Stromversorgung: Bis 2031 gaaaaaaanz sicher!

Wir haben es alle gehört.

Robert Habeck hat den Bericht der Bundesnetzagentur zur Sicherheit der Stromversorgung Deutschlands vorgestellt und daraus vorgelesen, dass wir, auch bei vorgezogenem Kohleausstieg bis 2030 und dem durch E-Mobilität und Wärmepumpen steigendem Strombedarf, in den Jahren 2025 bis 2031 kein Problem mit der Stromversorgung haben werden.

Haben wir das auch alle geglaubt?

Ja, wenn Habeck das selbst, so aus dem hohlen Bauch verlautbart hätte, wie seine Luftblase, die  Versorgung der PCK-Raffinerie in Schwedt würde durch Öllieferungen aus Polen sichergestellt, dann hätte ich mir keinen Kopf darum gemacht. Stempel „Unglaubwürdig!“ drauf und Endablage.

So war das aber nicht. Das Ergebnis stammt von der alt-ehrwürdigen Bundesnetzagentur zu Bonn am Rhein. Hier sollte man, auch wenn der Dienstherr der Agentur der Minister für Klimaschutzwirtschaft ist, doch noch ein gerüttet Maß an Seriosität vermuten dürfen.

Um nun herauszufinden, welche bevorstehenden, bahnbrechenden Entwicklungen mir in Bezug auf die künftige Elektrizitätserzeugung und -Verteilung bisher entgangen sind, bin ich aufs Ganze gegangen und habe mir den Bericht heruntergeladen.

Aber ach!

Schon im fünften Satz des Vorwortes fühlte ich mich zurückversetzt in den Herbst des Jahres 2002.

Da war es, HaHa!, nicht Habeck, sondern Hartz, der einen Kommissionsbericht vorstellte. Hartz war nicht so hartgesotten im Umgang mit der ganzen Wahrheit, wie Robert Habeck heute. Er betonte schon bei der Verkündungszeremonie im Französischen Dom zu Berlin, dass nur dann mit dem gewünschten Ergebnis, nämlich der Reduzierung der Zahl der Arbeitslosen von vier auf zwei Millionen innerhalb von zwei Jahren, gerechnet werden könne,

  • wenn das Gesamtkonzept ohne jede Einschränkung schnell, vollständig und buchstabengetreu zur Umsetzung gelangt und
  • wenn eine Projektkoalition aller Profis der Nation gebildet wird, die sich der Realisierung verpflichtet fühlt.

Dass dies sehr nach jenem Geheimrezept zur Herstellung von Gold aus Buttermilch gerochen hat, bei dem das Gelingen nur garantiert ist, wenn man sich während aller Arbeitsschritte stets in Erinnerung ruft, dass man bis zur Fertigstellung keineswegs an ein Känguruh denken darf, ist erst einmal nicht weiter aufgefallen. Nur, dass die Zahl der Arbeitslosen keineswegs halbiert wurde, trotz aller Veränderungen an der statistischen Erfassung, das hat sich nachträglich herausgestellt.

Aber ich schweife ab.

Was steht nun da im fünften Satz des Vorwortes des Berichts der Bundesnetzagentur? Da steht:

Mit Blick auf Strommarkt und Stromnetz wird gemäß den rechtlichen Vorgaben die Frage geklärt, wie sich die Versorgungssicherheit mit Elektrizität in Zukunft darstellen wird,

  • wenn die Ziele und Pläne der Bundesregierung und Europäischen Union etwa
  • hinsichtlich des Ausbaus der Erneuerbaren Energien,
  • des Ausbaus bzw. der Erschließung von Flexibilitäten,
  • sowie der Stromnetze erfüllt werden und
  • die Marktteilnehmer im Rahmen der geltenden Marktregeln darauf reagieren.

Was dann im sechsten Satz eigentlich folgen müsste, nämlich:

Wenn Ziele und Pläne von EU und Bundesregierung allerdings nicht schnell und ohne Einschränkung erfüllt werden und/oder die Marktteilnehmer anders reagieren als erhofft, dann wird das nichts.

Die 107 Seiten des Berichts entsprechen vollständig jenem Luftschloss, welches das Milchmädchen errichten wollte, bevor es die Milch verschüttet hatte.

Zu den Highlights gehört – und ich erwähne das zuerst, weil es den ganzen Irrsinn am besten illustriert – dass Deutschland, zur Sicherstellung seiner Stromversorgung mehr Strom aus dem Ausland importieren müssen wird.

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Das liebe Ausland wird uns schon aus der Patsche helfen. Das liebe Ausland, dem wir die Nachahmung unserer Dekarbonisierung aufzwingen, um ebenfalls in Versorgungsprobleme zu geraten, soll uns aus der Patsche helfen. Die Polen erpressen uns doch bereits mit dem Öl, das für Schwedt bestimmt ist. Rosneft hat die Schiffe mit dem Öl nach Danzig dirigiert, doch die Polen weigern sich, das Öl entladen zu lassen. Erst muss Rosneft von Deutschland verstaatlicht werden, dann vielleicht. Und wenn wir dann Strom aus Polen beziehen wollen, könnte es durchaus sein, dass wir erst den geforderten Reparationszahlungen zustimmen und mit dem Zahlen beginnen müssen.

Aber gut. Vertrauen wir einfach darauf, dass in jedem trüben kalten Januar der Jahre 2025 bis 2031, wenn der Stromertrag aus Windparks und Solarfarmen in Deutschland wegen Dunkelflaute gegen null tendiert, dafür in Österreich und Frankreich die Sonne täglich 24 Stunden scheint und der Wind dort so weht, dass die Ausbeute auch für Deutschland noch reicht. Natürlich muss dazu auch unterstellt werden, dass der Netzausbau nach den Vorgaben des Netzentwicklungsplanes fortschreitet und die unterstellten Redispatchkapazitäten bereitgestellt werden, die zur Engpassbehebung erforderlich sind, was auch die Kapazitäten der grenzüberschreitenden Netzkopplungstellen entsprechend den Vorgaben der EU einschließt.

Immerhin wird im Bericht ein europaweiter Kapazitätszuwachs bei Wind und Solar von 460 Gigawatt Nennleistung auf 1.167 Gigawatt Nennleistung (+150%) unterstellt. Deutschland wird, weil es so im Koaltionsvertrag festgelegt ist, von 123 auf 386 Gigawatt (+213%) ausbauen. Soweit ich weiß, haben auch alle potentiellen Investoren den Koalitionsvertrag unterschrieben, so dass von daher keine Probleme zu erwarten sind, auch wenn das Ausbautempo gegenüber den letzten 10 Jahren verdreifacht werden muss. Nachtigall, ick hör dir trapsen: „Wir schaffen das!“ Denn auch der Ersatz der Altanlagen, deren Nutzungsdauer zwischenzeitlich endet, wird – ohne dass es dafür einer Lösung des Entsorgungsproblems bei den Windmühlenflügeln bedürfe – mühelos möglich sein. Dass die Rohstoffpreise zwischenzeitlich durch die Decke gehen und womöglich unverzichtbare Materialen auf dem Weltmarkt gar nicht zur Verfügung stehen, wie Kritiker gerne argumentieren, darf gerne vernachlässigt werden, weil sich ja das allgemeine Preisniveau im Gleichschritt verändert, wodurch das alles wieder kompensiert wird.

Außerdem wird von den Berichtserstellern unterstellt, dass zur Deckung der Spitzenlast eine Reihe substituierbarer Optionen mit großen Potentialen zur Verfügung stehen, wozu

  • Gaskraftwerke, mit großer Kapazität, aber kleiner Anzahl von Betriebsstunden, Neubau von ca. 17 bis 21 Gigawatt
  • Speicher, (gibt es die wirklich?)
  • Netzersatzanlagen (das ist das neue Verschleierungswort für große Notstromgeneratoren) und
  • „Nachfrageflexibilität“

gehören.

Zu den Gaskraftwerken merkt die Bundesnetzagentur sogar vorsichtig an, es gäbe Unsicherheiten, wie sich die Rahmenbedingungen für die Investitionen in neue Gaskraftwerke entwickeln werden, und ob die hier berechneten Neubauten tatsächlich errichtet werden.

Nachfrageflexibilität ist auch ein schöner Begriff, der im Kontext des Berichts zum Ausdruck bringt, dass die Stromversorgung nur dann als gesichert bezeichnet werden kann, wenn immer dann, wenn sie normalerweise wegen zu geringer Produktion und zu hoher Abnahme nicht gesichert wäre, mittels der nachstehenden Maßnahmen Versorgungsicherheit erzwungen werden wird:

  • Preisanreize für Privathaushalte
    Das stelle ich mir dann so vor: Waschen und b
    ügeln Sie an Werktagen nur noch zwischen 01.00 und 04.00 Uhr zum Preis von 36 Cent/KWh – in der übrigen Zeit wird die Kilowattstunde zwischen 92 Cent und in der Hauptlastzeit mit automatisch ermittelten, flexiblen Preisen von bis zu 12 Euro abgerechnet.
  • Preisanreize für die Industrie
    Das stelle ich mir dann so vor: Installieren Sie ein Lastmanagementsystem, so dass Sie Spitzenlasten selbständig und vollautomatisch abregeln können, ohne in die nächsthöhere Tarifstufe zu rutschen, oder verlagern Sie stromintensive Prozesse am besten gleich ins Ausland, was sich auch positiv auf den Umfang der für Deutschland erforderlichen Stromimporte und Redispatchmaßnahmen auswirkt.
  • Lastmanagement im Netz
    Das stelle ich mir dann so vor: Wenn im Winter wegen der großen Anzahl im Volllastbetrieb laufender Wärmepumpen zu viel Strom verbraucht wird, können die Wärmepumpen per Smart Meter stundenweise vom Netz getrennt werden. Gleiches gilt für die private Wallbox. Dem drastischen Absinken von Raumtemperaturen oder der unzulänglich geladene Batterie im E-Mobil haben Sie vertraglich zugestimmt.

Relativ viel Raum nimmt im Bericht auch die Thematik der Rentabilität der Investitionen für die schöne neue Stromwelt ein. Dafür müsse gesorgt werden, denn sonst könne nichts draus werden.

Ich breche hier ab.

Ein paar essentielle Punkte habe ich angesprochen, die m.E. bereits zeigen, dass die Bundesnetzagentur absolut seriös gearbeitet hat. Denn im Bericht heißt es eben nicht, dass die vielen Voraussetzungen erfüllt sein werden, es gibt auch nur sehr punktuell leichte Zweifel daran, dass das, was die EU und die Ampel im Koaltionsvertrag beschlossen haben, überhaupt realisierbar sei. Es wird einfach unterstellt, dass dies alles pünktlich  geschaffen sein wird – und dann:

Dann könne man davon ausgehen, dass die Stromversorgung Deutschlands mit viel Strom aus dem Ausland, mit vielen neuen Gaskraftwerken, mit vielen neuen Notstromgeneratoren und einem klugen System von Preisanreizen und Lastabwurfsmöglichkeiten als gesichert angesehen werden kann.

Ob irgendwo im Bericht darauf hingewiesen wird,

dass die drei Atomkraftwerke, die im April abgeschaltet werden, nicht ausreichen würden, um jenen Strom zu erzeugen, den die auf 386 Gigawatt ausgebauten Windkraftanlagen bei Flaute aus dem Netz ziehen müssen, um „am Leben“ zu bleiben, habe ich noch nicht herausgefunden. Das sollte jedenfalls auch bedacht werden.

Für alle, die sich lieber selbst überzeugen: Der Link zum besprochenen Bericht der Bundesnetzagentur