Verdi-Streik – das wird noch lustig

Die Lokführer haben sich an den Verhandlungstisch gestreikt. „Geht doch“, wird man sich bei Verdi gesagt haben, „packen wir’s an!“

Nun ist der Freitag zum Warnstreiktag für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) in allen Bundesländern – außer Bayern – ausgerufen worden.

Es geht um mehr Geld und um bessere Arbeitsbedingungen für 90.000 Beschäftigte in 130 kommunalen Unternehmen.

 

Zum Grundsätzlichen:

Tarifauseinandersetzungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern gehören zur Marktwirtschaft wie die Butter zum Fisch. In mehr als 90 Prozent der Fälle sind es die Arbeitnehmer, die um mehr Geld kämpfen. Ursachen dafür sind häufig in der Inflation zu finden, die an der Kaufkraft des bisher vereinbarten Lohnes knabbert, andererseits können sich Mitarbeiter bestimmter Branchen aber auch gegenüber anderen Branchen zurückgesetzt fühlen, wenn dort die Gehälter stärker gestiegen sind – und natürlich gehört der Anspruch auf „Verteilungsgerechtigkeit“ auch zu den Begründungen, wenn der Eindruck entsteht, Eigentümer und Führungskräfte verdienen blendend, während die Belegschaften sich mit „Hungerlöhnen“ abfinden sollen.

Es gibt dabei jedoch Unterschiede.

Streik im produzierenden Gewerbe

Das Druckmittel, der Arbeit fern zu bleiben, wird im produzierenden Gewerbe zu Umsatzverlusten und damit sinkenden Gewinnen führen, wobei das Kalkül der Gewerkschaften natürlich darin besteht, dass die Arbeitgeber ab einer bestimmten Schwelle dann doch lieber bereit sind, den Mitarbeitern etwas mehr abzugeben als durch den Streik größere Verluste hinnehmen zu müssen als sie durch die Lohnerhöhung entstehen.

Dass die Forderungen der Gewerkschaften in Deutschland bisher zumeist moderat ausgefallen sind, war Teil dieses Spiels, denn ein Interesse daran, dass ein Unternehmen wegen zu hoher Personalkosten Mitarbeiter entlassen muss oder gar Insolvenz anmeldet, können auch die Gewerkschaften nicht haben.

Streik im Dienstleistungssektor der öffentlichen Hand

Im Dienstleistungssektor, noch dazu wenn die Unternehmen im Eigentum von Kommunen stehen, sieht die Sachlage allerdings anders aus.

Die kommunalen Unternehmen sind in der Regel Träger der Infrastruktur der Grundversorgung und als solche nicht gehalten, Jahr für Jahre hohe Gewinne zu erzielen. Im Gegenteil, wenn die Kosten die Einnahmen übersteigen, ist es die Kommune, die aus ihrem Steuersäckel Zuschüsse leistet, um den angebotenen Service aufrecht zu erhalten. Und es sprechen viele gute Gründe dafür, in den größeren und großen Städten einen funktionierenden öffentlichen Nahverkehr anzubieten.

Hier ist das Argument „Verteilungsgerechtigkeit“ vollkommen fehl am Platze. Gestiegene Lebenshaltungskosten einerseits und ein erheblicher Unterschied zu den Tarifgehältern in anderen Branchen sind hier die einzigen Argumente die zählen.

Nun ist die Situation der deutschen Kommunen – nicht nur, aber auch – wegen der  Kosten für die Bewältigung der anhaltenden Zuwanderung alles andere als rosig. Das gilt nicht nur für die Situation in Niedersachsen, wo man kürzlich erst wieder nach finanzieller Hilfe durch den Bund gerufen hat.

Der Bund ist allerdings auch klamm und hat sich mit so manchen hurtig beschlossenen Sparmaßnahmen und gleichzeitiger Erhöhung von Steuern und Abgaben keine Freunde gemacht, wie die Demos der Landwirte und des gewerblichen Mittelstandes deutlich erkennen lassen. Herr Lindner wird also kaum Möglichkeiten finden, die Personalkostensteigerungen bei den kommunalen Unternehmen vollständig zu übernehmen.

Wenn also auf die bestreikten kommunalen Unternehmen Kostensteigerungen in der Größenordnung von schätzungsweise 300 Millionen Euro jährlich zukommen, die auf ebenfalls schätzungsweise 10 Millionen regelmäßiger Nutzer (ohne die Bayern) umgelegt werden müssen, dann müssten die Nutzer mit jährlichen Mehrkosten von rund 30 Euro für Ihre ÖPNV-Tickets rechnen.

„Das muss  doch zu verkraften sein!“, höre ich da rufen, und das ist ja auch nicht ganz falsch – wenn es denn schon alles wäre. Es ist aber nicht alles.

Heizung und Strom sind in Deutschland teuer wie nie geworden. Die Wohnungsmieten steigen weiter. Lebensmittel haben zweistellige Inflationsraten hinter sich gebracht und werden wohl auch noch weiter anziehen. Lohnerhöhungen, die wenigstens die Inflation kompensieren würden, hat es  in den letzten drei Jahren nicht gegeben, und Rentenerhöhungen, die den Kaufkraftverlust ausgleichen würden schon gar nicht.

Es steht ein großer Elefant im Raum – und alle versuchen, ihm den Rücken zuzuwenden, weil nicht sein kann, was man nicht sehen will.

Deutschland ist ärmer geworden und wird noch ärmer werden.

Es gibt nichts mehr zu verteilen, was nicht längst verteilt wäre.

Eine der wichtigen Ursachen dafür ist die Verteuerung der Energierohstoffe, die ja nich nur alleine aus der verstärkten Besteuerung fossiler Energieträger herrührt, sondern aus der Tatsache, dass diese Regierung auf den Bezug preiswerter Energie, vor allem preiswerten russischen Erdgases freiwillig verzichtet hat und als Ersatz dafür nur teures US-Fracking-Gas, noch dazu nicht nicht ausreichenden Mengen, zur Verfügung steht, obwohl sich darin, wie es Robert Habeck gesagt hat, auch „russische Moleküle“ befinden mögen. Es ist doch bekannt, dass wir vor allem via Indien große Mengen russischen Flüssiggases beziehen. Viel teurer als aus der Pipeline. Aber man kann halt behaupten, wir würden direkt von Russland keinen Kubikmeter Gas mehr importieren.

Diese Mehrkosten für den Energie-Import bilden sich natürlich auch in den Zahlungsströmen ab, und da ist zu erkennen, dass Milliarden von Euros mehr als früher den eigenen Wirtschaftsraum verlassen und da weder für den Konsum, noch für Investitionen zur Verfügung stehen und noch nicht einmal als Ersparnisse noch auftauchen.

Eine weitere wichtige Ursache ist nochmals die Verteuerung der Energierohstoffe, weil sich diese eben nicht nur im Abfluss von Kaufkraft ins Ausland auswirkt, sondern auch in den Kalkulationen der Wirtschaft Spuren hinterlässt. Die Folgen: Die Herstellungkosten steigen und mit ihnen steigen entweder die Preise der Fertigerzeugnisse oder die Gewinne gehen in den Keller. Die Folgen davon wiederum heißen Umsatzrückgang, Produktionseinschränkungen, Abwanderung ins Ausland oder gleich Insolvenz.

Es gibt nichts mehr zu verteilen.

Die Verdi-Mitglieder in den kommunalen Betrieben werden mit dem Warnstreik am Freitag zwar noch keinen großen Schaden anrichten. Sollten sich die Fronten jedoch verhärten, wird den Kommunen, wenn sie den Stillstand in den Städten vermeiden wollen, nichts anderes übrig bleiben, als nachzugeben. Es geht zwar vorrangig „nur“ um Arbeitszeitverkürzung, um mehr Urlaubstage und mehr Urlaubsgeld, doch das hieße doch ebenfalls, dass Neueinstellungen erforderlich werden und die Personalkosten ebenso ansteigen, wie wenn Verdi massive Lohnerhöhungen fordern würde.

Die Kommunen werden das nicht leisten können, zumal sie einer Schuldenbremse unterworfen sind, die keine Spielräume für die Neuverschuldung mehr offen lässt. Sie werden also die Preise erhöhen und Leistungen einschränken. Weniger Busse und Straßenbahnen, ausgedünnte Fahrpläne, eventuell der Wegfall ganzer Linien werden dann dazu führen, dass die Kunden nach anderen Möglichkeiten suchen, von A nach B zu gelangen. Es ist ja nicht nur der Preis, es sind auch die sinnvoll nutzbaren Aspekte des Angebots, die bei der Entscheidung  für den öffentlichen Nahverkehr eine Rolle spielen.

Deutschland ist ärmer geworden – und das lässt sich nicht mehr verbergen.

Wir müssen uns über kurz oder lang alle damit abfinden, dass der aus guten Jahren gewohnte Lebensstandard nicht mehr zu halten ist und für lange Zeit nicht wieder erreicht werden kann. Was in den aktuellen Tarifverhandlungen einzig noch geleistet werden kann, ist ein Nullsummenspiel, bei dem die „Glücklichen“ ihren Anteil noch erhöhen können, jedoch nur zu Lasten derer, die ihre Forderungen später immer weniger durchsetzen können werden.

Unterstützung erhalten die Streikenden ausgerechnet von den streikenden Schülern von Fridays for Future.

»Wir alle brauchen einen verlässlichen Nahverkehr, mit dem wir sicher und günstig zur Arbeit, in den Klub oder nach Hause kommen«, meinte deren Sprecherin Darya Sotoodoh.

Erst Panik schüren, um die Dekarbonisierung im Schweinsgalopp durchzuziehen, aber nicht dafür bezahlen, sondern sicher und günstig in den Klub und wieder nach Hause kommen wollen

Deutschland ist ärmer geworden und wird noch ärmer werden.

Es gibt nichts mehr zu verteilen, was nicht längst verteilt wäre.

Das wird noch lustig werden.