Das Modernste

PaD 47 /2022 – Hier auch als PDF verfügbar: Pad 47 2022 Das Modernste

 

Kommt Mode von modern oder modern von Mode? Weiß ich nicht.

Modern steht außer für Mode auch für neuartig, und außerhalb der Mode für neue Eigenschaften bzw. Fähigkeiten.

„Modern“ wäre aber unvollständig beschrieben, bliebe unerwähnt, dass das Moderne stets begehrt und nachgeahmt wird.

Nun hat Hubertus Heil beschlossen, nicht nur ein modernes, sondern gleich das modernste Einwanderungsrecht Europas zu schaffen.

Das heißt, er glaubt, es sei ihm und seinen Mitarbeitern ein Quantensprung im Einwanderungsrecht gelungen. Regelungen, die alles bisher auf der Welt Gesehene weit hinter sich lassen, sozusagen die Suchzünder-Artilleriemunition gegen den Fachkräftemangel.

Keine Auswahlkriterien, mittels derer die USA, Kanada oder Australien die Spreu vom Weizen trennen, sondern ein „transparentes, unbürokratisches Punktesystem“, das in eine „Chancenkarte“ mündet.

Bis jetzt gibt es aber nur ein „Eckpunkte-Papier“, in dem noch nicht einmal die Eckpunkte wirklich klar sind.

Die Tagesschau spricht davon, dass es für Menschen in Drittstaaten, also für Nicht-EU-Ausländer, leichter werden soll, einen Job in Deutschland zu finden. Ob das auch so im Eckpunkte-Papier steht, weiß ich nicht, es liegt mir nicht vor, aber wenn dem so wäre, dann hat die Sprechblase vom „modernsten Einwanderungsrecht“ doch ein bisschen  Glaubwürdigkeit erreicht.

Konservative, also altmodisch-unmoderne Einwanderungsstaaten sind ja darauf aus, ganz speziell qualifizierte Fachkräfte zu gewinnen, um einen bestehenden oder drohenden Mangel zu kompensieren.

Nach dem Gemeinschaftsentwurf von Arbeits- und Innenministerium sieht es aber – gänzlich umgekehrt – so aus,

dass dem Jobmangel von Drittstaatenangehörigen
abgeholfen werden soll,

indem man es ihnen erleichtert in Deutschland einen Job zu finden.

Das ist tatsächlich ein hochmoderner Ansatz.

Deutschland sucht nicht,
Deutschland lässt finden.

Suchen ist mühsam.
Gefunden werden kostet nichts.

Konkret:

Das Einwanderungsrecht soll auf drei Säulen ruhen. Nun ja, die Säulen unterscheiden sich nicht wirklich voneinander.

1. Säule
Qualifizierender Abschluss kann nicht nachgewiesen werden:

Die Fachkraft soll kommen, ihre Qualifikation wird in D geprüft.

 

2. Säule
Kein Abschluss, aber jede Menge Berufserfahrung:

Die Fachkraft soll kommen. Ein potentieller Arbeitgeber muss dann halt selbst entscheiden, ob er den Bewerber einstellt.

 

3. Säule
Kein Abschluss, keine Berufserfahrung

Die Fachkraft soll kommen, bekommt ihre Punkte auf die Chancenkarte und sucht sich einen Job.

Man könnte es auch kürzer fassen:

Egal, wer da anklopft und einen Job sucht, der wird eingelassen. Danach sehen wir dann schon, ob der Suchende eine gesuchte Fachkraft ist und einen Job findet, oder ob er vom Arbeitsministerium an das Sozialministerium zum Bürgergeldempfang durchgereicht wird.

Was mir bei alledem zu kurz kommt, das sind die Anreize, die außerhalb des deutschen Sozialsystems gesetzt werden sollen, um bei wirklichen Fachkräften Interesse zu wecken.

Wie will sich Deutschland gegen über den Drittstaatenleuten positiv darstellen?

  • Werden die Wirtschaftsunternehmen ihre längst an Investoren verscheuerten Werks- und Mitarbeiterwohnungen  zurückkaufen, um neben dem Arbeitsplatz auch eine – erstens freie und zweitens bezahlbare – Wohnung anzubieten?
  • Werden nun doch die fehlenden KiTa-Plätze geschaffen, für die viele Deutsche nur ein Anrecht, aber eben keinen Platz haben?
  • Wird das Niveau der Schulbildung soweit angehoben, dass Kinder von Fachkräften, sollten sie  in die Heimat zurückkehren, dann nicht feststellen müssen, dass sie erst einen erheblichenRückstand gegenüber ihren Altersgenossen aufholen müssen?
  • Wird man, im Angesicht der Energiekrise, der Abwanderung wichtiger Industrien, und der unvermittelt überall drohenden Arbeitslosigkeit eine staatliche Arbeitsplatz- und Mindest-Einkommensgarantie aussprechen?
  • Wird man ihnen für die ersten sieben Jahre die Lohnsteuer und die Sozialversicherungsbeiträge erlassen und zudem, gegen Vorlage von Rechnungen und Quittungen die gezahlte Mehrwertsteuer zurückerstatten, vielleicht auch noch die Strom und Heizkostenrechnung übernehmen, damit der Eindruck entsteht, dass an jedem Monatsende noch ein Rest vom Gehalt übrigbleiben wird?

Die USA stellen jährlich rund 140.000 Employment-based Green-Cards aus.
Dabei stehen die beruflichen Qualifikationen im Vordergrund – und es muss ein konkretes Arbeitsplatz-Angebot in den USA bestehen.  Dabei wird klassifiziert nach

  • Personen von hohem nationalem Interesse
  • Personen mit besondernden Qualifikationen und Fähigkeiten
  • Akademiker, qualifizierte Fachkräfte und sonstige Arbeitnehmer

Australien hat seit langem ein Punktesystem für Einwanderungswillige Fachkräfte und sucht insbesondere in den Bereichen Ingenieurwesen, Gesundheitswesen, IT, Bau und Bergbau, Tourismus, kfm. Verwaltung und Finanzen.  Punkte werden nach dem Alter, der Bildung, der Berufserfahrung, den Englischkenntnissen und der Anpassungsfähigkeit (auch des Ehepartners) vergeben. Die Zuwanderungsgrenze wird immer wieder neu festgesetzt und wurde jüngst auf 195.000 erhöht.

In Kanada gibt es regional unterschiedliche Programme für die Einwanderung in den Arbeitsmarkt, wobei ebenfalls ein Punktesystem über die Bewilligung entscheidet. Alleine im Jahr 2021 wurden 400.000 Fachkräfte von Kanada aufgenommen.

USA, Australien und Kanada sind die vermutlich größten Wettbewerber um Fachkräfte, an denen sich Deutschland messen lassen muss.

Es sieht aber so aus, dass nicht einmal Fachkräfte aus der EU, aus Frankreich, Italien, Luxemburg, Dänemark usw. sich in ausreichender Zahl von den deutschen Arbeits-  und Lebensbedingungen anlocken lassen. Selbst für den gesuchten IT-Spezialisten aus Indien ist Deutschland sicherlich nur vierte Wahl.

Was also bleibt für Deutschland, wenn selbst die deutschen Fachkräfte alle Jahre zu Zigtausenden ihr Heil im Ausland suchen? Alleine von 2015 bis 2021 sind fast 8 Millionen Menschen aus Deutchland ausgewandert. Das waren nicht nur Deutsche, doch unter den Deutschen, die das Land verlassen haben, waren neben den Rentnern, die sich dort einen Alterssitz gesucht haben, wo die Rente für ein gutes Leben reicht, auch gerade die hochqualifizierten Fachkräfte, die sich von einem Job und einem Leben im Ausland mehr und Besseres versprochen haben als in der alten, langsam verfallenden Heimat.

Eigentlich sollte man davon ausgehen, dass die USA, Kanada und Australien nach Kenntnis der Drei-Säulen-Eckpunkte der Ampelanten schnellstmöglich ihre veraltetes Einwanderungsrecht entrümpeln. Vor allem, dass sie erst einmal ihre Grenzen weit öffnen, denn auch das werden sie erkennen, dass nämlich Merkels Grenzöffnung 2015 und die hervorragenden Sozialleistungen für Asylsuchende, Geflüchtete und Wirtschaftsmigranten exakt das Fundament sind, auf dem das modernste Einwanderungsrecht der Welt überhaupt nur errichtet werden kann.

Dann werden sie  sich erinnern, was die UN, die EU und die Ampel beschlossen haben, dass nämlich die Möglichkeiten und Wege der legalen Migration erweitert und ausgebaut werden sollen, um so die illegale Migration einzudämmen. „Das“, werden sie sich sagen, „ist der Königsweg zur Behebung des Fachkräftemangels und der illegalen Migration zugleich. Das ist so modern! Das machen wir auch.“

(Das denken und sagen und machen, die USA, Kanada und Australien natürlich nicht. Aber nehmen wir mal an, sie würden es tun.)

Dann müsste Hubertus Heil vermutlich feststellen, dass es bei der Anwerbung von Fachkräften nicht darum geht, das modernste und noch nirgends geprüfte und sich noch nirgends bewährt habende Einwanderungsrecht ins Schaufenster zu hängen, wie ein Parteitagsplakat der SED in der DDR, so wie hier (verlinktes Bild), sondern, dass nicht das Einwanderungsrecht ausschlaggebend ist, wohl aber die Attraktivität des Landes, seiner Wirtschaft, seiner Gesellschaftsordnung, seiner Lebensbedingungen, und zwar für echte Fachkräfte.

Einen Vorteil hätte es jedoch für Deutschland, würden sich USA, Kanada und Australien ein ebenso „modernstes“ Einwanderungsrecht schaffen: Die Zuwanderung nach Deutschland würde sofort aufhören, es würden sich vermutlich viele in Deutschland lebende Ausländer, auch solche mit deutschem Pass, die Frage stellen, was sie noch in diesem Deutschland hält, wenn sie doch in anderen Staaten, wo sie bessere Lebensbedingungen vorfinden, ebenso willkommen sind und versorgt werden.

So weit wird es allerdings nicht kommen. Die USA, Australien und Kanada brauchen gar nicht so viele Fachkräfte, wie dort einwandern wollen, weil sie als Staaten für Fachkräfte so attraktiv sind. Die werden so weitermachen, mit ihren total unmodernen Einwanderungsregeln und sich weiter die „Rosinen“ herauspicken, bevor die Deutsche Wirtschaft mit ihrem Bedarf an die Reihe kommt.

Für Hubertus Heil war es sicherlich eine schwer zu beantwortende Frage, warum die umworbenen, hochqualifizierte Fachkräfte nicht von alleilne nach Deutschland drängen, so dass deutsche Jobs nun auf dem Weltarbeitsmarkt wie Sauerbier angeboten werden sollen. Und hätte einer seiner Mitarbeiter die Antwort gewusst, dann wäre der vermutlich beim Chef als Nestbeschmutzer und Delegitimierer in Ungnade gefallen.

Warum nehmen wir also nicht einfach unsere hochmoderne Universalentschuldigung zur Hand und erklären, dass Putin schuld ist, oder die AfD?

Wenn das erst einmal gesagt ist, dann kann getrost wieder zur Tagesordnung übergegangen und schnell noch ein Gendersternchen gesetzt werden.