Haufen sucht, ist bei jeder Art von Angriff oder Unglück die Gewähr für eine gute Chance, mit heiler Haut davonzukommen. Zudem ist es das Verhalten, das Kräfte spart und den geringsten Aufwand verursacht, ganz abgesehen davon, dass – selbst wenn Ansichten, die Ziele und die Taten des großen Haufens vollkommen falsch gewesen sein sollten – eine Bestrafung dafür ausgeschlossen werden kann, weil ja alle mitgemacht haben. Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein! Selbst wenn das Verhalten des großen Haufens in ein großes Unglück münden sollte, wären doch wieder alle gleichermaßen daran beteiligt und davon betroffen. Geteiltes Leid ist halbes Leid! Égalité und Fraternité – wozu noch Liberté?

Spieltheoretisch sicherlich die beste Wahl, wenn es um den kurzfristigen eigenen Vorteil geht.

 

Ist das Gegenteil verwerflich?

Ist es andererseits verwerflich, wenn diejenigen, die wissen wollen, damit beginnen, sich näher mit der Thematik zu beschäftigen? Dürfen diese, kaum dass sie festgestellt haben, dass es schon früher Warmzeiten auf diesem Planeten gegeben hat, die sich – ohne je einen Kipppunkt zu erreichen – durchaus positiv auf Flora und Fauna ausgewirkt haben, schon die Frage stellen, wie das denn möglich gewesen sein könnte, ganz ohne menschengemachtes CO2?

Nein. In normalen Zeiten wäre auch das nicht verwerflich.

 

Fragen sind, der möglichen Antworten wegen, unerwünscht.

Heutzutage ist es allerdings unerwünscht. Es ist unerwünscht, weil die Verfolgung solcher Fragen zu Antworten führen könnte, die das Gelingen eines schönen Planes  gefährden könnten. 

Ist doch alleine der in Deutschland für die Energiewende erforderliche Netzausbau ein Billionengeschäft mit Milliardengewinnen, dem jegliche Grundlage entzogen wäre, sollte sich herausstellen, dass eine Wirkung des CO2-Gehalts auf die Temperatur der Atmosphäre nicht feststellbar ist, wohl aber eine Wirkung der Temperatur der Erdatmosphäre auf ihren CO2-Gehalt, schon weil das Wasser der Ozeane bei steigenden Temperaturen immer weniger CO2 zu binden vermag.

Wer unerwünschte Fragen stellt und sich nicht zum rechten Glauben bekehren lässt, ist bald selbst unerwünscht und schwebt in der Gefahr der Diffamierung, des Entzugs von Forschungsmitteln, des Ausschlusses aus dem „Diskurs“ – und wenn es dumm zu geht, muss er auch mit tätlichen Angriffen auf Hab und Gut und Leib und Leben rechnen.

Spieltheoretisch betrachtet ein törichtes Vorgehen, das keinerlei Nutzen verspricht, wohl aber mit erheblichen Risiken verbunden ist.

 

Auf die Perspektive kommt es an.

Die Betrachtungsweise ist allerdings falsch. Wer so auf die Situation blickt, hat die falsche Perspektive eingenommen, aus der heraus der große Elefant im Raum unsichtbar bleibt.

Am Spielbrett sitzen nicht zwei Nachbarn, die gestern noch in guter Nachbarschaft lebten und nun wegen Klima oder Corona oder Bargeld oder Ukraine keinen Kontakt mehr pflegen.

Am Spieltisch sitzt auf der einen Seite die „Klasse der Reichen“, wie sie Warren Buffet bezeichnete und versicherte, seine Klasse, die Klasse der Reichen, werde – nicht das Spiel, sondern – den Krieg gewinnen.

Auf der anderen Seite sitzt fast die gesamte Menschheit, der das Spiel, so wie es ist, aufgezwungen wurde, mit nur einer hauchdünnen Chance, zu gewinnen, wenn es nämlich gelingen sollte, den Gegner als Falschspieler  und das Spiel als von Grund auf zu Gunsten des Gegners manipuliert zu entlarven und den großen Haufen genau davon zu überzeugen.

Deshalb werden diejenigen, die den Nachweis dieser Manipulation führen könnten, mundtot gemacht, ausgeschlossen, mit Prozessen überzogen. Deshalb verkünden die etablierten Medien geschlossen die Glaubenslehren und lassen die Zweifler nicht zu Wort kommen.

Diejenigen, die einen Jeton nach dem anderen verlieren und unverdrossen weiterspielen, dürfen die Hoffnung, der ausgeschriebene Preis existiere tatsächlich und es gäbe eine Chance, ihn zu gewinnen, nicht aufgeben, bevor nicht Haus und Hof verspielt sind.

 

Beide sind Opfer.

Doch statt sich zu vereinigen, stehen sie sich feindselig gegenüber.

Divide et impera!

 

So wie im Kleinen Ingeborg Annegret voller Empörung zurückweist, wenn sie ihr frische Erdbeeren aus ihrem Garten schenken will, weil man von den Rechten nichts nimmt, nicht einmal frische Erdbeeren, sieht es auch im Großen aus, wenn Deutschland beschließt, auf russisches Erdgas zu verzichten, weil man a) den Russen schaden will und b) damit auch die Deindustrialisierung vorantreiben, den CO2-Ausstoß mindern und über Verzicht und Leiden – im Glauben an die alleinseligmachende Kraft des Opfers – im eigenen Zusammenbruch zum Helden der Weltrettung werden kann.

 

Kann, soll und darf der Klügere jetzt nachgeben?

Es kommt darauf an.

Nachgeben in Form der Selbstaufgabe  wäre das Dümmste, was geschehen könnte. Wo alle bedingungslos glauben, was sie glauben sollen, ist das Spiel verloren. Warum wohl ist der Druck so groß, sich genau zu dieser Haltung hinreißen zu lassen?

Nachgeben in Form des vollständigen Rückzugs, Schweigen ist Gold, und dem Versuch, heimlich ein kleines Rettungsboot zu bauen, um dem Untergang der Titanic zu entgehen, mag für einige der Weg sein, doch die Chancen stehen schlecht und der Ausgang ist ungewiss.

Also nicht nachgeben?

Todesmutig kämpfen?

Ohne jeglichen Rückhalt, als Einzelkämpfer oder versprengtes Häuflein? Aussichtslos.

 

Satyagraha

Mahatma Gandhi hat der Welt im gewaltfreien Widerstand einen Weg gezeigt, den man vielleicht auch als eine Art des Nachgebens – als „unnachgiebiges Nachgeben“ bezeichnen könnte.

Das indische Wort dafür lautet „Satyagraha“. Dazu habe ich in einem Beitrag von deutschlandfunkkultur.de bemerkenswerte Sätze gelesen.

Vandana Jha, Bibliothekarin der Gandhi Peace Foundation in Neu-Delhi, sagte über Gandhis Satyagraha:

Er hielt an der eigenen Wirklichkeit fest. Das war deshalb so effektiv, weil er auf der Seite der Wahrheit stand. Gegen die britische Regierung. Die Proteste waren friedlich, deshalb waren sie alle erfolgreich. Das war der Grund, dass er wirksam blieb und Indien die Unabhängigkeit erlangte.

Der Direktor des National Gandhi Museums in Neu-Delhi wird mit dieser Aussage zitiert:

„Konflikte gehören zur Natur des Menschen, dem kann man nicht entkommen. Aber unsere Zivilisation sollte eine kultivierte Methode haben, Schwierigkeiten zu überwinden. Ich denke, Gandhis Satyagraha ist eine solche Methode.“

Noch ein letztes Zitat aus diesem Artikel. Pratyush Jha, der Sohn der bereits erwähnten Bibliothekarin, hat Konflikt und Lösung in wenigen Worten so zusammengefasst:

Gandhi habe etwas erreicht, was eigentlich kein einzelner Mensch erreichen kann, erklärt er. Aber man müsse die Gedanken dahinter verstehen. Da seien die Briten gewesen, die teilten und herrschten. Und da war Gandhi, der wollte, dass jeder teilnimmt, dass jeder eine Stimme hat: „Das ist der entscheidende Unterschied und darüber muss man wirklich nachdenken. Vor allem Führungskräfte sollten es tun, wenn sie wollen, dass sich etwas verändert.“

Auf der anderen Seite, fügt er hinzu, sei es wenig hilfreich, sich ständig darüber zu beschweren, dass der Premierminister oder die Regierung etwas falsch mache:

„Denn was tut man selbst in seinem eigenen Leben, um etwas zu verändern? Wenn du wirklich eine Veränderung in der Welt sehen möchtest, dann arbeite daran. Was auch immer es ist. Es kann etwas Kleines sein oder etwas Großes. Aber diese Veränderung kann nur durch den Einzelnen geschehen, denn diese machen unsere Gesellschaft aus – überall auf der Welt.“

 

Was kann dem noch hinzugefügt werden?

Von meiner Seite eigentlich nur die Anregung, die Rolle des Gegners nicht anzunehmen, sondern sich im Verzeihen zu üben. Irgendwann und irgendwie müssen die Gräben wieder überwunden werden. Das ist umso einfacher, je weniger sich am Aufreißen der Gräben beteiligen.

Doch. Das geht.