Feindbilder auf Kollisionskurs

PaD 17 /2022 Hier auch als PDF verfügbar: Pad 17 2022 Feindbilder auf Kollisionskurs

Im Krieg entstehen Überzeugungen. Überzeugungen zwingen dazu, Partei zu ergreifen. Parteilichkeit verführt dazu, Informationen selektiv wahrzunehmen und einseitig zu interpretieren. Aus alledem resultieren Feindbilder, die man sich ans Revers heften und damit sowohl Zugehörigkeit  als auch Feindseligkeit signalisieren kann.

Ich habe im Laufe der Zeit sehr viele Kommentare zu meinen Aufsätzen erhalten, in denen mir alleine schon ein Abwägen von Interessen, ein faktenbasiertes „Sowohl  als  auch“ und das Kratzen an der Fassade einseitiger Propaganda als Dolchstoß in den Rücken der Guten vorgehalten wurde. 

Heute Morgen fand ich eine Nachricht vor, die, bei aller Härte in der Sache, im Ton zumindest noch höflich abgefasst war. Ich gebe den vollständigen Text am Ende dieses Aufsatzes wieder, selbstverständlich anonymisiert.

Meine Antwort, die ich nahezu gleichlautend auch direkt an den Absender hätte adressieren können, stelle ich unter  die Überschrift:

Eine nachsichtige Reaktion.


 

Sehr geehrter Herr D.,

Sie haben mir Ihre Sicht auf die Lage in der Ukraine im Speziellen und auf die übergeordnete Situation der Welt im Allgemeinen vermittelt, wofür ich Ihnen danke.

Sie äußern dabei Unverständnis dafür, dass ich bei meinem Blick auf die Situation zu einem anderen Bild der Lage komme. Damit  fordern Sie mich implizit auf, mich Ihrer Sichtweise anzuschließen, was ich aus guten Gründen nicht tun werde.

Zur Begründung sehe ich mich allerdings gezwungen, Ihre Argumentation etwas anders zu sortieren und die Argumente dabei anders zu priorisieren als Sie das in Ihrer Mail getan haben.

Beginnen wir mit Ihrer Aussage:
„Der Krieg macht keinen Sinn.“

Sie werden nach kurzem Nachdenken selbst zu dem Schluss kommen, dass die Phrase vom „sinnlosen Krieg“ ihren Ursprung in der Verweigerung der Erkenntnis hat, dass jeder Krieg, den diese Welt je erlebt hat, sowohl von Seiten der Angreifer als auch von Seiten der Verteidiger her, als eine sinnvolle Möglichkeit angesehen  wurde, bestimmte Ziele zu erreichen. Diese Ziele reichen von „Beute machen“ bis „Souveränität bewahren“, doch erst die kriegerische Auseinandersetzung selbst gibt am Ende Aufschluss darüber, ob die Ziele erreicht werden konnten. Wenn Kriege aus einer Selbsttäuschung heraus geführt werden, wovon sowohl Angreifer als auch Verteidiger betroffen sein können, sind die Ziele in der Regel nicht zu erreichen. Ich komme darauf gleich noch zurück.

Interessant ist hier Ihre Aussage:
„Ich finde es langsam etwas absurd, die USA als Wurzel allen Übels anzusehen.“

Ich weiß nicht, ob es Ihnen bewusst ist, aber mit dieser Formulierung bringen Sie zum Ausdruck, dass Sie selbst noch vor Kurzem der Überzeugung waren, die USA seien die Wurzel allen Übels. Eine Überzeugung, von der  Sie sich nun langsam in kleinen Schritten (etwas) entfernen. Die Ursache für diesen allmählich einsetzenden Gesinnungswandel mag darin liegen, dass nach unzähligen, seit 1945 von den USA angezettelten und geführten, kleinen und großen Kriegen in Ihrem Weltbild ein neuer, aktiver Aggressor aufgetaucht ist, der zumindest seit dem Ende des Kalten Krieges als Feindbild nicht mehr präsent war.

Wenn man erst ab dem 24. Februar 2022 begonnen hat, sich mit den Vorgängen um die Ukraine zu beschäftigen, kann man durchaus zu dem Schluss kommen, Russland habe aus heiterem Himmel und ohne Vorwarnung damit begonnen, sich einen Nachbarstaat mit militärischen Mitteln zu unterwerfen. Aber es gibt eine Vorgeschichte, ohne deren Kenntnis die heutige Situation nicht zu verstehen ist.

Sie wischen  diese Vorgeschichte dann einfach mal schnell vom Tisch, mit Ihrer Aussage:
„… hören sie mir bitte mit den Außengrenzen der Nato und der vermeintlichen Mitgliedschaft der Ukraine in der Nato auf.“

Natürlich könnten Sie wissen, dass mit dem Ende der Sowjet-Union eine neue Friedensordnung in Europa hätte entstehen können. Natürlich könnten Sie wissen, dass Gorbatschow zugesichert wurde, die NATO werde sich nicht nach Osten ausdehnen. Sie könnten wissen, dass die USA, die die NATO ja immer noch als ihren Werkzeugkasten (Toolbox) ansehen, spätestens seit Brzezinskis 1997 erschienenem Strategiebuch „The Grand Chessboard“, die Ukraine als den Schlüssel ansehen, mit dem die Vorherrschaft  der USA gesichert werden kann und muss. Sie könnten natürlich wissen, dass die politischen Umwälzungen in der Ukraine, beginnend mit dem so genannten „Maidan“ von den USA provoziert und mit Milliarden Dollar finanziert wurden, so dass nach dem russlandfreundlichen Präsidenten Janukowitsch erst der Oligarch Poroschenko und dann der Schauspieler Selenski alle notwendigen Schritte unternehmen konnten, um nicht nur die Mitgliedschaft in der EU, die sich ja selbst allmählich in ein Militärbündnis verwandelt, sondern auch in die NATO anzustreben. Sie könnten wissen, dass die überwiegend russisch-stämmigen Menschen in der Donbass-Region die Neuausrichtung der Kiewer Regierung nicht mittragen,  sondern selbstständig  werden wollten. Sie könnten wissen, dass die Vermittlung von Frankreich und Deutschland zu einem „Minsker Abkommen“ geführt hat, das sowohl zur Waffenruhe, als auch zu einem demokratischen Prozess innerhalb der Ukraine führen sollte, in dessen Verlauf die Regionen Luhansk und Donezk erweiterte Selbstbestimmungsrechte innerhalb des Staates Ukraine erhalten sollten. Sie könnten wissen, dass man in Kiew, beraten von den USA, nicht einen Augenblick die Absicht hegte, die Vorgaben des Minsker Abkommens zu erfüllen. Sie könnten wissen, dass stattdessen der Gebrauch der russischen Sprache verboten wurde, dass den Rentnern im Donbass die Rentenzahlungen gestrichen wurden, und dass der Beschuss der Region mit schweren Waffen durch das ukrainische Militär seit 2014 nicht aufgehört hat, was seither zu  etwa 14.000 bis 15.000 Todesopfern  unter der Zivilbevölkerung im Donbass geführt hat. 

Sie könnten, wenigstens im Kurzzeitgedächtnis die Erinnerung daran haben, dass sich die Ukraine die Mitgliedschaft in der NATO in die Verfassung geschrieben hat, dass Selenski angekündigt hat, die Ukraine atomar zu bewaffnen, und dass die Ukraine im Februar massive Truppenkonzentrationen an der Grenze zu den Separatisten-Gebieten herbeigeführt und den Beschuss von Luhansk und Donezk intensiviert hat.

Nein. Damit höre ich nicht auf! Diese Entwicklung, die maßgeblich von den USA und deren Verbündeten herbeigeführt und gedeckt wurde, kann man nicht vom Tisch wischen, wenn man den Versuch unternimmt, die aktuelle Situation neutral zu bewerten. Dass Selenski zu der Überzeugung gekommen ist, USA und NATO würden aktiv in den Krieg eingreifen, gehört zu jenen Erscheinungen der Selbsttäuschung, die ich bereits erwähnte. Selenski wurde damit dazu gebracht, seine provokativen Angriff auf den Donbass so weit zu intensivieren, dass Russland nicht mehr anders konnte, als ein- und anzugreifen. Nun lässt man die Ukrainer „bis zum letzten Ukrainer“ kämpfen. Es war nie Kriegsziel, Russland zu besiegen. Es war immer nur Kriegsziel, Russland auf Kosten der Ukraine zu schwächen.

Aber Sie gehen ja noch einen Schritt weiter, wenn Sie argumentieren:
„Mit wieviel Mann waren die Aussengrenzen bis jetzt bewacht und wie ist der gegenwärtiger Zustand vieler Streitkräfte der Nato in Eropa ? Da muss man ja fast leider glücklich sein die Amis zu haben.“

Das ist nun eine völlige Umkehr der Sachlage. Allerdings entspricht diese Sichtweise allem, was die Propaganda uns einzutrichtern versucht. Erinnern Sie sich doch bitte an die so genannte Kuba-Krise. Eigentlich war es ja eine Türkei-Krise, denn die USA hatten damit begonnen, in der Türkei Raketen zu stationieren, die in der Lage gewesen wären, Atomsprengköpfe nach Moskau zu tragen. Nie davon gehört? Machen Sie sich schlau, die Informationen dazu sind leicht zugänglich.

Im Gegenzug hat Chruschtschow dann Vorbereitungen getroffen, vergleichbare Waffen auf Kuba zu stationieren. Das allerdings hielten die USA für eine Bedrohung, der  sie sich keinesfalls  aussetzen wollten. Die Welt stand kurz vor dem großen Atomkrieg. Kurz vor dem Showdown einigte man sich darauf, dass die Sowjetunion ihre Raketen wieder von Kuba abzieht und dass die USA  ihre Raketen aus der Türkei abziehen.

Stellen Sie sich einfach  vor, Russland würde heute Truppen an der mexikanisch-US-amerikanischen Grenze in Stellung bringen, wie es  die USA an der  russischen Westgrenze tun, um einen angeblichen Überfall der USA auf Mexiko abwehren zu können? Ich wette, die USA würden unmittelbar losschlagen, um diese Bedrohung ihrer Sicherheit zu eliminieren. Russland aber soll die Einkreisung durch erklärtermaßen feindliche Streitkräfte klaglos hinnehmen, während  ihm schon Aggressionsgelüste vorgehalten werden,  wenn russische Truppen auf russischem Territorium in Grenznähe Manöver abhalten?

Hier wird mit zweierlei Maß gemessen. Vor allem aber wird Russland das Recht abgesprochen, seine eigenen Sicherheitsinteressen wahrzunehmen.

Was Sie von Herrn Putin halten, ist Ihre persönliche Meinung:
„Ich sehe Putin, mit seinen Speichelleckern und treu ergebenden blinden Untertanen und Fanboys als die größte Gefahr der Gegenwart an.“

Entschuldigung, Herr D., aber das ist einfach nur erbärmlich. So erbärmlich, dass sich jegliche Entgegnung darauf verbietet.

Nun noch zu Ihren Einlassungen bezüglich der Energieversorgung der EU:
„Die Situation ist vertrackt, da unsere Energieversorgung stark von Russland abhängig ist. Das ist mir klar

Das ist nun mal Fakt und zeigt das gefährlich naive Spiel der letzten Jahrzehnte, sich an ein Land, ohne Alternativen zu binden. Das ist schon ein merkwürdiges Verständnis von „Freier Marktwirtschaft “ und von „Angebot und Nachfrage“.“

Deutschlands Energieversorgung war kurz nach dem Zweiten Weltkrieg nahezu vollständig auf Kohle (Steinkohle aus dem Ruhrgebiet im Westen, Braunkohle im Osten) aufgebaut. Später wurde durch den Bezug von Öl aus dem Nahen Osten ein zweites Standbein aufgebaut. Bald kamen Kernkraftwerke hinzu und dazu dann die erste Pipeline, mit der russisches Gas nach Deutschland kam. Ein Vorhaben, das übrigens von den USA zehn lange Jahre torpediert wurde. Bis die Grünen sich die Deutungshoheit über den Energiestammtischen eroberten, bestand ein ausgewogener Mix. Die Steinkohlezechen wurden geschlossen, weil die übrigen Energieträger billiger einzukaufen waren, die Kernkraftwerke wurden abgeschaltet und stattdessen versucht den Energiehunger Deutschlands mit Fotovoltaik- und Windkraftanlagen zu befriedigen. Weil alle wussten, auch wenn sie es nicht zugeben konnten, dass Wind und Sonne unzuverlässige Energielieferanten sind, wurde als Backup-Lösung der Bau von Gaskraftwerken forciert, die schnell hochgefahren werden können, wenn Wind und Sonne nachlassen. Der beabsichtigte vollständige Ausstieg aus Kohle und Kernkraft brachte die Notwendigkeit einer zusätzlichen Erdgas-Pipeline (North Stream 2) hervor. Auch gegen diese Pipeline haben sich die USA mit allen Mitteln gestemmt, bis hin zur kaum verhohlenen Sabotage-Androhung durch Joe Biden.

Deutschland als „souveräner Staat“ würde auch heute die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen nicht spüren, würden die USA sich nicht massiv in unsere Inneren und Äußeren Angelegenheiten einmischen und dabei versuchen, zwei Ziele gleichzeitig zu erreichen, nämlich einerseits Russland durch den Wirtschaftskrieg zu schwächen, und andererseits Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten durch Energie-Verteuerung und Energiemangel zu beschädigen. Dass damit außerdem noch ein zusätzlicher Keil zwischen Russland und Deutschland getrieben wird, da wo sie von gleichen Interessen geleitet sind, ist ein erfreulicher Nebeneffekt.

Die Erklärung für fast alles, was auf dieser Welt geschieht, findet sich in der Antwort auf die Frage, wer einen Nutzen davon hat.

Dass man dazu meistens etwas weiter schauen muss, als bis zum jeweils  erreichbaren Tellerrand, macht diese Einordnung zwar nicht leichter, doch  die Mühe lohnt sich. Mit meinen Beiträgen versuche ich, die propagandistischen Nebelwände so weit zu durchdringen und die dahinter verborgenen Interessen sichtbar zu machen, dass meine Leser Möglichkeiten finden, sich ein umfassenderes Bild  der Situation zu machen.

Es bleibt jedoch jedem vorbehalten, sich eine andere, eigene Meinung zu bilden. Reines Nacherzählen von amtlich anerkannten Narrativen halte ich allerdings nicht für einen Prozess der Meinungsbildung.


Hier der Original-Text der  E-Mail:

Sehr geehrter Herr Kreutzer
Sie schreiben ja in ihren letzten Ausführungen, das trotz des Krieges, Russland immer noch der Ukraine Gas liefert. „Oh wie großzügig“, könnte man meinen. Das stimmt so nun auch nicht. Und das, das Gas immer noch ungehindert nach Westeuropa fließt und das die Ukraine es nicht sabotiert (was es könnte), ist ihnen doch wohl auch nicht entgangen. Da bestehen doch gegenseitige Abhängigkeiten, die keiner wagt sie anzutasten.
Hier ein Auszug aus der Mainstreampresse.
https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/warum-liefert-ukraine-russisches-gas-nach-europa-warum-gibt-es-keine-sabotage-li.220896
Ich finde es langsam etwas absurd die USA als Wurzel allen Übels anzusehen.
Alle Ihre Ausführungen gehen immer in der selben Richtung und Sie wollen wahrscheinlich nicht sehen das die Welt noch andere Akteure hat, deren Wesen man eventuell gefährlicher einstufen muss, weil das Wohl und Wehe von meist nur einer Person abhängt die fast diktatorisch regiert, mit ihren Speichelleckern und treu ergebenden blinden Untertanen und Fanboys. Das haben wir doch nun öfters in der Geschichte gehabt.
Ich sehe Putin als die größte Gefahr der Gegenwart an, auf Grund seiner nahezu Alleinherschaft in Russland.
Das ist einfach extrem gefährlich.
Ich verstehe nicht warum Sie das nicht sehen wollen.
Der Krieg macht keinen Sinn und hören sie mir bitte mit den Außengrenzen der Nato und der vermeintlichen Mitgliedschaft der Ukraine in der Nato auf. Mit wieviel Mann waren die Aussengrenzen bis jetzt bewacht und wie ist der gegenwärtiger Zustand vieler Streitkräfte der Nato in Eropa ? Da muss man ja fast leider glücklich sein die Amis zu haben.
Und in Kaliningrad mitten in Europa, stehen wohl nur Steinschleudern und Pfeil und Bogen?
Ich möchte mal ehrlich wissen was die Balten über Ihre Ausführungen denken.
Und das nun Putin mit vielen seiner Ausführungen sagt was er denkt und offen verkünden lässt was sein Ziel ist, wundert mich jetzt wirklich, daß Sie immer noch zu den selben Schlüssen kommen. Das ist „Wie mein Kampf“, nur Sie wollen es nicht lesen, wie früher viele Deutsche es nicht gelesen haben, obwohl es viele im Schrank hatten.
Ich glaube die Welt ist doch ein wenig komplexer. Die Zahl der Akteure hat zugenommen.
Sie sind doch viel zu intelligent um immer dieselbe Laier zu fahren.
Die Situation ist vertrackt, da unsere Energieversorgung stark von Russland abhängig ist. Das ist mir klar
Das ist nun mal Fakt und zeigt das gefährlich naive Spiel der letzten Jahrzehnte, sich an ein Land, ohne Alternativen zu binden. Das ist schon ein merkwürdiges Verständnis von „Freier Marktwirtschaft “ und von „Angebot und Nachfrage“.
Putin hat 3 Joker.
Und vielleicht noch ein 4ter, daß hinter allen immer die bösen Amis stecken.
Ja und die haben in der Vergangenheit viel für dieses Image getan.
Die ersten 3 sind aber: Atomwaffen, Energieabhängigkeit vieler Westeuropäischer Länder, besonders Deutschland und er herrscht nahezu diktatorisch. Das ist eine sehr gefährliche Mischung.
Sehen Sie das nicht, oder sind Sie blind.