Der Optimismus des Ökonomen Bachmann

Rüdiger Bachmann, mir bis dahin unbekannt, hat sich bei ntv.de zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der verschärften Russland-Sanktionen geäußert. Nun ist ntv.de nicht gerade bekannt für wirtschaftswissenschaftliche Fachbeiträge, aber möglicherweise war Bachmann unter jenen Ökonomen, die sich bei ntv überhaupt äußern wollten, noch der renommierteste – und so kam er eben zu der Ehre, Robert Habeck zu attestieren, er ließe sich „falsch“ beraten.

Keineswegs drohten ohne russisches Gas  Massenarbeitslosigkeit und Massenarmut. Es käme, so das Ergebnis einer „Untersuchung“ des Ökonomen, „schlimmstenfalls“ zu einem Rückgang des BIP um drei bis vier Prozent, was zwar eine Rezession sei, aber eine, die man immer noch mit arbeitsmarkt- und fiskalpolitischen Maßnahmen abfedern könne.

Nun gehöre ich zwar nicht zu den Beratern Habecks, wohl aber zu jenen Beobachtern, die bei einem Stopp der Energielieferungen aus Russland Folgen zu erkennen vermeinen, die weit über eine Rezession hinausgehen, die nur eine 4-Prozent-Delle im BIP hinterlassen wird.

Ich habe mich dem geistigen Martyriums unterworfen, das Ergebnispapier der Untersuchung des Herrn Bachmann und acht weiterer Mitwirkender zu lesen, und gebe Ihnen, soweit Interesse besteht, den Link auf das magere Papier hier weiter.

Wenn ich den Kern dieses Papiers mit meinen Worten in wenigen Sätzen wiedergebe, wird das der Komplexität der Gedankengänge der Studienverfasser natürlich nicht gerecht. Denn diese berufen sich darauf, ein modernes multisektorales Modell der offenen Volkswirtschaft nach Baqaae und Farhi (2021) eingesetzt zu haben, in welchem die Substitutionselastizitäten und die Umverteilung zwischen verschiedenen Zwischenprodukten berücksichtigt werden können. Darüber hinaus haben sie in einem vereinfachten Modell nach den plausiblen Grenzen für die wirtschaftlichen Auswirkungen gesucht und dabei die beobachteten Elastizitäten für Energieinputs eingesetzt.

Leider werden im Anhang zwar die Formelgebirge der Modelle vorgeführt, doch finden sich darin praktisch keine nachvollziehbaren empirischen Werte, so dass der Glaube des Lesers an die Vollständigkeit und Richtigkeit der Modellvorstellungen Voraussetzung für die Akzeptanz der gefundenen Ergebnisse bleibt.

Nun also doch das Ergebnis in meinen Worten:

  1. Die deutschen Energieimporte machten 2021 rund 80 Milliarden Euro aus und liegen damit bei nicht mehr als 2 Prozent des BIP. Auf Importe aus Russland entfällt davon nur ein Drittel.
  2. Für Kohle und Öl lassen sich leicht andere Anbieter finden.
  3. Beim Gas ist es komplizierter. Wenn man jedoch die Nachfrage reduziert und Brennstoffe umschichtet, also wieder mehr Braunkohle verstromt, und wirtschaftliche Umschichtungen durch Preisgestaltung herbeiführt, lässt sich das Problem auflösen.
  4. Mit der verbleibenden Lücke von 30 Prozent des Gasverbrauchs, bzw. 8 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs, müssen Industrie, Dienstleister und Haushalte sehen, wie sie zurechtkommen.
  5. Sollten sich daraus Probleme ergeben, muss der Staat den Unternehmen und den ärmeren Haushalten mit frischem Geld beispringen und als zusätzlichen Substitutionsanreiz die CO2-Preise in die Höhe schrauben.

Nach meiner Einschätzung handelt es sich um pures Illusionstheater,
das nur zu dem Zweck in Welt gesetzt wurde, die Stimmen der Mahner vor dem drohenden Zusammenbruch der deutschen, und in der Folge auch der EU-Wirtschaft im Fall der Einstellung des Energiebezugs aus Russland zu übertönen.

Hierzu muss festgehalten werden, dass in dieser „Studie“ alle weiteren Rahmenbedingungen, unter denen sich dieser Ausstieg aus russischem Öl, russischer Kohle und russischen Gas vollziehen würde, vollkommen ausgeblendet bleiben.

Das kann noch in engen Grenzen nachvollzogen werden, wenn man unterstellt, der Wirtschafts- und Klimaminister Habeck verfüge über die Kraft, sich für den dann zwingend erforderlichen Ausstieg aus dem Kohleausstieg (der ja möglichst bis 2030 erfolgt sein soll) gegen die Dekarbonisierungs-Hardliner in der eigenen Partei durchzusetzen. Ich würde das nicht unterstellen, sondern sähe eher das Zerbrechen der Ampel und Neuwahlen unter verschärften Krisenbedingungen mit nicht mehr vorhersagbarem Ergebnis kommen.

Nicht mehr nachvollziebar wird es da, wo die bereits eingetretene Situation der Verknappung und Verteuerung der Energie und aller energieabhängigen Produktionen ignoriert wird.

Die Gewächshäuser der deutschen und der niederländischen Gemüsebauern stehen leer, obwohl die Aussaat längst begonnen haben müsste. Grund: Die hohen Energiepreise lassen wirtschaftliche Produktion nicht mehr zu.

Die deutschen Landwirte können ihre Felder nicht ausreichend düngen, weil EU-weit die Düngemittelfabriken aufgrund der hohen Energiepreise die Produktion eingeschränkt oder eingestellt haben. Ersatz aus Russland und Weißrussland (40% des weltweiten Kalidüngers, 25 % bei Ammoniak, je 14% bei Phospant und Harnstoffen) steht nicht zur Verfügung. Wobei die Harnstoffe auch für die Diesel-Lkws ein Problem darstellen. Stichwort: AdBlue.

Die letzten deutschen Glashütten im oberfränkischen Raum und im bayerischen Wald haben die Produktion heruntergefahren oder schon ganz eingestellt. Grund: Die hohen Energiepreise lassen wirtschaftliche Produktion nicht mehr zu.

Deutsche Stahlwerke haben die Produktion bereits eingeschränkt und denken über Stilllegungen nach. Grund: Die hohen Energiepreise lassen wirtschaftliche Produktion nicht mehr zu.

Die Aluminium-Industrie steht vor dem gleichen Problem wie die Stahlindustrie.

Die Speditionsbranche warnt vor Masseninsolvenzen, weil die hohen Dieselpreise kein wirtschaftliches Handeln mehr zulassen.

Herr Grupp, der mit dem Affen aus der Trigema-Werbung, beklagt sich, dass seine monatliche Energierechnung von rund 100.000 auf rund 900.000 Euro angestiegen ist.

Die deutsche Bahn hat in der letzten Woche aus Strommangel schon einmal ihre Güterzüge stehen lassen müssen. Da hätten selbst höchste Gebote für ein bisschen Strom nichts geholfen, denn der Strom war einfach nicht verfügbar.

Papierfabriken, Zementwerke, und viele Unternehmen der Chemie-Industrie mit hohem Bedarf an Prozesswärme oder Gas als Rohstoff, sind zu massiven Preiserhöhungen gezwungen.

Selbst bei Aldi hat die Energieverteuerung schon voll durchgeschlagen. Fast alle Produkte im Sortiment wurden verteuert.

Das ist aber nur die eine Seite der superkritischen Situation.

Es geht ja nicht nur um Kohle, Öl und Gas.

Die USA und die asiatischen Staaten haben den Holzmarkt leergekauft.

Stahl ist in Deutschland Mangelware.

China hat weite Teile der Weltgetreidevorräte eingesammelt.

Die Chip-Produktion und Distribution ist noch nicht wieder auf Vor-Corona-Niveau angekommen. Es gibt immer noch Lieferengpässe.

Unabdingbar für die Chipproduktion ist das Edelgas Neon. Hauptlieferant: Russland.

Die Lieferketten über die Weltmeere sind ebenfalls noch nicht wiederhergestellt. Der Baltic Dry Index ist nach dem Peak vom Oktober 2021 (5500 Punkte) zwar bis Ende Januar 2022 (1363 Punkte) wieder gefallen, bewegt sich jetzt allerdings mit weiter steigender Tendenz bei 2544 Punkten.

Und, nicht zu vergessen, in Deutschland stehen die Bänder der Automobilindustrie bald wieder völlig still, weil die Kabelbäume aus der Ukraine auf absehbare Zeit nicht mehr geliefert werden können.

 

Nun kann die Bundesregierung zwar noch einmal in großem Maßstab Unternehmen vor der Insolvenz retten, indem sie als Teilhaber einsteigt oder großzügig Kredite vergibt, sie kann versuchen, dem Mangel an Kaufkraft der Konsumenten mit Kurzarbeitergeld und Energiekosten-Entlastungen zu begegnen.

Damit kann, falls der Roggen und der Weizen gedeihen, den Konsumenten mit geringerem Einkommen die Möglichkeit gegeben werden, im Herbst ein Kilogramm Brot zum Preis von 10 Euro zu erwerben, wie es die Bäcker heute schon voraussagen.

Was die Bundesregierung aber nicht kann, ist es, den zugrundeliegenden Mangel zu beseitigen.

Dazu gehört unter anderem der Mangel an Hühnereiern, der für den Spätsommer prognostiziert wird, weil genfreies Soja als Futtermittel auf dem Weltmarkt nicht mehr zu bekommen ist.

Es ist unabdingbar, einen Blick auf die Branchen des Verarbeitenden Gewerbes in Deutschland zu werfen.

Der Kraftfahrzeugbau machte 2020 noch 21,55 Prozent der Industrieproduktion aus. Der Maschinenbau brachte es auf 12,93 Prozent, die Chemie auf 10,79. Diese drei Branchen bringen 45 Prozent der Industrieleistung auf die Waage, sind besonders energieintensiv und benötigen viele Rohstoffe, die zum größten Teil importiert werden müssen. Der Handelskrieg der USA und der EU gegen China und Russland ist geeignet, hier noch weitere Bezugsquellen versiegen zu lassen.

Es folgen die Lebensmittelproduktion mit 10,5 Prozent, die auf die Landwirtschaft angewiesen ist, die wiederum ohne preiswerten Diesel für die Fahrzeuge und ausreichende Mengen bezahlbaren Düngers nicht überlebensfähig ist,  sowie die Elektrotechnik mit 9,5 Prozent, die wiederum auf Eisen- und Nichteisenmetalle und Kunststoffe dringend angewiesen ist.

Auch wenn die Herren Makro-Ökonomen herausgefunden haben, dass  nur 2 Prozent des BIP für Energieimporte ausgegeben werden müssen, welche 60 Prozent unseres Energieverbrauchs abdecken, wovon wiederum ein Drittel aus Russland kommt, ist Deutschland, desssen Energieversorgung sowieso schon auf Kante genäht ist, eben nicht in der Lage, mit einem um 20 Prozent reduzierten Energiebudget umzugehen.

Daran hängen nämlich auch 20 Prozent des BIP!

Das können die Haushalte nicht beim Heizen einsparen, indem sie den Thermostat auf 15 Grad einstellen. Die Haushalte sind für 29 Prozent des Endenergieverbrauchs verantwortlich.

Solange in der kühlen Wohnung noch Waschmaschine, Spülmaschine, Wäschetrockner, Bügeleisen, Kühlschrank und Herd betrieben werden und die Wohnung bei Finsternis beleuchtet wird, so lange noch der PC oder der Laptop Strom ziehen, ein Fernseher betrieben wird, und was es an kleinen elektrischen Helferlein noch so gibt, fehlen diese 20 Prozent der Industrie und dem Verkehr, sowie Handel und Dienstleistern.

Da kann man noch so lange Kurzarbeitergeld für acht Millionen Beschäftigte zahlen: Am Ende wird man feststellen müssen, dass man Geld nicht nur nicht essen kann, sondern dass sich damit weder eine Wohnung beheizen, noch Stahl schmelzen lässt.

Die schöne heile Welt des abstrakten Modells, lässt die Ökonomen glauben, es genüge, wenn vollkommen losgelöst von der Realität, ein paar unterschiedliche Werte für die Substitutionselastizität ins Formelwerk eingesetzt werden, um unterschiedliche Szenarien abbilden zu können, von denen eines dann mit einer höheren Wahrscheinlichkeit versehen und dem deutschen Michel als Beruhigungspille serviert wird.

Wäre ja auch schlimm, wenn jetzt schon Panik ausbräche, bevor die Gaslieferungen ausbleiben. Dann wäre die Politik ja womöglich gezwungen, zur Vernunft zurückzukehren …

Nicht auszudenken!

Karikatur: Marcel Arndt