Corona und das BIP – wie schwer es die Wirtschaft wirklich erwischt hat

Es lebte zu Linz einst ein Schneider,
der kam rein methodisch nie weiter.

Doch statt sich zu quälen
und ernsthaft zu zählen,

erschafft er mit List Schwarzarbeiter.

Lange hat es der Tübinger/Linzer Professor Friedrich Schneider nicht mehr in die Schlagzeilen geschafft. Zu Zeiten des Schröder’schen Forderns und Förderns wurden seine Zahlen zum Ausmaß der Schwarzarbeit von den Medien emsig verbreitet, um die Mär von den schwarz arbeitenden Sozialschmarotzern zu unterstützen und den Repressionsapparat der Job Center und ARGen zu rechtfertigen.

Nun ist er wieder da. Die Corona-Krise hätte den Beschäftigten – sei es wegen Kurzarbeit, sei es wegen Entlassung – mehr Zeit verschafft, sich per Schwarzarbeit etwas hinzu zu verdienen.

Da trapst sie wieder, die Nachtigall!

Auf 348 Milliarden Euro soll sich bis Ende des Jahres 2020 der Anteil der Schwarzarbeit am Bruttoinlandsprodukt steigern. Elf Prozent, statt neun im Vorjahr.

Dies verräterische Aussage findet sich im Wirtschaftsteil des SPIEGELs.

Obwohl noch niemand weiß, wie hoch das BIP des Jahres 2020 ausfallen wird, und die Unsicherheit bezüglich eines eventuell erforderlichen zweiten Lockdowns hoch ist, spricht man vom 

Anteil der Schwarzarbeit am BIP.

Sicher, dass der Umfang der „Schattenwirtschaft“ vom Statistischen Bundesamt in die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung einbezogen wird, das ist nur für unbedarfte Medienkonsumenten ein Geheimnis. Allerdings hat das Statistische Bundesamt stets ein Geheimnis darum gemacht, wie hoch denn der tatsächlich im BIP berücksichtigte Anteil der Schattenwirtschaft sei.

Wenn der Satz im SPIEGEL von einem Redakteur geschrieben worden sein sollte, der Ahnung von dem hat, was er schreibt, dann hieße das, dass die „heiße Luft“ im BIP, die Herr Professor Schneider auf Basis des in Umlauf befindlichen Bargeldes „erzeugt“ und über einen Vergleich mit den Veränderungen des Stromverbrauches „verifiziert“, das wahre BIP um runde zehn Prozent größer erscheinen lässt als es ist.

Noch ein Wort zu den Begriffen „Schattenwirtschaft“ und „Schwarzarbeit“. Prof. Schneider versucht, durch den Blick in seine Bargeld-Glaskugel den Umfang der Schattenwirtschaft zu ermitteln, spricht dabei aber gerne selbst – sinnentstellend – von Schwarzarbeit.

Laut Wikipedia sind Schattenwirtschaft und Schwarzarbeit wie folgt definiert:

Schattenwirtschaft ist der volkswirtschaftliche und kriminalistische Oberbegriff für alle ökonomischen Aktivitäten, aus denen zwar – legal oder illegal – Einkommen erzielt, aber staatliche Marktregulierung, Besteuerung oder statistische Erfassung vermieden wird.

Die Schattenwirtschaft im weiteren Sinn umfasst die Selbstversorgungswirtschaft, darunter den informellen Wirtschaftssektor sowie die Schattenwirtschaft im engeren Sinn mit Schwarzarbeit und Schwarzmarkt.

Schwarzarbeit ist die Ausführung von Dienst- oder Werkleistungen unter Verstoß gegen Steuerrecht, unter Verstoß gegen Sozialversicherungsrecht, unter Umgehung von Mitteilungspflichten gegenüber den Behörden und Sozialträgern oder ohne Gewerbeanmeldung beziehungsweise Eintragung in die Handwerksrolle, obwohl ein Gewerbe oder Handwerk ausgeübt wird.[1] Schwarzarbeit ist Teil der illegalen Schattenwirtschaft.

Schwarzarbeit wird in der Regel mündlich vereinbart und das Entgelt bar gezahlt.

Es ist unschwer zu erkennen, dass Schwarzarbeit, die in der Regel mündlich vereinbart und bar gezahlt wird, nur einen Bruchteil dessen ausmacht, was unter Schattenwirtschaft verstanden wird – und es ist schwer zu glauben, dass es – mitten unter uns – ein Heer von rund 13 Millionen Vollzeit-Schwarzarbeitern geben soll. Diese Zahl ergibt sich, wenn man einen durchschnittlichen Schwarzarbeits-Stundenlohn von 15 Euro zugrunde legt und jeder Schwarzarbeiter an 220 Tagen im Jahr (365 -Wochenenden, – Feiertage, -Urlaub/Krankheit) 8 Stunden schwarz arbeitet.

Es gibt durchaus solidere Methoden und Abschätzungen, die zu sehr viel niedrigeren Werten führen, aber es ist nun mal die Attraktivität der großen Zahl, die Herrn Schneider ein sicherlich ebenso attraktives Einkommen verschafft.

Ich will aber auf etwas ganz anderes hinaus.

Wie dramatisch ist der Rückgang des BIP wegen Corona tatsächlich?

Dazu bedarf es einer Analyse der dem BIP zugerechneten Leistungswerte, die nicht dem produktiven Teil der Volkswirtschaft zugerechnet werden können, weil eben nur der produktive Teil durch Corona beeinträchtigt wurde.

Das Statistische Bundesamt erfasst zum Beispiel die Beiträge von „Nichtmarktproduzenten“ und der „Nichtmarktproduktion“ im BIP und führt aus, dabei handle es sich um die öffentliche Verwaltung oder die Privaten Organisationen ohne Erwerbszweck. Da für die unentgeltlich abgegebenen Leistungen keine Marktpreise zur Verfügung stehen, werden Bruttowertschöpfung und Produktionswerte hier durch die Addition der Aufwandposten dieser Einheiten ermittelt.

Es geht hier also um die Kosten der 4,8 Millionen Beschäftigten im Öffentlichen Dienst (samt deren Arbeitsplatzausstattung) und um den nicht erstatteten, aber als BIP gezählten Aufwand von 14 Millionen ehrenamtlich Tätigen.

Jeder Beamte, jeder Lehrer, jeder freiwillige Rotkreuzhelfer, jeder Soldat und jeder Pfarrer hat im BIP seinen festen Platz. Man nimmt die Kosten, also im wesentlichen die Personalkosten, die sie verursachen, addiert die weiteren Kosten der Organisation hinzu und schon hat sogar der Verteidigungsminister mit den laufenden Kosten der Bundeswehr seinen Beitrag zum BIP geleistet.

Schätzen wir den Aufwand der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst mit durchschnittlich 60.000 €/p.a.  und den Aufwand der Ehrenamtlichen mit nur 1.000 €/p.a., so ergibt sich ein Gesamtvolumen von rund 300 Milliarden.

 

Das Statistische Bundesamt nimmt, gründlich wie es ist, für viele Rechenbereiche gesonderte „Vollständigkeitsuntersuchungen“ vor. Z.B. werden der Umfang der Eigenleistungen im Baubereich, der reale Umfang der illegalen Prostitution, der Nachhilfeunterricht, die nicht versteuerten Trinkgelder und als Einkommen geltende  Naturalleistungen erst geschätzt und dann dem BIP zugerechnet.

Der auf diese Weise ins BIP eingepreiste Wert der volkswirtschaftlichen Leistung wird vom Statistische Bundesamt wie folgt ermittelt:

Auf der Grundlage dieser Vollständigkeitsprüfungen werden für jeden Rechenbereich der Entstehungsrechnung des BIP spezielle Untererfassungszuschläge hergeleitet. Diese Zuschläge sind integraler Bestandteil der Berechnungen, es handelt sich also nicht um eine eigenständige, autonome Zusatzrechnung. Zweck dieser Zuschläge ist ausschließlich die Vollständigkeit des BIP sicherzustellen, die Zusetzungen umfassen also alle möglichen Arten von Untererfassungen (z.B. statistische Abschneidegrenzen, andere Lücken im Statistiksystem, Steuer- und Abgabenhinterziehung). Aus diesem Grunde ist es auch nicht ohne weiteres möglich, aus diesen Zuschlägen direkt Schätzungen zum Umfang der „Schattenwirtschaft“ abzuleiten.

Allerdings sind dies die Zuschläge, in denen die mutmaßliche Schattenwirtschaft auf Basis der Linzer Zahlen eingebracht wird. Nehmen wir spaßeshalber die 348 Milliarden als  im BIP enthalten an.

Noch eine spannende Weisheit vermittelt das Statistische Bundesamt. Um das BIP von der Entstehungs- und von der Verwendungsseite her gleich hoch ausweisen zu können, müssten der Bruttowertschöpfung die Netto-Gütersteuern „global“ hinzugefügt werden.

Das Statistische Bundesamt sagt damit aus, dass auch der Finanzminister produziert, und zwar Mehrwertsteuer, Tabaksteuer, Ökosteuer und andere Verbrauchssteuern.

Mag die Logik dahinter auch pervers erscheinen, in Summe wurden im BIP 2019 aus der Mehrwertsteuer und den übrigen Verbrauchssteuern rund 350 Milliarden Euro ausgewiesen.

Grobe Schlussrechnung

Ausgewiesenes BIP Deutschlands 2019 3.440 Mrd. Euro
Abzüglich nicht Corona-sensibler Werte
Öffentlicher Dienst/Ehrenamt 300 Mrd. Euro
Untererfassung/Schattenwirtschaft 348 Mrd. Euro
Netto-Gütersteuern 350 Mrd. Euro – 998 Mrd. Euro
Corona-sensible Anteile BIP 2.442 Mrd. Euro
Corona-bedingter BIP Rückgang 10% gg. 2019 344 Mrd. Euro – 344 Mrd. Euro
Wahres BIP – Rückgang 14 % 2.098 Mrd. Euro

Bezogen auf den tatsächlich werteschaffenden Teil der Volkswirtschaft ist die Leistung (im II. Quartal) um 14% zurückgegangen.
Das ist das wahre Ausmaß des Einbruchs der Produktion. Der Unterschied zwischen 10 und 14 Prozent erscheint nicht gerade groß, darf aber in Bezug auf die absoluten Zahlenverhältnisse keineswegs unterschätzt werden.

Dass ich hier auf Basis der Veränderung des II. Quartals mit Jahreswerten gerechnet und für 2020 einen Rückgang des BIP um 10% unterstellt habe, ändert nichts daran, dass die gezielte Betrachtung der Corona-sensiblen Anteile des BIP einen klareren Blick auf den tatsächlichen Einbruch der Wirtschaftsleistung ermöglicht.