Die Zukunft der Nachrichten

Die Auflage der Printerzeugnisse im Markt der Nachrichten, Meinungen und Kommentare schrumpft beständig. Dies führt zu einem Konzentrationsprozess im Zeitungsgeschäft, bei dem Synergieeffekte dadurch  freigesetzt werden, dass immer mehr Blätter mit nahezu identischem redaktionellen Inhalt erscheinen, die sich nur noch im Titel und in den regionalen Anzeigenteilen unterscheiden. Die Arbeit der Nachrichtenagenturen gewinnt damit an Bedeutung, die Arbeit vieler Journalisten wird durch die immer weiter um sich greifende, unbearbeitete  Übernahme der Agenturtexte überflüssig. Der wirksame Effekt für die Verlage: Die Zahl der zu bezahlenden Reporter und Redakteure sinkt deutlich, während Teile der regionalen Werbeeinnahmen noch gehalten werden können, weil – vor allem Abonnenten – sich über die Todesanzeigen informieren wollen, an welchen Beerdigungen sie teilnehmen sollten und sich damit eine Reichweite darstellen lässt, die die Werbetreibenden bei der Stange hält.

Gegen die punktgenau personalierten Werbeaktionen, denen jeder Internetuser ausgesetzt ist, der nicht peinlichst darauf achtet, alle angebotenen Cookies abzulehnen und möglichst nur noch über VPN ins Netz geht, hat der gedruckte Werbeträger aber eigentlich heute schon kaum noch eine Chance. Was nützt die schönste vierfarbige Doppelseite im Stern schon noch, wenn die verkaufte Auflage inzwischen bei nur noch 310.000 Exemplaren angekommen ist – nach 1.9 Millionen die zu besten Zeiten (1967) erreicht wurden. Bei den Tageszeitungen hat sich die verkaufte Auflage von 2000 bis 2020 von 28,3 auf 14,2 Millionen halbiert – und dass der Sinkflug damit ein Ende habe, kann nicht angenommen werden.

Das Zeitungssterben vollzieht sich schneller als der Klimawandel, allerdings unter  weit weniger Wehgeschrei. Dabei verändert sich unmerklich auch die Qualität der Inhalte, was direkt damit zusammenhängt, dass inzwischen einfach die Manpower in den Redaktionen fehlt, um in allen Themenbereichen überhaupt noch eigene Recherche betreiben und damit das eigenständige Profil des Blattes erhalten  zu können.

Der Versuch der Verlage, sich im Internet zu präsentieren und dort Werbeeinnahmen zu generieren, der damit begonnen hat, dass praktisch die vollständige Ausgabe kostenlos ins Netz gestellt wurde, ist inzwischen in einen – meines Erachtens nach selbstmörderischen – Wettlauf um die höchsten Bezahlschranken umgeschlagen. Kaum jemand kann es sich leisten, für alle Online-Ausgaben ein eigenes Abo abzuschließen, zumal es ja in den meisten Fällen nur darum geht, in unregelmäßigen Abständen einen Artikel einer bestimmten Publikation nach dem Teaser zu Ende zu lesen. Ich merke das sehr deutlich bei meiner Arbeit für die Dokumentation der Arbeitsplatzvernichtung „Jobwunder Deutschland“. War es vor Jahren die Ausnahme, dass in einem Artikel über eine Insolvenz oder eine Kündigungswelle nicht die Zahl der betroffenen Arbeitsplätze angegeben wurde, kommt es inzwischen bei fast jeder zweiten Meldung dazu, dass der Artikel, den ich zuerst dazu finde, diese für mich wichtige Information hinter der Bezahlschranke versteckt, wobei nicht sicher ist, dass sie dort auch zu finden sein wird. Ich suche also weiter nach dem betroffenen Unternehmen, und wenn es groß genug ist, findet sich irgendwo auch ein zweiter oder dritter Artikel, mit den gewünschten Informationen. Oft – und dann heißt es bei mir „geschätzt“ – versuche ich mir aus Sekundär-Informationen, wie Branche, Tätigkeitsgebiet, machmal aus den mitgelieferten Fotos, die einen Eindruck vom Firmengelände geben, oder  durch die Suche bei der Auskunftei North Data Informationen über Mitarbeiter (selten), oder die zuletzt angegebenen Personalkosten, Umsätze oder Gewinne zu finden. Für Bankfilialen habe ich einen Standardwert pro Filiale, bei Kliniken steht die Bettenzahl, so sie genannt wird, in einer ziemlich klaren Relation zum Personalbestand, aber wenn ein Online-Portal, das sich auf den Versand von Balkonblumen spezialisiert hat, Insolvenz anmeldet, schätze ich auf einer verdammt kleinen Informationsbasis.

Das trifft aber nicht nur mich. Die so genannte Blogger-Szene, deren Mitglieder ja nur in seltenen Fällen in der Lage sind, selbst weitreichende Recherchen „vor Ort“ und „mit dem Ohr am Puls der Zeit“ durchzuführen, tritt ja als „Zweitverwerter“ von Informationen in Erscheinung und reichert die in allen Arten von Medien aufgefundenen, interessant erscheinenden Informationen dann mit dem an, was weitere, eigene Recherchen im Internet ans Licht bringen, und natürlich auch mit eigenen Bewertungen, die sich irgendwo im Spannungsfeld zwischen Meinung und Verschwörungstheorie bewegen.

Wenn auch diese Szene inzwischen weitgehend in die Schuhe der alten, investigativen Journalisten geschlüpft ist, die Möglichkeiten sich über das hinaus zu informieren, was der geschrumpfte Journalismus der Tages- und Wochenzeitungen sowie der Magazine und Journale liefert, sind einigermaßen begrenzt. Es fehlt am zuarbeitenden Team, und daher an der Zeit, es fehlt den überwiegend sich mit Werbeklicks und Spenden finanzierenden Idealisten am Geld, und daher an der Chance, vor Ort zu recherchieren. Von daher teilt sich diese Szene in zwei erkennbare Gruppen, nämlich diejenige der Generalisten, die in der Lage sind, eine sehr große Bandbreite von Themen mit ihrem vorher angesammelten Wissen – und manchmal einem elefantenartigen Gedächtnis – zu behandeln, und die Gruppe der Generalisten, die sich auf ein schmales Spezialgebiet, wie zum Beispiel das Geldsystem und seine anstehenden „Verwandlungen“, oder auf die Folgen der Covid-Pandemie spezialisiert haben und die diesbezüglichen Informationen in der Tiefe des Netzes abgrasen und an die Öffentlichkeit heben.

Ohne einem derer, die hier ihr Bestes geben, zu nahe treten zu wollen: Ein neuer Seymour Hersh wird aus dieser Szene kaum hervortreten, und falls doch, wird er aller Wahrscheinlichkeit nach für die breite Öffentlichkeit unsichtbar bleiben. Auch der beste Artikel mit der größten Sprengkraft – wie zum Beispiel Tichys Recherchen zu den Unregelmäßigkeiten bei der Wahl in Berlin (Senat und Bundestag) – findet sich heute eben nicht mehr am Morgen in Millionen von Briefkästen und an allen Kiosken, wo er praktisch von niemandem ignoriert werden konnte, sondern bestenfalls  auf einer Seite, die täglich, wenn es hochkommt, auf die von Similarweb gezählten 60.000 Besuche (nicht Besucher, das sind weniger)  kommt, wie die „Nachdenkseiten“, oder auf knapp 200.000 Besuche täglich, wie „Tichys Einblick“, aber damit ist dann auch schon das Ende der Fahnenstange erreicht.

Dabei handelt es sich bei den beiden genannten Seiten bereits um einen Teil jener Entwicklung, die durch Zusammenschlüsse von Autoren und redaktionsähnliche  organisatorische Strukturen gekennzeichnet ist. Rubikon gehört da ebenso dazu wie die Neugründung Nius, mit dem Zugpferd Reichelt, auch Achgut mit Broder gehört dazu, doch allen Genannten  und auch den hier Ungenannten ist gemeinsam, dass die Zahl der pro Anbieter täglich neu erscheinenden Artikel sich im Bereich von 1 bis maximal 10 bewegt. Nichts im Vergleich zur Zahl der redaktionellen Artikel, die gedruckte Tagszeitungen wie die Welt oder FAZ anbieten.

Dass es sich dabei zumeist um sehr pointiert kritisch geschriebene Artikel handelt, die oft mehr als nur einen Finger in die jeweilige Wunde legen, ändert aber nichts daran, dass der Ausschnitt aus dem Spektrum der wichtigen und interessanten Informationen, der darin überhaupt abgebildet werden kann, sehr klein ist. Wobei noch hinzukommt, dass vor allem unter den oben angesprochenen Generalisten die Redundanz bei den aktuell behandelten Themen recht hoch ist.

Damit soll das Dilemma für heute ausreichend ausgeleuchtet sein.

Das Fazit ist nicht berauschend.

Die Arbeit im Bereich der originären Nachrichtengewinnung verlagert sich immer stärker zu den Nachrichtenagenturen, während die Redaktionen der großen Printmedien ganz erheblich ausgedünnt worden sind. Die Auflagen dieser Printmedien sind mit der Verbreitung des Internets gesunken, das heißt, immer weniger Menschen informieren sich umfassend aus einer oder zwei Tageszeitungen, was natürlich auch mit dem inzwischen schlechten Ruf der so genannten „Lückenpresse“ zusammenhängt. Die Online Portale der Printmedien verstecken immer mehr Inhalte hinter Bezahlschranken, was sie für den Großteil derjenigen, die ihre Informationen überwiegend aus dem Internet beziehen, unzugänglich macht.

Aus Agentur- und Zeitungsmeldungen erarbeiten die Zweitverwerter der Bloggerszene ihre Informations- und Meinungsbeiträge, die selbst dort, wo sich Autoren schon zu verlagsähnlichen Organisationen zusammengeschlossen haben, mit ihren vergleichsweise wenigen täglich veröffentlichten Artikeln nicht an die Reichweite herankommen, die erforderlich wäre, um damit eine in der Breite der Bevölkerung wirksame „Gegenöffentlichkeit“ zu schaffen.

Ich glaube feststellen zu können, dass der Informationsstand in der Breite der deutschen Bevölkerung heute schlechter ist als in den siebziger und achtziger Jahren. 

Ursachen sind, dass es zwischen den etablierten Verlagen mangels investigativer Journalisten keinen wirklichen Wettbewerb um die Nachrichten mehr gibt, sondern nur noch um die letzten Werbekunden, und dass jene, die versuchen, dem als Blogger oder alternative Online-Redaktionen aufklärend entgegenzutreten, einfach nicht an die Reichweite und Akzeptanz herankommen, die erforderlich wäre. Das übrigens nicht nur, weil den meisten dieser alternativen Medien reflexartig das Etikett „rechts“ und „Verschwörungstheoretiker“ angehängt wird, sondern weil die Geschäftsmodelle das  erforderliche Wachstum nicht finanzieren können.

Widerspruch erwünscht!