Dem Hubertus Heil sein Beitrag zur Digitalisierung

Entschuldigen Sie die verhunzte Überschrift. Das, worum es geht, verdient diese Grammatik.

Es soll ja in dieser unserer Regierung Menschen geben, die das Arbeitsleben außerhalb des Politbetriebs nie kennengelernt haben. Vielleicht mal als Schnupper-Praktikum. Für die ist ein Unternehmen nach wie vor eine Blackbox, also eine große schwarze Kiste, in die frühmorgens die Arbeiter hineingehen und spätnachmittags wieder herauskommen. Dies verbinden sie womöglich mit der Überzeugung, dass die Zeitspanne zwischen dem Eintreten und dem Verlassen des Betriebs eine große betriebswirtschaftliche Bedeutung habe, weshalb diese künftig elektronisch aufgezeichnet werden muss.

Hubertus Heil gehört zu dieser Kohorte. Geboren 1972 in Hildesheim wurde er 1988 SPD-Mitglied, errang 1992 das Abitur, leistete danach Zivildienst beim Paritätischen Wohlfahrtsverband, studierte Politik und Soziologie in Potsdam, wurde zwischendrin MdB, avancierte in mehreren Parteifunktionen und ist nun unser aller Bundesminister für Arbeit und Soziales.

Zu Heils Ehrenrettung muss gesagt werden: Er hat sich das nicht selbst ausgedacht. Das Bundesarbeitsgericht und der EuGH haben in ihrer Güte die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung geschaffen. Der arme Heil soll nun nur noch festlegen, WIE das zu geschehen hat.

Nach all meinen Erfahrungen aus einem langen und vielfältigen Berufsleben kann ich mit dem Brustton der Überzeugung sagen: Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung ist so überflüssig wie ein Kropf.

In den mittelgroßen und ganz großen Unternehmen gibt es die elektronische Arbeitszeiterfassung längst, meist in Verbindung mit dem Firmenausweis, der – ob noch mit Magnetstreifen oder Barcode oder schon mit RFID-Chip – ausgerüstet als Türöffner dient – und beim Verlassen der Firma noch einmal an einem Leser vorbeigeführt werden muss. Dies in Verbindung mit dem Gleitzeitkonto ist eine feine Sache und Belegschaften und Chefetage haben sich mit dem System bestens arrangiert. Durchaus auch so, dass bei drohendem Überschreiten der zulässigen Tagesarbeitszeit auf Wunsch des Chefs – manchmal auch im stillen Einvernehmen mit der Personalabteilung – schon einmal freiwillig ausgestempelt wird, bevor man weiterarbeitet. Das gibt Pluspunkte auf einer ganz anderen Liste, die ganz bestimmt nicht elektronisch geführt wird.

Außendienstmitarbeiter, Monteure, Handwerksgesellen, die in kleineren Unternehmen angestellt sind, fahren nicht selten von der Wohnung  direkt zum Einsatzort und von dort an den meisten Tagen auch wieder nach Hause. Die eigene Firma sehen sie nur selten von innen. Sie arbeiten ihre Aufträge ab, tun alles, um kritische Termine zu halten und schreiben ihre Stunden auf. In so mancher Lohnbuchhaltung verwandeln sich dann auch 14-Stunden-Einsätze in vollkommen gleichmäßig abgeleistete 8-Stunden-Tage, die mit dem jeweils vereinbarten Stundenlohn auf dem Lohnzettel erscheinen, wovon dann auch ganz ordentlich Steuern und Sozialversicherungsbeiträge in Abzug gebracht werden. Die Überstunden werden parallel vergütet – oder es gibt mal einen freien Tag extra, der nirgends erfasst wird.

Bis dahin, liebe Leute, ist das alles „Vertragsfreiheit“. Auch wenn „Schutzvorschriften“ verletzt werden, herrscht da in der Regel kein Zwang, sondern eher eine Art Korpsgeist, und die Gewissheit bei den Leuten, dass sie sich auf den Chef verlassen können, wie auch er weiß, dass er sich auf seine Leute verlassen kann.

Da ist die elektronische Arbeistzeitaufzeichnung nichts als eine lästige bürokratische Pflicht, die erfüllt wird, um der drohenden 30.000 Euro-Strafe zu entgehen.

Gehen wir einen Schritt weiter, dann finden wir nach der notwendigen Flexibilität in der Handhabung von Vorschriften jenen Bereich, in dem Vorschriften mit großer krimineller Energie umgangen und ausgehebelt werden. Sub-Sub-Unternehmer, mit wild zusammengewürfelten Kolonnen von Hilfskräften, deren gnadenlose Ausbeutung das eigentliche Geschäftsmodell ist, während die ausgeführten Aufträge, ob auf dem Bau, im Reinigungsgewerbe oder bei anderen sozialbetrugs-anfälligen Gewerken, halt notwendigerweise irgendwie an Land gezogen und erfüllt werden müssen.

Wer ernsthaft glaubt, solche mafiösen Sklavenhalter würden sich durch elektronisch geführte Anwesenheitslisten vom Geldverdienen abhalten lassen, glaubt wohl auch daran, dass der Klapperstorch die Babys bringt.

Selbst wenn der Kapo verpflichtet werden sollte, auf seinem Handy eine App zu installieren, mit der die Fingerabdrücke der Beschäftigten zu Beginn und Ende der Arbeitszeit erfasst werden, kommt es immer noch ausschließlich darauf an, wie spät dieser seine erste Arbeitszeiterfassungsrunde dreht und wie früh seine letzte. Es ist doch so einfach!

Wer daran ernsthaft etwas ändern wollte, müsste ganz andere Geschütze in ganz anderen Politikbereichen auffahren. Dass dies nicht geschieht, wirft ein bezeichnendes Licht auf den tatsächlich vorhandenen politischen Willen dieser und aller Vorgänger-Regierungen der letzten 25 Jahre.

Aber in unseren Tagen ist der schöne Schein der Dokumentation ja viel wichtiger geworden als die dahinter verborgene Realität.

Das ganze Gesetz ist für die Tonne, weil es nicht mehr ist als ein in Paragraphen gegossener, vom Steuerzahler teuer bezahlter Anwesenheits- und Tätigkeitsnachweis der Ministerialbürokratie und des Parlaments.