AfD in Katharsis

Die Berichte vom Landes-AfD-Parteitag 2019 in Heidenheim erinnern an die Zerreißprobe der Grünen, als Realos und Fundis mit unnachgiebiger Härte um die Vormacht rangen. Was in den 80er Jahren Otto Schily  und Jutta Dithfurt bei den Grünen waren, das sind heute Jörg Meuthen und Björn Höcke bei der AfD.

Wie sich die Grünen weiterentwickelt haben, wissen wir. Die Realos haben das Ruder an sich gerissen und in immer mehr Koalitionen in den Ländern und schließlich auch im Bund das Regierungsgeschäft, mit allen seinen hässlichen Randbedingungen erlernt. Das heißt, um ihre Projekte zu ermöglichen, mussten sie jede Menge fremde Kröten schlucken, während sich die etablierten Parteien mehr und mehr ökologische Kompetenz zuschrieben und die Grünen damit fast wieder von der Bildfläche verdrängt hätten. Die alten Öko-Fundamentalisten der Grünen sind inzwischen in der Partei nicht mehr wahrnehmbar, dafür haben sich neue, in meinen Augen gesellschaftsschädliche, extrem fundamentalistische Postionen durchgesetzt, die von Gender-Mainstream, maximaler Minderheitenbetüttelung über die absolut gesinnungsethische Zuwanderungseuphorie bis hin zu irrationaler CO2-Panikmache reichen.

Wie sich die AfD weiterentwickeln wird, steht noch in den Sternen, ich wage heute dennoch eine vorsichtige Prognose.

Gründervater Lucke hatte seine neokonservative Programmatik keineswegs aufgegeben, als er die AfD ins Leben rief, er lehnte nur bestimmte Aspekte der Globalisierung ab, vor allem jedoch das Eingebundensein Deutschlands in EU und Euro und forderte massive Reformen der EU, um die Milchkuh Deutschland nicht länger den Melkmaschinen der übrigen Mitglieder zu überlassen. Dass darüberhinaus von der AfD gesellschafts- und vor allem sozialpolitische Impulse ausgegangen wären, war zunächst nicht zu erkennen.

Doch die damit ertönenden Fanfaren einer Besinnung auf nationale Interessen fand selbstverständlich überall im Lande Gehör, wo die Patrioten aller Schweregrade verzweifelt eine Heimat und einen Wirkungskreis suchten. Das Formelpaar: „Globalisierung = Ausbeutung, Nationalstaat = Wohlstand und Sicherheit“, bewirkte in der Parteiführung eine gewisse Zuneigung zum Prekariat, zu den Abgehängten, den Globalisierungsverlierern, weil diese als mächtige Wählermasse erkannt  wurden. Als Lucke als Parteivorsitzender abgewählt wurde und aus der Partei austrat, war deutlich geworden, dass die Neocons in der AfD auf der Verliererseite standen.

Der Zeitgeist, der bald darauf auch Donald Trump das Präsidentenamt der USA bescherte, weil überall auf der Welt die Folgen des ruinösen Wettbewerbs aller Beschäftigten aller Länder gegen alle Beschäftigten aller anderen Länder trotz massiver gegenteiliger Medienarbeit nicht mehr zu vertuschen waren und die Erinnerung an die Behaglichkeit im eigenen, nationalen Haus, dessen Türen für Kapital, Waren, Dienstleistungen und Menschen zu öffnen und zu schließen den Bewohnern noch selbst vorbehalten war, hatte in der AfD ihren – in Deutschland – einzigen Protagonisten gefunden.

Die Wählerstimmen kamen dann mit Merkels Grenzöffnung, zum Teil aus den genannten, eher wirtschaftlichen Überlegungen heraus, zu einem anderen Teil aber auch wegen der Sorge um Überfremdung, um den Verlust der Identität und nicht zuletzt aus Angst vor islamistischem Terror.

Da Regierung und die im Bundestag vertretene Opposition außer Sprechblasen nicht die geringsten Anstalten machten, der Zuwanderung Schranken zu setzen, sondern sogar noch maßgeblich an der Gestaltung des UN-Migrationspaktes mitwirkten, und tatsächlich eine Vielzahl von Gewalttaten von „Männern“ und „Gruppen“ zu verzeichnen war, wurde die Fraktion der Zuwanderungsgegner immer stärker, wobei auch fremdenfeindliche Ressentiments immer offener formuliert und ausgedrückt wurden.

Das brachte die AfD in den Bundestag.

Ohne Zuwanderung gäbe es meiner Einschätzung nach heute keine AfD im Bundestag und auch keine nennenswerten Fraktionen in den Landtagen, nicht einmal in Sachsen. Ich gehe noch einen Schritt weiter und behaupte: Hätte Horst Seehofer sich seinerzeit gegen Angela Merkel durchgesetzt und der Zuwanderung einen vernünftigen gesetzlichen Riegel vorgeschoben und die Grenzen nicht nur symbolisch an wenigen Übergängen, sondern rundum überwachen lassen, die Stimmen für die AfD wären, zumindest in Bayern, an die CSU gegangen und die Wut der Wähler wäre soweit gedämpft gewesen, dass die Nichtwähler Nichtwähler geblieben wären und die gemäßigt Konservativen sich doch wieder für die Union entschieden hätten.

Angela Merkels immer noch  vollkommen unverständliches „Augen zu und durch – wir schaffen das!“, hat die starke AfD erst hervorgebracht.

Die steht jetzt im Bund, wie in ihren Landesverbänden vor schwierigen Entscheidungen. Der rechte „Flügel“ um Höcke verweist auf die Fakten und sieht nationale Interessen vom Standpunkt eines von Kultur und gemeinsamen Werten geprägten deutschen Volkes, dessen „Daseinsberechtigung“ in nichts hinter der Daseinsberechtigung des Staates Israel zurückstehen soll. (Der Vergleich ist absichtlich so prägnant gewählt.) Die wirtschafts- und sozialpolitische Komponente wird dabei oft nur als Kulisse für angsterregende Szenarien verwendet, ohne konkrete zukunftsweisende, zielorientierte Argumente vorzutragen.

In dieser fundamentalistischen Grundhaltung ist auch die Verweigerung von Kompromissen angesiedelt, was die AfD auf nicht absehbare Zeit als Oppositionspartei von Regierungsarbeit fern halten würde. Diese Grundhaltung wird allerdings dadurch unterstützt, dass alle anderen Parteien jegliche Zusammenarbeit mit der AfD rundweg ablehnen, also – auf Basis der Argumentationslage – eine Regierungsmitarbeit sowieso nur mit einer ausreichenden eigenen Mehrheit möglich wäre. Warum sich also anpassen?

Die Realpolitiker, zu denen ich neben Gauland und Meuthen durchaus auch Frau Weidel zähle, wollen jedoch so schnell wie möglich in Regierungsverantwortung eintreten und setzen sich daher dafür ein, alle „rechten“ Ecken und Kanten der Partei möglichst schnell und ohne Rücksicht auf  Verluste abzuschlagen und schrecken vor Parteiausschlussverfahren nicht zurück. Insofern war der von den Etablierten ausgeheckte und erst nach Maaßens Rausschmiss möglich gewordene „Prüffall“ ein genialer Schachzug, denn damit wurde die Zwickmühle eröffnet, in der sich die AfD heute befindet.

Verhält sie sich, wie beabsichtigt, extrem vorsichtig, fallen ihr weite Teile der Wähler ab, so wie sie in Bayern von der CSU abgefallen sind, weil Seehofer nicht Wort gehalten hat. Bleiben sie bei ihrer harten Haltung mit Höcke-Diktion, lässt sich alle vierzehn Tage eine Verfassungsschutz-Sau durchs Dorf treiben, was die gemäßigten Wähler verschrecken wird. Spalten sie sich auf, droht beiden Splittern über kurz oder lang das Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde.

Was also tun?

Sollte es der AfD gelingen, alle von ihr vertretenen Positionen primär mit wirtschafts- und sozialpolitischen Argumenten zu hinterlegen, die es ja gibt, und deren Stärke die pauschalen Vorwürfe ihrer Gegner – von Fremdenhass bis Nazitum – durchaus entkräften könnte, dann hat sie Chancen sowohl bei der Wahl zum EU-Parlament als auch bei den heuer anstehenden Landtagswahlen gute Ergebnisse einzufahren.

Ob sie ein entsprechendes Programm vorlegen und die Mehrzahl ihrer Protagonisten sowohl auf die gemeinsamen Ziele als auch auf die gemeinsame Argumentation einschwören kann, wird sich bald zeigen.
Sollte das Gelingen, werden sich die Agitatoren vom radikalen Rand von selbst mit mehr oder minder lautem Knirschen verabschieden, ohne dabei jedoch allzugroße Kratzspuren in der Wählerzustimmung zu hinterlassen.

Gelingt dies nicht, bleibt die Zwickmühle so lange geöffnet, bis nur noch drei eigene Steine auf dem Brett liegen. Das ist zwar beim Mühlespiel nicht zwingend das Aus, aber die Chancen, noch zu gewinnen, sind doch eher gering.