Massenphänomene – Demos gegen Rechts

Bilder, und damit korrespondierende Zahlen von Bürgern auf den Straßen überall im Lande, sind eine für deutsche Verhältnisse äußerst ungewöhnliche Erscheinung. Das haben wir noch bei keiner gewonnenen Fußballweltmeisterschaft gesehen, das übertrifft alles an Begeisterung, was die Besuche der Queen, des Schahs und Kennedys je an jubelnden Massen in Bewegung setzen konnten.

Natürlich hat es solche Massenveranstaltungen auch schon gegeben. Doch von denjenigen, die sich  noch daran erinnern können, lebt kaum noch jemand, so dass die Demonstrationen gegen Rechts  von der aktuellen Schülergeneration bis zu den Omas gegen Rechts als ein Novum erlebt werden, als eine schicksalhafte Bewegung, an der teilgenommen zu haben,  für viele Jahre als – vielleicht die erste – mutige und zweifellos erfolgreich wirksame Tat, in wohliger Erinnerung bleiben wird.

Manche Kommentatoren gehen davon aus, es handle sich bei diesen Aktionen um die Zurschaustellung der breiten Zufriedenheit mit der Regierung, um die absolute Zustimmung zur Verknappung und Verteuerung der Energie, um Begeisterung ob des Abrutschens der Wirtschaft in die Rezession, um Anerkennung für Habecks unerschrockenen Kampf um jeden Kubikmeter Erdgas, der auf den Weltmärkten aufzutreiben ist. Ebenso hieße es, dass Zehntausende in den mittelgroßen und Hunderttausende in den Großstädten mit der Regierung darüber einig sind, dass wir Platz und Geld genug für weitere Millionen von Flüchtlingen hätten, die ja kommen, um dereinst die Renten zu sichern, und was der guten Gründe sich pro Ampel zu positionieren mehr wären.

Dem möchte ich vehement widersprechen.

Diese Demonstrationen bringen nicht den Wunsch nach einem „Weiter so!“ zum Ausdruck. Sie sind, auch wenn sie durchaus im Sinne der Regierung und der übrigen etablierten Parteien stattfinden, keine Zustimmung zur Ampel.

Es sind Willensbekundungen für die Demokratie, weil selbst das Totalversagen einer demokratisch gewählten Regierung nur als das kleinere Übel erscheint, im Vergleich zum faschistischen Totalitarismus, der Deutschland droht, sollte jetzt nicht Haltung gezeigt werden.

Was wir sehen ist das Wiedererstehen eines deutschen Patriotismus, wie er sich lange nicht mehr öffentlich gezeigt hat.

Halten Sie kurz inne, und fragen Sie sich, ob Sie nicht auch mit auf die Straße gehen würden, wenn daraus die Hoffnung erwächst, die Wiederholung jener Gräuel verhindern zu können, von denen wir Dank unserer ausgeprägten Erinnerungs- und Sühnekultur wissen, dass so etwa nie wieder geschehen darf.

Natürlich würden Sie – ebenso wie ich – auf die Straße gehen, wenn Sie wüssten, was unmittelbar bevorsteht, und wenn Sie nicht die Verantwortung dafür tragen wollen, dass deutsche Soldaten erneut die halbe Welt mit Krieg überziehen, dass erneut Millionen von Juden in Vernichtungslagern ermordet werden, dass staatliche Indoktrination erneut von Kindesbeinen an dafür sorgt, dass der Mut, sich des eigenen Denkens zu bedienen, nicht gefasst werden muss, weil der Wunsch danach gar nicht erst aufkommen kann.

In dieser apokalyptischen Szenerie steigen Scholz, Habeck und Lindner als Erzengel in schimmernden Rüstungen aus dem Himmel auf die Erde nieder, um Gottes Schöpfung vor Höcke, Chrupalla und Weidel zu retten, die als bocksbeinige, schwefelstinkende, gehörnte Gestalten aus den Tiefen der Hölle aufsteigen, um sich die Menschheit zu unterwerfen.

Dieses Gegensatzpaar, das auch in den monotheistischen Religionen angelegt ist: „Hier das einzige Gute, dort das abgrundtief Böse“, ist viel älter als die Menschheit. Schon einzellige Lebewesen in den Ozeanen unterscheiden hell und dunkel und arbeiten daher beständig daran, im Licht, und damit in den oberflächennahen Wasserschichten zu bleiben, die ihr optimaler Lebensraum sind.

Solche uralten Reflexe, die selbst (und gerade!) in komplexesten Lebenswelten Orientierung geben, indem alles auf das einfachste Gegensatzpaar reduziert wird, lassen sich auch mit noch so viel Gehirn und Denkvermögen nicht einfach ausschalten. Selbst wenn man sich diese Überlebensfunktionen bewusst macht, können sie in Stresssituationen wieder das Kommando übernehmen.

Daran ist nichts falsch.

Das Problem liegt woanders. Das Problem liegt darin, dass die Merkmale, an denen wir das Nützliche und das Schädliche unterscheiden, die genetischen Prägungen, die den archaischen Lebensformen als Referenzmuster, meinetwegen auch als Eichmaß zur Verfügung standen, um zum Beispiel den „gefährlichen Fressfeind“ und „Wesen aus dem eigenen Beuteschema“ sicher und unmittelbar zu erkennen, sind längst mit mannigfachen anderen Informationen überschrieben. Das hat sowohl mit eigenen, lustvollen oder schmerzhaften Erlebnissen zu tun, als auch mit Erzählungen von Artgenossen, die so eindringlich gestaltet sind, dass sie Eingang in unser Verhaltensrepertoire finden können.

Hier unterscheiden sich die mutigen Neugierigen, die nicht alles glauben, was ihnen erzählt wird, sondern ihre eigenen Erfahrungen machen wollen, von den vorsichtigen Gutgläubigen, deren Erfahrungen sich demzufolge auf das beschränken, was im Umfeld ihres guten Glaubens erfahren werden kann.

Die Erfahrungen, die beide sammeln, sind eindeutig. Die Querdenker erfahren Widerspruch und werden sanktioniert. Denken Sie an Galileo Galilei, der sein heliozentrisches Weltbild am Ende verleugnen musste, um weiterleben zu dürfen, oder an die Geschwister Scholl, oder an Martin Luther King, vielleicht auch nur an Michael Ballweg oder Hans-Georg Maaßen. Das sind – jeweils zu ihrer Zeit – abschreckende Beispiele, welche die gutgläubigen Mitläufer in ihrer Gewissheit bestärken, vor solcherlei Unbill geschützt zu sein.

Und, siehe da, wenn sich Hunderttausende auf Straßen und Plätzen öffentlich als Verteidiger der Demokratie versammeln, wird das zu einem Freudenfest, zu dem nicht aus allen Bundesländern Polizeihundertschaften herangeführt werden brauchen und auch die Wasserwerfer in den Garagen bleiben dürfen.

Staatsmacht und teilnehmende Staatsbürger sind einander – im wahrsten Sinn des Wortes – grün.

Es ist der Feind, der eint. Es ist das Feindbild (Achtung: Mustererkennung!), das Gemeinsamkeit schafft und alle Widrigkeiten vergessen lässt, die ohne die Notwendigkeit, erst den Feind bekämpfen zu müssen, sich in Unzufriedenheit und Murren äußern würden.

Was aber – und das ist die große Frage – wird geschehen, wenn der Kampf gegen Rechts gewonnen werden sollte?

Wird dann eitel Freude und Sonnenschein im Lande herrschen? Wird dann die Inflation verschwinden? Wird wieder reichlich Energie zu günstigen Preisen verfügbar sein? Wird es bezahlbaren Wohnraum für alle geben? Werden für jedes insolvente Unternehmen zwei neue gegründet, wird für jede Produktion, die ins Ausland verlagert wurde ein ausländischer Investor in Deutschland Arbeitsplätze schaffen? Werden sich die Parallelgesellschaften, die Clans, in brave Deutsche verwandeln, werden Messerstechereien und Vergewaltigungen ein Ende finden? Werden die Züge pünktlich fahren? Wird es genug Geld für Schulen und Lehrer geben? Wird das Höfesterben aufhören? Wird sich die Antifa auflösen?

Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass dies von selbst geschehen würde, wenn nur erst die AfD wieder unter die 5-%-Hürde gedrückt ist.

Die AfD ist doch überall nur Opposition, hat selbst noch kein einziges Gesetz erlassen, noch keine einzige Unterschrift unter ein internationales Abkommen gesetzt, was also sollte sie zu den unschönen Entwicklungen beigetragen haben?

Darum geht es auch nicht.

Was schlimm ist, im Lande, wird wohl schlimm bleiben, so lange eine Politik weitergeführt wird, die uns dahin gebracht hat, wo wir stehen. Es kann sogar befürchtet werden, dass es eher noch schlimmer wird, wenn diese Politik fortgesetzt wird.

Beim Kampf gegen Rechts geht es ausschließlich darum, diese Politik fortsetzen zu können. Keine Veränderung zuzulassen, indem nicht zugelassen wird, dass die AfD Verantwortung für die Politik übernehmen und ihre Vorstellungen durchsetzen kann. Wenn man sich von der Vorstellung löst, in den Gremien der AfD säßen lauter Wiedergeburten der NSDAP-Größen, sondern versucht herauszufinden, worum es der AfD geht, dann gibt es da drei große Themenbereiche:

  1. Im Bereich Migrationspolitik will die AfD erreichen, dass geltendes Recht, das spätestens seit 2015 ignoriert wird, wieder zur Anwendung kommt.
  2. Im Bereich Wirtschafts- und Energiepolitik will die AfD das beenden, was sie als den Irrweg der Dekarbonisierungskampagne ansieht und zu einer sicheren, preiswerten Energieversorgung zurückkehren. Wozu auch die Wiederaufnahme der Gaslieferungen aus Russland gehört.
  3. Im Bereich der Europapolitik fordert sie eine Reform der EU, um Teile der an die EU übertragenen nationalen Souveränität zurück zu gewinnen.

Wahlkampf, als die Gegenüberstellung unterschiedlicher Positionen, gehört zum ganz normalen Geschäft in der Demokratie.

Ausnahmslos jede Partei stellt im Wahlkampf ihre Absichten dar und verspricht, dass sich alles bessern wird, wenn man ihr nur seine Stimme gibt. Zugleich nutzt jede Partei aber auch die Möglichkeit, darauf hinzuweisen, was voraussichtlich Schlimmes  geschehen wird, wenn die anderen Parteien die nächste Wahl gewinnen sollten.

Dass die Versprechungen dabei regelmäßig etwas zu groß geraten und dass gegen den politischen Gegner gerne auch mit Unterstellungen gearbeitet wird, kenne ich seit Kindheitstagen. Wie wurde die SPD verteufelt und 20 Jahre lang von der Regierungsmacht ferngehalten, bis Willy Brandt 1969 erstmals eine Mehrheit im Bundestag gewinnen konnte? Wie wurden die Grünen verteufelt und 18 Jahre lang von der Regierungsmacht ferngehalten, bis Gerhard Schröder sie 1998 für seine Kanzlermehrheit brauchte?

Das waren lange Durststrecken, die durchzustehen waren, aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass Kurt Georg Kiesinger oder Helmut Kohl jemals wohlwollend auf Massendemonstration gegen Brandt, bzw. Schröder und eine sich abzeichnende rot-gelbe, bzw. rot-grüne Koalition reagiert hätten und sogar für die Kameras ein Stück weit mitmarschiert wären.

 

Da erleben wir heute eine neue Qualität.

Die bevorstehenden Wahlen zum EU-Parlament und zu den Landtagen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg, erscheinen heute bereits nicht mehr als Wahlen im herkömmlichen Sinne, sondern als Aufforderung, ein Bekenntnis zum wahren Glauben abzulegen.

Wenn die Innenministerin gleichzeitig die Dienste auffordert, die Finanzierung der Rechtsextremen zu durchleuchten, damit „niemand unentdeckt bleibt, der an Rechtsextreme spendet“, dann wird nicht nur die AfD des geplanten Umsturzes verdächtigt, sondern ihre potentiellen Wähler ebenfalls.

 

Wer mich nun spöttisch als  Ewiggestrigen bezeichnen mag, weil ich mir nichts anderes wünsche, als dass jeder Deutsche, ohne Unannehmlichkeiten befürchten zu müssen, sich in freier, gleicher und geheimer Wahl für die Partei entscheiden kann, von der er sich die bestmögliche Vertretung seiner Interessen verspricht, der möge mit seiner Auffassung von Demokratie glücklich werden. Allerdings gehe ich davon aus, dass dieses Glücksgefühl nicht lange anhalten wird.

Denn eines erscheint unausweichlich: Wenn es gelingen sollte, die AfD von der politischen Bühne zu verdrängen, wird die Errichtung eines neuen Feindbildes unumgänglich sein.