Das Statistische Bundesamt hat im November 2023 einen Rückgang des BIP 0,3 Prozent prognostiziert. Das entspricht etwa 11 Milliarden Euro. Eine Zahl, die uns inzwischen viel zu klein vorkommt, um sich noch darüber aufzuregen. Dennoch muss festgehalten werden: Es hat kein Wachstum gegeben. Das ist fatal. Ich komme gleich noch darauf zurück.
Zum Schrumpfen der Wirtschaft passt allerdings überhaupt nicht, dass die Zahl der Erwerbstätigen gegenüber dem Vorjahr um 0,7 Prozent auf 45,9 Millionen zugenommen hat. Dafür gibt es allerlei Erklärungsmöglichkeiten, doch eines lässt sich nicht wegerklären: Die Produktivität der Beschäftigten ist gesunken.
Deutschland hat mehr Erwerbstätige benötigt,
um weniger BIP zu erzeugen.
Irreführend wäre es, hier nur den Durchschnittswert zu betrachten, der liegt bei minus 1,0 Prozent und sieht damit auch relativ unbedeutend aus. Dennoch muss festgehalten werden, es hat keinen Produktivitätsfortschritt gegeben. Das ist fatal – und auch darauf komme ich gleich zurück.
Vorher ist aber noch eine Aussage zu den Werten des BIP erforderlich, die in der inflationsbereinigten Fassung jeweils auf Basis der Preise des Vorjahres berechnet werden, was zur Folge hat, das zwar die Inflation des aktuellen Jahres verschwindet, nicht aber die Inflation des Vorjahres.
Auf den Punkt gebracht: Die Inflation des Vorjahres verzerrt die Relation zwischen der realen und der nominalen Wirtschaftsleistung über die Jahre ganz erheblich.
Die folgenden Tabellen und Erläuterungen können Sie, wenn Sie nicht besonders zahlenaffin sind gerne auch überspringen.
Jahr | Inflation | BIP | real | nominal |
1 | 0 % | 100 | 100 | 100 |
2 | 7 % | 100 | 100 | 107 |
3 | 5 % | 100 | 93,5 | 105 |
4 | 3 % | 100 | 89,0 | 96 |
5 | 0 % | 100 | 86,4 | 89 |
Im Beispiel ist ein über fünf Jahre unverändertes, preisbereinigtes BIP jeweils mit Basis „100“ angegeben. Bei einer Inflationsrate von 7 % im Jahr 2 steigt das BIP nominal, also in aktuellen Preisen, auf einen Wert von 107 Punkten, das preisbereinigt BIP wird jedoch weiter zu Vorjahrespreisen mit 100 Punkten ausgewiesen.
Das spannendste Jahr ist das Jahr 3. Der preisbereinigte Wert von 100 Punkten ist mit den Preisen des Vorjahres bewertet worden. Die waren jedoch inflationär um 7 Prozent gestiegen. Die reale Wirtschaftsleistung lag also nur noch bei 93,5, während die nominale Leistung, wegen der nochmaligen Preissteigerung um 5 Prozent bei 105 Punkten liegt.
Für ein reales Null-Wachstum müsste die Tabelle so aussehen:.
Jahr | Inflation | BIP | real | nominal |
1 | 0 % | 100 | 100 | 100 |
2 | 7 % | 100 | 100 | 107 |
3 | 5 % | 107 | 100 | 112 |
4 | 3 % | 112 | 100 | 115 |
5 | 0 % | 115 | 100 | 115 |
Nach zwei Jahren Inflation kann davon ausgegangen werden, dass die reale Wirtschaftsleistung Deutschlands tatsächlich stärker zurückgegangen sein dürfte als um jene 0,3 Prozent, die offiziell in der Statistik ausgewiesen sind. Das ist fatal.
Fatal ist fehlendes Wachstum wegen der dabei schrumpfenden Liquidität. Eine bestimmte Menge flüssigen Geldes ermöglicht einen gewissen Umfang wirtschaftlicher Transaktionen. Wenn bei schrumpfender Liquidität der gleiche Transaktionsumfang ermöglicht werden soll, muss die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes erhöht werden. Dies ist allerdings nur in ganz engen Grenzen möglich. Zahltag für die Konsumenten ist eben nur einmal im Monat, und damit ist die die Umlaufgeschwindigkeit schon sehr massiv eingehegt.
Leider müssen wir, was die Verfügbarkeit für die Realwirtschaft angeht, ganz unabhängig von der jeweiligen konjunkturellen Situation von einer beständig schrumpfenden Liquidität ausgehen. Das hat zwei Ursachen, nämlich einmal „die Sparleistung“ derjenigen, die ihr laufendes Einkommen nicht vollständig für Konsum oder Investitionen ausgeben, und die laufende Tilgung von Krediten. In beiden Fällen ist die Liquidität erst einmal weg vom Markt. Diese Liquiditätslücke muss durch die Auflösung von Ersparnissen und durch Kreditvergabe, vorzugsweise zur Finanzierung von Sach-Investitionen im Inland, kompensiert werden, weil sonst die angebotenen Produkte und Leistungen mangels Kaufkraft nicht abgesetzt werden können. Rückläufiges Wachstum zeigt bereits eine Kaufkraftschwäche an, was wiederum die Erfolgsaussichten für Investionen schmälert und daher die Kreditvergabe erschwert. Diese Abwärtsspirale, an deren Grunde die wirtschaftliche Depression lauert, ist nur durch reales Wachstum zu durchbrechen.
Es gab eine Zeit, da haben die Unternehmensberatungsgesellschaften gepredigt, eine jährliche Produktivitätssteigerung um 7 Prozent sei nicht nur erstrebenswert, sondern auch erreichbar. Ob man die Produktivität auf Mitarbeiter, auf Stundenlöhne oder auf den Kapitaleinsatz bezieht ist in der summarischen Betrachtung erst einmal irrelevant. Wichtig ist, dass steigende Produktivität die Stückkosten verringert, dass also mit dem gleichen Einsatz mehr verkaufsfähige Produkte entstehen.
Das ist gut, wenn dem wachsenden Angebot eine noch unbefriedigte Nachfrage gegenübersteht, und es ist im gesättigten Markt gut, wenn die aufgrund der gestiegenen Produktivität gesunkenen Stückkosten es ermöglichen, über den Preis den Marktanteil zu vergrößern.
Maßnahmen zur Produktivitätssteigerung werden jedoch riskant in einem Markt, der bereits von Überkapazitäten geprägt ist. Das Geld, das Unternehmen A in die Hand nimmt, um Rationalisierungsinvestitionen zur Produktivitätssteigerung durchzuführen, kann Unternehmen B nutzen, um im folgenden Preiskampf den längeren Atem zu behalten. Dabei ist es egal, wer am Ende gewinnt. Volkswirtschaftlich gesehen wird dabei Kapital verbrannt.
Der Geschäftsklima-Index des Ifo-Institutes verheißt hier nichts Gutes. Die Lage ist schlecht, und die Zukunftsaussichten werden noch schlechter eingeschätzt. Jetzt zu investieren braucht Mut und eine tolle Geschäftsidee. Davon ist nicht viel zu spüren, stattdessen ist eine Fluchtbewegung deutscher Unternehmen ins Ausland zu verzeichnen, wo die Umstände für gute Geschäfte besser sind als in Deutschland.
Warum, um alles in der Welt, steigt dann die Beschäftigung?
Das Statstische Bundesamt verschleiert mit der einen Wahrheit die andere.
Die offizielle Aussage lautet:
Eine Ursache für die Beschäftigungszunahme im Jahr 2023 war die Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte. Zusammen mit der höheren Erwerbsbeteiligung der inländischen Bevölkerung konnten die Effekte des demografischen Wandels auf den Arbeitsmarkt eingedämmt werden.
Wäre dies die einzigen Ursachen, hätte auch das BIP wachsen sollen.
Dabei sagt schon die Logik, dass bei einem Sinken der durchschnittliche Wertschöpfung pro Erwerbstätigem, ein Wandel in der Qualität der Arbeitsplätze stattgefunden haben muss. Arbeitsplätze mit hohem Wertschöpfungspotential müssen daher verschwunden sein, während Arbeitsplätze mit niedrigem Wertschöpfungspotential zugenommen haben.
Wo also sind die neuen Arbeitsplätze entstanden?
90 Prozent, in absoluten Zahlen 295.000 von 333.000 zusätzlichen Erwerbstätigen, fanden sich auf Arbeitsplätzen im Dienstleistungsgewerbe. Ich habe keine Zahlen, kann mir aber vorstellen, dass der größte Teil davon im Logistikgewerbe – Packer in den Verteilzentrum und Paketboten – zu verzeichnen war. Den anderen klassischen Dienstleistern, von den Gebäudereinigern bis zu den Frisören geht es nicht so gut, dass sie Personal hätten aufstocken können. Nicht vergessen werden darf allerdings der Öffentliche Dienst, der um immerhin 116.000 erwerbstätige Dienstleister gewachsen ist. Im Handel und in der Gastronomie kamen immerhin noch 87.000 Erwerbstätige hinzu.
Alles in allem waren 2023 34,6 Millionen Erwerbstätige im Dienstleistungsgewerbe zu verzeichnen, was einem Anteil von 75 Prozent aller Erwerbstätigen entspricht.
Um zu verdeutlichen, was diese Zahl zum Ausdruck bringt, verwende ich gerne die überspitzte Formulierung:
„Davon, dass wir uns alle gegenseitig Pakete bringen
und die Haare schneiden, wird niemand satt.“
Für Ernährung, Bekleidung, Hausrat, Automobile und Lastenräder, Windmühlen und Fotovoltaik-Anlagen schuften
- 8,1 Millionen (17,6%) im produzierenden Gewerbe,
- 2,6 Millionen (5,7%) am Bau und
- 0,6 Millionen (1,2%) in Land- und Forstwirtschaft und in der Fischerei.
Diese 11,7 Millionen bilden die produktive Basis für 34,6 Millionen Dienstleister und weitere 40 Millionen nicht Erwerbstätige.
Dies drückt sich in der Steuer- und Abgabenbelastung eines normal- bis gut Verdienenden Ledigen ohne Kinder ungefähr so aus:
Bruttoverdienst, einschließlich Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung | 5.500 Euro | Prozent | |
Sozialversicherung | 1928 Euro | 35 % | |
Lohnsteuer/Kirchensteuer | 763 Euro | 14 % | |
Netto-Verdienst | 2.809Euro | 51 % | |
Kaltmiete | 800 Euro | 15 % | |
Mehrwertsteuer auf 1.800 Euro Konsum Mischsatz 15% | 270 Euro | 5 % | |
|
280 Euro | 5 % | |
Nettowert des Konsums | 1.250 Euro | 23 % | |
Rücklagen | 200 Euro | 3 % | |
Von 5.500 Euro brutto bleiben also an Rücklagen und Netto-Warenwert 1.450 Euro übrig.
Der Staat verteilt 3.241 Euro an nicht Erwerbstätige und die Dienstleister im öffentlichen Dienst.
In den Nettopreisen des Konsums (ohne MwSt., aber incl. anderer Verbrauchssteuern) sind Dienstleisterentgelte (vor allem für den Handel) in der Größenordnung von ca. 40 Prozent, also rund 600 Euro, enthalten.
Rund 3.850 Euro (70 Prozent) des Brutto-Einkommens wandern also in die Taschen von Dienstleistern (die natürlich auch eine Arbeit leisten), und von Empfängern staatlicher Transferleistungen.
Wie wird das werden, wenn sich 2024 im Baugewerbe die Flaute verstetigt und die Deindustrialisierung fortschreitet?
Ich fürchte, die Steuererhöhungswelle zum 1.1.2024 wird nicht ausreichen, um die Unwucht des Umverteilungsrades zu kompensieren.