Wachstumsprognosen im Ampel-Universum

PaD 12 /2024 – Hier auch als PDF verfügbar: Pad 12 2024 Wachstumsprognosen im Ampel-Universum

Nach und nach einigen die sich Glaskugelbesitzer darauf, dass die deutsche Wirtschaft im laufenden Kalenderjahr voraussichtlich um 0,1 Prozent wachsen wird.

Meine Vorhersage lautet:
Das BIP wird 2024 gegenüber 2023 preisbereinigt um mindestens ein Prozent sinken.

Diese Thematik habe ich im Artikel „Neue deutsche Streiklust“ vor ein paar Tagen schon einmal angekratzt und dazu ausgeführt:

Ohne näher auf die Problematik jener Zahl einzugehen, die als Brutto-Inlandsprodukt ermittelt wird und die nicht, wie regelmäßig behauptet wird, die Wirtschaftsleistung misst, sondern mit der Wirtschaftsleistung auch noch vieles andere, zum Beispiel auch die Kosten des gesamten Öffentlichen Dienstes und einen großzügig geschätzten Beitrag der so genannten Schwarzarbeit, sagen die offiziellen Zahlen doch zumindest, dass die Wirtschaftsleistung im IV. Quartal 2023 – preis-, kalender- und saisonbereinigt – um 0,3 Prozent geschrumpft ist. Die offiziellen Wachstumsprognosen für das laufende Jahr bewegen sich hart an der Wahrnehmungsschwelle und im Bereich des statistischen Fehlers. Alle Indikatoren lassen mich darauf schließen, dass das Jahr 2024 nicht mit einem minimalen Wachstum, sondern mit einem deutlichen Rückgang des bereinigten BIP beendet werden wird.

Diese deutlich weniger otpimistische Prognose soll in diesem Beitrag begründet werden. Daneben werde ich ausführen, welche statistischen Mittel zur Verfügung stehen, um das BIP bei Bedarf schönzurechnen.

Wunderbar aussagekräftig wäre ein Grafik des Umweltbundesamtes, wenn darin nicht eine höchst manipulative Auswahl der Bezugspunkte vorgenommen worden wäre. Sehen Sie sich das an: Die braunen Balken stellen den Primärenergieverbrauch des verarbeitenden Gewerbes dar, die lila Linie zeigt die Entwicklung der Bruttowertschöpfung des verarbeitenden Gewerbes.

Wachstum - Energieverbrauch und Wirtschaftsleistung

Schon auf den ersten Blick ist festzustellen, dass die Verläufe von Energieverbrauch und Wertschöpfung im verarbeitenden Gewerbe eine starke Korrelation aufweisen. Die Wertschöpfung steigt und sinkt parallel zum Energieverbrauch.

Dem flüchtigen Betrachter wird mit der manipulativen Beschriftung ausgewählter Datenpunkte jedoch suggeriert, dass der Rückgang des Energieverbrauchs von 3.907 auf 3.750 Petajoule, also um 4 Prozent, lediglich einen Rückgang der Bruttowertschöpfung des verarbeitenden Gewerbes um einen Prozentpunkt ausgelöst habe. Ganz anders sieht es aus, wenn man die beiden letzten Jahre, 2019 und 2020, vergleicht. Wenn man die 2019er Werte, die leider nicht in Zahlen ausgewiesen sind, einigermaßen genau abschätzt, dann ist festzustellen, dass der Rückgang des Energieverbrauchs um 3,8 Prozent  mit einem Rückgang der Bruttowertschöpfung um 9,3 Prozent einhergegangen ist.

Leider fehlen in dieser Grafik die aktuell interessierenden Folgejahre bis 2023. Doch es gibt eine Möglichkeit, diese Lücke auf einem anderen Weg zu schließen.

Agora Energiewende, das Zentralorgan der Energiewendebetreiber in Deutschland, führt Buch über die Entwicklung der CO2-Emissionen. Die FAZ hat hier darüber berichtet. Die im hier aufgezeigten Zusammenhang relevante Aussage zum Rückgang der Emissionen im Jahr 2023 lautet:

Die übrigen Emissionseinsparungen sind fast ausschließlich auf die Industrie zurückzuführen. Während die gesamtwirtschaftliche Leistung im vergangenen Jahr insgesamt um 0,3 Prozent schrumpfte, ging die energieintensive Produktion vor allem wegen der hohen Gaspreise um 11 Prozent zurück. Das führte dazu, dass 17 Millionen Tonnen weniger Treibhausgase als im Vorjahr ausgestoßen wurden.

Eine Grafik der FAZ weist diese 17 Millionen Tonnen als „krisenbedingt“ aus, dazu aber noch weiter 8 Millionen Tonnen als „Stromeinsparung Industrie“. Auf Basis vorsichtiger Nebenrechnungen schätze ich den Rückgang des Energieverbrauchs im verarbeitenden Gewerbe zwischen 2022 und 2023 auf mindestens 10 Prozent. Der Anteil wirksamer Energiesparmaßnahmen, der neben den Produktionseinschränkungen zur Reduktion der CO2-Emissionen führte, dürfte relativ klein sein, so dass mit einiger Berechtigung von einem Rückgang der Produktion in Deutschland um mindesten 7,5 Prozent ausgegangen werden kann.

Dies steht allerdings in eklatantem Widerspruch zur offiziellen Statistik, die für das verarbeitende Gewerbe nur einen Rückgang um 0,4 Prozent ausweist. Die Aussage von Destatis: „Positive Impulse kamen hier vorrangig aus der Automobilindustrie und dem sonstigen Fahrzeugbau“, ist zwar ein Erklärungsansatz, weil der dem Automobil zuzurechnende Energieeinsatz nur zum geringeren Teil an den Montagebändern anfällt, zum größeren Teil aber in der Chemieindustrie und der Eisen-, Stahl- und Aluminiumerzeugung. Dort war aber kein Produktionszuwachs zu erkennen, der den Zuwachs der Automobilproduktion hätte abdecken können. Es kann also gemutmaßt werden, dass einerseits auf allen Wertschöpfungsstufen ein Abbau von Beständen stattgefunden hat und andererseits der Anteil der Importgüter im Fahrzeugbau zugenommen hat.

Die Wirtschaftsforschungsinstitute sollten über diese Zahlen verfügen, ich kenne sie leider nicht. Doch alleine die Absatzentwicklung der Automobilindustrie gegen Ende des Jahres 2023 ist ein bedenkliches Signal. Der Automobilboom  des  Jahres 2023 war wahrscheinlich nur ein Strohfeuer. Einerseits bestand aus den Pandemiejahren noch ein Nachholbedarf, andererseits wurden die Prämien beim Erwerb von E-Mobilen gestrichen, was dazu führte, das schon am Jahresende die Neuzulassungen massiv eingebrochen sind. Im Dezember waren es noch 242.000 Automobile; 72.000, bzw. 23 Prozent weniger als im Vorjahresmonat.

Ich kann keinen Hinweis darauf entdecken, dass die Zulassungszahlen in 2024 noch einmal das Niveau von 2023 erreichen werden. Ich sehe auch keinen Hinweis darauf, dass die Exporte in die USA und nach China weiter wachsen würden. Alleine diese Entwicklung im Automobilsektor, die das Wachstum 2023 noch stützte, dürfte sich nach meiner Einschätzung in den Zahlen für 2024 mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem Minus von mindestens 0,5 Prozent BIP ausdrücken, wobei ein noch stärkerer Rückgang nicht ausgeschlossen werden kann.

Nun kann man argumentieren, die Institute seien im Herbst noch von einem Wachstum von 1,3 Prozent ausgegangen und hätten diese Aussage jetzt auf nur noch 0,1 Prozent reduziert, da sei der Absturz des verarbeitenden Gewerbes doch sicherlich schon eingepreist.

Man kann aber auch argumentieren, dass die 1,3 Prozent eine absolut optimistische, auf die psychologische Wirkung hin ausgerichtete Prognose waren, die sich einfach nicht mehr länger halten ließ, als das Minus von 0,3 Prozent für das Gesamtjahr 2023 öffentlich bekannt wurde. So wie die mittelfristige Prognose von einem Wachstum nahe 1,5 Prozent für 2025 nur auf einem absolut optimistischen Szenario beruhen kann, für das es in der Realität keine Indizien gibt.

Man  spricht von einem weiteren Sinken der Energiepreise, von einem Rückgang der Inflation, vom Anstieg der Reallöhne und von der Aussicht auf Zinssenkungen, um diesen Optimismus zu begründen.

Ich argumentiere anders. Wir haben in Deutschland mit hohen Inflationsraten in den letzten Jahren ein Preisniveau erreicht, dass auch durch die erhoffte niedrigere Inflationsrate – zwar langsamer, aber doch immer noch – weiter ansteigen wird. Der Anstieg der Reallöhne durch (zum Teil) abenteuerlich hohe Tarifabschlüsse reicht jedoch einerseits trotzdem noch nicht aus, um den Kaufkraftverlust der Vorjahre zu kompensieren, bläht aber andererseits die Geldmenge auf, was durchaus geeignet erscheint, die Lohn-Preis-Spirale anzutreiben. Die Erhöhung des Bürgergeldes und die angekündigte Rentenerhöhung tragen dazu ebenfalls bei, zumal beides letztlich aus dem Staatshaushalt und damit über Neuverschuldung finanziert werden muss. Die erwartete Zinssenkung der EZB ist ausgeblieben und wird nach meiner Einschätzung, wenn nicht massiv politischer Druck aufgebaut wird, auch weiterhin ausbleiben, schon um den Kapitalabfluss ins Ausland nicht noch weiter anzutreiben.

Ich setze das Jahr 2022 als Basis mit 100 Prozent. 2023 ist offiziell mit 99,7 Prozent ausgewiesen, und 2024 wird alleine wegen der Schwäche im verarbeitenden Gewerbe bei 99,2 Prozent landen.

Das ist allerdings noch nicht alles. Am verarbeitenden Gewerbe hängt ein großer Teil des Handels (auch Lebensmittel werden heute größtenteils industriell verarbeitet). Berücksichtigt man den Anteil der Produktion des verarbeitenden Gewerbes, der im Direktexport vermarktet wird, dürfte sich preisbereinigt eine negative Auswirkung von etwa 0,3 Prozent auf das BIP ergeben. Auf das Basisjahr 2022 bezogen liegt das BIP dann nur noch bei 98,9 Prozent.

Ein weiteres Sorgenkind, die Bauwirtschaft, erbrachte 2020 noch 4,6 Prozent der Bruttowertschöpfung im BIP, 2021 4,4 Prozent, 2.022 4,2 Prozent, und schreibt man das nur linear fort, obwohl sich der Niedergang noch beschleunigt, dürften es 2023 4,0 Prozent gewesen sein und 2024 nur noch 3,8 Prozent erreicht werden.

Damit sind, auf Basis 2022, inzwischen 98,7 Prozent erreicht.

Dies sind, nach meiner Beurteilung, harte Fakten, die nur durch ein Wunder aus der Welt geschafft oder ins Positive gedreht werden können. Dass externe Effekte, wie sie von einer Eskalation der Kriege in der Ukraine und im Gaza-Streifen ausgehen könnten, die aber auch von der Verschärfung der Spannungen mit China negativ verstärkt werden könnten, eher die Gefahr mit sich bringen, dass die Wirtschaftsleistung Deutschlands noch weiter einbricht, darf dabei nicht unerwähnt bleiben.

Der Absturz um ein Prozent, von 99,7 in 2023 auf 98,7 in 2024 erscheint mir daher unausweichlich.

Dass dieser Absturz im offiziellen BIP nicht zwingend ausgewiesen werden wird, liegt vor allem daran, dass das BIP eine Definition der wirtschaftlichen Leistung verwendet,  die sich doch ganz erheblich vom allgemeinen Verständnis der Wirtschaftsleistung unterscheidet.

Das ist nicht wirklich falsch, aber irreführend. Das Verfahren ist EU-einheitlich und ermöglicht somit – auf Basis dieser Definition – sowohl den Quervergleich als auch den Periodenvergleich.

In meinem Aufsatz „Das Signal von Meseberg“ habe ich die Definition des BIP Ende August 2007 schon einmal im Detail aufgedröselt. Sie können hier noch darauf zugreifen: 0PAD35D, die damals gesetzten Links funktionieren allerdings nicht mehr.

Auch ohne sich darin zu vertiefen, oder die dazu gehörigen, unten eingefügten, vollständigen Zitate zu lesen, sollten Sie zumindest wissen,

  • dass das Zinsergebnis der Banken, also die Differenz zwischen vereinnahmten Kreditzinsen und ausgeschütten Guthabenzinsen Teil des BIP ist. Höhere Zinsen und damit höhere Zinsdifferenzen erhöhen also das BIP, obwohl diese „Wertschöpfung“ keinesfalls auf einer in dieser Höhe erbrachten Leistung der Banken beruht.
  • Dass die Kosten des gesamten öffentlichen Dienstes, also die Gehälter von Beamten und Lehrern, der Sold der Soldaten, aber auch die Kosten anderer, sogenannter Nichtmarktproduzenten, wie z.B. die Kosten des gemeinnützigen Teils der Roten Kreuzes oder der evangelischen und katholischen Kirche im BIP mitgezählt werden.
  • Dass auch „Eigenleistungen“durch gesonderte Vollständigkeitsprüfungen „erfasst“ werden, und zwar durch Abgleich mit speziellen, zum Teil auch nichtamtlichen Datenquellen (z.B. über Eigenleistungen im Baubereich, Prostitution, Nachhilfeunterricht, Trinkgelder, Naturaleinkommen).
  • Dass zudem Untererfassungszuschläge ins BIP eingerechnet werden, um Fehler durch statistische Abschneidegrenzen, andere Lücken im Statistiksystem und auch vermutete Untererfassungen wegen Steuer- und Abgabenhinterziehung noch kompensieren zu können.
  • Dass das Bruttoinlandsprodukt (zu Marktpreisen), damit es sowohl von der Entstehungs- als auch von der Verwendungsseite her gleich ist, einschließlich der Nettogütersteuern, die global hinzugerechnet werden, ausgewiesen wird. Das bedeutet, dass auch der Finanzminister produziert, und zwar Mehrwertsteuer, Tabaksteuer, Ökosteuer und andere Verbrauchssteuern.
  • Dass es folglich für das BIP irrelevant ist, ob eine Wirtschaftstätigkeit steuerlich erfasst wird oder nicht, ob sie legal oder illegal ist, ob sie offen oder verdeckt ausgeübt wird, dass der Begriff der Wirtschaftstätigkeit also weit gesteckt ist und deutlich über das hinausgeht, was Gegenstand dessen ist, was gemeinhin unter Wirtschaftsleistung verstanden wird.

Alleine die Aufstockung des Personalbestandes im öffentlichen Dienst, zum Beispiel durch Lehrstühle für Genderwissenschaften oder Feminismusbeauftragte, steigert das BIP, selbst dann, wenn die Gehälter nur durch Aufstockung der Staatsverschuldung bezahlt werden können. Im Gegenzug sinkt das BIP dadurch, dass etwa 20 Prozent der Dienstposten der Bundeswehr nicht besetzt sind und folglich auch keine Personalkosten dafür anfallen.

Dass die Statistiker es trotz dieser Definition und der damit geschaffenen „Spielräume“ nicht mehr vermochten, das Minus von 0,3 Prozent für 2023 statistisch verschwinden zu lassen, gibt mir ganz erheblich zu denken.

 

Zitate aus „Das Signal von Meseberg“

Meine Kritik am derzeitigen Zahlenwerk setzt fundamental da an, wo die gültigen Definitionen einen „Wertschöpfungsbegriff“ hervorgebracht haben, der weder mit dem ursprünglichen Wortsinn, noch mit der Realität in Einklang steht und nur noch dazu dient, am Ende eine möglichst große Zahl – und deren Wachstum darzustellen.

Ein geradezu abartiges Streben nach Vollständigkeit und Fülle, das weder vor rein privaten, noch vor kriminellen Arten menschlicher Beschäftigung halt macht, definiert selbst den puren Werteverzehr noch in eine Wertschöpfung um.

Die Quellen leistungsloser Einkommen, nämlich die Zinslasten der gesamten Volkswirtschaft, die Miet- und Pachterträge sowie die Gewinne der Unternehmen werden wie selbstverständlich der „Wertschöpfung“ zugerechnet, was aber nur möglich ist, indem für weite Teile der sog. Wertschöpfung Schätzungen angestellt werden – denn zutreffendes Zahlenmaterial liegt weder vor, noch könnte es, selbst mit bestem Willen, überhaupt erhoben werden.

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Das Statistische Bundesamt gibt in der Informationsschrift „Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen – Inlandsprodukt und Nationaleinkommen, Methoden und Verfahren, herausgegeben vom Statistischen Bundesamt, aktuelle Online-Version, Stand 2002“ viele nützliche Hinweise dazu, wie die einzelnen Elemente und das Gesamtergebnis der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen entstehen.

Im ersten Abschnitt dieser Abhandlung werden daher Zitate aus dieser Informationsschrift vorgestellt und so kommentiert, dass der Aussagewert der VGR und die darin liegende Problematik deutlich werden.

Der Gewinn, die unbekannte Größe

Statistisches Bundesamt, Wiesbaden, Zitat 1:

Allerdings kann eine selbständige Berechnung von BIP und BNE über die Verteilungsseite derzeit nicht erfolgen. Hierfür fehlen vor allem statistische Angaben über die Gewinne von Einzelunternehmen.

Statistisches Bundesamt, Wiesbaden, Zitat 2:

Weder der eine, noch der andere Einkommensansatz kann im deutschen statistischen System als selbständiger Rechenweg zum BNE verwendet werden; die oben mitgeteilten Ergebnisse wurden „nachträglich“ unter Einbeziehung des Produktionsansatzes ermittelt.

Statistisches Bundesamt, Wiesbaden, Zitat 3:

Die Berechnung des BIP auf einem dritten Weg über die Verteilungsseite (Einkommensansatz) ist in Deutschland wegen der nur sehr lückenhaften Informationen über Unternehmensgewinne nicht vollständig möglich.

Kommentar:

Das Statistische Bundesamt sagt damit letztlich, dass es zwar zwei große Zahlen veröffentlicht, die Brutto-Inlandsprodukt (BIP) bzw. Brutto-Nationaleinkommen (BNE) genannt werden, dass aber unklar bleibt, wem die „Wertschöpfung“ letztlich zufließt, weil über die Gewinne aus der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung keine ausreichenden Informationen vorliegen. Es erklärt damit implizit ebenfalls, dass auch die Entstehungsrechnung mit so erheblichen Unsicherheiten belastet ist, dass die Ermittlung der Unternehmensgewinne aus der Differenzrechnung zwischen den nachweisbaren Teilen der Verteilungsrechnung und der vollständigen Entstehungsrechnung nicht zwingend als korrekt angesehen werden kann. Letztlich bekennt das Statistische Bundesamt damit in aller Unschuld, dass es keine Chance hat, darzustellen, wie hoch die Gewinne aus der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung tatsächlich ausfallen – und wer sie einsteckt.

Schemenhafte Zinserträge

Statistisches Bundesamt, Wiesbaden, Zitat 4:

Aus der Summe der (unbereinigten) Bruttowertschöpfung aller Wirtschaftsbereiche ergibt sich das Bruttoinlandsprodukt, indem zwei globale Übergangspositionen be-rücksichtigt werden. Einerseits muss nach den derzeit gültigen Konzepten die unter-stellte Bankgebühr (Zinsspanne der Kreditinstitute, FISIM) noch als gesamtwirtschaft-licher Vorleistungsverbrauch abgesetzt werden; da diese Ausgabenart nicht in den Vorleistungen der Ausgangsstatistiken enthalten ist, wäre sonst die Bruttowertschöp-fung überhöht. (…)

Zitat: Statistisches Bundesamt, Wiesbaden, Zitat 5:

Als „Differenzmethode“ lassen sich die Sonderregelungen bei den finanziellen Unter-nehmen (Kreditinstitute und Versicherungen) bezeichnen, weil hier der Produktions-wert bereits als Differenz von bestimmten Ertrags- und Aufwandspositionen bestimmt wird.

 

Kommentar:

Das ist ein etwas verzwickter Sachverhalt. Die finanziellen Unternehmen, also die Banken, nehmen Zinsen von Kreditnehmern ein und zahlen Zinsen an Einleger aus. Die Differenz (und nur die Differenz) wird als die „Produktion“ oder die „Wertschöpfung“ dieser finanziellen Unternehmen im Kredit- und Einlagegeschäft angesehen. Die Zinszahlungen an Einleger gelten sinngemäß als „Vorleistungen“ welche die Banken für ihre Produktion erbringen müssen. Nun erklärt das Statistische Bundesamt, die in den Herstellungskosten der „nichtfinanziellen Wertschöpfung“ bereits enthaltenen Zinsen dürften nur insoweit als Bruttosozialprodukt gezählt werden, wie sie nicht bereits als Produktion der Banken und Versicherungen gezählt werden, zieht also die Zinsspanne der Banken vom unbereinigten Brutto-BIP wieder ab. Daraus ergibt sich der folgende, überaus interessante Effekt: In den Herstellkosten der Bereiche der nichtfinanziellen Wertschöpfung sind ursprünglich alle sogenannten „Kapitalkosten“ enthalten, also auch die vollständigen Zinslasten der erhaltenen Kredite. Da die Zinsspanne der Banken, also der Unterschied zwischen eingenommenen Soll-Zinsen und ausgeworfenen Haben-Zinsen, als „Wertschöpfung“ der finanziellen Unternehmen in das BIP eingeht, wird die Leistung der übrigen (!) Bereiche um genau diesen Betrag pauschal korrigiert. Im Endeffekt bleibt die gesamte volkswirtschaftliche Zinslast als „Wertschöpfung“ im BIP enthalten, es wird lediglich den Banken der Gefallen getan, ihnen eine eigene Wertschöpfung zuzugestehen und diese im BIP auszuweisen.

Nichtmarktproduzenten und Nichtmarktproduktion

Statistisches Bundesamt, Wiesbaden, Zitat 6:

Bei der Kategorie der sonstigen Nichtmarktproduzenten besteht die Hauptproduktion dagegen aus (sonstiger) Nichtmarktproduktion, die anderen Einheiten in der Regel unentgeltlich oder zu wirtschaftlich nicht signifikanten Preisen zur Verfügung gestellt wird. Beispiele hierfür sind die öffentliche Verwaltung oder die Privaten Organisationen ohne Erwerbszweck. Da für die unentgeltlich abgegebenen Leistungen keine Marktpreise zur Verfügung stehen, werden Bruttowertschöpfung und Produktionswerte hier durch die Addition der Aufwandposten dieser Einheiten ermittelt (Additionsmethode).

Kommentar:

Die in grandiosem Bürokratendeutsch formulierten Sätze bedeuten, dass jeder Beamte, jeder Lehrer, jeder freiwillige Rotkreuzhelfer, jeder Soldat und jeder Pfarrer im BIP ihren festen Platz haben. Man nimmt die Kosten, also im wesentlichen die Personalkosten, die sie verursachen, addiert die weiteren Kosten der Organisation hinzu und schon hat sogar der Verteidigungsminister mit den laufenden Kosten der Bundeswehr seinen Beitrag zum BIP geleistet.

Eine Methode, die – auch wenn die Einschätzungen über den Wert der Verteidigung Deutschlands am Hindukusch sehr unterschiedlich sind – durchaus ihre Berechtigung hat. Wissensvermittlung an Schulen und Hochschulen stellt einen Wert dar, die Prüfung eines Bauvorhabens und die Erteilung einer Baugenehmigung ebenfalls, der Grundbucheintrag, der Streifengang der Polizei, die Untersuchungsergebnisse der Forschungseinrichtungen des Verbraucherministeriums – alles das sind bereitgestellte Leistungen, die einen Wert repräsentieren, der sich am besten durch die dafür aufgewendeten Kosten ausdrücken lässt.

Prostitution in Eigenleistung?

Statistisches Bundesamt, Wiesbaden, Zitat 7:

Neben den bereits erwähnten, breit angelegten Vollständigkeitsprüfungen wurden für viele Rechenbereiche der VGR gesonderte Vollständigkeitsuntersuchungen vorgenommen durch Abgleich mit speziellen, zum Teil auch nichtamtlichen Datenquellen (z.B. über Eigenleistungen im Baubereich, Prostitution, Nachhilfeunterricht, Trinkgelder, Naturaleinkommen).

Kommentar:

Es wird sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Zahlen, die sich letztlich zum BIP aufsummieren, unter Nutzung jedweder Gelegenheit auf das größtmögliche Niveau gehoben werden, was dann „Vollständigkeit“ genannt wird.

Zuschlagen, wo immer es geht!

Statistisches Bundesamt, Wiesbaden, Zitat 8:

Auf der Grundlage dieser Vollständigkeitsprüfungen wurden für jeden Rechenbereich der Entstehungsrechnung des BIP spezielle Untererfassungszuschläge hergeleitet. Diese Zuschläge sind integraler Bestandteil der Berechnungen, es handelt sich also nicht um eine eigenständige, autonome Zusatzrechnung. Zweck dieser Zuschläge ist ausschließlich die Vollständigkeit des BIP sicherzustellen, die Zusetzungen umfassen also alle möglichen Arten von Untererfassungen (z.B. statistische Abschneidegrenzen, andere Lücken im Statistiksystem, Steuer- und Abgabenhinterziehung). Aus diesem Grunde ist es auch nicht ohne weiteres möglich, aus diesen Zuschlägen direkt Schätzungen zum Umfang der „Schattenwirtschaft“ abzuleiten.

Kommentar:

Noch ein klarer Hinweis darauf, dass es zu den wichtigsten Aufgaben der Statistik gehört, ein möglichst hohes Endergebnis ausweisen zu können.

Die Produktion des Finanzministers

Statistisches Bundesamt, Wiesbaden, Zitat 9:

Damit das Bruttoinlandsprodukt (zu Marktpreisen) sowohl von der Entstehungs- als auch von der Verwendungsseite her gleich ist, sind der Bruttowertschöpfung (zu Herstellungspreisen) die Nettogütersteuern (also Gütersteuern abzüglich der Gütersubventionen) global hinzuzufügen.

Kommentar:

Das Statistische Bundesamt sagt damit aus, dass auch der Finanzminister produziert, und zwar Mehrwertsteuer, Tabaksteuer, Ökosteuer und andere Verbrauchssteuern. Die nicht einmal mehr nur scheinlogische Denkfigur, eine steuerliche „Abschöpfung“ als eigene „Wertschöpfung“ anzusehen, und sei es auch nur, um vorgeblich gleiche Werte – sowohl von der Entstehungs- als auch von der Verwendungsseite her auszuweisen, stellt eine Perversion der Statistik und eine missbräuchliche Verwendung des Begriffes „Wertschöpfung“ dar, die nur noch der Zielsetzung dient, einen möglichst hohen Gesamtwert auszuweisen. Dieser Ansatz ist durch und durch falsch und irreführend.

Prof. Schneider, Linz, und die Schattenwirtschaft

Statistisches Bundesamt, Wiesbaden, Zitat 10:

Eine völlig andere Fragestellung ist die einer getrennten Schätzung des Umfanges der Schattenwirtschaft. Solche Schätzungen werden immer wieder von Wirtschaftsforschern vorgenommen und in den Medien verbreitet. Allerdings kann die VGR hierbei aus mehreren Gründen keine Hilfestellung leisten. Zunächst ist für die Vollständigkeit des BIP die Frage, ob eine Wirtschaftstätigkeit steuerlich erfasst wird oder nicht, ob sie legal oder illegal ist oder ob sie im Verborgenen stattfindet irrelevant. Zweitens gibt es keine einheitliche Definition für das Schlagwort Schattenwirtschaft. Drittens müssten die über die angewendeten Rechenverfahren implizit erfassten schattenwirtschaftlichen Aktivitäten nachträglich aus dem BIP herausgerechnet werden, ohne dass über deren Umfang entsprechende Informationen vorliegen.

Kommentar:

Hier konnte sich das Statistischen Bundesamt den kleinen Seitenhieb auf den Schattenwirtschaftsprofessor Schneider aus Linz, offenbar nicht verkneifen, dass es nämlich die von diesem in die Welt gesetzten Zahlen (ca. 360 Milliarden Umfang der Schattenwirtschaft in Deutschland) nicht nachvollziehen kann.

Dass aber zugleich erklärt wird, es sei für das BIP irrelevant, ob eine Wirtschaftstätigkeit steuerlich erfasst wird oder nicht, ob sie legal oder illegal ist, ob sie offen oder verdeckt ausgeübt wird, lässt noch einmal ganz deutlich erkennen, dass der Begriff der Wirtschaftstätigkeit weit gesteckt ist und deutlich über das hinausgeht, was Gegenstand jenes Wachstums sein darf, dessen Grundlagen die große Koalition zu stärken versprochen hat.

 

Es ist nicht zu übersehen: Nichts, womit sich die deutsche Bevölkerung beschäftigt, entgeht der statistischen Erfassung. Die Eigenleistung am Eigenheim wird dem Brutto-Inlandsprodukt ebenso zugerechnet, wie der Mietwert der selbstgenutzten Immobilie, Honorare für Nachhilfestunden und Schäferstündchen werden – auch mit Hilfe nicht-amtlicher Quellen – abgeschätzt und zugeschlagen, die Arbeit der Beamten in der Öffentlichen Verwaltung, die Arbeit ehrenamtlicher und bezahlter Helfer in gemeinnützigen Organisationen, die Aufklärungsarbeit der Bundeswehrpiloten in Afghanistan – alles das ist Brutto-Inlandsprodukt.

Und weil so manches weder registriert noch versteuert wird, hilft man sich mit weiteren Nebenrechnungen und impliziten Zuschlägen so lange weiter, bis auch beim besten Willen nirgends mehr ein Euro aufzufinden ist, der dem Brutto-lnlandsprodukt zu Herstellungskosten noch zugerechnet werden könnte. Es ist aber auch nicht zu übersehen, dass trotz aller Mühe, die darauf verwendet wird, den Umfang der Wertschöpfung darzustellen, die VGRen sich als völlig unzureichend erweisen, wenn man von den Statistikern wissen möchte, wie hoch die aus dem Wirtschaften entstandenen Gewinne ausgefallen sind. Das bleibt im Dunkeln, nicht zuletzt auch deshalb, weil der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung keine monetäre Flussrechnung unterlegt wird, folglich auch Geldmengen- und Vermögensänderungen nicht betrachtet werden. Gestaltete man die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung nach den Grundsätzen der Ordentlichen Buchführung (GOB), es bliebe keine der derzeit offenen Fragen unbeantwortet. Die Bilanz, als Instrument des Vermögensvergleichs, und die Gewinn- und Verlustrechnung, als Instrument zur Erläuterung der Entstehung der Vermögensdifferenz, wiesen einen identischen gesamtvolkswirtschaftlichen Gewinn oder Verlust aus, dessen Herkunft ebenso offensichtlich wäre, wie seine Verwendung und sein Verbleib.