Schrille Schreie – Agora macht 10-Billionen-Rechnung auf

„Pandora-Energiewende“ – das wäre m.E. der zutreffendere Name für die „gemeinnützige Organisation für wissenschaftliche Politikberatung“, die wieder einmal mit einer Studie an die Öffentlichkeit getreten ist, um die verheerenden Auswirkungen des Scheiterns der Verkehrswende an die Wände zu malen.

Die WELT, einst das seriöseste Blatt aus dem Springer-Imperium, berichtet  darüber. Auf der Website der Agora war diese Studie bei Fertigstellung dieses Aufsatzes allerdings noch nicht zu finden, so dass ich mich in der Kommentierung auf das beschränken muss, was die WELT daraus veröffentlicht hat – und das ist hanebüchen genug.

Da ist zunächst die knallige Überschrift, in der unter Nutzung des alles entschuldigenden Konjunktivs behauptet wird, ein Scheitern der Verkehrswende könnte Deutschland 9,7 Billionen kosten.

Das muss man zunächst einordnen, um die Größenordnung zu begreifen. Die deutschen Staatsschulden sind im letzten Jahr um 0,062 Billionen gestiegen. Die Planzahlen des Bundeshaushalts für 2024 liegen bei  insgesamt 0,477 Billionen Euro.

Die Agora spricht also von gut 20 Bundeshaushalten, oder dem 156-fachen Schuldenzuwachs des Jahres 2023 – und sagt dazu mit süffisantem Tonfall: „Politisches Zögern hat einen Preis.“

Unglücklicherweise ist ganz und gar nicht auszuschließen, dass man diese Botschaft im Wirtschaftsministerium für bare Münze nehmen und sich die Argumentation zu eigen machen wird.

Die im Artikel der WELT nur spärlich eingestreuten, faktensimulierenden Basisdaten lassen gerade noch erkennen, dass im Schreckensszenario, wenn also keine weiteren ambitionierten Programme zur CO2-Reduktion im Verkehrssektor beschlossen werden, die Bundesregierung bis 2045 die besagten 9,7 Billionen Euro ausgeben müsste.

Nun, alle wirtschaftlichen und fiskalischen Basisdaten belegen, dass dazu keine Bundesregierung in der Lage sein wird, weil sich diese 9,7 Billionen nicht aus Deutschland herausquetschen lassen. Wobei ich unterstelle, dass man bei Agora für die nächsten 20 Jahre nicht mit einer durchschnittlichen Inflationsrate von 20 Prozent gerechnet hat. Denn dann ließe sich das eventuell darstellen.

Es sieht anders aus. Die WELT klärt über die Bestandteile  der Billionensumme auf, indem sie aus dem Agora-Papier zitiert: „Der Preis bemisst sich entweder in Geld oder in Treibhausgasen, mit all den damit verbundenen Risiken.“

Es gibt also drei Faktoren, nämlich

  • Geld, das ausgegeben werden muss,
  • Treibhausgase, die das Pflanzenwachstum fördern, und
  • all die  damit verbundenen Risiken.

Wobei ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass die Klimaziele trotz der Extra-Billionen nicht erreicht werden könnten, wenn nicht ambitioniertere Programme ab 2025 oder spätestens 2030 aufgelegt würden, wobei gilt: Je früher begonnen wird, desto niedriger die Kosten.

Da hat nun aber entweder die WELT etwas missverstanden, oder die Agora hat sich im Eifer des Spiels mit der fünften Grundrechnungsart vergaloppiert, denn die Welt schreibt:

Wenn das Umlenken erst 2030 beginnt, dann wird das noch einmal eine halbe Billion teurer als wenn nicht umgelenkt wird. Wird  jedoch schon 2025 begonnen, dann spart die Bundesregierung 60 Milliarden Euro wegen geringerer Klimaschäden.

Da nicht explizit ausgewiesen wird, gegenüber welchem Szenario die 60 Milliarden gespart werden, ergeben sich für mich die Gesamtkosten aus den drei Szenarien wie folgt:

Szenario Kosten bis 2045 Klimaneutralität erreicht
Keine zusätzlichen Programme   9,700 Billionen Euro nein
Umlenken ab 2025   9,640 Billionen Euro ja
Umlenken ab 2030 10,200 Billionen Euro ja

Daraus kann eigentlich nur ein vernünftiger Schluss gezogen werden:

Sofortiger Stopp
aller bereits beschlossenen Maßnahmen
zur Verkehrswende.

Das spart jährlich eine halbe Billion Euro
und fällt im Vergleich zu den globalen CO2-Emissionen
überhaupt nicht ins Gewicht.

Beim Stopp der Maßnahmen zur Verkehrswende muss man es im Lichte dieser Erkenntnis aber nicht belassen…

Zum WELT-Artikel

 

 

 

Fünfte Grundrechnungsart

Christoph Hein nannte dieses Vorgehen in einer Ostberliner Rede am 14. September 1989 die „Fünfte Grundrechnungsart“. Ich zitiere aus Sten Nadolny „Das Erzählen und die guten Absichten“ (ebenda 1990: 59): „Sie beginnt unter dem Schlussstrich: Man will ein bestimmtes, irgendwie oder irgendwem genehmes Ergebnis erzielen, schreibt es hin und rechnet dann so lange und so falsch, bis das Gewünschte herauskommt.“
Link (Seite 126 Mitte)