Länger arbeiten für die Dekarbonisierung – Die neue Rentendebatte

PaD 51 /2022 – Hier auch als PDF verfügbar:  Pad 51 2022 Länger arbeiten für die Dekarbonisierung – Die neue Rentendebatte

 

Wohlstand muss erarbeitet werden. Wird das Ergebnis der Arbeit durch die Verteuerung von Importen geschmälert, muss mehr gearbeitet werden, um den Wohlstandsverlust zu begrenzen. Sind für die erforderliche Mehrarbeit keine zusätzlichen Arbeitskräfte zu gewinnen, müssen diejenigen, welche die Arbeit machen, länger arbeiten.

Das ist der Kern der momentan wieder beginnenden Debatte um die Verlängerung der Lebensarbeitszeit durch Erhöhung des Renteneintrittsalters.

 

DAS RENTENPROBLEM

Unter der Prämisse des Fachkräftemangels wird wieder einmal über das Renteneintrittsalter diskutiert.

Es ist noch nicht lange her, da wurde die Debatte um Wochen-, Jahres- und Lebensarbeitszeit von der Notwendigkeit bestimmt, die Lohnnebenkosten zu senken. Heute argumentiert man – mit erstaunlicher Nähe an der Wahrheit – mit dem von der Wirtschaft beklagten Fachkräftemangel.

Dabei ist das Grundproblem relativ einfach zu beschreiben.

Die Einnahmen aus den Beitragszahlungen (2021: 277 Milliarden) reichen nicht aus, um die Ansprüche der Rentner (355 Milliarden) zu befriedigen. Der Staatszuschuss (80 Milliarden), mit dem die der gesetzlichen Rentenversicherung aufgebürdeten versicherungsfremden Leistungen wenigstens halbwegs abgegolten werden sollen, führte diesmal sogar zu einem kleinen Überschuss von 2 Milliarden Euro in der Rentenkasse. Allerdings kann in Zeiten einer aufs Äußerste angespannten Kassenlage die Neuverschuldung des Bundes nicht immer noch weiter erhöht werden.

Zur Kompensation stehen prinzipiell nur zwei Wege offen:

  1. Senkung der Leistungen
  2. Erhöhung der Beitragseinnahmen

Die Leistungen zu senken wäre ein ungeheuerlicher Eingriff in den Besitzstand von Millionen von Rentnern und Beitragszahlern, der aufgrund der jeweils geltenden gesetzlichen Regelungen erworben wurde. Hier zu kürzen wäre ein Vertragsbruch sonders gleichen, dem noch dazu ein Anwachsen der steuerfinanzierten Leistungen für die Grundsicherung im Alter folgen würde, d.h., die Rentenkürzung fiele für die Rentner deutlich höher aus als sie sich als Entlastung im Bundeshaushalt niederschlagen würde.

Die Beitragseinnahmen durch Anhebung der Beitragssätze zu steigern, würde sich negativ auf  den Export auswirken, weil jede zusätzliche Belastung der Kalkulation durch so genannte Lohnnebenkosten die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber der internationalen Konkurrenz schwächt. Im Binnenmarkt würden sich hauptsächlich Verlagerungen der Konsumausgaben von den Beschäftigten auf die Rentner einstellen, ohne dass durch die Besserstellung der Rentner ein Konjunkturimpuls ausgelöst würde.

Allerdings gibt es zur Erhöhung der Beitragseinnahmen neben den Beitragssätzen noch weitere Stellschrauben.

  1. Anheben der Beitragsbemessungsgrenze
    Die Beitragsbemessungsgrenze entlastet Beschäftigte mit einem Monatseinkommen von mehr als 7.050 Euro, und deren Arbeitgeber dadurch, dass nur bis zu diesem Betrag Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt werden müssen. Das heißt zum Beispiel, dass bei einem Monatseinkommen von 10.000 Euro nicht mehr 18,6 Prozent für den Rentenbeitrag fällig werden, sondern nur noch 13,1 Prozent. Allerdings ist die Zahl der Bezieher so hoher Einkommen aus sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung ziemlich klein. Eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze um 100 Euro würde nach großzügiger Schätzung monatlich einen Betrag zwischen 50 und 60 Millionen Euro zusätzlich in die Rentenkasse spülen. Davon wiederum könnte man jedem Rentner monatlich 3,50 Euro mehr überweisen.
    (Im Übrigen wurde die Beitragsbemessungsgrenze aus für mich unerfindlichen Gründen gerade eben – ab Januar 2022 – von 7.100 auf 7.050 Euro gesenkt.)
  2. Erhöhung der Zahl der beitragspflichtig Beschäftigten
    Diese Methode scheint ausgeschöpft zu sein. Die Wirtschaft hat aus dem Reservoir der Arbeitskräfte genommen was sie braucht. Da stehen nach wie vor sowohl die qualifizierten als auch die unqualifizierten Männer an erster Stelle. Hinzu kommt das Heer der berufstätigen Frauen. Daneben stehen rund 3,5 bis 4 Millionen Menschen die als arbeitslos oder unterbeschäftigt gelten.

    Die Wirtschaft ist trotz des lautstarken Jammerns über den Fachkräftemangel damit zufrieden. Wäre es anders, die Wirtschaft würde die benötigten Fachkräfte finden, einstellen und beschäftigen.
    Das Problem ist, dass es sich an vielen Stellen einfach nicht lohnt (sh. Anhang).
  3. Lohn- und Gehaltserhöhungen
    Abgesehen davon, dass es für die Politik nicht einfach wäre, die Wirtschaft zu spürbaren Gehaltserhöhungen zu bewegen: Der positive Effekt auf der Einnahmeseite der Rentenversicherung würde relativ schnell in einen negativen Effekt auf der Ausgabenseite umschlagen, weil die Rentenhöhe an die Entwicklung der Löhne und Gehälter der Beschäftigten gekoppelt ist. Wollte man diese Koppelung auflösen, so hieße das, die Rentner von der allgemeinen Wohlstandsentwicklung abzukoppeln, was über kurz oder lang wieder zu einem Anstieg der Empfänger von Grundsicherung im Alter führen würde.
  4. Verlängerung der Beitragszahldauer durch Anheben der Altersgrenze
    Vergleicht man die die durchschnittliche Lebenserwartung von heute mit der Lebenserwartung der deutschen Bevölkerung von vor 60 Jahren, stellt sich heraus, dass diese inzwischen um rund 11 Jahre zugenommen hat. Diese Daten beziehen sich zwar auf die Lebenserwartung bei Geburt, die 1960 für Männer bei 66,9 Jahren lag und nun bei 78,9 Jahren angekommen ist, spiegeln also nicht das tatsächliche Sterbegeschehen wider, doch zur Verdeutlichung des Trends sind diese Werte aussagefähig genug.

Das Rentenbezugssalter wurde aber seither nur um 2 Jahre von 65 auf 67 Jahre erhöht, wobei viele Neurentner es vorziehen, Abschläge von der Rente in Kauf zu nehmen  und schon vor Erreichen der Regelaltersgrenze in den Rentenbezug wechseln. Dies entlastet die Rentenkassen aber nicht wirklich, weil den Abschlägen bei der Rentenhöhe längere und früher beginnende Rentenbezugszeiten gegenüberstehen.
Einer allgemeinen Erhöhung des Renteneintrittsalters stehen jedoch schwerwiegende Argumente entgegen. Hier seien nur zwei angesprochen:

  • Da sind die unterschiedlichen physischen und psychischen Belastungen, denen die Beschäftigten während ihres Berufslebens ausgesetzt sind. Es stehen jene, die körperlich und oder psychisch erschöpft und ausgebrannt sind, jenen gegenüber, die mit 67 oder 70 immer noch körperlich und geistig vollkommen fit sind. Dies würde im Grunde schon heute ein individuelles Renteneintrittsalter rechtfertigen, das ohne Abschläge (oder Zuschläge) zur Auszahlung kommt, wenn es denn möglich wäre, die Belastungen des Berufslebens mit vertretbarem Aufwand auch nur einigermaßen korrekt zu erfassen.
  • Auf der anderen Seite stehen die Interessen der Arbeitgeber, die natürlich erkennen, dass das Plus an Erfahrung ihrer älteren Arbeitnehmer irgendwann nicht mehr ausreicht, um das Defizit an Leistungsfähigkeit zu kompensieren. Hinzu kommt das Problem, dass die Umstellung auf neue Verfahren und Techniken von den Älteren oft nur noch mit erheblichen Übungs- und Anlernzeiten bewältigt, zum Teil vehement abgelehnt oder gar gezielt sabotiert wird. Dies drückt sich auch in den Einstellungsstrategien der Unternehmen aus, die den Älteren zumeist nur geringe Chancen einräumen. Branchenspezifische Ausnahmen bestätigen auch hier nur die

So würde wohl auch von der jetzt diskutierten, nochmaligen Verschiebung des Renteneintrittsalters kaum mehr übrig bleiben als die vorgezogene, um Abschläge geminderte Rente. Eine echte Entlastung der Rentenkasse ist damit nicht zu erreichen.

Die Alternative wäre die gesetzliche Festlegung eines fixen Renteneintrittsalters, bei dem keine Möglichkeit mehr besteht, vorzeitig die Rente zu beantragen. Dies würde allerdings zu ganz erheblichen Problemen führen, die nicht nur einen weiteren Vertrauensverlust in die Sozialpolitik nach sich ziehen würden, sondern mit vermehrten Anträgen auf Erwerbsunfähigkeitsrenten und in Form von wachsenden Ausfallzeiten wegen Krankheit den erhofften Effekt weitgehend wieder neutralisieren könnte.  

 

DEUTSCHLAND IST KEIN REICHES LAND

Mit dem hier unternommenen Versuch, auf der Einnahmeseite der gesetzlichen Rentenversicherung in Deutschland Möglichkeiten zu finden, den Zufluss zur Rentenkasse zu steigern, ist – völlig unbeabsichtigt – ein weiterer Beleg dafür entstanden, dass Deutschland nicht das reiche Land ist, von dem Politik und Medien immer noch erzählen.

Deutschland ist nicht mehr in der Lage, die Staatsaufgaben umfassend wahrzunehmen, ohne dazu die Staatsverschuldung zu erhöhen, was es zugleich unmöglich erscheinen lässt, die materielle Situation seiner Rentner aus dem Nationaleinkommen heraus zu verbessern. Die Rentner stehen dabei nicht alleine, auch die Empfänger von ALG II, die mit ihren Bedarfsgemeinschaften im gesellschaftlichen Abseits stehen, können nicht mehr mit spürbaren Verbesserungen ihrer materiellen Situation rechnen.

Es hilft nichts, an dieser Stelle über die unzureichende Verteilungsgerechtigkeit zu diskutieren. Ich bin, nach vielen Irrungen und Wirrungen, heute zu der Überzeugung gelangt, dass es sich bei der Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen um ein grundsätzliches Phänomen im Zusammenleben menschlicher Gesellschaften handelt, nicht aber um einen Zustand, der mit den Mitteln der Politik und gewerkschaftlicher Aktivität willentlich auf einen Zielwert eingestellt werden könnte. Insofern erscheint auch jegliches Manipulieren am Rentensystem als sinnlos, weil Verteilungsgerechtigkeit weder nach objektiven Maßstäben noch in der subjektiven Wahrnehmung jemals hergestellt werden kann.

 

DIE DREI QUELLEN DES WOHLSTANDS

Ist diese Hürde gedanklich genommen, lässt sich die Frage, warum schon wieder an der Schraube der Lebensarbeitszeit gedreht werden soll, im Rahmen der Rentenversicherung nicht mehr sinnvoll beantworten. Erst beim Blick über den Tellerrand der Rentenversicherung erschließt sich ein neuer, selten begangener Raum volkswirtschaftlicher Wirkungszusammenhänge, in dem die drei Quellen des allgemeinen Wohlstands sprudeln und zur Betrachtung einladen. Diese sind

  1. Die Produktion
    Aus dieser Quelle kann jede Volkswirtschaft schöpfen. Sie spendet im Bereich der Landwirtschaft die Nahrungsgrundlage und nutzt die nicht für die Ernährung erforderlichen Produktivkräfte zur Herstellung von weiteren Waren. Dabei wird, je effizienter die Landwirtschaft arbeitet, ein immer breiteres Warenangebot bereitgestellt werden können. Es gilt: Alles was produziert wird und Abnehmer findet, mehrt den allgemeinen Wohlstand.
  2. Die Bodenschätze
    Die Bodenschätze sind ungleich über die Erde verteilt. Wo sie gefördert werden können und eine kluge Handelspolitik in Verbindung mit einer klugen Außenpolitik und militärischer Stärke (auch gemeinsam mit Verbündeten) vor Ausbeutung durch andere Staaten schützen, sind Bodenschätze eine Quelle des allgemeinen Wohlstands.
  3. Die Ausbeutung anderer Staaten
    Wem es gelingt, andere Staaten durch Übervorteilung im Handel, durch erpresserische Kriegsdrohungen oder Krieg, sowie durch Korrumpierung der Oberschicht derart auszubeuten, dass deren Produkte und Bodenschätze zu geringen Kosten „erbeutet“ werden können, dann ist auch dies – wertfrei betrachtet – eine Quelle des allgemeinen Wohlstands.

Deutschland verfügt nur in geringem Umfang über eigene Bodenschätze, und wo solche vorhanden sind, wurde ihre Förderung entweder

  • verboten (Fracking-Gas),
  • bereits eingestellt (Steinkohle) oder
  • die Einstellung für die nahe Zukunft beschlossen (Braunkohle).

Deutschland nimmt im Bereich der Ausbeutung anderer Staaten eine eher marginale Rolle ein und wenn, dann hauptsächlich über die von der EU mit Drittstaaten geschlossenen Handelsabkommen, bzw. im Gefolge der USA da, wo kriegerische Erpressung und Krieg im Handlungsfeld der NATO von Deutschland militärisch oder finanziell mitgetragen werden, was bisweilen – zumindest indirekt – auch einen deutschen Anteil an der „Beute“ mit sich bringt.

Arm an Bodenschätzen und zu schwach, um andere wirksam zu erpressen, ist Deutschland darauf angewiesen, die produktive Arbeit als ausschlaggebende Quelle allgemeinen Wohlstands zu nutzen.

Es kann angenommen werden, dass der Anteil der produktiv Beschäftigten an der Gesamtbevölkerung einer Volkswirtschaft, unter Berücksichtigung des Qualifikations-Levels der produktiv Beschäftigten einen Indikator für den in dieser Volkswirtschaft zu erwartenden, allgemeinen Wohlstand darstellt.

In Deutschland sah das im Jahr 2021 so aus, dass bei einer Gesamtbevölkerung von rund 83 Millionen Menschen nur 13,6 Prozent einer produktiven Beschäftigung im engeren Sinne nachgegangen sind, nämlich

  •     561.000 im Bereich Land- und Forstwirtschaft, sowie Fischerei,
  • 8.081.000 im produzierenden Gewerbe und,
  • 2.621.000 im Baugewerbe.

Das heißt, dass an den Hervorbringungen jedes Produktiven neben ihm selbst weitere 6,35 Menschen partizipierten.

In absoluten Zahlen waren 2021 also 11,263 Millionen Menschen im engeren Sinne produktiv tätig. Diesen standen 33,717 Millionen Menschen in Dienstleistungsberufen gegenüber, was insgesamt die Zahl von fast 45 Millionen Erwerbstätigen ergibt.

Doch die Zahl 45 Millionen ist mit Vorsicht zu genießen, denn davon waren wiederum nur 18,743 Millionen sozialversicherungspflichtige Vollzeit-Beschäftigte. Von den übrigen 26 Millionen waren 2021 4,4 Millionen Mini-Jobber (Maximal 520 Euro Monatsverdienst oder maximal 70 Arbeitstage pro Kalenderjahr) und 21.6 Millionen Teilzeitbeschäftigte.

So grob die hier angeführten statistischen Werte auch sind, führen sie doch unmittelbar zu der Frage, ob die Verhältnisse

  • zwischen produktiv Beschäftigten und Dienstleistenden,
  • zwischen sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigten und Teilzeitbeschäftigten und Minijobbern
  • zwischen Erwerbstätigen und nicht Erwerbstätigen

tatsächlich dafür sprechen, dass die potentielle Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft ausgeschöpft und damit der Level des möglichen allgemeinen Wohlstands bereits erreicht ist.

 

ANGEBOT UND NACHFRAGE

Beantwortet man diese Frage mit ja, erklärt man damit zugleich, dass die Situation der Armen im Lande, ganz gleich, ob es sich um Kinderarmut oder Armutsrentner handelt, ob wir von prekär Beschäftigten oder den Empfängern von ALG 2 und Sozialhilfe sprechen, mit dem verfügbaren Nationaleinkommen nicht verbessert werden kann, weil das Angebot, also das Produktionsvolumen der Produktiven  bereits irgendwo zwischen Optimum und Maximum angesiedelt ist, ein Mehr an Nachfrage also nicht befriedigt werden kann.

Beantwortet man die Frage jedoch mit nein, weil man ein gigantisches brachliegendes Arbeitskräfte-Potential erkennt, das sowohl in den Arbeitslosen und in den nur geringfügig Beschäftigten und Teilzeitkräften sichtbar wird, aber auch bei der Zahl von über 5 Millionen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes die Frage aufkommen lässt, ob nicht zumindest die Hälfte davon besser einer sinnvolleren Tätigkeit nachgehen sollte, dann muss man sich fragen, warum die Wirtschaft nicht alles dafür tut, aus diesem Potential so viele Menschen wie irgend möglich in die produktive Beschäftigung einzugliedern und so den allgemeinen Wohlstand zu heben.

Natürlich gibt es „die Wirtschaft“ nicht. Es gibt nur Unternehmen, die gegenseitig um die Kaufkraft der Konsumenten konkurrieren. Das Ziel, dabei einen Beitrag zur Bedarfsdeckung zu leisten, wird allerdings nur da angestrebt, wo mit der Bedarfsdeckung zugleich auch ein Unternehmensgewinn generiert werden kann.

Dies ist allerdings weit problematischer als es auf den ersten Blick anmutet. Um es noch einmal zu wiederholen:

Unternehmen konkurrieren um die Kaufkraft der Konsumenten.

Die Kaufkraft der Konsumenten ist jedoch begrenzt. Primär steht nicht mehr zur Verfügung als die jeweils gezahlten Löhne und Gehälter. Die Summe der gezahlten Löhne und Gehälter ist jedoch notwendigerweise niedriger als die Summe der Umsätze der sie beschäftigenden Unternehmen. Dies gilt auch, wenn mehr Menschen beschäftigt werden, um mehr produzieren zu können. Die Summe der Löhne und Gehälter wird nie ausreichen, um die hergestellten Produkte bezahlen zu können.

Soll eine solche Mehrproduktion im Binnenmarkt abgesetzt werden, muss den Konsumenten, zu denen auch der Staat gehört, zusätzliche Liquidität zufließen. Das gelingt auf zwei Wegen, nämlich einerseits auf dem Weg der Auflösung von bestehendem Vermögen durch Zugriff auf das Ersparte, bzw. durch den Verkauf von Sachwerten (beim Staat: Privatisierung), andererseits auf dem Wege der Kreditaufnahme.

Wenn die Vermögensauflösung und die Kreditaufnahme nicht ausreichen, die Mehrproduktion im Binnenmarkt abzusetzen, kann der Export die Lösung sein, vorausgesetzt, die Produktion erfolgt zu international wettbewerbsfähigen Kosten. Dann werden sogar die zusätzlich gezahlten Löhne zu Kaufkraft im Inland und ziehen damit auch jene Branchen mit nach oben, die vorwiegend für den Binnenmarkt produzieren.

Mit der selbstgemachten Energiekrise, die bestimmte Produktionen in Deutschland bereits unmöglich macht und andere spürbar verteuert, verändert sich jedoch die Ausgangsposition der deutschen (und der EU-ropäischen) Exportindustrie im internationalen Wettbewerb erheblich.

Bei unveränderten Preisen drohen massive Gewinneinbußen, ggfs. drohen dauerhafte Verluste und Insolvenz.

Dem wirken EU und Bundesregierung mit dem Ziel, den Außenwert des Euro zu senken bereits entgegen. Das Mittel dazu sind „märchenhafte“ Neuverschuldungsorgien, deren Wirkung sowohl auf den Binnenwert (Inflation) als auch auf den Außenwert der Währung nicht ausbleiben wird.

Dass die damit unvermeidlich ausgelöste Verteuerung  der Importe sich negativ auf den allgemeinen Wohlstand auswirken muss, wird in Kauf genommen, um den Export zu stützen.

Die abnehmende Binnenkaufkraft, die ja nicht nur durch den sinkenden Euro-Kurs entsteht, sondern vor allem durch den davon unabhängigen Anstieg der Energiekosten stark in Mitleidenschaft gezogen wird, muss irgendwie wieder aufgefüllt werden, und zwar in absehbarer Zeit auch wieder durch einen Anstieg der Produktion (für den Export), weil auch die Neuverschuldung bald an die Grenzen des noch Verantwortbaren stoßen wird.

 

FACHKRÄFTEMANGEL

Damit sind wir wieder bei der Diskussion um die Verlängerung der Lebensarbeitszeit.

Der Renteneintritt der Baby-Boomer beansprucht nicht nur die Rentenkassen, er mindert auch den Nutzungsgrad der Produktionskapazitäten und damit den Output an Waren aller Art. Die notwendigen Fachkräfte, die den Abgang der Neurentner ersetzen müssten, wurden vom staatlichen Bildungswesen und von der Wirtschaft nicht herangebildet, sie konnten auch nicht durch Zuwanderung gewonnen werden.

Um die wirtschaftlichen Folgen der Dekarbonisierung zu kompensieren, genügt es aber nicht, die Produktion für den Export nur auf gleicher Höhe zu halten. Sie müsste sogar massiv ausgeweitet werden. Da dies mangels geeigneten Personals als nicht möglich erscheint, gilt als Minimalforderung:

Die Zahl jener 11,2 Millionen echt Produktiven, auf deren Arbeit unser gesamter Wohlstand  beruht, darf nicht ausgerechnet jetzt auch noch schrumpfen! Also darf man sie jetzt nicht in Rente gehen lassen.

Das hat man in der Wirtschaft erkannt, so dass es nicht wundert, dass der Wirtschaftsweise Martin Werding ganz aktuell für die Rente mit 69 plädiert.

Das hat man in der Klientelpartei FDP erkannt, deren Vizechef Johannes Vogel das offizielle Renteneintrittsalter ganz abschaffen will, weil das viele Beschäftigte dazu verführen könnte, einfach so lange zu arbeiten, wie die Belastung zu verkraften ist und sich die späteren Rentenansprüche erhöhen.

Das hat man wohl auch im Kanzleramt von den Wirtschaftsverbänden zu hören bekommen, was Olaf Scholz veranlasst hat, wenigstens Kritik daran zu üben, dass zu viele Menschen von der Möglichkeit der Frühverrentung ab 63 Gebrauch machen, für die sich seine SPD ja vor der Bundestagswahl 2013 noch ausgesprochen engagiert eingesetzt hatte, um sie 2014 in der Koalition zu verwirklichen.

 

Wie lange es dauern wird, bis unsere Zukunftskoalition zur Tat schreitet und das Renteneintrittsalter neu festsetzt, ist schwer zu sagen.

Die Vorbereitung der Bevölkerung auf diesen Schritt ist jedenfalls bereits angelaufen und wird so lange nicht wieder aus der Diskussion verschwinden, bis die Konsequenzen gezogen sind.

Diese Konsequenzen falscher Politik erscheinen zwar logisch und notwendig, sind deswegen aber keinesfalls „richtig“, sondern nur die Ausweitung und Vertiefung des grundsätzlich Falschen.

Die falsche Politik ist allerdings nicht nur im Versuch der Dekarbonisierung um jeden Preis, verbunden mit den selbstmörderischen Russland-Sanktionen zu suchen. Daraus resultiert (lediglich) die Notwendigkeit, sehr viel mehr produktive Leistung abzurufen um den Wohlstandsabfluss durch die extrem gestiegenen Energiekosten zu kompensieren.

Die falsche Politik ist aber auch darin zu finden, dass die notwendige produktive Leistung nicht abgerufen werden kann, weil ein aufgeblähter Dienstleistungsbereich – vor allem im öffentlichen Dienst – entstehen konnte, der weite Teile der Erwerbspersonen aufgesogen hat, dessen Personal wegen „Fehlqualifizierung“ für die Produktion jedoch „verloren“ ist.

Da sind die 211 überzähligen Abgeordneten des Deutschen Bundestages (mit 35,3 Prozent über dem Soll) zwar nur die Spitze des Eisbergs, aber zugleich symptomatisch für die Gesamtsituation, in der sich – noch so ein Highlight – neben 191 Lehrstühlen für Pharmazie inzwischen auch 196 Gender Professuren etablieren konnten.

Zahlen, die ebenfalls nachdenklich machen, finden wir bei den öffentlich rechtlichen Sendeanstalten: 23.000 fest angestellte Mitarbeiter hat die ARD, 3.500 fest angestellte Mitarbeiter das ZDF. Hinzu kommen tausende freier Mitarbeiter – und all die Produktionsfirmen, die im Auftrag der Sender die Sendungen produzieren, sofern sie nicht einfach im rundum-sorglos Paket von den Medienhändlern gekauft werden. 8,42 Milliarden Euro werden dafür jährlich an Gebühren eingezogen.

Zum Vergleich: Die RTL Group mit Beteiligungen an 56 Fernsehsendern, acht Streaming-Diensten und 36 Radiostationen ist in sechs europäischen Ländern entweder Nummer eins oder Nummer zwei. Details dazu finden sich auf https://company.rtl.com/de/ (ganz nach unten scrollen). Die RTL Group kommt dabei mit nur 17.400 Mitarbeitern zurecht.

 

 

Anhang

Der Fachkräftemangel und die Schwierigkeiten seiner Behebung.

Die Problematik lässt sich am besten an einem Beispiel erläutern.

Ein kleinerer mittelständischer Betrieb mit 200 Arbeitskräften erzielt einen Jahresumsatz von 25 Millionen Euro. Davon sind 10 Millionen Personalkosten, 7,5 Millionen entfallen auf den Einkauf von Material und Energie, 5 Millionen sind Kapitalkosten (also Abschreibungen auf das Inventar) und 2,5 Millionen bleiben vor Steuern als Gewinn übrig.

Die Verkaufsabteilung ist sich sicher, dass der Markt einen Jahresumsatz von 30 Millionen Euro ermöglichen würde. Dafür wäre es jedoch erforderlich, das Personal im gleichen Maße (20%) aufzustocken. Die Einrichtung von 40 neuen Arbeitsplätzen, überwiegend in der Fertigung, teils aber auch in der Verwaltung, ist mit 10 Millionen Euro anzusetzen, wodurch sich die Abschreibungen von jährlich 5 auf 6 Millionen erhöhen, während das Einkaufsvolumen von 7,5 auf 9 Millionen Euro steigt. Bis dahin haben sich die Relationen nicht verändert: +20% an allen Fronten. Nur die Personalkosten sind noch offen. Bisher werden durchschnittlich 50.000 Euro pro Kopf an Personalkosten fällig. Bliebe das so, dann könnte das Umsatzwachstum auch den Gewinn um 20% von 2,5 auf 3 Millionen Euro wachsen lassen.

Das stimmt so leider nicht.

Diesem Gewinnzuwachs steht nämlich die Investition von 10 Millionen gegenüber. Die 10 Millionen sollen zwar über die Abschreibung im Laufe von 10 Jahren wieder eingespielt werden, doch leider kostet Geld auch Geld. Egal ob der Unternehmer sein Privatvermögen angreift, das bisher Zinserträge gebracht hat, oder ob er sich bei seiner Hausbank verschuldet – bei einer angenommenen Verzinsung von rund 3 Prozent werden im ersten Jahr schon 300.000 Euro an Zinsen fällig. Vom Mehrumsatz verbleibt nur noch ein Mehrgewinn von 200.000 Euro. Das entspricht, bezogen auf die Investition, einer Kapitalrendite von nur noch 2 Prozent. Das ist nicht gerade verlockend.

Dummerweise sind aber auch die Fachkräfte, die man anwerben will, nicht bereit für durchschnittlich 50.000 Euro Jahreseinkommen zu arbeiten. Fordern diese 40 Einzustellenden nur  5 Prozent mehr, also 52.500 Euro, schrumpft der Mehrgewinn schon auf 100.000 Euro zusammen, müssten gar 55.000 Euro gezahlt werden, bleibt unter dem Strich kein Cent mehr übrig.

Das Beispiel lässt sich natürlich auch mit anderen Zahlen durchrechnen. Bleibt man dabei allerdings realitätsnah, wird sich die Erkenntnis durchsetzen, dass es gar nicht so einfach ist, aus zusätzlichen Arbeitsplätzen auch nennenswerte zusätzliche Gewinne zu realisieren.  In Branchen, in denen zusätzliche Arbeitsplätze nicht zwingend mit hohen Investitionen verbunden sind, wie zum Beispiel in der Gastronomie, die im Verlaufe der Pandemie viele Beschäftigte verloren hat, reichen momentan die Gehaltsvorstellungen der potentiellen Rückkehrer alleine schon aus, um den möglichen Mehrgewinn aus dem Mehrumsatz schwinden zu lassen.