Wo Olaf Scholz Recht hat

Ein Bedingungsloses Grundeinkommen ist unbezahlbar und zutiefst neoliberal.

Was ich schon vor 10 Jahren gesagt und vorgerechnet habe, das sagt Olaf Scholz heute auch – und ich freue mich über diese Erkenntnis des Finanzministers.

Aus gegebenen Anlass daher hier noch einmal mein Paukenschlag Nr. 36 /2010 vom 9. September 2010

Besinnungslos fürs Grundeinkommen

– Frommer Wunsch und raue Wirklichkeit –

Die Idee, eine Reihe von Transferleistungen durch ein bedingungsloses Grundeinkommen zu ersetzen, ist vom Ansatz her gut und sinnvoll. Die Pläne, die sich Politik und Wirtschaftsvertreter dazu haben einfallen lassen, sind der pure Etikettenschwindel. Leute! Macht die Augen auf!

Das BGE des Götz Werner macht euch nicht glücklicher, nicht sorgenfreier, nicht sicherer – es macht euch ärmer, und das mit Absicht. Nach den Schröder’schen „Reformen“ und den Hartz-Gesetzen wäre das BGE nach den Vorstellungen von Werner oder Althaus nur die dritte Stufe auf dem Weg zur Vollendung der Armutsgesellschaft.

Ich weiß, ich mache mich mit solchen Wahrheiten unbeliebt. Zu viele träumen den Traum vom Bedingungslosen Grundeinkommen als Allheilmittel gegen Armut und Prekarisierung. Zu viele haben übersehen, dass die gute Idee, aus der das BGE einmal hervorgegangen ist, längst entkernt ist, wie das ehrwürdige, denkmalgeschützte Jugendstilhaus, von dem letztlich nur die schöne Fassade stehen bleiben darf, weil sie dem Innenstadtkonsumtempel jenes Flair von Anspruch und Qualität verleihen soll, dessen reale Substanz im Inneren – zur Steigerung von Umsatz und Gewinn – durch eine Scheinwelt aus Gipskarton, Pappe und Styropor, aus Glitzer-Glamour und Scheinwerferlicht ersetzt wird.

Jetzt hat sich – hört man – sogar die Piratenpartei entschlossen, das BGE zu wollen.

Das Dumme daran ist: Je mehr Bürger sich für ein BGE aussprechen, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass es kommt – und zwar in der übelsten aller denkbaren Ausprägungen.

Also, bitte, ruft nicht einfach nach dem BGE, beschreibt klar, wie es gestaltet sein soll – und haltet euch von den Ideen des Götz Werner fern.

Das Problem mit dem BGE

Das Problem des BGE ist seine Finanzierung.

Die Frage, wie hoch das BGE pro Bürger und Monat sein soll, trifft auf einen mittelgroßen Sack unterschiedlichster Antworten, die in der Hauptsache in der Bandbreite von 400 bis 1.500 Euro angesiedelt sind. Manchmal werden für Kinder die vollen Sätze versprochen, manchmal nur anteilige. Mit den unterschiedlichen Beträgen ändert sich allerdings auch der Charakter des BGE. Von 400 Euro im Monat kann man weit weniger leben als von 1.500 – und so muss, wer sich für ein BGE einsetzt, doch zuerst einmal Klarheit darüber schaffen, was er damit erreichen will.

Die Idee des BGE ist es ja eigentlich, allen Menschen eine gewisse finanzielle Sicherheit zu bieten, die unabhängig von Antragstellung und anschließender inquisitorischer Befragung nach verschwiegenen Einkünften und noch nicht aufgebrauchtem Vermögen als zuverlässiger Zufluss jedem Bürger zusteht.

Wird ein eher geringer monatlicher Betrag angesetzt, so hat das BGE nur einen unterstützenden Charakter, nähert man sich der Obergrenze, so könnte das BGE tatsächlich als Ersatz für alle Transferleistungen dienen, vom Kindergeld über Arbeitslosen- und Kurzarbeitergeld, Krankengeld und Hartz-IV, bis zur Rente.

Die Befürworter eines BGE aus Politik und Wirtschaft sehen darin etwas ganz anderes, nämlich eine radikale Senkung der Lohnkosten und der Lohnnebenkosten, die es ermöglicht, noch preiswerter zu produzieren und damit noch größere Weltmarktanteile zu erobern. Sie sehen außerdem die Chance, die Steuern auf Gewinne und Einkommen weiter zu senken und die Last der Staatsfinanzierung noch stärker auf die reine Konsumbesteuerung zu legen.

Das sind zwei sehr widerstrebende Absichten, von denen leider immer noch viel zu viele im besten Glauben annehmen, sie ließen sich unter einen Hut bringen.

Lassen Sie uns
ein bisschen rechnen:

1) BGE und BIP

Das BIP der Bundesrepublik Deutschland liegt bei rund 2,5 Billionen Euro pro Jahr. Ein BGE von 400 Euro monatlich erfordert rund 400 Milliarden Euro, ein BGE von 1.500 Euro pro Monat erfordert rund 1,5 Billionen Euro jährlich.

Schon diese ganz einfache Gegenüberstellung zeigt, dass höhere Grundeinkommen illusorisch sind. Die Bruttolöhne und Gehälter, einschließlich der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung, beliefen sich 2009 auf gerade einmal 1,225 Billionen Euro. Aber aus diesen Arbeitnehmereinkommen finanziert sich der Staat, über Steuern und Sozialabgaben fast vollständig. Schließlich werden aus diesem Betrag 70 bis 80 Prozent aller Steuereinnahmen und 100 Prozent aller Sozialabgaben abgezogen.

Wollte man die Summe der Grundeinkommen mit z.B. 1.500 Euro monatlich auf die schon genannten 1,5 Billionen Euro heben, ergäbe das einen massiven Anstieg der gesamtwirtschaftlichen „Personalkosten“ und ein Sinken der Unternehmens- und Kapitalerträge. Das kann man sich als Bürger wünschen.

Wer jedoch glaubt, Politiker und Wirtschaftsbosse, die jedes Zehntelprozent einer Gehaltserhöhung mit essigsaurer Weltuntergangsmiene kommentieren, die sich nicht scheuen, Personalkosten durch Einschränkung der Arbeitnehmerrechte, durch die forcierte Schaffung eines Niedriglohnsektors, durch die Anwerbung ausländischer Billiglohnarbeiter, gerne auch immer wieder durch Entlassungen und/oder Produktionsverlagerung ins Ausland zu senken, hätten genau dieses Ziel vor Augen, der sollte endlich kapieren, dass er diesen Traum fernab von jeder Realität träumt – und dass es besser wäre, sofort aufzuwachen, als sich noch ein Viertelstündchen der wohligen Täuschung hinzugeben.

Ein BGE von 1.500 Euro pro Nase und Monat ist vollkommen illusorisch.

Wer solche Zahlen als Zielsetzung an- und für realisierbar ausgibt, ist entweder ein verträumter Narr oder ein ausgebuffter Rattenfänger.

2) BGE und MwSt.

Das BGE soll, so heißt es, durch eine Erhöhung der MwSt. finanziert werden. Wer also viel ausgibt, wird viel zur Finanzierung des BGE beitragen, wer wenig ausgibt, wird nur wenig belastet – und das sei schließlich nur gerecht.

Betrachten wir die Mehrwertsteuerfinanzierung eines absoluten Minimalbetrages für ein gerade noch sinnvolles BGE: Um das Minimum an BGE – 400 Euro pro Bürger monatlich – zu finanzieren, müssten folglich 400 Milliarden Euro mehr MwSt. eingenommen werden. Statt rund 130 Milliarden also 530 Milliarden.

Bürger mit hohem Einkommen, die sich bereits alle Wünsche erfüllen können, werden ihren Konsum wegen des BGE nicht steigern. Das BGE wandert schlicht ins Vermögen, kauft Aktien oder Pfandbriefe, oder fließt in einen Sparplan. Mehrwertsteuerfrei.

Bürger mit niedrigem Einkommen, die jeden Cent – trotz mehrfachen Umdrehens – ausgeben müssen, um zu überleben, z.B. Menschen, die statt Rente dann BGE erhalten, können der Mehrwertsteuer nicht entkommen.

Der durch Steuern aufgezehrte Anteil des Einkommens ist also – ganz unabhängig von der Höhe der Steuersätze – am höchsten da, wo die Einkommen am geringsten sind, und am niedrigsten da, wo die Einkommen am höchsten sind.

Dass einige BGE-Befürworter in Verbindung damit suggerieren, es sei am besten, gleich alle anderen Steuern abzuschaffen und nur noch die Mehrwertsteuer zu erheben, lässt im Grunde leicht erkennen, was sie damit beabsichtigen.

Und solange es keine gesetzlichen Vorschriften für die Preisgestaltung des Einzelhandels gibt, solange also jeder Handelkonzern seine Preise festsetzen kann, wie er will, wird die durch die Mehrwertsteuererhöhung verursachte Preissteigerung bei vielen BGE-Beziehern über dem Betrag liegen, der als Grundeinkommen ausgezahlt wird.

3) BGE und Löhne

Da alle Bürger BGE erhalten, heißt es, können die Beschäftigten auf den Teil ihres Lohnes verzichten, der durch das BGE ersetzt wird, was die Wirtschaft entlastet und den Export verbilligt und damit endlich wieder Vollbeschäftigung und Wohlstand für alle ermöglicht.

Das ist Münchhausen pur. Am eigenen Schopf, samt Pferd aus dem Sumpf …

Statt 2.000 Euro gibt’s künftig nur noch 1.600 Euro.
Mit dem BGE sind das dann wieder 2.000 Euro.

Die Preise sinken um die gesparten 400 Euro Lohnkosten und steigen um die 400 Euro BGE, so dass für 2.000 Euro unverändert der gleiche Warenkorb gekauft werden kann.

Niemand denkt dabei an nicht berufstätige Ehefrauen, Kinder und Rentner. Soll, wer verheiratet ist und zwei Kinder hat, künftig statt 2.000 Euro nur noch 400 Euro verdienen? Mit 1.600 Euro BGE kommt er schließlich auch wieder auf 2.000 Euro – und wie weit sind die Preise dann gesunken?

Vorsichtshalber habe ich hier die Festlegung auf Brutto- oder Netto-Einkommen vermieden. In diesem Sumpf kann man leicht versinken; dabei ist die Unterscheidung letztlich belanglos, denn, klar ist:

Die Brutto-Löhne und Gehälter dürften maximal um den Betrag sinken, der insgesamt an BGE ausgeworfen wird. Hier im Beispiel des Minimal-BGE also um 400 Milliarden.

Dies ist dann auch das Maximum der gleichzeitig möglichen Preissenkung. Aber auch nur, falls die Unternehmer bei der Preisgestaltung nicht zuerst an das denken, woran sie immer zuerst denken, nämlich an den eigenen Gewinn – und auch nur, wenn sie nicht das tun, was sie im Hochpreisland Deutschland tun, wo immer es möglich ist, nämlich Dumpingpreise im Export durch Höchstpreise im Inland zu subventionieren.

Weil aber nur etwa die Hälfte der Bevölkerung einer bezahlten Beschäftigung nachgeht, kann auch nur die Hälfte der Bruttolöhne (incl. Arbeitgeberbeiträge) durch BGE substituiert und als Preissenkung weitergegeben werden.

Für den vollen Ausgleich müsste also jedem Beschäftigten der doppelte BGE-Betrag vom Einkommen abgezogen werden, sodass er letztlich mit 1.600 Euro (2000 minus 2×400 plus 1×400) in den Miesen steht.

Dass dann keinerlei Steuern und Sozialabgaben mehr fällig würden, wie es erklärend heißt, ist natürlich ein Denkfehler. Steuern und Sozialabgaben machen ungefähr 900 Milliarden Euro jährlich aus. Solange über das BGE nur 400 Milliarden umverteilt werden, bleibt die Notwendigkeit, weitere 500 Milliarden aufzubringen erhalten – und weil das BGE in weiten Teilen an Menschen gezahlt wird, die bis dahin keine Transferleistungen erhalten haben, ist die Finanzierungslücke noch viel größer. Daran ändert sich auch mit steigendem BGE vom Prinzip her nichts.

Solange das BGE jedem gezahlt wird – und Menschen, die bereits Transferleistungen beziehen, durch Einführung des BGE nicht schlechter gestellt werden sollen, entsteht zwangsläufig eine Finanzierungslücke, die auch durch noch so hohe Mehrwertsteuersätze nicht geschlossen werden kann.

Die Thematik „BGE macht Lohn- und Preissenkungen möglich“, ist nicht zu Ende gedacht.
Es handelt sich dabei eher um einen argumentatorischen Taschenspielertrick als um eine vernünftige Beweisführung.

4) BGE und Verwaltungsvereinfachung (Entbürokratisierung)

Durch den Wegfall aller möglichen Transferleistungen, so heißt es, kann jede Menge Bürokratie eingespart werden und das damit eingesparte Geld kommt letztlich auch wieder allen zugute.

Wie in 1) belegt, kann ein BGE niemals die Höhe erreichen, die es erlaubte, tatsächlich alle anderen Transferleistungen entfallen zu lassen.

Die Hartz-IV-Verwaltung könnte eventuell auf die Auszahlung der Geldleistung verzichten (das geht jedoch sowieso weitgehend automatisch per Dauerauftrag), aber die Kosten für Wohnen und Heizung müssten weiterhin erstattet werden, um dies zu ermöglichen, bleiben der komplette Verwaltungsaufwand, die hochnotpeinliche Befragung und der Zwang zum Fordern und Fördern vollständig erhalten.

Renten könnten zwar um das BGE gekürzt werden, müssten jedoch um den das BGE übersteigenden Anteile auch weiterhin gezahlt werden, Kindergeld könnte entfallen, stünde man den Kindern das volle BGE zu, bleibt das BGE jedoch unterhalb des Kindergeldanspruchs, müsste wieder neu gerechnet und verwaltet werden.

Gleiches gilt für ALG I, für Krankengeld, für Wohngeld und für viele weitere Transferleistungen.

Eine Entbürokratisierung ist bei einem BGE von 400 oder 500 Euro nicht in Sicht. Nennenswerte Verwaltungsersparnisse könnten erst ab BGE-Beträgen von deutlich mehr als 1.000 Euro erzielt werden, die jedoch wiederum auf die vorgeschlagene Weise nicht zu finanzieren sind. Zu bedenken ist zudem:

Jede Verwaltungsersparnis führt gleichzeitig zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit.

Solange aber niemand daran denkt, Arbeitslosigkeit durch das einzig sinnvolle Mittel, nämlich Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, zu bekämpfen, solange bietet jeder Anstieg der Arbeitslosigkeit eine willkommene Gelegenheit, Gewinne zu steigern, weil die Arbeitslosen in der Konkurrenz um die wenigen Jobs, schon auf sanftesten Druck des Fallmanagers hin, das Lohnniveau ganz von selbst immer weiter absenken.

Und wer spart eigentlich das Geld, das durch Verwaltungsvereinfachung und Entbürokratisierung frei wird?

Was der Staat nicht ausgibt, wird (dank FDP) als Steuergeschenk an jene Schicht von Bürgern geleitet, die unter der Bürde ihrer Vermögen und Einkünfte fast zusammenbrechen.
Was dann noch übrig ist, wird – in seltener Eintracht aller anderen Parlamentarier – dem sinnlosen Versuch geopfert, Schulden abzubauen.

 

Das Bedingungslose Grundeinkommen
ist eine Schimäre.

 

Bezahlbar wäre es nur, wenn per BGE nicht mehr umverteilt wird, als heute bereits als Transferleistung bezahlt wird. Wenn aber alle – bedingungslos – ein Grundeinkommen beziehen, wird der Kreis der Empfänger sehr viel größer, der auf den Einzelnen entfallende Anteil muss folglich kleiner werden.

Sollen Rentner, Arbeitslose und Kinder unveränderte Transferleistungen erhalten, muss mehr Geld in den Topf. Das ist aber nirgends vorhanden.

Das verfügbare Geld wird auch dadurch nicht mehr, dass Beschäftigte auf Teile ihres Einkommens verzichten.

Abgesehen davon, dass ein BGE, das der Empfänger durch Lohnverzicht selbst vollständig finanzieren muss, eine Narretei sondersgleichen ist, aber kein Grundeinkommen, schon gar kein bedingungsloses, bleibt die Finanzierung der bisherigen Transferleistungen solange trotzdem noch ungesichert, wie nicht Steuern und Abgaben in einer Höhe erhoben werden, die ausreicht, um diese bisherigen Transfers zu finanzieren.

Wohin also führt ein solches
„Bedingungsloses Grundeinkommen“?

Die Pauschalisierung bisheriger beitragsabhängiger Transferleistungen (also Rente, ALG I, Krankengeld) führt zu einer allgemeinen Minimalabsicherung, die aus dem notwendigerweise erhöhten Mehrwertsteueraufkommen finanziert wird. (Wer über diese Minimalabsicherung hinaus Vorsorge betreiben will, wird aus den umlagefinanzierten Systemen in die privatwirtschaftliche, gewinnorientierte Versicherung getrieben.)

Das senkt massiv die Lohnnebenkosten. Es senkt zugleich die Lohnkosten der Unternehmen, da das BGE ja durch Lohnverzicht kompensiert werden soll, was aber bedingt, dass der Arbeitnehmer das BGE vorher aus seinem reduzierten Einkommen über die massiv angehobene MwSt. selbst bezahlt hat.

Das kann nicht aufgehen. Bei 400 Euro weniger Lohn um 400 Euro teurer einkaufen, weil es 400 Euro BGE gibt?
Da bleibt ein Loch von 400 Euro.

Die eigentliche Kompensation fände in dieser Milchmädchenrechnung nur statt, wenn die Unternehmer die gesunkenen Lohnkosten vollständig über Preissenkungen an die Konsumenten im Inland zurückgäben.

Wer glaubt, das wollten sie, träumt immer noch.

Wer eine wirklich tragfähige Lösung zur Finanzierung eines gerechten und auskömmlichen Grundeinkommens finden will, muss weiter denken.

Der Schlüssel liegt eben auch bei diesem Problem nicht unter der Laterne.

Die Frage darf nicht länger lauten, welche Tricks man noch ersinnen könnte, um den Mangel effizienter zu verwalten. Die Frage muss lauten:

Wie können die Mechanismen, die in einer Welt voller Reichtum und Überfluss wirken, um gröbste Ungleichverteilung und damit Mangel und schreiende Not zu erzeugen, außer Kraft gesetzt werden?

Die weitere Argumentation erfordert an dieser Stelle den sprunghaften Wechsel zu einem Thema, das mit der Fragestellung scheinbar in überhaupt keinem Zusammenhang steht:

Die Rolle von Grund und Boden

Die Beschäftigung mit dem Geld führt über kurz oder lang zu der Erkenntnis, dass eine Geldreform solange weitgehend wirkungslos bleiben muss, wie sie nicht durch eine Bodenreform ergänzt und gestützt wird.

Wer Deflation, also Geldknappheit hervorrufen kann, verursacht erhebliche Störungen in den Kreisläufen einer komplexen arbeitsteiligen Wirtschaft. Unternehmenszusammenbrüche, Anstieg der Arbeitslosigkeit, kollabierende Sozialsysteme und letztlich der Staatsbankrott können folgen, wenn es nicht gelingt, das Kapital durch ausreichende „Tributzahlungen“ milde zu stimmen.

Doch selbst bei größter Geldknappheit bleibt den Menschen immer noch die Möglichkeit, auf geldlosen Tauschandel auszuweichen, sich auf dem Schwarzmarkt mit Hilfe von Pseudo-Währungen (z.B. Zigaretten) durchzuschlagen, oder, in der moderneren Variante, mit Hilfe von regionalen Komplementärwährungen oder Gutscheinsystemen dem Problem auszuweichen.

Die Knappheit von Grund und Boden greift weitaus tiefer.

Der Mensch braucht Platz, um zu leben.

Ein Großteil der Menschen muss, um den eigenen Körper irgendwo unterzubringen, mit der Miete für die Wohnung – egal wie klein und einfach oder wie großzügig und komfortabel die Bleibe ist – erst einmal eine Art Existenzgebühr entrichten. Wer das nicht kann, muss als „Nichtsesshafter“ zusehen, wo er bleibt, einen Tag hier, eine Nacht dort – er wird ja nirgends dauerhaft geduldet, sondern überall nach kurzer Zeit vertrieben – bis er, in einer kalten Winternacht unter einer Brücke erfriert oder sonstwie an den Begleiterscheinungen seiner Nichtsesshaftigkeit zugrunde geht.

Wo hat der Mensch noch das uneingeschränkte Recht, einen Acker zu bestellen, Getreide auszusäen, zu ernten und daraus Brot zu backen? Wo gibt man ihm den Platz für die Mühle, den Speicher für das Mehl? Wem gehören die Quellen, aus denen sauberes Trinkwasser kommt? Wem gehört das Holz der Wälder, wem die Kohle in den Flözen, die man braucht, um Brot zu backen?

Man darf diese Überlegungen nicht mit einem Schulterzucken abtun. Nur weil das „schon immer“ so war – was im Übrigen nicht stimmt – ist es doch nicht „normal“!

Was hilft die schönste Freiheit der Gedanken, wenn der Mensch alleine schon durch seine unvermeidliche körperliche Anwesenheit und seine trivialsten Bedürfnisse auf dieser Welt zum Knecht und damit zum Objekt fremden Willens gemacht wird?

Was hilft es der Mehrheit des Volkes, in freien demokratischen Wahlen eine Regierung bestimmen zu dürfen, wenn die Minderheit dessen ungeachtet in der zügellosen Ausübung ihrer Eigentumsrechte sehr viel mehr Einfluss auf das Leben und die Lebensqualität der Mehrheit nimmt, als jede noch so frei gewählte Regierung jemals nehmen kann, solange diese Regierung sich von vornherein dem uneingeschränkten Schutz jeglichen Eigentums verpflichtet fühlt?

Solange es möglich ist, über das Geld Eigentum an Grund und Boden zu erlangen – und über Grund und Boden wiederum leistungsfreie Ansprüche auf Geld zu generieren, solange Geld und Grund gleichermaßen als austauschbare Werkzeuge der Erpressung genutzt werden können, solange wird keine gerechte und soziale Gesellschaft dauerhaft Bestand haben können. Es genügt immer eine Handvoll raffgieriger Egoisten, um die Umverteilung des Wohlstand von unten nach oben in Gang zu bringen und bis zum bitteren Ende in Gang zu halten.

Ein Ausweg aus diesen Erpressungsszenarien ist nur möglich, wenn jedem Menschen ein unveräußerliches Recht auf angemessene Teilhabe an den Ressourcen dieser Welt zugestanden wird – und das ist primär das unveräußerliche Recht jedes Menschen, ein Stück Grund nutzen zu dürfen.

Doch von dieser Erkenntnis führte bisher kein gangbarer Weg zu einer konkreten, nachhaltig wirksamen Form der Umsetzung. Revolutionen und Umstürze, auch Bodenreformen mit Enteignung der Großgrundbesitzer und Bereitstellung von Ackerland für landlose Bauern sind letztlich immer wieder gescheitert. Das mag zum Teil daran gelegen haben, dass die Bodenreformer versäumt haben, auch an die Geldreform zu denken, zum Teil daran, dass die Ideen und Zielsetzungen ungerecht und unausgegoren waren, zum Teil lag es daran, dass die Reformer sich durch Gewaltanwendung und hochgradig eigennütziges Verhalten selbst diskreditiert haben –

hauptsächlich ist das Versagen aller bisherigen Versuche aber darin zu suchen, dass der Ausschnitt der gesellschaftlichen Realitäten, der neu modelliert wurde, viel zu klein gewählt war, um in der Gesamtbevölkerung eine tragfähige Basis zu finden.

Wer, wie es die Kommunisten versucht haben, nahezu jede Form von Privateigentum verbietet und jedwede Initiative in zentralistischen Langfristplänen erstickt, wendet sich gegen die vitalen Interessen der gesamten Bevölkerung.

Wer im Rausch einer Revolution die Guillotine heißlaufen lässt, den Adel und die Reichen liquidiert, deren Eigentum plündernd und brandschatzend zerstört, ohne zugleich eine tatsächlich funktionsfähige, bessere Ordnung zu errichten, der zerstört mit den Eigentumsrechten der verhassten Ausbeuterschicht auch den Gegenstand des Eigentums selbst und damit einen Großteil der für den Aufbau und Erhalt des allgemeinen Wohlstands erforderlichen Ressourcen.

Wer, wenn er durch demokratische Wahlen an die Macht gekommen ist, einen alten Parteitagsbeschluss umsetzt, schnellstmöglich den Großgrundbesitz enteignet und in Mini-Parzellen an arme Landlose verteilt, ohne ihnen ausreichend Startkapital zur Verfügung zu stellen, ohne dafür zu sorgen, dass ihre Ernte auch auf eine kaufkräftige Nachfrage trifft, der wird erleben müssen, dass die Parzellen nach kurzer Zeit für ein lächerliches bisschen Geld wieder an die alten Besitzer zurückfallen.

Doch dies sind Erfahrungen, die genutzt werden können, um es besser zu machen. Sie sind keineswegs der Beweis, dass die Aufgabe unlösbar wäre – folglich auch kein Grund zur Resignation.

Das wahlfreie Grundeinkommen

Abgeleitet von dem Recht auf eine angemessene Teilhabe an den Ressourcen, kann eine Unterscheidung in „friedliches“ und „aggressives“ Eigentum getroffen werden. Während allen Bürgern eines Staates das Anrecht zugestanden werden kann, im Rahmen friedlichen, selbstgenutzten Eigentums einen definierten Anteil „Grund und Boden“ aus dem Staatsgebiet kostenlos zu nutzen, muss die nutzungsverhindernde oder -erschwerende Ansammlung von Eigentumsrechten an Grund und Boden durch geeignet Methoden begrenzt werden.

Ein Weg dahin ist das „wahlfreie Grundeinkommen“.

Entweder den zustehenden Anteil an Grund und Boden tatsächlich selbst nutzen dürfen, oder wahlweise auf diese Nutzung verzichten, und zum Ausgleich ein „Grund-Einkommen“ beziehen, das ist ein Gedanke, der schon für sich alleine viele interessante Aspekte aufweist, und der in Verbindung mit einer Neuordnung des Eigentumsrechtes und der Geldversorgung in einem sanften Prozess, ohne Revolution, ohne Enteignung und ohne Chaos zu erzeugen, realisiert werden könnte.

Die „Grund“-Idee besteht darin, die Mittel für die Auszahlung des „Grund-Einkommens“ aus Nutzungsentgelten zu generieren, die von denjenigen erhoben werden, deren Nutzungsbedarf an Grund und Boden über den ihnen zustehenden Anteil hinaus geht.

Die Höhe der Nutzungsentgelte und der Preis der Nutzungsrechte können, wie heute auch, an der Attraktivität der Grundstücke bemessen werden. Die Rückgabe von Nutzungsrechten zu marktgerechten Preisen ist, ebenso wie der Erwerb von Nutzungsrechten zu marktgerechten Preisen, jederzeit im Rahmen der verfügbaren Grundstücke möglich. Und selbstverständlich können Nutzungsrechte, solange die Nutzungsentgelte bezahlt werden, auch vererbt werden.

Wenn die Höhe des Grundeinkommens und die Höhe der Nutzungsentgelte über eine träge reagierende „Rechenmechanik“ an die Zahl der Grundeinkommensempfänger und das Ausmaß der Inanspruchnahme zusätzlicher Nutzungsrechte gekoppelt wird, ist die perfekte Gegenfinanzierung für das wahlfreie Grundeinkommen gefunden. Um das Recht auf Teilhabe in ausreichendem Maße sicherstellen zu können, muss lediglich ein Parameter gesetzt werden, der sicherstellt, dass der für die Lebenshaltung erforderliche Aufwand durch das Grundeinkommen abgedeckt wird.

Alle sozialen Transferleistungen des Staates, angefangen beim Elterngeld, über das Ehegattensplitting bis hin zu Krankengeld- und Arbeitslosenversicherung, sowie die garantierte Grundrente könnten durch das wahlfreie Grundeinkommen abgelöst werden. Krankheitskosten und Pflegekostenversicherung blieben hingegen bestehen.

Die Belastung von Grund und Boden mit Nutzungsentgelten, die über die heutige Grundsteuer deutlich hinausgehen, führen dazu, dass das Halten nicht genutzter Grundstücke an Reiz verliert, weil damit ein steter Abfluss von Geld und ein Schwund des Geldvermögens verbunden ist. Auch die Wirtschaft wird sparsam mit Grund und Boden umgehen, um den Kostenfaktor „Nutzungsentgelt“ klein zu halten. Da gleichzeitig der Faktor Arbeit massiv entlastet wird, entstehen neue, ökonomisch und ökologisch sinnvolle Regelkreise, die in allen relevanten Entscheidungen zum Ausdruck kommen werden, aber vom Ansatz her nicht weiteren unsinnigen Exportüberschuss hervorrufen, sondern eine Stärkung der Binnenkaufkraft bewirken.

Das wahlfreie Grundeinkommen gewährt jedem Bürger das Recht auf den angemessenen Anteil und die Freiheit, die Art der Nutzung des Anteils selbst zu wählen. Es ist familienfreundlich, denn es steht jedem Kind in voller Höhe zu. Es ist umweltschonend, denn es belastet den Ressourcenverzehr. Es ist relativ einfach und unbürokratisch zu handhaben, weil es viele komplizierte und undurchsichtige, ja sogar widersprüchliche Regelungen überflüssig macht. Es fördert die Beschäftigung, weil die Kosten der Arbeit sinken – und, last but not least, es bietet jedem Einzelnen und der gesamten Gesellschaft ein Höchstmaß an (nicht nur sozialer) Sicherheit.

Das Konzept eines neuen Eigentumsrechts hat allerdings den Nachteil, dass es noch nirgends auf der Welt realisiert wurde.

Es erfordert also Vorstellungskraft, Phantasie, auch Mut, vor allem aber die Fähigkeit, aus alten Gewohnheiten und Denkmustern auszubrechen, um es verstehen und befürworten zu können.

Wenn wir dieses Konzept in seinen Grundzügen realisieren wollen, muss es gelingen, die politische Willensbildung einer ausreichenden Mehrheit von Demokraten auf dieses Ziel auszurichten. Dem stehen große Beharrungskräfte gegenüber, die überwunden werden müssen. Weil die Neuordnung des Eigentumsrechts jedoch für den allergrößten Teil der Bevölkerung in allen sozialen Schichten ausschließlich Vorteile bewirkt, wird jeder, der begriffen hat, was dieses Konzept bedeutet, ein vitales Interesse daran entwickeln wird, seine Umsetzung herbeizuführen.

Wir können eine Gesellschaft gestalten, deren Menschen frei von ökonomischen Zwängen ihr Leben gestalten können.

Wir können eine Gesellschaft gestalten, die jedem Bürger – nach dem Maß seiner Fähigkeiten und Anstrengungen – den Aufbau und die Nutzung „friedlichen Eigentums“ ermöglicht.

Wir können eine Gesellschaft gestalten, in der Neid und Verlustängste schwinden, weil die Vermögens- und Einkommensunterschiede kleiner werden und im Wesentlichen auf Leistungsunterschieden beruhen, während die Erpressungspotentiale, aus denen leistungsfreie Einkommen generiert werden, abgebaut werden.

Wir können Gemeinschaftsaufgaben zurückholen in die Verantwortung der Gemeinschaft, weil uns die Einrichtungen der Daseinsvorsorge zu wichtig sind, um sie skrupellosen Geschäftemachern zu überlassen.

Wir können die Geldversorgung in die eigenen Hände nehmen, statt uns von Banken und Kapitalgebern abhängig zu machen, weil wir große Ansammlungen von Geldvermögen als Folge asozialer Bereicherung erkennen und nur bedingt für schützenswert erachten.

Wir können die natürlichen Ressourcen und unsere Umwelt schonen, indem wir den sparsamen Umgang mit Grund und Boden durch sinkende Kosten belohnen – und wir können Arbeit preiswerter machen, weil Teile der jetzt auf der Arbeit liegenden Lasten auf die Nutzung von Grund und Boden umgelegt werden.

Wir können die Nutzung von Ideen und Erfindungen erleichtern, die Verbreitung von Musik und Literatur fördern, und dabei die Rechte der Erfinder und Urheber stärken, indem wir Ausschließlichkeitsverträge über Verwertungsrechte für sittenwidrig erklären.

Wir können das verantwortungslose Spiel der Global Player mit den Schicksalen von Unternehmen und ihren Beschäftigten beenden, indem wir die Anteilseigner in die Haftung nehmen und die destruktive Wahrnehmung von Eigentumsrechten durch intelligente Verfahren verhindern.

Wir können unsere Welt tatsächlich um ein gutes Stück verbessern, ohne Revolution, ohne Enteignungen, ohne Chaos zu erzeugen.

Wir müssen uns nur dafür entscheiden.
Und dann müssen wir damit beginnen.

Denn wo ein Anfang gemacht ist, ergibt sich der Rest ganz von alleine.

 

Die ausführliche Darstellung der Idee, samt einer sowohl logisch, wie auch ethisch überzeugenden Begründung, die Vorschläge zur konsequenten Weiterentwicklung des Eigentumsrechts auch an Geldvermögen, Unternehmensanteilen, Patenten und Urheberrechten, sowie die Projektion der durch das wahlfreie Grundeinkommen zu erwartenden Veränderungen auf die Verhältnisse der Bundesrepublik Deutschland sind in „Wolf’s wahnwitzige Wirtschaftslehre Band  IV – Kritik und Überwindung des aggressiven Eigentums“ ausführlich dargestellt.

Das Buch ist als Printversion vergriffen. Interessenten können von es mir jedoch sowohl als E-Book-Version (Epub-Format) oder als PDF-Datei für schlanke 5,99 € beziehen. Bitte Mail an ewk@egon-w-kreutzer.de