Wenn Demokraten Parteien verbieten

Meine dazu selbst gebildete Meinung

Alleine der Gedanke, eine konkurrierende Partei verbieten zu wollen, ist Zeugnis eines unüberwindlichen Misstrauens gegenüber den Grundsätzen der Demokratie.

Oder was war das sonst, was 1933 als das Gesetz „Gegen die Neubildung von Parteien“ beschlossen wurde, nachdem vorher alle bestehenden Parteien verboten und aufgelöst worden waren?

Man kann darauf reflexhaft mit dem Einspruch reagieren: „Genau deshalb müssen Parteien ja verboten werden können, bevor sie so groß geworden sind,  dass sie andere Parteien verbieten können!“

Doch beißt sich hier die Katze in den Schwanz. Parteien, die das Verbot anderer Parteien durchsetzen können, müssen selbst bereits groß genug geworden sein, um genau jenes einzige Kriterium zu erfüllen, das ein Parteienverbot rechtfertigen könnte.

Nun kennen wir die Argumentation, die verwendet wird, um Parteienverbote zu begründen. Die lautet nämlich: „Verfassungsfeindliche Bestrebungen“.

Nun kann man über den Begriff  der „Verfassung“ in Deutschland trefflich streiten, doch man kommt auch ohne auf Carlo Schmid und seine Erläuterung dazu aus, was das deutsche Grundgesetz im Grunde sei.

Nimmt man an einfach an, dass Grundgesetz sei schon die Verfassung, dann sind darin drei Regelungen zu finden, die herangezogen werden können, um zwischen legalen Veränderungen am Grundgesetz und verfassungsfeindlichen Bestrebungen zu unterscheiden.

  • Artikel 79, Abs. 2: Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates.
  • Artikel 79, Abs. 3: Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.
  • Artikel 146: Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.

Artikel 146 ist dabei der entscheidende Artikel, denn bei ihm handelt es sich um nichts anderes als ein Flutventil, das zum Zweck der Selbstversenkung geöffnet werden kann.

Die Verfassung sagt damit selbst, dass sie eher als Provisorium anzusehen sei, denn als eine in Stein gemeißelte ewige Wahrheit. Sie stellt damit sogar die Ewigkeitsrechte aus 79,3 zur Disposition, sofern das deutsche Volk beschließt, sich eine – auch gänzlich andere – Verfassung zu geben. Es wäre möglich, die Monarchie wieder zu beleben, es wäre möglich, eine kommunistische Räterepublik auszurufen, es wäre möglich, einen islamischen Gottesstaat zu errichten oder eine Diktatur auf Zeit.

Dass seit 1949 nichts dergleichen in die Wege geleitet wurde, und auch 1989 im Zuge des Anschlusses der Neuen Bundesländer an die alte Bundesrepublik kein Anlauf genommen wurde, eine vom Volk beschlossene Verfassung zu errichten, hat zwei gewichtige Gründe:

  1. Das Grundgesetz hat sich, seit seiner Verkündung als ein brauchbares Instrument erwiesen, ein Gemeinwesen wie Deutschland politisch zu organisieren, denn seine Regelungen entsprechen grundsätzlich den  Minimal-Anforderungen an eine demokratische Staatsorganisation und sind darüber hinaus flexibel genug, um im Sinne des 79,2 für erforderlich gehaltene Änderungen an veränderte Gegebenheiten vorzunehmen und selbst Grundrechte auf  einzelgesetzlicher Basis in ihrem Sinngehalt zu verändern, bzw. einzuschränken.
  2. Die politischen Parteien haben sich in den Strukturen des Grundgesetzes wohnlich eingerichtet und wollen daher jegliche Veränderung, die nicht dem eigenen Wunsch und Willen entspricht, mit allen Kräften verhindern. Dabei verlassen sie selbst den festen Boden des Grundgesetzes und begeben sich auf die schwankenden Planken sophistischer Interpretationen, indem sie zum Beispiel unverdrossen behaupten, das Grundgesetz verbiete Volksabstimmungen auf Bundesebene, mit dem Verweis, Artikel 20, 2 stünde im Widerspruch zu anderen, ranghöheren Bestimmungen des Grundgesetzes.

Nimmt man also das Grundgesetz ernst, dann ist der Tatbestand verfassungsfeindlicher Bestrebungen, der ein Parteienverbot begründen könnte,  darin nicht nur nicht zu finden, er ist, wenn auch nur implizit, sogar absolut ausgeschlossen. Das Grundgesetz bestätigt den ausschließlichen Willen des Souveräns, über seine staatliche Ordnung – in freier Selbstbestimmung – zu entscheiden und gibt keinerlei Rahmen vor, dessen Grenzen dabei nicht überschritten werden dürften.

Das ist die gültige Ordnung. Das ist die Ordnung, die über alle Änderungen am Grundgesetz hinweg erhalten geblieben ist.

Nimmt man diese Ordnung ernst, sind die §§ 2 und 2a des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes, sowie die darauf aufbauenden §§ 43 ff als verfassungswidrig einzuschätzen. Daran ändert – gegen den ersten Anschein – auch Art. 21,2 GG nichts, in dem erklärt wird: „Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.“

Der Wortlaut des Artikels 146 besagt nämlich nicht, dass dieses Grundgesetz durch die Verabschiedung einer vom Volk beschlossenen Verfassung  beeinträchtigt oder beseitig wird, sondern dass es, unverändert und unbeeinträchtigt auf regulärem Wege, den eigenen Vorgaben entsprechend außer Kraft treten, also eben gerade nicht beseitigt wird. Die Beseitigung entspräche nämlich dem Eintritt in die Anarchie, die Beeinträchtigung der Herstellung einer partiellen Aufhebung der Ordnung, jeweils ohne dass dem eine neue, andere Ordnung nachfolgen würde. So betrachtet sind Art. 146 und Art. 21,2 konsistent.

Eine Partei, deren erklärte Ziele darin bestehen, die freiheitlich demokratische Grundordnung fortzuentwickeln und dafür, sollte es erforderlich werden, dem deutschen Volk eine neue Verfassung zur Abstimmung vorzulegen, unterscheidet sich nicht von jenen Parteien, die das Grundgesetz seit 1949 mit den erforderlichen Mehrheiten verändern und spätestens seit dem Jahre 2003 darauf abzielen, das Grundgesetz insofern außer Kraft zu setzen, als Deutschland unter Aufgabe seiner Souveränität in einem Zusammenschluss europäischer Staaten aufgehen soll. Dies ist mit dem gescheiterten Versuch, Deutschland unter eine Europäische Verfassung zu stellen, unternommen worden. Dass man seinerzeit nicht darauf bestanden hat, das deutsche Volk nach Art. 146 darüber abstimmen zu lassen, war schlicht und einfach dem Risiko geschuldet, das Volk könnte diese Verfassung ablehnen, und eben wegen dieser Unterlassung selbst ein verfassungsfeindlicher Akt mit dem Ziel, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beseitigen und den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden.

Um das zu illustrieren, habe ich noch einmal tief in meinen Archiven gegraben, und einen Kommentar gefunden, den ich 2004 für das Magazin Matrix3000 verfasst habe.

Darin zu finden diese Passage:

Das Innenministerium der Bundesrepublik Deutschland hat mir auf entsprechende Anfrage mit Schreiben vom 6. Juli 2004 zum voraussichtlichen Erlöschen nationalen Rechts folgendes mitgeteilt:

… Art. 23 GG, der 1992 aus Anlass des Vertrags über die Europäische Union in das Grundgesetz eingefügt wurde (…) ist mit weitreichenden Ermächtigungen ausgestattet. Sie erlauben die Übertragung von Hoheitsrechten, Schaffung und Änderung des primären EU-Rechts sowie auch eine Verfassungsgebung, die die nationale Verfassungslage verändert und die man als verfassungsrelevante Mitgestaltung des primären EU-Rechts bezeichnen kann (…)

Diese Aussage kann nur bedeuten, dass mit der Annahme der EU-Verfassung alle Bestimmungen nationalen Rechts, angefangen vom Grundgesetz bis hin zur letzten, scheinbar unwichtigen Gemeineordnung obsolet werden, soweit sie mit dem dann geltenden EU-Recht nicht vereinbar sind. 

Die wohl folgenreichste Veränderung, die sich für uns Deutsche aus der Unterwerfung unter die Europäische Verfassung ergeben wird, ist das Ende der uns bekannten Form der Demokratie.

Eine Erklärung dafür, dergestalt, mit allen Änderungen am Grundgesetz, und selbst mit dem Versuch, Deutschland unter eine EU-Verfassung zu stellen, für Deutschland stets nur Gutes beabsichtigt zu haben, geht ebenso fehl, wie die Erklärung, die Strebungen anderer, und daher zu verbietender Parteien, würden für Deutschland nur Schlechtes bedeuten.

Es handelt sich um Wertungen, die konkurrierenden Parteien als Meinungsäußerungen zustehen, aber keine Tatsachenfeststellungen sein können.  Folglich kann darüber vom Verfassungsgericht auch nicht entschieden werden, weil die Entscheidung über die grundsätzliche, verfassungsmäßige staatliche Ordnung gem. Artikel 146 GG einzig dem deutschen Volk vorbehalten ist. Parteien die zur Willensbildung des Volkes beitragen, dürfen und sollen sich selbstverständlich daran beteiligen und für Mehrheiten werben. Dass dem ein langer Weg der Vorbereitung und Konsensfindung vorausgehen muss, versteht sich von selbst. Demokratisch gewählte Volksvertreter dürfen davon nicht per Verbot ausgeschlossen werden, und wenn sie noch so verquere Überzeugungen vertreten. Das Volk wird in der Lage sein, das Richtige vom Falschen zu unterscheiden.

Wer diese Mündigkeit des Volkes in Frage stellt, legt Zeugnis ab von einem unüberwindlichen Misstrauen gegenüber den Grundsätzen der Demokratie, das nach dem geltenden Grundgesetz als verfassungswidrig zu betrachten ist, weil damit die freiheitlich demokratische Grundordnung von ihren Grundfesten her ad absurdum geführt wird. Vom Willensbildungsprozess kann und darf er jedoch nicht ausgeschlossen werden, weil 146 GG für die Gestaltung einer vom Volk in freier Selbstbestimmung beschlossenen Verfassung keinerlei Grenzen setzt. Die demokratisch legitimierte Abschaffung der Demokratie zu Gunsten einer anderen Staatsverfassung wäre zulässig, wenn das Volk sich dafür entschiede.