Neue Stellen – soweit das Auge reicht

In der DDR, so erzählte man es sich unter Wessis bis 1989, herrsche Vollbeschäftigung. Jeder Mann, jede Frau, wirke mit Eifer an der Planerfüllung mit, selbst dann, wenn die Maschine kaputt ist oder das Material und die Werkzeuge fehlen, wird am Arbeitsplatz ausgeharrt, bis die Zeiten wieder besser werden.

Mit staatseigenen Betrieben war es halt relativ einfach, Vollbeschäftigung zu simulieren, und ob man nun die funktionierende Betriebsorganisation nutzt, um Löhne zu zahlen, oder eine zusätzliche Organisation aufbaut, die für die Alimentierung der Arbeitslosen zuständig ist, spielte da im Grunde keine Rolle.

Nun haben wir im wiedervereinigten Lande seit ungefähr Mitte letzten Jahres einen Konjunktur-Einbruch zu verzeichen, der mich vor knapp einem Jahr veranlasste, wieder einmal festzuhalten, wie es um die Beschäftigungssituation aussieht, deren Abstand von der Vollbeschäftigung sowieso schon recht groß geworden war.

Bis gestern hatte ich da an 354 Kalendertagen immerhin 933.707 Jobs notiert, deren Streichung angekündigt oder schon vollzogen wurde, bzw. die durch eine Insolvenz ernsthaft bedroht wurden. Das ist mit einem nicht unerheblichen Recherche-Aufwand verbunden. Ich schlage mir halt mit einem Sack voller Suchbegriffe eine Schneise in die aktuellen Nachrichten, finde aber, neben den Stellenstreichungen immer auch Meldungen, mit denen neue Stellen angekündigt werden – und manche meiner Leser fragen immer wieder nach, warum ich nicht neue Stellen und verlorene Stellen saldiere, das gäbe doch einen besseren Überblick.

Was dabei herauskäme, würde ich es tun, will ich heute einmal kurz illustrieren, indem ich die aktuellen, bei Google zu findenden Meldungen über „neue Stellen“ hier aufliste.

Wo werden neue Stellen angekündigt  VEB
Öffentlicher Dienst
 Produktive Privatwirtschaft
Gesundheitsämter bundesweit 5000
Justizbehörden Niedersachsen 26
Idar-Oberstein, Stadtverwaltung (für Langzeitarbeistlose) 8
Grevenbroich, Jugendamt 8
Katjes, Emmerich 40
Landshut, Schuldienst, neue Lehrer 61
Gronau, Schuldienst, für Digitalisierung 2
Amazon, Deutschland 2000
Bayern, „Virusjäger“ in den Landratsämtern 700
Ciclo, E-Bikes, München 4
Wohnämter Berlin (von 2010 bis 2020 von 202 auf 324) 122
Polizei Hamburg, zur Bekämpfung der „Hasskriminalität“ 50
Justizbehörden NRW, Staatsanwälte 5
Osnabrück, Schulsozialarbeiter 5
Polizei Augsburg (… mehrere Hundert …) ~300
BMW Leipzig 300
Erwin Müller, Buttenwiesen, Versandhaus 30
Kaiserslautern, Stadtverwaltung 109
Roche, Penzberg, Pharma 130
Polizeipräsidium Wuppertal 10
Saarland, Polizei, Verfassungs- und Staatsschutz 32
Saarland, Justiz 73
Saarland, Schuldienst 351
Barnim, Jugendamt 5
Esslingen, Stadtverwaltung 136
Minden, Polizei 6
Bayern, Polizei (ohne die mehreren Hundert von Augsburg) 3088
Wuppertal, Ausländer- und Einwanderungsbehörde 3
Hessen, Schuldienst 900
Bund, BKA und Verfassungsschutz 600
Kreis Sigmaringen, Fachbereich Gesundheit 2
Bahn 5000
Summe aus den ersten 100 Suchergebnissen
etliche Meldungen sind natürlich mehrfach aufgetreten
13.511 2.504
Minus Amazon, denn die 2000 Stellen haben im stationären Einzelhandel garantiert mehr Stellen gekostet als Amazon aufbaut -2000
Minus Erwin Müller, das ist nämlich „Amazon in klein“ -30
Verbleiben 13.511 474

Ich bin mir nicht sicher, ob das Steueraufkommen der 40 Süßwarenhersteller bei Katjes, der 4 E-Bike-Monteure bei Ciclo, der 300 BMW-Beschäftigten und der 130 Pharmazie-Angestellten ausreichen wird, um 13.511 künftige Staatsdiener im VEB Öffentlicher Dienst zu entlohnen.
(Die Bahn ist ja auch noch vollständig im Eigentum des Bundes)

Dass es über 400 neue Stellen im Schuldienst geben soll, gehört durchaus zu den Maßnahmen, die ich begrüße.

Aber 4.280 zusätzliche Stellen bei Polizei, Verfassungsschutz und Justiz?
Da frage ich mich schon, woher die zusätzliche Kriminalität und die daraus resultierende zusätzliche Belastung der Justiz wohl kommt.

Tut mir leid, aber die meisten der versprochenen, angekündigten, teils auch schon bewilligten neuen Stellen schaffen keine Werte, keinen zusätzlichen Wohlstand: Sie kosten bloß Geld.

Geld, das eingesetzt wird, um die Folgen von Fehlentwicklungen zu bewältigen, die sehenden Auges politisch so gewollt waren – und sind.

Geld, das zudem nur über Neuverschuldung beschafft werden kann.

Bevor Sie mich also das nächste Mal bitten, doch Arbeitsplatzverluste und neue Stellen zu saldieren, werfen Sie noch einmal einen Blick auf diesen Beitrag – oder gehen Sie selber mal eine Stunde lang mit der Option „News“ googeln, nach „neue Stellen“ oder „neue Arbeitsplätze“ oder „schafft Arbeitsplätze“.