Gerichtsfest gesichert verdächtig

Was ist es anderes als eine Verschwörungstheorie?

Gut, inzwischen heißt es Verschwörungs-Erzählung. Eine Theorie wäre ja immer noch eine Theorie, die versucht, die Lücken zwischen Fakten zu schließen. Allerdings gefällt mir der Begriff der Verschwörungs-Erzählung im Zusammenhang mit der Erzählung vom rechtsextremistischen Verdachtsfall auch recht gut. Es liegen schließlich keine Fakten vor. Genauer gesagt, die behaupteten Fakten werden nicht öffentlich vorgelegt. Es handelt  sich um Informationen, die – wie es heißt – zunächst aus öffentlich zugänglichen Quellen so lange gesammelt wurden, bis sich bei entsprechend  zielführend  gerichteter Interpretation daraus ein Verdacht ergeben hat. Dieser Verdacht berechtigt nun zur Ausforschung mit geheimdienstlichen Mitteln, und was diese geheimdienstlich zusammengetragenen Informationen betrifft, hat sich daraus noch nichts ergeben, was beweiskräftig wäre. Schließlich hat das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in Münster nur bestätigt, was das Verwaltungsgericht Köln im März 2022 bereits befunden hat: Es besteht der Verdacht, und zur Erhärtung des Verdachts dürfen daher weiterhin geheimdienstliche Mittel genutzt werden.

Um welchen Verdacht handelt es sich dabei eigentlich?

Es handelt sich um den Verdacht des „Rechtsextremismus“.

Was Rechtsextremismus ist, weiß noch nicht einmal die ziemlich linke Wikipedia zweifelsfrei zu benennen. Es heißt da, einleitend, unter „Begriff“:

Der Begriff enthält eine inhaltliche – politisch „rechts“ stehend – und eine formale Komponente – Extremismus. Beide Bestandteile sind nicht eindeutig und unterliegen der Kritik.

Und weiter heißt es, unter „Hauptmerkmale“:

Rechtsextremismus ist eine Sammelbezeichnung für Ideologien, deren gemeinsamer Kern die Überbewertung der ethnischen Zugehörigkeit, die Infragestellung der Gleichheit aller Menschen sowie ein antipluralistisches und autoritär geprägtes Gesellschaftsverständnis ist. (…) Zu den strukturellen Merkmalen des Rechtsextremismus zählen Dogmatismus, Sendungsbewusstsein und ein ausgeprägtes Schwarz-Weiß-Denken. Im politischen Stil lässt sich eine Gewaltlatenz und Gewaltakzeptanz erkennen, die ihren Ausdruck vor allem in verbalen Angriffen auf politische Gegner und Andersdenkende findet.

Also: Nichts Genaues weiß man nicht.

Denkt man den Wikipedia-Eintrag ein kleines bisschen weiter, ist man vor Überraschungen nicht sicher. Wo finden sich unter den deutschen Parteien die strukturellen Merkmale des Rechtsextremismus in besonders auffälliger Form? Wo sind Dogmatismus, Sendungsbewusstsein und ausgeprägtes Schwarz-Weiß-Denken praktisch der Markenkern? Mir fallen da spontan die Grünen ein. Deren Kampf gegen das Klima, dem die wirtschaftliche Grundlage der Repulik bedingungslos geopfert wird, ist doch Dogmatismus, Sendungsbewusstsein und Schwarz-Weiß-Denken in Reinkultur! Dass daneben Gewaltlatenz und Gewaltakzeptanz vorhanden sind, lässt  sich auch kaum bestreiten, betrachtet man das Verhalten der Grünen in Bezug auf die gewaltbereite Antifa und deren Vorgehen gegen den politischen Gegner.

Allerdings reicht diese durchaus extremistische Gesinnung bei weitem nicht aus, um daraus schon Rechts-Extremisus abzuleiten. Dagegen grenzen sich die Grünen deutlich ab, indem sie die ethnische Zugehörigkeit nicht etwa überbewerten, sondern – ebenso extremistisch – als absolut irrelevant ansehen, indem sie alle Unterschiede, bis hin zum biologischen Geschlecht, zwischen den Menschen leugnen, andererseits aber bis zum Exzess die moralische Verwerflichkeit kultureller Aneigung anprangern, also Pluralismus und Antipluralismus unter dem Dach einer Ideologie in friedlicher Koextistenz zusammenführen. Dass es bei den Grünen kein autoritär geprägtes Gesellschaftsverständnis gäbe, ist beim besten Willen auch nicht festzustellen. Es genügt, Cem Özdemir und Anton Hofreiter eine Weile zuzuhören, um den autoritären Anspruch der Partei kennenzulernen, wie er sich in milder ausgeprägter Form auch bei Annalena Baerbock (egal, was meine Wähler denken) noch feststellen lässt.

Warum das Bundesamt für Verfassungsschutz die Grünen nicht als linksextremistischen Verdachtsfall einstuft, erschließt sich dem neutralen Beobachter beim Vergleich „Bündnis 90 Die Grünen“ mit der „Alternative für Deutschland“ nicht. Auch hier ist der Weg zum „Verdachtsfall“ nicht weit. Aber es handelt sich dabei nicht um einen rechts- oder linksextremistischen, sondern um einen parteilichkeitsextremistischen Verdachtsfall, auch wenn es den, wegen der Blindheit des Verfassungsschutzes für das eigene Agieren natürlich gar nicht geben kann.

Von dieser Warte aus wird das Spiel mit der Verschwörungserzählung vom rechtsextremistischen Verdachtsfall allerdings schon zum absurden Theater.

Das deutsche Grundgesetz ist eine ausgesprochen liberale Grundordnung, in dem Sinne, dass das Grundgesetz weder links- noch rechtsextremistische Bestrebungen verbietet. Selbst die jüngst in Hamburg vorgetragene Forderung nach der Errichtung des Kalifats in Deutschland ist, so haben wir es erfahren, von der Meinungsfreiheit gedeckt.

Pointiert vorgetragen hat das insbesondere der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Dirk Wiese, der erklärte: „Die Forderung, den Ruf nach dem Kalifat strafbar zu machen, klingt knackig, ist es aber bei näherer Betrachtung mitnichten und zeigt die ganze Hilflosigkeit der Union. Es gibt nämlich einen bunten Strauß ähnlich obskurer Forderungen beispielsweise von rechts außen. So fordern manche Verwirrte die Abspaltung Sachsens und die Wiedereinsetzung eines Königs. Andere schwadronieren wie Höcke von einem Führerstaat. Das ist dummes Geschwätz, aber nicht strafbar. Tatsächlich gehört die mögliche Konfrontation mit beunruhigenden Meinungen zum freiheitlichen Staat, den wir ja schützen wollen, dazu – auch wenn sie in ihrer gedanklichen Konsequenz gefährlich sein könnten und selbst wenn sie gegen die geltende Ordnung gerichtet sind.“

Aha. So sieht man das in der Partei, die auch die Innenministerin stellt, die wiederum gegenüber dem Bundesamt für Verfassungsschutz weisungsbefugt ist. Umso verwunderlicher, dass im Rechtsstaat, in dem jeder so lange als unschuldig gelten sollte, bis der Beweis der Schuld erbracht ist, schon wieder die Rufe aus dem ganzen linken Lager laut werden, jetzt aber müsse die AfD verboten werden. Auf den bloßen Verdacht hin, diese Partei könnte rechtsextremistisch sein.

Da fragt man sich, was wohl so schwer daran sein könnte, im Grundgesetz und in den Veröffentlichungen des Bundesverfassungsgerichts nachzulesen, was wirklich Grundlage eines Parteiverbotsverfahrens ist, bevor der Mund voller Unkenntnis peinlich weit aufgerissen wird.

Grundsätzlich gilt: Extremismus, gleichgültig ob von rechts oder links, ist per se noch nicht verfassungswidrig.

Zumal es eine eindeutige Definition von Extremismus nicht gibt. Es ist der Zeitgeist, der den Extremismusvorwurf gegen diejenigen erhebt, die ihm – aus welchen Gründen auch immer – nicht folgen wollen. Der Zeitgeist wiederum ist fluid.  Von der Strafbarkeit der Homosexualität in Deutschland bis zu den Straßenfesten der Schwulen, Lesben, Bi- und Transsexuellen hat es  so lange nicht gedauert, vom Radikalen-Erlass von 1972 bis zur Durchdringung des Staates mit linken Ideologen als Ergebnis des Marsches durch die Institutionen ist ebenfalls nicht viel Zeit vergangen – und der Verfall dessen, was einst als stabiles Parteiensystem galt, mit zwei Volksparteien und einem Zünglein an der Waage bis zur heutigen Zusammensetzung des Bundestages, ist auch recht schnell vonstatten gegangen.

Dies alles, das jeweils Eine und sein Gegenteil, hatten Grundgesetz, Verfassungsgericht und Verfassungsschutz zugelassen, weil es nicht verfassungswidrig gewesen ist.

Was verfassungswidrig wäre, besagt nämlich vollständig und abschließend Art 20 Grundgesetz, mit diesem Wortlaut:

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Art 20

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

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In Bezug auf die Parteien erläutert das Grundgesetz in Art. 21 Abs. 2: „Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.“

Alles was innerhalb der Absätze 1 bis 3 an Gestaltungsmöglichkeiten denkbar ist, ist verfassungskonform, selbst dann, wenn dazu die Änderung anderer Bestimmungen des Grundgesetzes erforderlich wäre.

Wessen wird die AfD nun eigentlich verdächtigt?

  • Ist die AfD bestrebt, die Volkssouveränität (20,2) und damit die Demokratie (20,1)  aufzuheben?
  • Ist die AfD bestrebt, den Föderalismus (20,1 – Bundesstaat) auszuhebeln?
  • Ist die AfD bestrebt, den sozialen Charakter der Republik aufzugeben?
  • Ist die AfD bestrebt, die Bindung der Gesetzgebung an die Verfassung, die Bindung von Exekutive und Judikative an Recht und Gesetz aufzulösen?

Der rechtsextremistische Verdachtsfall ist das Ergebnis von Verdächtigungen. Gerichte, die einen Verdächtigen auf bloßen Verdacht hin verurteilen, bewegen sich außerhalb dessen, was ich unter Rechtsstaat verstehe. Von daher halte ich ein Parteiverbotsverfahren gegen die AfD so lange für aussichtslos, wie keine Beweise für die Verfassungswidrigkeit vorgelegt werden. Die Verdachtsgrundlagen, von denen ein bisschen etwas durchgesickert ist, sind alles  andere als Beweise.

Betrachten wir  noch einmal die Aussagen des stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Dirk Wiese, der erklärte: „Die Forderung, den Ruf nach dem Kalifat strafbar zu machen, klingt knackig, ist es aber bei näherer Betrachtung mitnichten. (…)  Andere schwadronieren wie Höcke von einem Führerstaat. Das ist dummes Geschwätz, aber nicht strafbar.“

Sollte es wirklich dummes Geschwätz sein, und wäre es verfassungswidrig, einen Führerstaaat zu errichten, wenn es dazu ernsthafte Bestrebungen gäbe?

Was ist denn ein „Führerstaat“? Sind die USA oder Frankreich etwa keine „Führerstaaten“? Es ist doch nur das dumme Wort „Führer“, das hier eingesetzt wird, um die Machtfülle eines demokratisch gewählten Präsidenten zu desavouiren.

Klar, dazu müsste man sehr viel am Grundgesetz ändern, oder in die Verfassung schreiben, die sich das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung geben könnte, würde es sich nur dazu aufraffen wollen.

Ganz abgesehen davon muss man sich aber auch die Frage stellen, ob ein deutscher Bundeskanzler mit ausreichender parlamentarischer Mehrheit nicht mit der gleichen Machtfülle regieren könnte, wie Joe Biden oder Emmanuel Macron, vorausgesetzt, er hätte klare Ziele vor Augen und den Willen, sie zu erreichen.

Das Oberverwaltungsgericht Münster und voher das Verwaltungsgericht Köln haben nicht darüber entschieden ob die AfD rechtsextremistisch sei – und schon gar nicht darüber, ob ihre Bestrebungen verfassungswidrig sind. Sie haben sich lediglich in aller richterlichen Unabhängigkeit dafür entschieden, dem Verfassungsschutz zu erlauben, den Verdächtigungen gegen die AfD auch weiterhin mit geheimdienstlichen Mitteln nachzugehen, weil es „hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte“ dafür gebe, dass die AfD Bestrebungen verfolge, die „gegen die Menschenwürde bestimmter Personengruppen sowie gegen das Demokratieprinzip gerichtet sind“.

Mit solchen „Anhaltspunkten“ kann man sich als Richter die Hände in jener Unschuld waschen, die auch beim Werben für die anlasslose Überwachung der Kommunikation aller Bürger gerne herangezogen wird: „Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten.“

Dass die AfD  deswegen Nachteile im Wahlkampf erleidet, lässt sich leider nicht vermeiden, aber daran ist die AfD schließlich selbst schuld. Warum will sie sich auch unbedingt von den etablierten Parteien unterscheiden? Würde sie sich irgendwo zwischen FDP und CDU positionieren und auch eine Koalition mit den Grünen nicht ausschließen wollen, es gäbe keinen Grund für den Verfassungsschutz, sie zu beobachten.