Das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung informiert heute in der Pressemitteilung 370 darüber, dass „die Transformation Deutschlands zu einem nachhaltigen, innovativen, klimaneutralen Land“ weiter prioritäres (also oberstes, dringlichstes) Ziel der Bundesregierung bleibt.
Dies sei – sowohl trotz, als auch wegen unterschiedlichster Krisen – ein Zeichen der Bereitschaft der Bundesregierung, die 17 globalen Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 pünktlich zu erreichen. Bekräftigt wurde das durch einen, die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie (DNS) aktualisierenden Grundsatzbeschluss.
Es hat mich gereizt, ein bisschen mehr vom Innenleben dieser Nachhaltigkeitsstrategie kennenzulernen, die von Sarah Ryglewski koordiniert wird, welchselbige als Staatsministerin beim Bundeskanzler zu nachhaltiger Eile drängt: „Wir brauchen mehr Tempo und einen stärkeren Fokus auf die Bereiche, in denen wir noch hinter den Zielen zurückliegen. Es bleiben uns nur noch knapp acht Jahre bis Ende 2030.“
Was sind nun die 17 Ziele?
In der Pressemitteilung werden davon nur 6 genannt, nämlich: Bauen, Wohnen, Mobilität, Agrarsysteme, Ernährungssysteme und Kreislaufwirtschaft.
Besucht man die Website der Bundesregierung zur Nachhaltigkeitspolitik findet man diese Überschriften allerdings nicht wieder. Da lauten die durchnummerierten Ziele in grafisch aufgehübschter Darstellung so:
1. Keine Armut
2. Kein Hunger
3. Gesundheit und Wohlergehen
4. Hochwertige Bildung
5. Geschlechtergleichheit
6. Sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen
7. Bezahlbare und saubere Energie
8. Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum
9. Industrie, Innovation und Infrastruktur
10. Weniger Ungleichheiten
11. Nachhaltige Städte und Gemeinden
12. Nachhaltiger Konsum und Produktion
13. Maßnahmen zum Klimaschutz
14. Leben unter Wasser
15. Leben an Land
16. Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen
17. Partnerschaften zur Erreichung der Ziele
Ein paar Zeilen tiefer sehen die Ziele dann wieder anders aus:
Ziel 1: Armut in jeder Form und überall beenden
Ziel 2: Ernährung weltweit sichern
Ziel 3: Gesundheit und Wohlergehen
Ziel 4: Hochwertige Bildung weltweit
Ziel 5: Gleichstellung von Frauen und Männern
Ziel 6: Ausreichend Wasser in bester Qualität
Ziel 7: Bezahlbare und saubere Energie
Ziel 8: Nachhaltig wirtschaften als Chance für alle
Ziel 9: Industrie, Innovation und Infrastruktur
Ziel 10: Weniger Ungleichheiten
Ziel 11: Nachhaltige Städte und Gemeinden
Ziel 12: Nachhaltig produzieren und konsumieren
Ziel 13: Weltweit Klimaschutz umsetzen
Ziel 14: Leben unter Wasser schützen
Ziel 15: Leben an Land
Ziel 16: Starke und transparente Institutionen fördern
Ziel 17: Globale Partnerschaft
Die Links habe ich stehenlassen, Sie gelangen darüber direkt zu den Detailplänen. Keine Angst, da finden sich auch nur wenige, überschaubare Sätze, bei denen es sich nach meinen Kriterien nicht um Ziele, sondern um windelweiche Absichtserklärungen handelt. Es genügt aber, wenn Sie sich beim Ziel 1 schlau machen.
Ich will hier nicht Urheberrechte verletzen und wörtlich daraus zitieren, fasse daher die Details zum Armutsziel mit meinen Worten zusammen:
Die größte Herausforderung der Gegenwart ist es, die in unterschiedlichen Formen vorkommende Armut zu bekämpfen, um sie zu überwinden. Armut ist gar nicht gut. Dagegen müssen wir angehen. Es hat schon große Fortschritte gegeben, trotzdem leben immer noch 736 Millionen Menschen in extremer Armut. Die Weltbank glaubt nicht an das Ende der Armut bis 2030, weshalb die Reduzierung der Armut in Entwicklungsländern das wichtigste Anliegen deutscher Entwicklungszusammenarbeit ist.
Wie gesagt: Absichtserklärungen – keine Ziele.
Betrachtet man dazu die konkreten Ausflüsse des politischen Handelns, kommt man schwer ins Grübeln. Entweder sind die Absichtserklärungen missverständlich formuliert, oder es wird in manchen Bereichen bewusst kontraproduktiv gehandelt.
Armut und Ernährung hängen sehr direkt zusammen. Wer die Landwirtschaft in der EU und in Deutschland durch Düngemittelverordnungen, Flächenstillegungen und Tierwohlrichtlinien auf Klimaziele ausrichtet, arbeitet gegen Ernährungssicherheit und fördert das Wachstum der Armut. Die Idee der niederländischen Regierung, tausende Bauernhöfe aufzukaufen, um die landwirtschaftliche Produktion stillzulegen, weil es „EU-Stickstoffziele“ gibt, die anders nicht zu erreichen sind, ist wohl das derzeit herausragendste Beispiel für die Dominanz der Ideologie über die Anforderungen der Realität, aber unglücklicherweise nur die Spitze des Eisbergs.
Früher hieß es – und das war eine gute Regel: „Ein jeder kehre vor seiner eigenen Haustür.“ Heute verschreibt sich die Bundesregierung dem Ziel: „Weltweit hochwertige Bildung“. Hier nun doch einmal ein längeres, wörtliches Zitat, das belegt, dass die Bundesregierung weder von den PISA-Studien, noch von den Problemen der Hochschulbildung im Lande Kenntnis zu haben scheint.
„Das Bildungsniveau in Deutschland ist traditionell hoch. Auch ist unser Land für das sogenannte duale System in der beruflichen Bildung angesehen. Und deutsche Universitäten gehören zu den ältesten und erfolgreichsten der Welt. Allerdings steigen die Anforderungen an die Qualifizierung der Menschen ständig. Auch das Bildungssystem lebt davon, sich immer wieder an veränderte Rahmenbedingungen und Anforderungen anzupassen. Deshalb arbeiten der Bund und die Länder, die für Bildung zuständig sind, Hand in Hand. Deutschland formuliert und unterstützt ambitionierte, globale Bildungsziele durch die Staatengemeinschaft und setzt die internationalen Bildungsziele um.“
(Den letzten Satz verstehe ich nicht. Da steht, abstrakt: Deutschland tut etwas durch die Staatengemeinschaft. Wie geht das?)
Dass Deutschland darauf hinarbeitet, saubere Energie zu erzeugen, ist – bei allen umstrittenen Fragen der Umweltbelastungen durch die Nutzung erneuerbarer Energien – kaum zu bestreiten. Da herrscht Eifer, Übereifer gar. Es kann jedoch beim besten Willen nicht erkannt werden, dass die an die Absichtserklärung für saubere Energie geknüpfte Absichtserklärung „bezahlbare Energie“ auch nur ansatzweise beachtet, geschweige denn verfolgt wird.
Worin man sich 2015, bei der Verabschiedung der globalen Nachhaltigkeitsziele noch einig war, dass die ganze Nachhaltigkeit ohne eine leistungsfähige Industrie nicht denkbar ist, hat sich – in Deutschland – in eine Politik gewandelt, deren Credo es zu sein scheint, dass Nachhaltigkeit am besten durch Deindustrialisierung herzustellen sei.
Bei der Absichtserklärung 16, „Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen“, auch unter dem Titel „Starke und transparente Institutionen fördern“, geht es im Kleingedruckten überigens hauptsächlich um das Thema Korruption. Da heißt es:
„Deutschland ist im internationalen Vergleich besonders erfolgreich im Kampf gegen die Korruption und engagiert sich für gute Regierungsführung, national wie international. Die Bekämpfung von Korruption erfolgt nicht nur innerhalb der Staatsgrenzen, sie ist gleichzeitig ein wichtiger Teil der deutschen Entwicklungszusammenarbeit und der deutscher Außen- und Außenwirtschaftspolitik.“
Klicken Sie sich ruhig durch.
Wenn Sarah Ryglewski, die jetzt ressortübergreifende Transformationsteams installiert, welche politische Entscheidungen vorbereiten und die Umsetzung begleiten sollen, in zwei Jahren den nächsten Nachhaltigkeitsbericht vorlegen wird, können Sie dann abgleichen, ob auf diese Weise unter Beteiligung von Vertreterinnen und Vertretern von Wissenschaft und Zivilgesellschaft tatsächlich schnell konkrete Maßnahmen ergriffen werden konnten.
Vermutlich wird sich aber auch in zwei Jahren die Mühe nicht lohnen.