Bundesministerium für Fortschritt, Aufbruch und Digitalisierung

PaD 39 /2021 – Hier auch als PDF verfügbar: PaD 39 2021 Ministerium für Fortschritt, Aufbruch und Digitalisierung

Noch sind die Sondierungen nicht abgeschlossen, geschweige denn, eine Koalition verabredet, doch die Frage, ob es ein Digitalisierungs-Ministerium brauche, bewegt schon wieder die Gemüter.

Der erste Gedanke, der sich hier aufdrängt, lautet: Eine Koalition aus drei Parteien wird beim Zusammenraufen zweifellos auf die Idee kommen, dass jede einzelne Partei nur dann in der Regierung angemessen repräsentiert ist, wenn die bestehenden Ressorts durch Überhang- und Ausgleichsministerien so ausgeweitet werden, dass genügend wichtige Posten für alle vergeben werden können. Da käme ein neues Ministerium, für was auch immer, gerade gelegen, um den zweiten Mann der dritten Partei mit dem erforderlichen Posten zu versorgen.

Am 21. August habe ich mich schon einmal mit dem Schlagwort „Digitalisierung“ beschäftigt, seinerzeit aber mehr unter dem Blickwinkel des laufenden Wahlkampfes und der Wählerwirksamkeit der inhaltsleeren Digitalisierungsverheißung.

In diesem Paukenschlag soll es um die Frage gehen, ob Deutschland wirklich ein Digitalisierungsministerium braucht, oder ob es nicht vielmehr an etwas anderem fehlt.

Mit dieser Frage muss man bis 1949, dem Gründungsjahr der alten Bundesrepublik, zurückgehen. Wäre die BRD als Wirtschaftsunternehmen in Form einer Kapitalgesellschaft gegründet worden, so hätte man dieser Gesellschaft statt des Grundgesetzes eine Satzung gegeben, in welcher der Unternehmenszweck, die Organe (Aufsichtsrat, Vorstand, Hauptversammlung) und deren Pflichten und Kompetenzen, sowie das Stammkapital festzusetzen gewesen wären.

Sodann hätten die Aktionäre einen Aufsichtsrat gewählt, der wiederum die Vorstände der ersten Stunde zu bestimmen hatte.

Auf diesem Wege sind  bis dahin vermeintlich keine nennenswerten Unterschiede im Entstehen der Arbeitsfähigkeit von Regierung und Unternehmensvorstand zu erkennen. Doch der große Unterschied, der gerne übersehen wird, besteht darin, dass dem Unternehmen ein klarer Unternehmenszweck vorgeschrieben ist, während eine Regierung nicht an einen vorgegebenen Zweck gebunden ist.

Das Unternehmen wird damit beginnen, sich eine dem Zweck dienende, also „zweckmäßige“ Organisation zu geben, sowohl was die organisatorischen Strukturen und Zuständigkeiten von Bereichen und Abteilungen betrifft, als auch in Bezug auf die zweckmäßige Gestaltung der Abläufe innerhalb der Organisation in Bezug auf Effektivität, Effizienz und Sicherheit. Diese Aufgabe, die Organisation zu gestalten und sie an wechselnde Erfordernisse mit den jeweils zur Verfügung stehenden Mitteln optimal anzupassen, wird in der Regel einer Stabsabteilung übertragen, die weitgehend selbstständig analysiert und Pläne und Konzepte entwickelt, die sie – nach Genehmigung des Vorstandes – dann auch verantwortlich umzusetzen hat.

Die Mitarbeiter dieser Stabsstelle sind es, die über das vollständige Wissen um die Konstruktion des Unternehmens und die darin ablaufenden Prozesse verfügen. Sie sind es auch, die aufmerksam den Markt der Organisationsmittel und -Methoden beobachten und dabei feststellen, was gegebenenfalls zur Optimierung der eigenen Organisation genutzt werden sollte.

Die öffentlichen Hände Deutschlands haben es versäumt, und dabei spielt der föderative Aufbau des Staates eine gewichtige Rolle, aber bei weitem nicht die einzige, eine solche „Stabsstelle Organisation“ zu schaffen. Stattdessen haben sich die Ministerien, die Bundesländer, die Landkreise und die Kommunen, die Sozialversicherungsträger und die Staatsunternehmen, jeweils eigenständig organisiert und dabei  häufig auch ängstlich darüber gewacht, ihre inneren Strukturen und Prozesse für andere nicht transparent werden zu lassen. Dies hat sich auch mit dem Einzug der  Datenverarbeitung in die Behörden nicht wesentlich verändert.

Das soll nun bitte nicht als ein Plädoyer für eine allumfassende, zentralistische und damit realitätsfremde Bürokratie verstanden werden. Die „Stabsstelle Organisation“ sollte auch keinesfalls echte politische Entscheidungen treffen oder vorbereiten, sondern explizit für die nachstehenden Aufgabenkomplexe verantwortlich zeichnen:

  • Grundsätzliche Analyse des Personal- und Ressourcenbedarfs der Bundesministerien und Behörden, Festlegung der Aufbau-Organisation und Gestaltung der relevanten Abläufe unter Einbezug der für den jeweiligen Zweck optimalen technischen Ausstattung.
  • Die Strukturen der Kommunikation, ausgehend von den Bedürfnissen der Bundesregierung, soweit beschreiben und realisieren, dass alle relevanten Informationen schnellstmöglich und unverfälscht zwischen Regierung und nachgeordneten Stellen in beide Richtungen ausgetauscht werden können. Das erfordert vor allem die Definition einheitlicher Datenschnittstellen zwischen den genutzten Systemen, die von allen beteiligten (dezentralen) Entwicklern für den Austausch von Daten zu nutzen sind.
  • Die Planung und Realisierung der ressortübergreifenden IT-Infrastruktur des Bundes und die stetige Erweiterung um nützliche Anwendungen.
  • Planung und Implementierung von (IT-) Großprojekten der einzelnen Ressorts.
  • Unterstützung dezentraler IT-Stellen bei der Implementierung von Standard-Anwendungen.

Sowie in einer eigenen Abteilung

  • den Anstoß für IT-Großprojekte der Wirtschaft zu geben, ggfs. innerhalb von Konsortien koordinierend zu wirken und für die notwendigen Mittel aus Staatstöpfen zu sorgen, wo die beteiligten Unternehmen überfordert sind.

Unglücklicherweise kann eine solche Stabstelle nicht über Nacht aus dem Boden gestampft werden.

Auch eine einzelne Legislaturperiode würde nicht ausreichen, um eine solche Stelle, auch unter optimalen Bedingungen, mit ihrer mächtigen Querschnittsaufgabe spürbar wirksam werden zu lassen. Leider können die Bedingungen, unter den sie eingesetzt werden könnte, aber keineswegs als optimal angesehen werden. Die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers ist gegenüber der Eigenverantwortung der Ressorts zu schwach, um eine Stabsstelle zu schaffen, die den Ministern Teile ihrer an das Amt (nicht an die Qualifikation) gekoppelten Kompetenz nehmen müsste, um die grundsätzliche Aufbau-Organisation – bis in die Bereiche und Abteilungen der Ministerien hinein – und den daraus abzuleitenden Personal- und Ressourcenbedarf festzulegen.

Die Erfahrung lehrt, dass die Gestaltung von Ministerien, von der Ernennung des Ministers und dem Zuschnitt der Aufgabenbereiche angefangen, mit jeder neuen Regierungsbildung nicht nach sachlichen Gesichtspunkten, sondern nach Parteienproporz neu festgelegt wird. Daran wird sich nach menschlichem Ermessen nichts ändern lassen, solange die Bundesrepublik besteht.

Wenn also praktisch alle  vier Jahre die grundlegenden Strukturen aus parteipolitischen und koalitionstaktischen Erwägungen über den Haufen geworfen werden können, ohne dass dem  eine Analyse vorangegangen wäre, die Verbesserungsmöglichkeiten aufgezeigt und die Umsetzung planerisch vorweggenommen hat, dann wird sich unter den Experten für Organisationsfragen niemand finden, der seine Arbeit dem regelmäßigen Zerstörungswerk der Politiker aussetzen wollte, die sich nichts daraus machen, immer wieder tragende Wände herauszureißen und an ungeeigneter Stelle neu hochzuziehen.

An der Stabilität der grundlegenden Strukturen hängt aber alles Weitere.

Innerhalb dieser Strukturen kann größtmögliche Flexibilität an den Tag gelegt werden. Der Vergleich mit einem Gebäude liegt dabei wirklich nahe. Man kann die Nutzung einzelner Räume und ganzer Geschosse nahezu beliebig verändern, solange damit nicht die Statik gestört wird. Doch genau dann, wenn größere Nutzungsänderungen beabsichtigt sind, ist es sinnvoll den Statiker zu Rate zu ziehen. Nicht jede Zimmerdecke im Jugendstilhaus ist geeignet auch noch den zweiten Flügel im Musikzimmer zu tragen.

Hier tritt aber wieder der Unterschied zum Wirtschaftsunternehmen zutage, das einen Unternehmenszweck verfolgt und dabei nach Möglichkeit hohe Gewinne abwerfen soll. Die Manager solcher Unternehmen sind in der Regel am wirtschaftlichen Erfolg des Gesamtunternehmens in erheblichem Umfang beteiligt und werden daher immer wieder ihre persönlichen Animositäten hintenan stellen, um den gemeinsamen Erfolg zu ermöglichen. Die „Manager der Politik“ sehen sich hingegen mit ihrem Ministerium als verbissene Einzelkämpfer, die sich jeden Cent aus dem Etat neiden, die um jedes kleine bisschen Kompetenz rangeln und letztlich nur sich selbst und ihre Karriere innerhalb der Partei im Auge haben. Sich ohne Not einem System der Vernunft und der Kosten-Nutzen-Optimierung zu unterwerfen, ist ihnen eher fremd. Das wird immer dann auch für den Normalbürger sichtbar, wenn sich Mitglieder der gleichen Regierung in Talkshows oder im Bundestag gegenteilig beschuldigen, die Verantwortung getragen, aber nicht wahrgenommen zu haben, obwohl sie (oder ihre Fraktion) in etlichen Fällen das Vorhaben und damit den Erfolg des Konkurrenten selbst sabotiert haben.

Das führt zurück zur Frage:

Braucht Deutschland ein Digital-Ministerium?

Die Antwort lautet eindeutig ja.

  • Wir sind in Sachen Forschung und Entwicklung von Hard- und Software sehr weit hinter den führenden Nationen dieser Welt zurück. Dazu gehören neben den USA inzwischen auch China, Indien, Russland, Israel und etliche mehr.
  • Wir sind auch in der Nutzung in der Breite sehr weit hinter der halben Welt zurück. Wer, außer uns, hat noch so ein löchriges Mobilfunknetz? Wer, außer uns, hat noch so eine  dünne Infrastruktur an Breitbandkabeln? Wo sind unsere großen HighTech-Konzerne, die mit Google, Facebook, Amazon mithalten könnten? In welchem Land, außer bei uns, ist das Faxgerät immer noch ein wichtiges Kommunikationsmittel von Ämtern und Behörden?

Wir hatten Konrad Zuse, der 1941 den ersten funktionstüchtigen, frei programmierbaren Computer der Welt auf Basis von Röhrenschaltungen entwickelt hatte.  Wir hatten Heinz Nixdorf, der damit begann, den damals ausschließlich üblichen Großrechnern mit kleineren, handlicheren Modellen Konkurrenz zu machen. Wir hatten sogar noch für einige Jahre das Unternehmen SIEMENS-Nixdorf, das die ganze Bandbreite, von PCs bis zu Supercomputern bespielte und zu seiner Zeit der größte Anbieter von Hard- und Software-Lösungen in Europa war. Das wurde alles zerschlagen und aufgegeben. Jetzt haben wir nur noch SAP mit seinen spezifischen Controlling- und Buchhaltungslösungen für den kaufmännischen und administrativen Bereich ziemlich großer Unternehmen. Kleinere sollen mit der SAP-Implementierung schon krachend gescheitert sein.

Was hat, so fragt man sich, Dorothee Bär, die seit Ende 2013 Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur war und  im März 2018 zur Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin und zur Beauftragten der Bundesregierung für Digitalisierung ernannt wurde, in den letzten Jahren eigentlich vorangebracht? Was ist aus dem Innovation Council der Bundesregierung zur Digitalisierung herausgekommen, das von Dorothee Bär als Vertreterin der Politik geleitet wird, und sich jährlich zweimal zum Gedankenaustausch trifft?

Wie soll auch jemand, der in 43 Lebensjahren nur Kind, Schülerin, Studentin (Abschluss: Diplom Politologin) und Politikerin war, als Digitalisierungsbeauftragte mehr auf den Weg bringen können, als sich für Luft-Taxis stark zu machen?

Alleine an Frau Bär lässt sich verdeutlichen, dass Deutschland zwar ein Ministerium für Digitales dringend brauchen würde, dass aber die Spitzenpolitiker wieder nichts damit anzufangen wüssten, es mit  fachfremden Figuren besetzen würden, für die der Begriff „Laie“ noch geschmeichelt wäre, und alles tun würden, dass diese „Digital-Fuzzis“ bloß nicht ins eigenen Ministerium hineinpfuschen.

Es wird nichts. So – wird es nichts.

Wenn Deutschland sich als Staatsziel setzen wollte, innerhalb von 10 Jahren an die Weltspitze der IT-Nationen aufzuschließen, dann müsste dieses Thema die oberste Priorität erhalten und dazu weit mehr Kompetenzen erhalten, in seiner Querschnittsfunktion anderen Ressorts Weisungen zu erteilen, als dies dem Finanzministerium, dem mächtigsten Ressort der Regierung, bisher möglich war. Dann müsste weltweit mit Headhuntern nach den vorzüglichsten Köpfen gesucht werden und die am Markt üblichen Gehälter so deutlich überboten werden, dass damit das Risiko, in Deutschland in der Bedeutungslosigkeit zu versinken, kompensiert werden könnte.

Vor allem aber dürfte diesen Spezialisten, auch wenn sich ihre Arbeit anfühlen sollte, als sei da ein eigener Staat im Staate entstanden, nie und nimmer ein fachlich inkompetenter Politiker in ihre Arbeit hineinreden.

Da alleine die letzte Forderung vollkommen unerfüllbar ist, mangelt es uns doch an nichts weniger, als an fachlich inkompetenten Politikern, die sich berufen fühlen, den Ton anzugeben, werden wir – sollte es denn mit der Regierungsbildung zum Ministerium für Fortschritt und Digitales kommen – von diesem Ministerium kaum mehr an Aufbruch, Fortschritt und Erfolgen zu erwarten haben, als vom Entwicklungshilfe-Ministerium, dessen absolute Bestleistung m.E. darin besteht, noch im letzten Jahr 474 Millionen Euro als Entwicklungshilfe an Xi Jinping überwiesen zu haben.

Aber, für was brauchen wir noch Digitalisierung, wenn uns die Klima-Erhitzung sowieso bis Mitte des Jahrhunderts zu Asche verbrannt haben wird?

Schaffen wir lieber ein Klimaministerium.

Da wimmelt es bei den Grünen geradezu von Experten, die ganz scharf darauf sind, als Beamte auf Lebenszeit mit Gas-Spürgeräten nach CO2-Quellen zu suchen.