Rollgeld – der Haushalt 2024

PaD 48 /2023 – Hier auch als PDF verfügbar: Pad 48 2023 Rollgeld – der Bundeshaushalt 2024

In vorweihnachtlich-besinnlicher Stimmung ist mir, beim Meditieren über die Haushaltsbeschlüsse der Ampel, eine Figur aus meiner frühen Kindheit eingefallen.

Der Fuhrmann Fischer

Fuhrmann Fischer war ein stets mürrisch wirkender Mittvierziger von hagerer Gestalt. In den 1950er Jahren sah man ihn beinahe täglich, wie er mit einer alten Wehrmachts-Feldmütze auf dem Kopf neben dem Gaul, der den Pritschenwagen ziehen musste, einherging, weil im kleinen Neustadt bei Coburg alles Stückgut, das mit der Bahn angekommen war, auf diese Weise zu den Empfängern kutschiert wurde.

Nein. Nicht alles. Nur der Kleinkram. Das gute Geschäft machte meistens die Spedition Louis Baufeld, die nach dem Krieg, ab 1950, praktisch von null an wieder aufgebaut wurde, aber schon auf einen motorisierten Fuhrpark zurückgreifen konnte und sich nicht auf das Geschäft mit den Rollfuhren beschränkte, sondern bald  „international“ wurde. Louis Baufeld gibt es immer noch.

Der dritte im Bunde (im Bunde!) war Schenker. Ich habe als Knirps, kaum dass ich lesen konnte, alles entziffert, was mir vor Augen kam, und natürlich auch die Schriftzüge auf den Lastwagen, und habe die auch heute noch in meiner Erinnerung vor Augen. Begriffen habe ich zu der Zeit auch, dass die Bahn nur bis zum Bahnhof kommt, was bis heute so geblieben ist, dass das Transportgut damit aber noch nicht beim Empfänger angekommen ist, und dass die wenigsten in der Lage sind, ihre größeren und schweren Sendungen selbst vom Bahnhof abzuholen.

Die Deutsche Reichsbahn hatte das schon 18 Jahre vor meiner Geburt begriffen und sich Anfang 1931 die Spedition Schenker, bekannt als Erfinder des Bahnsammelverkehrs, einverleibt, und so den – dem Bahntransport vor- und nachlaufenden – Straßengüterverkehr in ihr Geschäftsmodell übernommen. Nach dem Krieg blieb Schenker im Staatsbesitz und ging von der Reichsbahn in das Vermögen der Bundesbahn über. Erst 40 Jahre später erwarb die Stinnes AG die Mehrheitsbeteiligung an der Spedition, und – schwuppdiwupp – nach weiteren 10 Jahren kaufte die Bahn Stinnes auf – und Schenker war wieder zuhause angekommen.

Nun ist die Ampel-Regierung praktisch pleite und der schon vor einem Jahr ins Auge gefasste Plan, Schenker zu verkaufen, soll als Teil der Vorhaben zur Haushaltssanierung tatsächlich umgesetzt werden. Der mögliche Erlös aus diesem Verkauf von Volksvermögen wird auf 12  bis 20 Milliarden Euro geschätzt. Bei einem operativen Gewinn von 626 Millionen Euro im ersten Halbjahr 2023, wären 12 Milliarden eher als absolutes Schnäppchen anzusehen, zumal die Logistikbranche insgesamt kräftige Wachtumsraten verzeichnet und mit drei Millionen Beschäftigten und rund 330 Milliarden Euro Umsatz den drittgrößten Wirtschaftsbereich Deutschlands darstellt.

Aber was sind schon – hochgerechnet – 1,2 Milliarden Jahresgewinn für die Bundeskasse (innerhalb von 10 Jahren summiert sich das auf mehr als 10 Milliarden), wenn die Transformationskosten dort ein jährlich weiter wachsendes Loch reißen? Da stopft man das Loch doch lieber mit einem Notverkauf, und weil die Käufer wissen, dass es  um einen Notverkauf geht, werden sie zögern, selbst jene 12 Milliarden auf den Tisch zu legen, die letztes Jahr noch als Minimalerlös gehandelt wurden.

Bedacht werden sollte auch, dass Schenker nach dem Verkauf nicht mehr mit der Bahn kooperieren, sondern versuchen wird, Transporte, die jetzt noch auf der Schiene laufen, auf seine LKWs zu ziehen. Natürlich wird der nächste  „Fuhrmann Fischer“ auf den die Bahnkunden angewiesen bleiben, seine Preisforderungen in ähnlicher Weise durchsetzen, wie die Lokführergewerkschaft ihre Lohn- und Arbeitszeitforderungen. Auf der Strecke bleibt die Bahn.

Ich möchte, wenn es nicht insgesamt volkswirtschaftlicher Wahnsinn wäre, der Ampel am liebsten zurufen: „Verkauft die Bahn doch gleich mit. Das wird die Transportkosten weniger steigen lassen und die Auslastung der Schiene hochhalten!“

Wenn ich die wortreichen und inhaltsarmen Erklärungen von Scholz, Habeck und Lindner zum Haushaltskompromiss richtig deute, geht es beim Ausverkauf des  Volksvermögens aber nicht nur um Schenker, vermutlich  werden auch einige Liegenschaften des Bundes im nächsten Jahr den Besitzer wechseln, um Löcher zu stopfen, die ohne die Ampel wohl nie aufgerissen worden wären.

Ich schätze, dass Lindner damit rechnet, um die 15 Milliarden Euro zu erlösen, und dass diese 15 Milliarden jetzt aus dem Dekarbonisierungs-Fenster geworfen werden, um spätestens in 10 Jahren, wenn andere Parteien die Geschicke des Landes bestimmen, wegen der nicht mehr anfallenden Gewinne ein neues 15 Milliarden Loch vorzufinden.

Aber damit, Löcher in künftige Bundeshaushalte zu reißen, begnügt sich die Ampel nicht. Es müssen auch Löcher in die Ertragskraft der Wirtschaft und in die Kaufkraft der privaten Haushalte gerissen werden, um das Loch zu stopfen, dessen ganzes Ausmaß auf dem Weg zum 1,5 Grad Ziel auf weit mehr als eine Billion Euro zu beziffern sein wird.

Eine Abkehr ist nicht zu erwarten, denn, wie Olaf Scholz es formulierte:

„Die Regierung hält an ihren Zielen fest.“

Das heißt:

  • Die aufgrund der verfehlten Energiepolitik nicht mehr wettbewerbsfähigen Unternehmen der energieintensiven Branchen werden weiterhin aus der Staatskasse subventioniert.
  • Die Fantasien einer Wasserstoffwirtschaft werden weiter ausgelebt und dafür Multimilliarden-Subventionen unter anderem in den Traum von grünem Stahl investiert. Gerade ist bekannt geworden, dass der Umbau der Völklinger Hütte auf grünen Wasserstoff, von dem niemand weiß, wie er jemals in ausreichenden Mengen und zu einem wettbewerbsfähigen Preis produziert und zu den Verbrauchern transportiert werden kann, mit 2.6 Milliarden von Bund und Land subventioniert werden wird. Dass die EU, als der wahre Souverän Deutschlands, die Genehmigung dafür erteilen wird, erscheint so gut wie sicher.
  • Die Subventionierung der Investitionen ausländischer Unternehmen zum Bau von Chipfabriken (für den Weltmarkt) wird ebenfalls nicht angetastet.

Dabei soll der Klima- und Transformationsfonds das zentrale Instrument der Wirtschafts- und Konsumlenkung bleiben. Allerdings werden die aus diesem Fonds zu finanzierenden Ausgaben 2024  um 12 Milliarden gekürzt. Präziser ging es noch nicht, doch was bedeutet „Kürzungen“, wenn die Regierung an ihren Zielen festhält? Es bedeutet nichts anderes, als das „Entlastungen“ und „Investitionen“ wegfallen, dass also dringend benötigte Kaufkraft zur Finanzierung der auf die Bevölkerung entfallenden Transformationslasten nicht bereitgestellt wird, und dass der mit den Investitionen beabsichtigte Wachstumseffekt deutlich kleiner ausfallen wird.

15 Milliarden aus Privatisierungen plus 12 Milliarden aus Kürzungen verhelfen der Ampel schon einmal zu 27 Milliarden für das Festhalten an Zielen, für die allenfalls noch jeder siebte Wähler zu begeistern ist.

Ob der gestrichene Zuschuss zu den Netzentgelten in Höhe von 5,5 Milliarden Euro zu diesen Kürzungen zählt? Vermutlich eher nicht. Die waren, wenn ich das richtig erinnere, Bestandteil des regulären Bundeshaushaltes. Jetzt landen sie mit der Stromrechnung  beim Verbraucher. Damit sind 32,5 Milliarden für die Ziele im Topf, an denen festgehalten werden muss.

Mit dem Wegfall des so genannten Dienstwagenprivilegs, der Anhebung der Mineralölsteuer für Dieselkraftstoffe (auch für die Landwirtschaft) und der Erhebung einer Steuer auf Kerosin für Inlandsflüge – allesamt jetzt als „klimaschädliche Subventionen“ verteufelt, sollen weitere  drei Milliarden für die Ampelziele gewonnen werden. Das macht in Summe inzwischen 35,5 Milliarden.

Dass auch die E-Euto-Kaufprämie früher auslaufen und die Solarförderung gekürzt werden soll, fällt sicherlich nicht unter das Kriterium „klimaschädliche Subventionen“, muss aber sein, weil die Mittel umgeschichtet werden müssen, um den Umbau der Industrie von gewinnorientiert auf staatsfinanziert aufrecht erhalten zu können. Bringt das noch eine Milliarde? Bestimmt. Summe: 36,5 Milliarden.

Der Arbeitsminister soll ukrainische Kriegsflüchtlinge schneller in Arbeit bringen und auf dieserm Weg 1,5 Milliarden einsparen. Wird nicht funktionieren, aber der Wille zählt. 38 Milliarden!

Die Erhöhung der CO2-Abgabe. Vorgesehen und eingeplant war die Erhöhung von 30 auf 40 Euro pro Tonne. Nun sind es 45 Euro pro Tonne, eine Milliarde mehr als  sowieso geplant, insgesamt drei Milliarden mehr für den Haushalt als im letzten Jahr, dafür drei Milliarden weniger in den Taschen der Bürger. In Summe schon 41 Milliarden.

Ich höre die Grünen bei diesen Zahlen schon wieder in den begeisterten Ruf ausbrechen:

Deutschland ist ein reiches Land!

Dennoch bringt diese Regierung nicht einen Hauch von Schamgefühl zustande, wenn sie nebenbei andeutet, die Schuldenbremse im nächsten Jahr voraussichtlich doch wieder aushebeln zu wollen, weil die Notlage im Ahrtal erst 2024 in ihrem ganzen erschreckenden Ausmaß erkennbar werden wird und die acht Milliarden für die Ukraine auch nicht ausreichen werden, um den Krieg bis zum Jahresende 2024 weiter zu finanzieren, vor allem, wenn die USA sich tatsächlich aus diesem Engagement weitgehend zurückziehen sollten. Das wäre dann – ich verstehe das zwar nicht, aber es entspricht dem gültigen Narrativ – eine schlimme Notlage für Deutschland, die eine Aufhebung der Schuldenbremse nach Art. 115,2 GG rechtfertigen werde.

Noch nicht erwähnt ist die „Plastik-Abgabe“. Plastik ist ja nichts anderes als veredeltes Erdöl und von daher schon grundsätzlich ein Ärgernis auf dem Weg zur Dekarbonisierung. Beschlossen hat diese Plastikabgabe die EU in ihrer Güte und Weitsicht, doch die Bundesregierung hat bislang stillschweigend die Last dieser Abgabe aus dem Steuersäckel bestritten. Man gönnt sich ja sonst nichts, und Geld stinkt nicht, meinte da wohl Frau von der Leyen, im hehren Ziel der EU-Finanzierung, egal wie, mit Berlin geeint.

Nun, da alle Vernunft im Haushaltsloch verschwunden ist und an ihre Stelle ein inbrünstiges Hoffen auf das Erscheinen eines Lichtleins am Ende des Tunnels getreten ist, will der Bund die Plastikabgabe nicht mehr aus Steuermitteln finanzieren: Die „Inverkehrbringer“ müssen diese Milliarde jetzt selbst bezahlen.

Auf den Vorhalt, dass auch diese Abgabe letztlich von den Verbrauchern bezahlt werden müsse, hieß es aus Habecks Ministerium, ebenfalls ohne einen Hauch von Schamgefühl, es gäbe auch eine andere Möglichkeit, nämlich: „… oder die Plastikhersteller verringern  ihre Gewinne und gleichen so die neue Abgabe aus.“

Das klingt wie das Trostwort des  Wirtschaftsministers an die Bäcker, sie müssten ja nicht gleich Insolvenz beantragen, es genüge ja, wenn sie aufhören würden zu backen.

Nun hat Friedrich Merz den Bundeskanzler tatsächlich aufgefordert, die Vertrauensfrage zu stellen.

Scholz hat das – meines Erachtens – richtig eingeschätzt und als „missglückte Mackergeste“ abgetan.

Wenn Merz Eier in der Hose hätte, dann wäre es an ihm, mit einem konstruktiven Misstrauensvotum anzutreten.

Wie soll ein Kanzler, der keine erkennbare eigene Zielsetzung zu haben scheint, denn in einem innerhalb der Koalition strittigen Punkt die Vertrauensfrage stellen? Dazu bräuchte es nicht nur eine Zielsetzung, sondern auch die Überzeugung auf dem richtigen Weg zu sein und den Willen, diese Überzeugung, auf die Gefahr des Scheiterns hin, durchzusetzen.

Ein Szenario, das ich mir mit Scholz im Mittelpunkt absolut nicht vorstellen kann.

Wenn allerdings die Opposition eine klare Zielsetzung hätte, und dazu die Überzeugung, damit den richtigen Weg zu beschreiten, und den Willen, diese Überzeugung – auch auf die Gefahr des Scheiterns hin – wirksam werden zu lassen, dann – so glaube ich – ließe sich damit im Deutschen Bundestag eine ausreichende Mehrheit finden.

An Zielsetzung fehlt es dabei am wenigsten. Das neue Grundsatzprogramm weist – bei aller notwendigen Kritik – schon in die richtige Richtung. An der Überzeugung, damit den richtigen Weg zu beschreiten, fehlt es allerdings in den Gliederungen der Union, und insbesondere bei einigen wichtigen Landesfürsten. Damit ist der Wille, diese Überzeugung wirksam werden zu lassen zu schwach, um Friedrich Merz, dessen Zögerlichkeit ja bekannt ist, den Mut finden zu lassen, die amtierende Regierung zu stürzen.

Die Chancen, dass 2024 ein gutes neues Jahr werden könnte, sind in dieser Woche für alle, außer den Profiteuren der Klimawandelverhinderungspolitik, noch einmal dramatisch gesunken.