Die Direktorin der EZB, Isabel Schnabel, hat sich nach langem Zögern und Zaudern mit dem Gedanken angefreundet, dass die Energiepreise auf Dauer das Inflationsrisiko erhöhen könnten.
Ich weiß, dass steigende Preise überlicherweise als „Inflation“ eingeordnet werden, will aber nicht müde werden, diese Falschbenennung anzuprangern, weil sie geeignet ist, zur Abwehr der Preissteigerungen falsche, ja kontraproduktive Maßnahmen zu ergreifen.
„Inflation“ bedeutet „Aufblähung“, und zwar konkret die Aufblähung der Geldmenge gegenüber dem Waren-, Dienstleistungs- und Güterangebot. Die Geldmenge wurde von der Notenbank in den letzten Jahren zwar massiv aufgebläht, vorgeblich um das Inflationsziel von „knapp unter 2% Geldentwertung pro Jahr“ zu erreichen, doch da war es wie mit der Karotte, die man dem Esel, der den Karren zieht an einer Angel vor die Nase hält, der Esel hat gezogen und gezogen, konnte die Karotte aber nie erreichen.
Die Ursache für dieses Versagen der Geldpolitik der EZB, wenn man sie am selbst postulierten Ziel misst, ist darin zu suchen, dass die Geldströme nicht da angekommen sind, wo die so genannte „Inflation“ gemessen wird, nämlich im Geldbeutel der Konsumenten, sondern an den Märkten der Geldanlagen. Aktien, Edelmetalle, Immobilien haben die Geldschwemme aufgesogen und die Reichen (nominal) immer reicher gemacht, wobei als schöner Nebeneffekt auch die Zahlungsfähigkeit einiger klammer Euro-Staaten aufrecht erhalten werden konnte.
Daran hätte sich auch so schnell nichts geändert, ja niemand hatte ernsthaftes Interesse, daran etwas zu ändern, denn sonst hätte man es längst ändern können. Noch im letzten Herbst war aus den EZB-Türmen zu hören, dass an der lockeren Geldpolitik und den Wertpapierankaufprogrammen eisern festgehalten werden soll, weil die sich ankündigende Inflation nur auf Sondereffekten beruhe und schnell wieder in sich zusammenbrechen werde.
Nun ist gleich das doppelte Gegenteil eingetreten. Die Preise steigen weiter, doch handelt es sich nicht um Inflation, sondern um „Teuerung“. Während Inflation dadurch gekennzeichnet ist, dass zuviel Geld (Nachfrage) im Markt ist, ist Teuerung dadurch gekennzeichnet, dass bei faktisch unveränderter Liquidität zu wenig Ware (Angebot) vorhanden ist.
Das fühlt sich zwar ähnlich an und könnte pauschal mit der Formel
Nachfrage : Angebot = Preisniveau
beschrieben werden, doch diese Formel hat eine kleine Macke. In der Phase der Inflation, wenn also zuviel Geld als Nachfrage antritt, passt sie. Wenn allerdings die Ware knapp wird, tritt an die Stelle der Nachfrage der Bedarf, das heißt die Befriedigung des Notwendigen.
Die Verteuerung des Notwendigen führt bei unveränderter Liqudität aber dazu, dass die Anbieter des Notwendigen größere Teile der Kaufkraft auf sich ziehen, während die Anbieter des eher Verzichtbaren Umsatzeinbußen hinnehmen müssen, und es bedeutet auch, dass ein Teil des Bedarfes – wegen der hohen Preise – nicht mehr bezahlt werden kann.
Die Erkenntnis, dass es die Armen zuerst trifft, ist dabei vollkommen korrekt. Konkret heißt das, dass schon jetzt die Wohnungen der Mitbürger, die in prekären finanziellen Verhältnissen leben, nicht mehr ausreichend beheizt werden können.
Wer auf die warme Stube nicht freiwillig verzichtet, muss an anderer Stelle einsparen.
Es sind, und das hat Frau Schnabel ebenfalls korrekt erkannt, primär die Energiepreise, die momentan als Preistreiber in Erscheinung treten, und sich, weil ohne Energie praktisch nichts mehr geht, in allen Bereichen der Produktion und der Distribution kostensteigernd und damit preistreibend bemerkbar machen.
Die EZB hat kein Mittel zur Verfügung, diesen Trend aufzuhalten oder wieder umzukehren. Das „Allheilmittel“ der Notenbanken gegen inflationäre Erscheinungen, nämlich die Anhebung des Zinsniveaus, in der Absicht, damit die Kreditvergabe und auf diesem Wege die umlaufende Liquidität zu verringern, ist im Falle der Teuerung kontraproduktiv. Die Liquidität in der Sphäre der Realwirtschaft ist bereits zu niedrig, um wenigstens den Bedarf vollständig befriedigen zu können. Da treibt keine nachfragewirksame Kaufkraft die Preise in die Höhe, sondern der Mangel an den zur Bedarfsdeckung erforderlichen Waren führt zu einem Überbietungswettbewerb bei den noch zahlungsfähigen Nachfragern.
Im Grunde handelt es sich bei dem jetzigen Szenario bereits um die Vorstufe zur Deflation.
Wer aber ist für die Steigerung der Energiepreise verantwortlich? In Deutschland ist das klar zu beantworten: Ausschließlich die Politik!
Die Belastung der Verwendung von Energie mit Steuern und Abgaben, durch
- die mit der angestrebten Energiewende verbundene Vernichtung von Produktivkapital bei gleichzeitiger Neuerrichtung unwirtschaftlicher und nicht wettbewerbsfähiger Stromerzeugungs- und Verteilungsanlagen,
- welche nur mit Hilfe einer zusätzliche Umlage auf den Strompreis (EEG-Umlage) und einem halben Dutzend weiterer Umlagen eine Rendite abwerfen,
- die Belastung von Diesel- und Bezinkraftstoffen sowie Heizöl mit Mineralölsteuer, Öko-Steuer, einer CO2-Abgabe und zum guten Schluss auf allem noch die Mehrwertsteuer, und
- die zum reinen Spekulationsobjekt entarteten CO2-Zertifikate, von denen die Rendite von Elon Musks Tesla-Fabriken hochgradig abhängt,
haben Energie in Deutschland zum Luxusgut, und Deutschland gleichzeitig zum Strommangelland werden lassen.
Die ausschließlich ideologischer Verbohrtheit geschuldete Verweigerung der Inbetriebnahme von North Stream 2 trägt ein Übriges dazu bei, den Karren bis über die Achse in den Dreck zu fahren.
Im Prinzip hat auch Frau Schnabel die Vorboten der Deflation schon auf dem Radar. Das Handelsblatt zitiert sie mit der Aussage aus ihrem Redetext anlässlich eines virtuellen Treffens der „American Finance Association“ so:
„Die Kombination von kurzfristig unzureichenden Produktionskapazitäten bei erneuerbaren Energien, schwächeren Investitionen im fossilen Bereich und steigenden Preisen für den CO2-Ausstoß bedeutet, dass wir möglicherweise eine längere Übergangsphase mit steigenden Energiepreisen vor uns haben.“
- „Unzureichende Produktionskapazitäten“, das bedeutet, dass die zum Ersatz der in der Automobil- und Schwerindustrie, sowie in der energieintensiven chemischen Industrie verloren gehenden Arbeitsplätze nicht so schnell ersetzt werden können, was sich negativ auf die Massenkaufkraft auswirkt.
- „Schwächere Investitionen im fossilen Bereich“, bedeutet, dass auch weitere Arbeitsplätze wegen der politisch geschaffenen Unsicherheit nicht im gewohnten Umfang geschaffen, bzw. erhalten werden können.
- Steigende Preise für den CO2-Ausstoß“ bedeuten, dass dem Markt weitere Liquidität vom Staat entzogen wird, der das Geld dringend braucht, um die Kosten der Pandemiebekämpfung, des Unterhalts nicht erwerbstätiger Migranten und zur Sanierung der maroden Verkehrs-Infrastruktur aufzutreiben. Diese Mittel bleiben zumindest teilweise im Binnenmarkt, führen aber zu einer weiteren Verlagerung der Umsätze auf die Güter und Waren des dringenden Bedarfes, während weite Teile der übrigen Wirtschaft einen konjukturellen Abschwung zu gewärtigen haben.
Frau Schnabel zieht daraus jedoch den Schluss, dass die bisherige Geldpolitik der EZB auf längere Sicht möglicherweise nicht mehr angemessen sei, womit sie ein Ende der großzügigen Liquiditätsbereitstellung ebenso andeutete, wie das Ende von Null- und Negativzinsen.
Jetzt erst zeigt sich, in welche Sackgasse Mario Draghi die EZB mit seinem „What ever it takes!“ geritten hat, das lediglich dazu diente, Vermögen zu retten, indem Verluste von Großanlegern bei Pleitebanken nicht realisiert werden mussten, und die Staatsfinanzen einiger Euro-Staaten, bezeichnenderweise vor allem Italiens, vor jenen Einschnitten zu bewahren, welche EZB, Kommission und Internationaler Währungsfonds in Form der so genannten Troika den Griechen gnadenlos aufs Auge drückten, um den griechischen Premier Alexis Tsipras und dessen aufmüpfigen Finanzminister Yanis Varoufakis als abschreckendes Beispiel für alle übrigen unzufriedenen Mitglieder der Währungsunion zu disziplinieren.
Schlägt die EZB nun,
- eher notgedrungen der FED folgend, um den Euro-Kurs gegenüber dem Dollar nicht abrutschen zu lassen,
- als der vermeintlichen Inflation in der Euro-Zone begegnen zu wollen,
einen härteren geldpolitischen Kurs ein, wird sich das negativ auf die Börsen auswirken und so manche „Buch-, bzw. Scheingewinne“ dahinschmelzen lassen wie die Butter in der Sonne, es wird sich negativ auf die Refinanzierung der Staatsschulden auswirken und entweder Ausgabenkürzungen oder Steuererhöhungen unumgänglich machen und damit die deflationäre Situation – durch den Schleier der steigenden Preise hindurch – auf dem Feld der Insolvenzen und der Arbeitslosigkeit deutlich erkennbar werden lassen.
Bleibt die EZB zu lange beim bisherigen Kurs, verliert der Euro gegenüber anderen Währungen spürbar an Wert, was die notwendigen Importe einer nach wie vor rohstoffarmen EU-europäischen Staatengemeinschaft verteuert, im Szenario der eskalierenden Handelskriege und der geborstenen Lieferketten aber längst nicht jenen Zuwachs im Export bringen wird, den man sich ansonsten davon versprechen dürfte. Doch: Egal, ob und wann die EZB den bisherigen geldpolitischen Pfad verlassen wird, am Grundübel ändert sich nichts. Seit das Wirtschaftsministerium in ein Klimaministerium umgewandelt wurde, das „Wirtschaft“ nur noch da zu erkennen scheint, wo ausschließlich grüner Strom fließt, ist der weitere – für die Volkswirtschaft suizidale – massive Anstieg der Energiekosten Teil und Absicht der politischen Agenda, denn Dekarbonisierung, Klimaneutralität und wie die Schlagworte alle heißen, sind nur zu erreichen, wenn sichergestellt werden kann, dass Wirtschaft und private Haushalte unter den Energiekosten zusammenbrechen werden.
In Abwandlung eines Adenauer-Zitates kann ich nur sagen:
Die Situation ist hoffnungslos – und ernst.
Da hilft nur noch die Besinnung auf Isabels Namensvetter, den Komponisten und Klaviervirtuosen Artur Schnabel (1882 bis 1951), der sich per Schüttelreim selbst mit diesen Zeilen auf den Arm genommen hat:
Am Anfang war auch Schnabel nur
das Ende einer Nabelschnur.