Flüssiggas vom Milchmädchen

Nachdem ich das ganze Wochenende damit zugebracht habe, an der aktuellen Ausgabe von „EWK – Zur Lage“ zu arbeiten und das Dossier heute Vormittag an die Empfänger verteilt habe, kam mir eine Mitteilung eines Lesers sehr gelegen, der einen Vergleich zwischen der Transportkapazität der noch in Betrieb befindlichen Pipeline North Stream 1 und der Kapaziät eines Flüssiggastankers angeststellt halt, denn daraus ließ sich gut ein kurzer Tageskommentar gestalten.

55 Milliarden Kubikmeter Erdgas wurden im letzten Jahr über North Stream 1 nach Europa geliefert. Diese Menge sollte eigentlich ausreichen, um neben dem laufenden Bedarf im Sommer, wenn weniger geheizt wird, auch noch die Gasspeicher für den erhöhten Bedarf im Winter zu füllen.

Wie wir wissen, ist das Auffüllen der Gasspeicher im letzten Jahr nicht gelungen, weil der Wind zu wenig geweht hat und die fehlende Windstrommenge durch Gaskraftwerke bereitgestellt werden musse.

Jetzt gibt es Stimmen, die – wegen ihrer Amtsvollmachten –  leider ernst genommen werden müssen, die darauf drängen, nicht nur North Stream 2 ungenutzt verrotten zu lassen, sondern auch North Stream 1 abzuschalten, weil man  Russland nur so wirklich richtig schaden könne. Die entsprechenden Gasmengen sollten stattdessen aus den USA und aus Katar in Form von Flüssiggas bezogen werden.

Dass Deutschland noch nicht über eigene Flüssiggas-Terminals verfügt, sei nicht so schlimm, man könne ja  die Terminals in den Niederlanden und in Polen mitnutzen. Dass die nicht für stark erhöhte Anlieferungen ausgelegt sind, wird einerseits verdrängt und soll andererseits durch den von Kanzler Scholz beschlossen Bau von zwei Flüssiggasterminals an den deutschen Küsten kompensiert werden.

Selbst wenn damit die Terminalkapazität in fünf oder mehr Jahren geschaffen werden könnte, sollte man auch die Kapazität der Spezialtanker für Flüssiggas (LNG) nicht aus den Augen verlieren.

Standardmäßig ist  die überwiegende Mehrzahl der weltweit existierenden (und ausgelasteten) 470 LNG-Tanker auf eine Kapazität von 147.000 Kubikmetern Flüssiggas ausgelegt. Einige wenige mit einem Fassungsvermögen von 250.000 m³ existieren bereits, weitere sind in Bau, bzw. in Planung.

Da das Volumen von Flüssiggas nur rund ein Zweihundertsechzigstel des Volumens des Gases aus der Pipeline ausmacht, ersetzt so ein Standard-LNG-Tanker also 38,2 Millionen Kubikmeter des gasförmigen Brennstoffs.

Korrektur vom 16.03.2022: Das Volumen von LNG macht nur ein Sechshundertstel des Gases aus der Pipeline aus.

Um 55 Millarden Kubikmeter Pipeline-Gas zu ersetzen, müssten also insgesamt im Laufe eines Jahres 1.450 Schiffsladungen LNG ankommen. Das heißt: Vier Tanker pro Kalendertag. Bei einer durchschnittlichen Reisedauer von 14 Tagen und je einem Tag für das Beladen und das Löschen der Ladung, sind also permanent vier Schiffe im Hafen zum Beladen, 4 Schiffe im Hafen zum Entladen, 56 Schiffe auf dem Weg zum Zielhafen und weitere 56 Schiffe auf dem Rückweg zum Verladehafen.

Das sind 120 LNG-Tanker. Ein Viertel der weltweit verfügbaren und ausgelasteten Kapazität. Wer  meint, die könne so einfach mal für die EU und speziell für Deutschland angemietet werden, dürfte durchaus sein blaues Wunder erleben.

Korrektur vom 16.03.2022: Benötigt werden etwas weniger als 60 Tanker, um die Menge zu bewältigen. Doch auch diese zusätzlich benötigten Kapazitäten sind momentan nicht verfügbar, sie lassen sich jedoch in kürzerer Zeit durch den Neubau von Tankschiffen herstellen.

 

Einen Präzedenzfall haben wir ja durch die Logistik-Probleme in der Corona-Pandemie schon erlebt, als die Preise für die Buchung eines Standard-Containers für die Seefracht von 1.500 Dollar auf 9.800 Dollar in die Höhe schossen. Vergleichbares ist bei dem zu erwartenden Mangel an LNG-Kapazität absolut nicht auszuschließen.

„Glücklicherweise“ wird sich dieser Preisauftrieb beim Transport jedoch vermeiden lassen. Um Engpässe bei den Transportkapazitäten für Flüssiggas entstehen zu lassen, müsste LNG in den erforderlichen Mengen nämlich erst einmal produziert werden. Die Kapazitäten für die zusätzlich erforderlichen Mengen sind jedoch auch nirgends auf der Welt aufzufinden.

Bleibt uns nur eines:

Frieren für den Frieden.