Die Überlebenschancen der Ampel

Ulf Poschardt, Chefredakteur der WELT, sah sich bemüßigt, bereits nach 50 Tagen Ampel eine geharnischte Abrechnung über die „Bundesclownsrepublik“ zu veröffentlichen. Der Leidensdruck ist offenbar hoch – und der Scholz-Regierung scheint die treue Gefolgschaft der Medien nicht mehr absolut sicher.

Immer wenn jemand anhebt zu lamentieren, weil das Kind im Brunnen liegt, fällt mir Heribert Prantl ein, der Meister der Attitüde des nachträglichen Besserwissens, des Hinterher-klüger-Seins, des schweigenden Abwartens bis es für das Mahnen und Warnen zu spät ist, weil der „Trauerfall“ bereits eingetreten ist.

In einer Republik, in der Vernunft und Augenmaß herrschen, hätte alleine das Auftauchen von Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin der Grünen von den Alpen bis zur Nordsee ein homerisches Gelächter auslösen müssen, das Annalena vom Trampolin gefegt hätte.

In einer Republik, in der noch jemand so genannte „Textaufgaben“ zu lösen mag, hätte die Aufgabenstellung:

„Ermittle die Zahl der Windräder mit einer Nennleistung von 5 Megawatt, die benötigt werden, um Deutschland sicher mit Energie zu versorgen, wenn diese zu einem Drittel der Zeit  stillstehen und zur Hälfte der Zeit nur die Hälfte der Leistung abgeben“,

ein nicht minderes Gelächter ausgelöst, denn das Ergebnis würde die mit „unendlich“ gesetzte Grenze des Zahlenraumes übersteigen.

Auch die Frage, welche Reaktion zu erwarten wäre, wenn Deutschland der Ukraine, die um Waffen bettelt, die Lieferung von 5.000 Stahlhelmen anbietet, hätte jeden, der sich auch nur eine ungefähre Vorstellung von „Krieg“ machen kann, in ein brüllendes Gelächter ausbrechen lassen.

Doch nachdem sich Grönemeyers Wunsch: „Kinder an die Macht!“, erfüllt hat, wenn es sich auch nur um „schon Ältere mit kindlichem Gemüt“  handelt, scheint hierzulande nichts mehr unmöglich.

Ein gewisser „Egon W. Kreutzer“ hat ein halbes Jahr vor der Wahl mit seinem Buch „Wollt ihr das totale Grün?“ darauf aufmerksam gemacht, was die „naiven Wohlstandskinder“ sich vorgenommen haben, sollten sie an die Macht kommen, und er hat nach der Wahl, noch bevor die Koalitionsvereinbarung unterschrieben war, mit einem weiteren Buch, „Links abgebogen – Was auf Deutschland zukommt“, präzise vorhergesagt, wohin die Reise gehen wird, wenn eine linksgrüne Mehrheit beginnen wird, ihr Wolkenkuckucksheim zu errichten.

Wir hatten Gelegenheit, drei Monate nach Erscheinen von „Links abgebogen“ mit dem Autor zu sprechen.

ewk: Herr Kreutzer, Sie haben sich mit der Programmatik der Grünen und mit dem Koalitionsvertrag der Ampel intensiv auseinandergesetzt und dazu zwei Bücher veröffentlicht. Sehen Sie sich nach den ersten Wochen der Regierung Scholz bestätigt?

Kreutzer: Unglücklicherweise ja. Ich hätte mir von Lindner mehr Bremswirkung erwartet. Stattdessen beginnt er damit, Kreditermächtigungen, die für die Bewältigung der Covid-Pandemie vorgesehen waren, einfach mal für den Klimaschutz umzuwidmen. Verfassungsrechtlich höchst bedenklich. Herr Habeck – man kann sein Verhalten eigentlich nur noch „windgeil“ nennen – will sein Verspargelungsprogramm selbst noch gegen Markus Söder und die bayerische 10-H-Regel durchsetzen. Annalena Baerbock ist auf dem besten Weg, alle unsere ausländischen Gesprächspartner zu verprellen. Das war vorhersehbar.

ewk: Es sieht aber doch so aus, als sei bisher noch kein wirklicher Schaden angerichtet worden. Oder erkennen Sie da etwas, was der Öffentlichkeit bisher entgangen ist?

Kreutzer: Was erwarten Sie denn, nach gerade einmal 7 Wochen mit hoher Feiertagsdichte? Aber ich will Sie nicht enttäuschen. In „Links abgebogen“ habe ich gleich für den Beginn der Amtszeit vorhergesagt:

„Die Energiepreise werden als Knappheitspreise noch weiter durch die Decke gehen, was der Inflation noch einmal einen kräftigen Schub verleihen wird.“

ewk: Wie sind Sie denn zu dieser Aussage gekommen?

Kreutzer: Das war keine Hexerei. Das hätte jeder erkennen können, der es erkennen wollte. Wer zu Beginn des Winters nicht nur 10 Kohlekraftwerke, sondern auch die Kernkraftwerke  Grohnde, Gundremmingen und Brokdorf vom Netz nimmt, vergrößert die Notwendigkeit von Stromimporten aus dem europäischen Verbundnetz. Dort herrscht aber in der kalten Jahreszeit sowieso Knappheit, unter anderem, weil die Franzosen ihre Wohnungen ganz überwiegend elektrisch beheizen. Hinzu kommt, auch das konnte jeder wissen, dass die unterirdischen Gasspeicher im Sommer 2021 nicht gefüllt werden konnten, weil die Gaskraftwerke öfter als geplant einspringen mussten, um die mangels Sonnenschein und Wind fehlenden Gigawattstunden aus „erneuerbaren“ Energien zu ersetzen. Diese Gasspeicher sollen aber nicht nur den Bedarf der Gaskraftwerke decken, sondern ebenfalls den Gasbedarf der Industrie, der erheblich ist, wie auch den Gasbedarf jener privaten Haushalte, die ihre Wohnungen und Häuser mit Erdgas beheizen. Es war also vorhersehbar, dass es eine starke Konkurrenz um Strom- und Gasmengen geben würde und damit einen exorbitanten Preisanstieg. Nebenbei ist auch die Wahrscheinlichkeit geplanter Stromabschaltungen und großflächiger Netzausfälle stark gewachsen.

ewk: Das waren doch aber noch Entscheidungen der Vorgängerregierung. Kann man das der Ampel tatsächlich zur Last legen?

Kreutzer: Man muss es der Ampel zur Last legen. Schließlich hätten sowohl die SPD, die ja unter Angela Merkel mitregierte, und die Grünen, die sich als Oppostion nie gegen die Abschaltung von Grundlastkraftwerken gewandt haben, schon seit Jahren auf das Problem hinweisen und eine Lösung einfordern können. Das haben sie nicht getan. Im Gegenteil, sie haben dies alles nicht nur mitgetragen, sondern maßgeblich vorangetrieben. Dass ihnen das Ergebnis ihrer Bestrebungen jetzt auf die Füße fällt, ist eigentlich nur gerecht.

ewk: Erkennen Sie weitere kurzfristige Wirkungen der Ampel-Politik?

Kreutzer: Natürlich. Wir sind in eine unerquickliche Mischung aus Teuerung und Rezession geraten. Überall wo Energie mehr als nur einen marginalen Anteil an den Produktionskosten hat, sind Produktionen bereits  stillgelegt. Alleine die dadurch verursachte Knappheit bei Stahl, Aluminium, Zink, usw. treibt die Preise. Die Landwirtschaft stöhnt unter den gestiegenen Preisen für Düngemittel, aber die Ampel will ja auch die Landwirtschaft auf ein Ertragsniveau von 1925 zurückwerfen. Der wirkliche Preisschock an den Fleisch- und Gemüsetheken steht erst noch bevor, auch wenn die Hausfrau beim Einkauf schon jetzt ins Stöhnen gerät. Wenn die Bürger in den nächsten Wochen ihre Heizkostenabrechnungen für das vergangene Jahr erhalten, wird das die Massenkaufkraft massiv schmälern. Auch der wirtschaftliche Kahlschlag im Bewirtungs-, Beherbergungs- und Unterhaltungsgewerbe, in der Luftfahrt- und Touristikbranche, aber auch in weiten Bereichen des stationären Einzelhandels, hat vielerorts zu wirtschaftlichen Schieflagen geführt, die nur deshalb nicht in voller Schönheit zu erkennen waren, weil großzügige Kurzarbeitsregelungen und die Aufhebung der Insolvenzantragspflicht die Fortführung von Unternehmen ermöglicht haben, die ansonsten wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit längst beim Insolvenzrichter hätten antreten müssen.  Man kann das nicht nur auf Merkel schieben. Scholz als Finanzminister, die SPD und die Grünen haben stark mit angetrieben. Von Karl Lauterbach ganz zu schweigen, der jetzt als Gesundheitsminister noch die letzten Reste an Vertrauen verspielt, indem er Genesenen und Johnson&Johnson-Geimpften im Handstreich die Grundrechte wieder abgesprochen hat und mit der Impfpflicht im Gesundheitswesen auf den Zusammenbruch der sowieso kurzen Personaldecke in Kliniken und Pflegeheimen hinwirkt. 

ewk: Außer Ihnen ist allerdings niemand auf die Idee gekommen, der neuen Regierung solche Moritaten an der Wiege zu singen. Hatten Sie einfach das Glück, dass Ihnen das in einer schlaflosen Nacht als Worst-case-Szenario eingefallen ist?

Kreutzer: Dass es kaum jemanden gegeben hat, der das Offensichtliche auszusprechen wagte, lag sicherlich nicht daran, dass die Anzeichen nicht zu erkennen waren. Nennen wir es „Konformitätszwang“, was da zu beobachten war. Die Angst, sich gegen das offizielle Narrativ zu stellen und dann geschasst  zu werden, ist ja nicht unberechtigt. Es genügt ja schon die Wahrheit zu sagen und nicht davon abzuweichen, um aus dem Amt gekegelt zu werden. Denken Sie nur an Hans-Georg Maaßen. Wer wagt da schon noch, einen warnenden Finger zu heben? Nein. Nein. Die „Erkenntnisse“ und das „Ich-habe-schon-immer-Gesagt“, die finden heutzutage immer erst in die Schlagzeilen, wenn das Kind im Brunnen liegt. Ich bin einfach nur systematisch analytisch vorgegangen – und habe eben nicht ängstlich geschwiegen.

ewk: Wie muss man sich das vorstellen, systematisch-analytisches Vorgehen?

Kreutzer: Das beginnt damit, dass man sich einen Überblick verschafft, welche großen ungelösten Probleme und welche im Entstehen begriffene Trends von einer neuen Regierung zu bewältigen sein werden. Ich habe dazu die weltweite Finanz- und Währungproblematik, die Knappheiten bei den Energie-Rohstoffen, die auf lange Zeit ge- und zerstörten weltweiten Lieferketten, die Zerstörung des stationären Handels durch den Internet-Versandhandel, die wachsende Macht von BigData, den gewachsenen Einfluss von China auf den Welthandel und sein militärisches Erstarken, sowie den weltweiten Trend zur Dekarbonisierung samt der deutschen Musterschüler-Rolle dabei, im Detail betrachtet und daraus Prognosen für die weitere Entwicklung abgeleitet. Dann habe ich gefragt, wie diese Einflussfaktoren, wo sie zusammentreffen, zu welchen verstärkenden oder abschwächenden Wechselwirkungen führen – und am Ende versucht aufzuzeigen, welcher Handlungsspielraum jenen naiven Wohlstandskindern bleibt, darauf sinnvoll zu reagieren, ohne ihr enges Narrativ verlassen zu müssen.

ewk: Das klingt sehr kompliziert. Kann man das als Laie ohne Vorkenntnisse denn überhaupt nachvollziehen?

Kreutzer: Ich fürchte, dass genau diese Sorge viele Interessierte bisher davon abgehalten hat, sich mit „Links abgebogen“ zu beschäftigen. Diese Sorge ist jedoch unbegründet. Alle notwendigen Fakten sind in überschaubarer und komprimierter Form so aufbereitet, dass sich der „Aha-Effekt“ quasi von alleine ergibt. Alle Prognosen sind mit Fakten untermauert und die notwendigen Schlussfolgerungen sind ausführlich erläutert – und, last but not least – der Schlussteil des Buches enthält noch einmal eine Zusammenschau der erwarteten Entwicklungen, und zwar auf einer Zeitlinie. Was von dem, was prognostiziert wurde, wird im ersten, im zweiten, im dritten und vierten Jahr der Ampel in welcher Intensität eintreten. Das kann man zuerst lesen, um sich einen Überblick zu verschaffen, und dann auf die Herleitungen in den vorangehenden Kapiteln zugreifen, man kann das Buch aber auch von vorne nach hinten in einem Zug durchlesen. 

ewk: Nun ist das Buch ja schon ein paar Monate „alt“. Ist es damit nicht schon wieder überholt und ein Fall fürs moderne Antiquariat?

Kreutzer: Ich bitte Sie! Das Buch ist doch keine Tageszeitung, die man am Morgen liest und am Abend entsorgt. Der Zeithorizont reicht über vier Jahre – und ein Stück darüber hinaus. Davon sind bis heute noch nicht einmal zwei Prozent der Vergangenheit zuzurechnen, ganz abgesehen davon, dass die zugrundeliegenden Fakten auch noch die Nachfolgeregierungen beschäftigten werden.

ewk: Eine letzte Frage, Herr Kreutzer: Glauben Sie denn, dass die Ampel die vollen vier Jahre durchstehen wird?

Kreutzer: Aus heutiger Sicht gebe ich der Ampel noch maximal zwei Jahre. Und was Deutschland danach an Reparaturleistungen benötigt, das habe ich in „Links abgebogen“ übrigens auch schon beschrieben.

ewk: Vielen Dank für dieses Gespräch.

Kreutzer: Gerne.

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