PaD 30 /2023 – Hier auch als PDF verfügbar: Pad 30 2023 Amtseid und Rechtsextremismus
Inzwischen kann jeder, der ein gewisses Maß an politischem Interesse mitbringt, wissen, welches verbalen Kennzeichens einer verbotenen Organisation sich Björn Höcke in geradezu inbrünstiger Weise schon im Jahre 2021 zum Abschluss einer Wahlkampfrede zu Gunsten jener Partei bedient hat, die vom Verfassungsschutz als „Verdachtsfall“ und in Teilen als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft wird.
Es war irgendetwas mit „Deutschland“, und es war weder ein Versprecher, noch ein Hörfehler. Er hat nicht etwa mit dem Satz: „Alice für Deutschland“, für Frau Weidel geworben. Er wollte zum Ausdruck bringen, dass Deutschland mehr, viel mehr als nur Frau Weidel verdient habe, und das war halt zuviel. Es war zuviel, weil das schon einmal, in den Jahren der Dämmerung vor den finstersten Jahren der deutschen Vergangenheit, von der so genannten Sturmabteilung propagiert worden war, einer Organisation, die allerdings schon im Sommer 1934, also noch vor dem Erlass des Reichsbürgergesetzes 1935, noch vor der Olympiade 1936 in Berlin, in einem Putsch von oben – ja, man könnte es „Selbstreinigungsprozess“ der NSDAP“ nennen – enthauptet wurde und danach in ihren Resten bedeutungslos geworden war. Dafür, dass die SA mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 2 verboten und aufgelöst wurde, hat es aber immerhin noch gereicht.
Nun kann man die Aufhebung der Immunität Höckes und die Anklage wegen Volksverhetzung natürlich auf die leichte Schulter nehmen und sich denken, dass dies ja alles nur Teil des Wahlkampfes sei, praktisch nicht mehr als ein Steinquader in der Brandmauer, der sich halt bei gewissenhafter Auslegung der Gesetze habe finden lassen, und dass es sträflicher Leichtsinn wäre, diesen nicht in diese Brandmauer einzubauen, die ja nicht aggressiv gegen das Nachbarhaus gerichtet, sondern lediglich aus Gründen des Selbstschutzes, also vollkommen defensiv hochgemauert werden muss. So gesehen: Nichts Neues unter der Sonne.
Wenn man es sich aber nicht so einfach machen will wie der gemeine Mitläufer, und versucht herauszufinden, was denn da gerade passiert, und wie wohl das Ende aussehen soll, von dem her das gedacht worden sein könnte, dann sieht es so aus, als würde da Stufe für Stufe die Treppe zum Verbotsverfahren erklommen, das, am besten noch vor den entscheidenden Wahlen 2024 in den neuen Bundesländern begonnen, aber frühestens nach den Bundestagswahlen 2025 zu einer Entscheidung gebracht werden soll.
Anders als bei der NPD, die seinerzeit vom Bundesverfassungsgericht nicht verboten wurde, weil sie schlicht und einfach mangels Masse nie und nimmer in der Lage gewesen sein würde, ihre Absichten auch umzusetzen, wäre es – mit Zustimmungswerten um die 20 Prozent – bei Würdigung der Beweislage schwer, diese Partei nicht zu verbieten.
Bedenkenträger werden allerdings – und dies nicht ganz zu Unrecht – einwenden, dass man die AfD so oft und so lange verbieten könne, wie immer man wolle, es würde dennoch nichts daran ändern dass ein wachsender Anteil der wahlberechtigten Bevölkerung – bedrohlich nahe daran, zur stärksten Kraft im Lande zu werden – die Politik der Grünen, und damit die ganze amtierende Regierung, inzwischen glatt ablehnt. Die würden doch nicht reumütig in die Reihen von Union und SPD zurückkehren, sondern sich ein neues Vehikel oppositioneller Natur schaffen oder gar den offenen Aufruhr anzetteln.
Solche, nur in verschwiegendsten Hinterzimmern geäußerte Gedanken, die letztlich die Einladung zu einem schwer zu gewinnenden Zwei-Fronten-Krieg darstellen, werfen natürlich die Frage auf, wie es zu schaffen sei, die beiden Probleme sequentiell, statt parallel anzugehen und aufzulösen. Eine brüske Abwendung der beiden uralten und wie die Flusskiesel längst konturlos glattgeschliffenen Volksparteien von den Grünen wäre – bei aller fortgeschrittenen Verblödung des Volkes – wohl kaum glaubhaft zu vermitteln. Ohne ein äußeres Ereignis von größter Tragweite, das es den alleinigen Nutznießern, SPD und Union, ermöglicht, die Hände in den Wassern reinster Unschuld zu waschen, wäre das nicht zu schaffen. Das Stoßgebet: „Verfassungsschutz hilf!“, könnte aber auch da auf Ohren treffen, die alles andere als taub sind.
Da harrt doch das Problem mit den vergeigten Wahlen in Berlin noch seiner Lösung. Klar, wenn die Wahl nur in wenigen Stimmbezirken wiederholt wird, wie es die Berliner Politik wünscht, dann werden die drei Direktmandate der LINKEn höchstwahrscheinlich bestehen bleiben, und einzig und alleine um diese geht es ja, wenn der Bundestag in seinem Bestand nicht erschüttert werden soll. Was aber, wenn das nun aber doch gewünscht werden sollte?
Der Not gehorchend könnte dann die Wiederholung der Wahl in ganz Berlin angeordnet werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass danach 37 Sitze – möglicherweis auch 38 oder 39 – im Bundestag leer blieben, ist ausgesprochen hoch, und das alleine spräche schon dafür, gleich den ganzen Bundestag aufzulösen und Neuwahlen anzuordnen. Könnte man gleichzeitig noch einen unauflöslichen Streit in der Koalition entfachen, also das, was sich schon abzeichnet, auf die Spitze treiben, wofür es lediglich erforderlich wäre, dass Lindner stur bleibt, und Habeck jene Milliarden verweigert, mit deren Hilfe Habeck glaubt, wenigstens Teile der Industrie in Deutschland halten zu können, dann gäbe es dazu noch einen weiteren Anlass, die Regierung über ein konstruktives Misstrauensvotum zu stürzen und daraus zu vorgezogenen Neuwahlen zu gelangen.
Wäre dann zum Zeitpunkt der Neuwahlen auch noch das Verbotsverfahren gegen die AfD bereits im Gange, würde sich jeder Protest-Wähler dreimal überlegen, wem er seine Stimme gibt, und im besten anzunehmenden Szenario könnte damit die längst herbeigesehnte Rückkehr zum schwarz-rot-gelben Drei-Parteien-System im Bundestag gefeiert werden.
Schlichte Gemüter könnten solche Überlegungen, sollten sie in Partei- und Regierungskreisen tatsächlich stattfinden, was ich keineswegs unterstellen will, voreilig als das Spinnen von Intrigen und das Schmieden von Ränken verdammen, was – bei Unternehmen der freien Wirtschaft – auch schnell einmal die Kartellrechtler auf den Plan rufen könnte.
Es kommt auf den kleinen Unterschied an.
Hier geht es nicht darum, Konsumenten über den Tisch zu ziehen und sich mit vereinten Kräften die Taschen zu füllen, hier handelt es sich um Politik, und Politik ist nach wie vor die Kunst des Möglichen, und Möglichkeiten müssen nun einmal ausgelotet und als Chancen genutzt werden. Schließlich geht es um Deutschland, und soweit die Beteiligten in ihrer Eigenschaft als Bundespräsident, Bundeskanzler oder Bundesminister den Amtseid abgelegt haben, haben sie geschworen, ihre Kraft – also nicht etwa ihre halbe Kraft, auch nicht die für Deutschland zu erübrigende Kraft, sondern ihre ganze Kraft, um nicht zu sagen „alles“, was sie vermögen – dem Wohle des (deutschen) Volkes zu widmen, seinen Nutzen zu mehren und Schaden von ihm abzuwenden.
Tja. Da liegt der Unterschied als gähnender Abgrund offen zu Tage.