Tarifrunde 2022

In dieser Tarifrunde, die mit der Metall- und Elektro-Industrie soeben begonnen hat, stehen sich Partner gegenüber, die auch mit der klügsten Verhandlungsführung nicht in der Lage sind, den Konflikt in eine Win-Win-Situation zu verwandeln, weil die Störung im wirtschaftlichen Gefüge der Republik weder von den Arbeitgebern, noch von den Arbeitnehmern ausgegangen ist und folglich von diesen auch nicht korrigiert werden kann.

Wenn die IG-Metall einen Abschluss fordert, der gerade einmal die bereits eingetretene Inflation ausgleichen soll, dann ist das aus Sicht der Arbeitnehmer, die nicht mehr als ihren Besitzstand wahren wollen, mehr als maßvoll. Die Arbeitgeber hingegen können sich darauf nicht einlassen, weil eine derartige, zusätzliche Kostensteigerung von einem Großteil der Unternehmen nicht verkraftet werden kann. Das lässt sich im Einzelfall nicht immer erklären, auf der Meta-Ebene der volkswirtshaftlichen Betrachtung aber sehr wohl.

Ganz grob betrachtet zeigt die gesamtwirtschaftliche Verteilungsrechnung, dass gut die Hälfte des BIP als „Brutto-Löhne und -Gehälter“ in Richtung der Beschäftigten ausgezahlt wird. Die Richtung stimmt, doch bevor bei den Beschäftigten die Netto-Löhne ankommen, halten Fiskus und Sozialversicherungen die Hände auf und verteilen um. Dies soll hier ebenso ausgeblendet bleiben, wie die Tatsache, dass der Staat sich auch am Netto noch bedient, wenn er jeden Einkauf der Konsumenten mit der Mehrwertsteuer und anderen Konsumsteuern belastet, denn irgendwie fließt am Ende doch das Meiste der Steuern und Abzüge, vermehrt noch um staatliche Kreditaufnahme, wieder als Kaufkraft von Rentnern, Arbeitslosen und Landgerichtspräsidenten in den Binnenmarkt der Realwirtschaft, so dass die privaten Konsumausgaben sogar noch etwas höher liegen als die Arbeitnehmerentgelte.

Was ist aber mit der anderen Hälfte?

Das BIP soll die Gesamtheit der wirtschaftlichen Leistung einer Volkswirtschaft pro Betrachtungsperiode ausweisen. Dazu gehören auch unentgeltliche staatliche Leistungen, es wird sogar ein Schätzbetrag zum Umfang der Schattenwirtschaft als Teil des BIPs ausgewiesen. Dennoch bleiben die Umsätze der Wirtschaft der absolut bedeutsamste Teil im BIP – und die müssen von irgendjemand bezahlt worden sein, sonst hätte es sie nicht geben können. Bisher haben wir nur den privaten Konsum erfasst, doch auch  der Staat konsumiert und bezahlt damit einen weiteren Anteil des BIP in der Größenordnung von zwanzig Prozent. Hinzu kommen die Investitionen der Wirtschaft mit weiteren zwanzig Prozent. Der Rest, um die zehn Prozent schwankend, setzte sich bisher zusammen aus dem Exportüberschuss und einer Prise des unvermeidlichen statistischen Rauschens.

Die durch die Bemühungen zur Bekämpfung des Klimas und durch die Bemühungen, Russland durch Sanktionen in die Knie zu zwingen, ausgelösten Verteuerungen von Rohstoffen, Materialien und Energie verursachen der  Wirtschaft, insbesondere bei den Importgütern, bereits erhebliche Mehrkosten, mit der Folge dass der Exportüberschuss bereits vollständig dahingeschmolzen ist und ein massiver Rückgang des BIP unvermeidlich gewesen wäre, hätte der Staat nicht mit kreditfinanzierten Programmen – angefangen von den gigantischen Staatsausgaben im Zuge der Corona-Pandemie, bis hin zum ersten, zweiten und dritten Entlastungspaket – dazu beigetragen, seinen Konsumanteil aufzublähen und die Massenkaufkraft bis zu einem gewissen Grad zu stützen.

Diese Kosmetik am BIP lässt sich jedoch nicht in die Kostenrechnung der Unternehmen übertragen. Hier schlagen die jeweiligen Einstandspreise von Material und Energie voll in der Kalkulation durch und haben, bisher über die Breite der Wirtschaft, zu einer gemessenen Konsumenten-Inflation von rund acht Prozent geführt.

Dies hat mehrere unangenehme Folgen:

  1. Die Löhne und Gehälter der privaten Haushalte reichen nicht mehr aus, um die gleichen Mengen der teurer gewordenen Produkte abzunehmen. Dies hat, insbesondere bei kapitalintensiven Produktionen einen deutlich überproportionalen Einfluss auf den Gewinn, weil die Fixkosten auch bei abnehmender Produktionsmenge gleich bleiben.
  2. Die Wettbewerbsfähigkeit im Export leidet, zumal unsere Konkurrenten deutlich weniger von den Preisentwicklungen im Energiebereich betroffen sind, so dass es schwierig ist, die gestiegenen Kosten im Außenhandel an die Kunden weiterzugeben.
  3. Beides zusammen führt zu einer Minderauslastung der Unternehmen, in deren Folge ein Rückgang der Beschäftigung eintritt, der wiederum Staat und Sozialkassen belastet und zu weiterem Rückgang des Konsums führt, weil die staatlichen Transferleistungen nicht ausreichen, den gewohnten Lebensstandard aufrecht zu erhalten.

Damit kommt eine Abwärtsspirale in Gang, die durch Lohnerhöhungen nicht aufgehalten werden kann.

Schließlich müssen Lohnerhöhungen irgendwie in den Preisen wieder auftauchen, und in einer sehr angespannten Wirtschaftslage, die sowieso bereits erheblich auf die Unternehmensgewinne drückt, ist es unvermeidlich, entweder die Preise  im notwendigen Maße anzuheben oder eben das Geschäft aufzugeben.

Wenn also die Hälfte des BIP aus den Arbeitnehmerentgelten stammt, und diese sich um 8 Prozent verteuern sollten, wird sich diese Lohnerhöhung in den Preisen wiederfinden, was die Inflation von acht auf 12 Prozent anhebt.

Damit wird zwar der Kaufkraftverlust etwas abgemildert, aber eben nicht kompensiert. Der Binnenkonsum wird weiter rückläufig sein und die Chancen im internationalen Wettbewerb schrumpfen noch weiter zusammen, mit der unerwünschten Folge, dass auch die Beschäftigung weiter rückläufig sein wird.

Der externe Einfluss der Teuerung aufgrund von Knappheit wird dadurch nicht zu beseitigen sein, wohl aber wird zusätzlich eine Lohn-Preis-Spirale in Gang gesetzt, in der sich Löhne  und Preise immer weiter von den bestenfalls gleichbleibenden Produktionsmengen abkoppeln, ohne dass daraus ein Vorteil entstünde.

Wir müssen endgültig zur Kenntnis nehmen und uns in allen Konsequenzen  bewusst machen, dass  sich Deutschland am Beginn einer mehrjährigen Rezession befindet, deren Talsohle noch lange nicht erreicht ist.

Diese Rezession bedeutet Wohlstandsverlust für den größten Teil der Bevölkerung, der durch Lohnerhöhungen nicht kompensiert werden kann, weil diese lediglich die vorhandene Teuerung durch eine echte Inflation noch verstärken würden.

Diese Rezession ist ausgelöst von externen Einflüssen, die von der aktuell amtierenden Bundesregierung und den vorangegangenen Kabinetten Merkel sehenden Auges heraufbeschworen wurden.

Eine Linderung dieser negativen Einflüsse wäre nur durch klügere politische Entscheidungen und  den Versuch, diese Entscheidungen unseren Handelspartnern auf dem Wege der Diplomatie zu vermitteln und um den Neuaufbau gedeihlicher Beziehungen zu bitten, zu erreichen.

Dies ist jedoch von der amtierenden Regierung nicht zu erwarten.

Das Kabinett Scholz gefällt sich darin, die eigene Misere kleinzureden und uns zu versichern, die benötigte Energie werde schon im nächsten Jahr (kostenlos) vom Himmel fallen. Statt Brücken zu bauen, werden Türen zugeschlagen, statt zu versuchen, im Ukraine Konflikt ernsthaft zwischen den USA und Russland zu vermitteln, werden immer neue Waffenlieferungen aus Deutschland auf den Weg gebracht. Frau Lambrecht sieht Deutschland schon als neue militärische Führungsmacht Europas und glaubt, nicht nur Russland, sondern auch China mit der Bundeswehr beeindrucken zu können, weil sie eben auch glaubt, dass sie im Zweifelsfall nur ihren großen Bruder herbeiholen müsste, der sie dann schon aus der selbstgestrickten Falle aus Großmäuligkeit und Unvermögen heraushauen würde.

Warum aber sollten die USA eingreifen, wenn Deutschland – und mit Deutschland die EU – ganz von alleine zusammenbrechen, nur weil sie leichtsinnig dem Wunsch der USA Folge geleistet und ihre wichtigsten Lebensadern gekappt haben?

Hin und wieder ein LNG-Tanker, damit die Notbeleuchtung wenigstens noch ausreicht, um die Fluchtwegebeschilderung zu erkennen. Mehr ist nicht zu erwarten.

Wenn wir je wieder auf die Beine kommen wollen, heißt es jetzt, sich auf die veränderte Situation einzustellen, den Gürtel enger zu schnallen, zu arbeiten, zu arbeiten, zu arbeiten, und aus der Erfahrung klug zu werden.

Die Titanic sinkt nicht.

Die Kohlebunker sind leer und das Feuer unter den Kesseln erlischt.

Jules Verne hat für eine solche Situation in seinem Roman „In 80 Tagen um die Erde“ eine Rettungsmaßnahme vorgezeichnet. Der Weltreisende Fogg ließ alle brennbaren Teile des Schiffes – bis auf den nackten Schiffsrumpf – demontieren und verheizen, um Energie für den Antrieb, die Weiterfahrt und letztlich für die Ankunft zu gewinnen.

Man nennt das pragmatisches Handeln.

Wie man es nennen sollte, wenn bei Energieknappheit  und explodierenden Preisen auch noch die letzten Kernkraftwerke abgeschaltet werden, überlasse ich Ihnen. Pragmatisch ist es jedenfalls nicht.