Die Kapriolen des DAX

Schreiben Sie doch mal was über den DAX, Herr Kreutzer.

Diesen Wunsch fand ich gestern nach dem 2:1 der Bayern noch in meinem Posteingang, und, weil manche Bayern heute einen Feiertag zu feiern haben, so sie denn in Gemeinden mit überwiegend katholischer Bevölkerung ihren Wohnsitz haben, und ich zu den Glücklichen gehöre, die frei haben, aber auch schon vor Corona nicht in Kirche gehen mussten, nehme ich mir die Zeit, etwas über den DAX zu schreiben.

Allerdings kann ich es mir nicht verkneifen, wenn ich über den DAX schreibe, diesen Text mit den Worten des Propheten Maleachi (3,19-21) zu beginnen:

19 Denn siehe, es kommt ein Tag, der brennen soll wie ein Ofen. Da werden alle Verächter und Gottlosen Stroh sein, und der kommende Tag wird sie anzünden, spricht der HERR Zebaoth, und er wird ihnen weder Wurzel noch Zweig lassen. 20 Euch aber, die ihr meinen Namen fürchtet, soll aufgehen die Sonne der Gerechtigkeit und Heil unter ihren Flügeln. Und ihr sollt herausgehen und springen wie die Mastkälber. 21 Ihr werdet die Gottlosen zertreten; denn sie sollen Staub unter euren Füßen werden an dem Tage, den ich machen will, spricht der HERR Zebaoth.

Springen, wie die Mastkälber: Der freudige, drollige Luftsprung, wie er im Wörterbuche steht, einfach aus Lust am Leben, aus Übermut, vor lauter Jux und Tollerei, das ist es was nach Maleachi bei den Mastkälbern zu finden ist, weil sie – sorglos im Überfluss der Nahrung – gar nicht wissen, wohin mit der Kraft. 

Wilhelm Busch hat es nicht versäumt, die Kapriolen (bedeutet auch:launenhafter, toller Einfall; übermütiger Streich) seiner Figuren „Max und Moritz“ immer wieder mit der Warnung zu versehen: „Aber wehe, wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe!“

Die Knaben Max und Moritz gerieten zwischen die Mühlsteine, und ein Mastkalb hat nur selten eine Chance, zum Ochsen zu werden (zum Stier schon gar nicht), weil die Mast auf das Kalb abzielt und das fett gemästete Kalb schon zu biblischen Zeiten als das erwünschte Endergebnis zu Tode gebracht und dem Verzehr zugeführt wurde. Im Gleichnis vom verlorenen Sohn lesen wir bei Lukas (15,23): „Bringt das Mastkalb her und schlachtet es; wir wollen essen und fröhlich sein.“


Matthäus 11,15: Wer Ohren hat, zu hören, der höre!

Soweit am heutigen Feiertag meine Reverenz an die Weisheit biblischer Gleichnisse.

Der DAX, genauer der üblicherweise gemeinte DAX 30, ist zunächst einmal ein Warenkorb mit exakt definiertem Inhalt, in dem die Aktien jener 30 in Deutschland börsennotierten Gesellschaften enthalten sind, die nachhaltig mit der höchsten Börsenkapitalisierung aufwarten können. Insgesamt umfasst der DAX im Augenblick Aktien mit einem Kurswert von 1,2 Billionen Euro. Der tägliche Handel mit Aktien aus dem DAX erreicht – mit Ausschlägen nach oben und unten – ein Volumen von etwas weniger als 1% der Marktkapitalisierung. Es kann davon ausgegangen werden, dass dieses tägliche eine Prozent aus immer wieder dem gleichen kleinen Anteil der spekulativ gehaltenen Aktien als Handelsgut in Erscheinung tritt, während der große Teil der Aktien über sehr viel längere Zeiträume, unberührt von den Kurskapriolen in seinen Depots verbleibt.

Das bedeutet, dass wir nicht wissen können, was der große Teil der ruhenden Aktien wirklich wert ist, wobei „wert“ schon der falsche Begriff ist. Wir wissen nicht, wieviel Geld für diese ruhenden Aktien beim Verkauf zu erzielen wäre. Wir können lediglich mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass der Versuch, alle Aktien der DAX 30 Unternehmen zu gleich auf den Markt zu werfen, die sofortige Schließung des Handels zur Folge hätte, weil das „Spielgeld“ der Nachfrager absolut nicht ausreicht, um das Angebot auch aufzukaufen. Die Folge wäre ein Kursrutsch ins Bodenlose, selbst wenn die „Bären“ alle Reserven mobilisieren würden – ein Verlust um 80, 90 Prozent wäre die unausweichliche Konsequenz.

Nachdem dies soweit geklärt ist, wissen wir, dass die Statistiker, die aus der Kursentwicklung der 30 DAX-Werte einen Index ermitteln, für den Gesamtwert aller Aktien vollkommen blind sind, und lediglich das Verhältnis der täglich aufeinander treffenden Verkaufs- und Ankaufsangebote abbilden. Börsianer haben dafür die Begriffe „Geld“ und „Brief“ geprägt, je nachdem, ob ein Kurs mit einem Überhang an nicht befriedigter Nachfrage oder einem Überhang an nicht verkauftem Angebot zustande kommt.

Wir wissen zugleich, dass trotz regelmäßiger „Quartalsberichte“ und gelegentlicher „Gewinnwarnungen“ der „Ertragswert“ der Unternehmen sich keinesfalls täglich verändert, schon gar nicht erkennbar, und erst recht nicht in den Größenordnungen, die durch die Kursentwicklung suggeriert werden. 

Dies bestätigt die Annahme, dass Börsenkursschwankungen vollkommen unabhängig vom „inneren Wert“ eines Unternehmens entstehen können.

Was aber löst die Schwankungen von Börsenkursen aus?

Präziser gefragt: Was veranlasst die Spekulanten, Aktien am Mittwoch teurer einzukaufen als sie am Montag und Dienstag gehandelt wurden?

Natürlich gibt es dafür eine Vielzahl „logischer“ Erklärungen. Die Arbeitslosenzahlen in den USA, der Streik der Lokomotivführer, die Entwicklung des Dow Jones, der Goldpreis, die Entdeckung einer neuen Nanotechnologie, der chinesische Einkaufmanager-Index, der Ölpreis, die Unruhen in Venezuela, und, und, und … Doch allen diesen beoachteten Ereignissen und Entwicklungen wird stets die Frage hinterlegt, ob damit (noch) mehr „Geld“ an die Börse gelangen wird, als „Brief“ zur Verfügung steht, was zuverlässig die Kurse in die Höhe treiben  und damit am Donnerstag oder Freitag die Chance eröffnen wird, einen Kursgewinn zu realisieren.

Der Index „DAX“, der aus dem Warenkorb „DAX“ ermittelt wird, spiegelt also bei einem Anstieg primär nicht die Erwartung einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung, sondern die Erwartung auf einen weiteren (!) Zuwachs an Liquidität an den Börsen wider.

Wo aber die Ausweitung der Liquidität auf ein begrenztes Angebot stößt, steigen – nach den Gesetzen des Marktes – die Preise. Es steigen die Preise. Nicht der Wert! Der Index „DAX“ zeigt folglich primär den Kaufkraftverlust des Geldes durch die (tatsächlich eingetretene und für die Zukunft weiter erwartete) Aufblähung der Geldmenge auf dem deutschen Aktienmarkt an.

Wenn der DAX nach dem Absturz von Mitte März auf weniger als 8500 Punkte bei immer klarer erkennbaren, verheerenden Fundamentaldaten der Weltwirtschaft, der Wirtschaft der EU, und der zusätzlichen, zerstörerischen öko-politischen Einwirkungen auf die deutsche Wirtschaft innerhalb von nur drei Monaten wieder rund 50 Prozent auf über 12.000 Punkte zulegt, dann mag die Panik-Reaktion vom März zwar – für den damaligen Erkenntnisstand – überzogen gewesen sein, letztlich hat sie aber nur den heutigen Erkenntnisstand antizipiert. Die Luft von 4.000 Punkten nach oben, die von den Spekulanten in den letzten 90 Tagen genutzt wurde, ist jedoch einzig darauf zurückzuführen, dass mit den angekündigten Hilfs- und so genannten „Wiederaufbau-“ Programmen von EZB, EU und den nationalen Regierungen (auch außerhalb der EU) einige Billionen Euro in den Markt geworfen werden, von denen angenommen werden kann, dass etliche Milliarden davon, gerade auch wegen der darniederliegenden Realwirtschaft, zügig an den Börsen als inflationär kurstreibende Nachfrage auftauchen werden.

Auch wennn der Spekulant nur auf die Kurse schaut und wähnt, mit jedem Prozentpunkt, den der DAX zulegt, reicher geworden zu sein: Er sichert sich mit seinem Aktienbesitz einen nur von der Stückzahl abhängigen, im Wert unveränderten Anteil am inneren Wert der Aktiengesellschaften und überlistet so die Inflation. Jedenfalls dann, wenn das Unternehmen, dessen Aktien er im Depot hat, den Crash überstehen wird.

Im übrigen werden nach dem Crash auch die Immobilienpreise und die erzielbaren Mieten wieder ganz andere, inflationsbereinigte nominelle Werte annehmen. Der Verlust bemisst sich daran, zu welchem, um wie viel überhöhten Preis eingekauft wurde, bzw. immer noch wird.

Hätte ich auch in einem Satz aussagen können:

Der DAX ist ein Geldwert-Index und
zeigt die Wirkung von Deflation und Inflation
– derzeit noch weitgehend unabhängig von den Verbraucherpreisen –
im Bereich des Aktienmarktes an.

 


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