Wer den Politikern genau zuhört und ihre Aussagen soweit abstrahiert, dass der gemeinsame Kern erkennbar wird, steht vor einem Rätsel. Es soll eine Welt geschaffen werden, in welcher endlich Chancengleichheit herrscht und schwere und gefährliche Arbeit nur noch von Maschinen verrichtet wird; eine Welt, in der es keine Krieg mehr geben und der Hunger besiegt sein wird; eine Welt des Wissens, des Fortschritts, der höchsten Lebensqualität, kurz: Wohlstand für alle. Das sind, kurz gefasst
„Die großen Verheißungen“
Den großen Verheißungen vorangestellt finden wir stets ein Lob des Fortschritts und des Wachstums, hin und wieder auch ein Plädoyer für Deregulierung und Steuersenkungen, weil Deregulierung und Steuersenkungen helfen sollen, die schöne neue Welt noch schneller hervorzubringen.
Doch der Glaube daran wird auf eine harte Probe gestellt. Manchmal scheint es sogar, als bewege sich die Welt nicht auf diese großen Verheißungen zu, sondern eher davon weg. Trotz aller technischen Fortschritte, trotz eines ungeheuerlichen Produktivitätsfortschrittes, bringt die Weltwirtschaft weiterhin Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung, Armut und Hungersnot hervor, während es nicht möglich erscheint, Soziale Sicherungssysteme so zu errichten und über die Zeit auch zu erhalten, dass die Menschen daraus die Gewissheit beziehen könnten, niemals schuldlos ins Bodenlose zu fallen.
Wie kommt das, warum gelingt es nicht die verheißenen paradiesischen Zustände herzustellen? Sind wir einfach zu viele auf der Welt? Herrscht bereits Überbevölkerung?
Wer sich mit dieser Erklärung zufrieden gibt, sollte vielleicht einmal versuchen, zu definieren, was unter „Überbevölkerung“ zu verstehen ist. Da wird schon beim einfachsten Vergleich:“Menschen pro Quadratkilometer“, sichtbar, dass die Bevölkerungsdichte kein Maß für die Überbevölkerung sein kann.
- China ist mit 148 Einwohnern pro Quadratkilometer sicherlich sehr dicht besiedelt, da kann das BIP pro Einwohner nicht hoch sein. Sind ja auch nur 10.500 $ pro Chinese.
- Noch dichter besiedelt ist Burundi. 235 Einwohner pro Quadratkilometer, BIP pro Kopf: 561 $, und jetzt bitte nicht erschrecken:
- Die Bundesrepublik Deutschland zählt ebenfalls 235 Einwohner pro Quadratkilometer.
Sie erkennen, dass Sie nichts erkennen. Überbevölkerung und Bevölkerungsdichte können nur in einem ganz engen Betrachtungsrahmen als Synonyme behandelt werden. Alle die negativen Erscheinungen, die mit Überbevölkerung gemeinhin assoziiert werden, lassen sich auf einer Skala der Länder nach Bevölkerungsdichte nicht mehr eindeutig zuordnen.
So wie Überbevölkerung sich als schillernder Begriff herausstellt, sobald man versucht, den semantischen Kern zu erfassen, verhält es sich auch mit der Arbeitslosigkeit. Arbeitslosigkeit unterteilt die Menschheit nicht in Faule und Fleißige, Qualifizierte und Unqualifizierte, Arbeitslosigkeit ist eher so etwas wie ein Produktionsfaktor. Das richtige Maß an Arbeitslosigkeit – und die Wirtschaft feiert Rekordgewinne!
In meinem neuen Buch, „Phänomene der Weltwirtschaft“ nehmen die Ausführungen zur Erklärung von Überbevölkerung und Arbeitslosigkeit alleine 130 von 352 Buchseiten ein. Sie können jetzt natürlich sagen: „So genau will ich das gar nicht wissen“. Verstehe ich voll und ganz. Das schützt vor Aufregung und Magenbeschwerden. Aber eigentlich traue ich allen, die diesen Text lesen, durchaus so viel Neugier zu, dass Sie auch den Abschntt über das Gesundheits- und Sozialwesen lesen wollen, zu dem zunächst einmal gefragt werden muss, ob es sich dabei nicht um ein System handelt, das sich dem Prinzip der Evolution in den Weg stellt, um bei näherem Hinsehen festzustellen, dass das Gesundheits- und Sozialwesen einen gigantischen Wirtschaftszweig darstellt, dem es gelungen ist, als Quasi-Monopol die markwirtschaftlichen Regeln ignorieren zu können.
Spätestens wenn diese Erkenntnis gewonnen ist und die regelmäßig zu verzeichnenden Ergebnisse der Weltwirtschaft in ihrem offenen Widerspruch zu den großen Verheißungen auf dem Tisch liegen, wird klar, dass, obwohl die Mechanismen des Wirtschaftens den feststehenden betriebswirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Regeln folgen, irgendetwas nicht so läuft, wie es laufen sollte und auch laufen könnte.
Die Vermutung, dass es unsere „Werte“ sind, denen sich letztlich alles Handeln unterzuordnen hat, liegt nahe, und sie scheint sich zu bestätigen. Allen wohltönenden Fest- und Feiertagsreden zum Trotz, handelt es sich bei den starken „westlichen Werten“ weder um Menschenrechte noch um Demokratie. Nicht Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung sind die wichtigsten Werte, sondern schlicht und einfach „Geld“ und „Macht“.
Darauf richtet sich alles Streben und wer zu Geld und Macht gekommen ist, genießt Ansehen und Bewunderung.
Es ist nicht schwer zu erkennen, dass es sich dabei um ein Zeichen von Dekadenz handelt, einer Dekadenz, die vor allem in der westlichen Einflusssphäre um sich greift, während sie im aufstrebenden Osten noch durch verbindliche gesellschaftliche Wertesysteme, verinnerlichte Ideologien und starke Führungspersonen gebremst wird. Von daher ist zu erkennen, dass das westliche Wirtschaftssystem – alleine wegen des immer schneller schwindenden inneren Zusammenhalts – antriebs- und steuerlos auf den Abgrund zudriftet.
Muss man sich damit wirklich noch beschäftigen?
Die wenigsten wissen mit dem Namen George Santayana etwas anzufangen, doch einen seiner wichtigsten Sätze hat wohl jeder schon einmal gehört:
„Wer sich nicht der Vergangenheit erinnert, ist verurteilt, sie zu wiederholen“
(“Those who cannot remember the past are condemned to repeat it”)
Um sich der Vergangenheit erinnern zu können, muss man sie, über das Oberflächliche hinaus erkannt und die ihr innewohnenden Prinzipien verstanden haben. Dazu soll dieses Buch beitragen. Dabei ist es – im speziellen Fall – wichtig zu begreifen, dass es sich beim Streben nach Geld und Macht um einen grundsätzlichen Charakterzug der Menschheit handelt, der nicht der Vergangenheit anheimfallen, sondern uns auch in der Zukunft, nach dem großen Zusammenbruch, noch begleiten wird. Alle Systeme, die den für ihre Zwecke erforderlichen „neuen Menschen“ erst schaffen wollten, ob durch offenen Zwang oder subtiles Nudging, sind gescheitert und werden auch in der Zukunft scheitern.
Die in Japan entwickelte Kampfsportart „Jiu Jitsu“ weist einen besseren Weg. Es geht nicht darum, Kraft – also Unterdrückung und Zwang aufzuwenden – sondern darum, so viel wie möglich der Kraft des Gegners umzulenken und selbst zu nutzen.
Erst wenn man die Menschen so nimmt, wie sie sind, ihr Streben nach Geld und Macht als unveränderlich akzeptiert, eröffnen sich Wege, diese Eigenschaft zu nutzen, indem man ihrem Streben nach Geld und Macht neue, erreichbare, erstrebenswerte Ziele anbietet, deren Erreichung dem Wohl der Menschheit nicht mehr entgegensteht, sondern dazu beiträgt, die Welt (nicht die Menschen) besser zu machen. Wie das aussehen könnte, welche Rolle Funktion und Verfügbarkeit von „Geld“ dabei spielen könnten, davon handeln die letzten 100 Seiten, die mit „Credo der Vernunft“ überschrieben sind.
Für mich ist dieses Buch, das knapp zwanzig Jahre nach der Erstveröffentlichung in einer aktualisierten und erweiterten Ausgabe in Kürze neu erscheinen wird, immer noch das wichtigste unter allen Fachbüchern, die ich bisher geschrieben habe. Lieferbar voraussichtlich ab dem 22. Juni 2023. Ich gebe Bescheid, wenn es soweit ist.