Kleine Psychologie des Versagens

Aus gegebenen Anlässen

Versagen setzt in der Regel einen Auftrag, eine Aufgabe, eine Zielsetzung voraus, an welcher der Ausführende „krachend“ scheitert. Ursache des Scheiterns ist Unvermögen.

Unvermögen ist allerdings keine Eigenschaft, sondern die messbare Diskrepanz zwischen den Ansprüchen der Aufgabe und den Fähigkeiten des damit Befassten, die so groß ist, dass die Zielerreichung von vornherein ausgeschlossen ist.

Beispiel 1:

Wird ein Marketing-Chef beauftragt, den Absatz eines Produktes unter Nutzung eines Sonderbudgets festgelegter Höhe innerhalb von drei Monaten um 15 Prozent zu steigern, und es gelingt ihm, den Absatz um 10 Prozent zu steigern, kann von Versagen noch nicht die Redes sein. Er reiht sich ein in die Riege der Wettkampfsportler, die auf dem Siegertreppchen den zweiten oder dritten Platz einnehmen, und das sachkundige Publikum hat keinen Zweifel daran, dass er beim nächsten Wettkampf durchaus selbst die Nummer eins sein könnte.

Krachendes Versagen liegt erst dann in voller Schönheit vor, wenn das Budget verbraucht und der Absatz, statt zu steigen, um zwanzig oder dreißig Prozent eingebrochen ist. Man mache sich kundig bei Anhäuser Busch.

Das Fachpublikum und Teile des Boulevards bennenen dieses Versagen öffentlich und das staunende Publikum fragt sich, wie so etwas denn überhaupt möglich sein konnte.

Darüber darf aber nicht vergessen werden, dass nicht alle Fälle eines vom Publikum wahrgenommenen, offenkundigen Versagens tatsächlich auch ein Versagen darstellen.

Beispiel 2:

Ein bekannter und erfolgreicher Spekulant erwirbt günstig Aktien von drei Unternehmen der gleichen Branche, die zusammen auf einen Marktanteil von 40 Prozent kommen. Gleichzeitig beginnt er damit, Aktien des Marktführers, mit einem Marktanteil von alleine 22 Prozent zu Höchstkursen abzustoßen. Warum tut er das?

Nun, er tut das, weil er mit dem Vorstandsvorsitzenden des Marktführers einen Deal hat, dahin gehend, dass dieser die Aufgabe übernommen hat, „sein“ Unternehmen ganz gezielt an die Wand zu fahren. Gelingt das, wird der Vorstandsvorsitzende vom Aufsichtsrat entlassen, erhält aber die vertraglich vereinbarte Abfindung in Millionenhöhe und wird nach einer kurzen Schamfrist zum Vorstand bei einem der drei Konkurrenzunternehmen berufen, welche die Marktanteile des einstigen Flaggschiffs der Branche weitgehend übernehmen konnten, weshalb ihre Börsenkurse schlagartig durch die Decke gehen.

Nur das staunende Publikum wird von Versagen sprechen. In Banker und Börsenkreisen wird man den Coup mehr oder minder neidvoll bewundern.

Die „Kleine Psychologie des Versagens“ befasst sich ausschließlich mit Fällen echten Unvermögens.

Dabei werden explizit drei Themenkreise behandelt;

  1. Wie können Unvermögende an Aufgaben gelangen, an denen sie unvermeidlich scheitern müssen?
  2. Wie gelingt es Unvermögenden, ihr Unvermögen und das drohende Scheitern bis zum Schluss zu verbergen?
  3. Wie gehen Unvermögende mit ihrem Scheitern um?

1. Bewerbung, Auswahl und Bestallung

Grundvoraussetzung dafür, dass Unvermögende mit Aufgaben betraut werden, an denen sie unvermeidlich scheitern müssen ist ein hinreichendes Maß dessen, was im Fachjargon als „Dunning-Kruger-Effekt“ bezeichnet wird, also das Unvermögen des Unvermögenden sein Unvermögen zu erkennen.

Dieses Unvermögen bringt ganz automatisch ein starkes Selbstbewusstsein und überzeugendes Auftreten hervor.  Dieser positive Effekt wird bei der Beurteilung des Kandidaten noch dadurch verstärkt, dass es ihm vermeintlich gelingt, komplexe Zusammenhänge auf einfachste Beispiele zu reduzieren, obwohl diese einfachsten Beispiele tatsächlich alles sind, was er fachlich vorzuweisen hat.

Zudem fällt es dem dieserart Inkompetenten leicht, dem Auftraggeber zu vermitteln, dass er sich mit einem an Sendungsbewusstein erinnerndem Engagement für die Ziele des Auftaggebers einsetzen werde. Er wird kurze Termine zusagen und sich mit jedem noch so knappen Budget einverstanden erklären und dies – im Wettbewerb mit Konkurrenten – als Nachweis seiner unübertrefflichen Kompetenz darstellen.

Der Sachkompetente Mitbewerber wird beim Auftraggeber hingegen den Eindruck des zögerlichen Bedenkenträgers erwecken, weil er Probleme erkennt und benennt, auf  erforderliche Vorarbeiten, bzw., flankierende Maßnahmen hinweist und zum Ausdruck bringt, dass die Planvorstellungen des Auftraggebers in Bezug auf Termin und Kostenrahmen viel zu optimistisch sind.

Im Bereich der Privatwirtschaft besteht eine gewisse Chance, den Blender zu erkennen, weil Zeugnisse vorgelegt und Erfolgsnachweise erbracht werden müssen und weil das Auswahlgremium – wo immer möglich – mit mindestens einem halbwegs fachkompetenten Mitglied der eigenen Organisation oder einem hinzugezogenen Berater besetzt sein wird.

Im Bereich der Politik, wo Parteien sich Ziele ausdenken und dann in den eigenen Reihen nach dem Vollstrecker suchen, wird in der Regel derjenige gewinnen, der verspricht, unerschrocken wie eine Dampfwalze, alle Hindernisse in Rekordzeit platt zu machen, für alle Probleme geniale, nie gesehene Lösungen parat zu haben und damit die Zustimmungswerte für die Partei für alle Zeiten in schwindelnde Höhen zu treiben. Jeder Zweifler und Bedenkenträger wird da von der euphorisierten Masse der Parteimitglieder an die Wand gedrückt.

Wer sich erinnern kann: Oskar Lafontaine, der vor zu viel Euphorie („nationale Besoffenheit“) bei der Eingliederung der neuen Bundesländer warnte, hat sich damit selbst ins Abseits gedrängt.

Heute zeugt das geschlossene Auftreten der Grünen davon, dass in der großen Transformations-Euphorie alle, die versuchten, zu Vernunft und Besonnenheit aufzurufen, chancenlos geblieben sind.

In meinem Buch „Demokratie – Fiktion der Volksherrschaft“, erstmals erschienen 2018, habe ich dieses Phänomen so beschrieben:

Zweiter Abgrund: Die „Alpha-Tiere“

Der Weg an die Spitze eines Rudels ist eine lange Kette von Zweikämpfen rivalisierender Jungtiere, bis zuletzt die entscheidende Auseinandersetzung mit dem bisherigen Anführer zu bestehen ist. Der Weg an die Spitze einer Partei unterscheidet sich davon nur dadurch, dass im Tierreich der Stärkste und Durchsetzungswilligste in der Regel auch der am besten geeignete Anführer ist, während in der Demokratie zwar ebenfalls der kampfeslustigste, intriganteste, bissigste Kandidat am Ende ganz oben steht, dass dieser damit jedoch nicht auch zwangsläufig jene Eigenschaften mitbringt, die für eine Politik zum Wohle des Volkes erforderlich wären. Introvertierte Wissenschaftler ziehen in diesen Auseinandersetzungen regelmäßig ebenso den Kürzeren, wie arglose Weltverbesserer und Menschenfreunde.

Da letztlich nur diese aus innerparteilichen Kämpfen hervorgegangenen Alpha-Tiere eine Regierung anführen können, verfügen sie in der Regel über einen sehr unausgewogenen Mix an Fähigkeiten, der sie in den vielfältigen Sachfragen, denen sie sich zu stellen haben, auf die Unterstützung von Vertrauten abhängig macht, die wiederum selbst auf die Unterstützung von Experten angewiesen sind. So entwickelt sich in der Behandlung von Sachfragen so etwas wie eine „Stille Post“, mit der üblichen Folge, dass die unterwegs zwangsläufig auftretenden Informationsverluste Fehlentscheidungen begünstigen.

Da solche Fehlentscheidungen nur unter Inkaufnahme eines Gesichtsverlustes korrigiert werden könnten, bleiben Alpha-Tiere in der Regel stur bei ihren einmal getroffenen Entscheidungen.

 

2. Die Auseinandersetzung mit der Aufgabe

Ist der Chefsessel erst einmal bestiegen, kommt schon nach wenigen Tagen jenes ungute Gefühl auf, das Kennzeichen der so genannten „kognitiven Dissonanz“ ist. Der Widerspruch zwischen der von keinerlei Wissen um das eigene Unvermögen getrübten Selbstwahrnehmung und den nie zuvor auch nur vermuteten realen Anforderungen der Aufgabe stellt sich als unvereinbar heraus, obwohl beide Wahrnehmungen gleichzeitig im Bewusstsein aufscheinen.

Die erste Reaktion besteht in dem Versuch, die störende Realität auszublenden und sich in einer Art Wagenburg zu verschanzen. Wenn ein frisch ernannter Wirtschafts-Minister einerseits Ministeriums-Mitarbeiter, die er übernommen hat, vom Verfassungsschutz überprüfen lässt und sich andererseits mit engen Vertrauten als Staatssekretäre umgibt, noch dazu 70 Mitarbeiter aus dem Umweltministerium ins Wirtschaftsministerium umzieht und obendrein eine Staatssekretärin eigens einstellt, „die die Vorhaben aller grünen Bundesminister koordinieren und gegenüber Olaf Scholz durchsetzen soll“ dann scheint dies mindestens ein Indiz für diese Wagenburg-Mentalität zu sein.

Für die jüngeren Leser: „Wagenburg“ entspricht weitgehend der „Filterblase“.

Wer sich nun wie ein Wüterich in die Arbeit stürzt und nicht einmal mehr dazu kommt, sich die Milch fürs Frühtstücks-Müsli zu besorgen, erwartet natürlich auch erkennbare Erfolge, Zustimmung und Lob. Bleibt dies alles aus, weil eben ein Großteil der Aktivität nur ein Rotieren im Leerlauf war, tritt das mit der kognitiven Dissonanz verbundene Störgefühl überdeutlich wieder auf.

Nun aber hilft die Wagenburg alleine nicht mehr. Das Ausbleiben der Erfolge muss vertuscht werden, und da bleibt kein anderer Weg offen, als Erfolge frei zu erfinden und im Brustton der Überzeugung der staunenden Öffentlichkeit zu verkünden.

Auf der Seite „Karrierebibel.de“ habe ich Aussagen dazu gefunden, wie häufig mit der kognitiven Dissonanz umgegangen wird. Ich reiße sie hier nur kurz an:

  • Selektive Wahrnehmung – was nicht passt, wird passend gemacht. Fakten, die der eigenen Wahrnehmung widersprechen, werden geleugnet, ausgeblendet, ignoriert.
  • Selektive Beschaffung von Informationen, ungewollte Informationen werden gar nicht zugelassen.
  • Schuldzuweisungen, gerne in der Form: „Ich hatte keine andere Wahl.“
  • Fadenscheinige Rechtfertigungen, es werden Fakten und die eigene Einstellung so lange verdreht, bis die kognitive Dissonanz überwunden wird und die Wahrnehmungen wieder zusammenpassen.

Die Auseinandersetzung mit der Aufgabe findet nur insoweit statt, als einerseits – wahllos – immer neue Versuche unternommen werden, das wachsende Problem einzuhegen und andererseits mit anteilig immer weiter wachsendem Aufwand die hereindrängende Realität zurückgehalten wird, während mit Schuldzuweisungen und fadenscheinigen Rechtfertigungen vom eigenen Unvermögen abgelenkt werden soll.

In einem Punkt gleichen sich scheiternde Unternehmensführer und scheiternde Regierungen ziemlich stark. Sie versuchen, solange sie noch Kreditwürdigkeit vorzutäuschen vermögen, die Folgen ihrer Fehler mit immer neuen Krediten zu vertuschen. Das ist ein Abrutschen in eine fatale „Alles-oder-nichts-Mentalität“, die in etwa dem Verhalten des Spielsüchtigen im Casino entspricht.

Je blinder die Auftraggeber und Geldgeber diesem Geschehen gegenüberstehen, desto länger die abschließende Phase der Agonie. Bei Politikern, die von den eigenen Parteigängern beauftragt und kraft Amtes den Staat als Kreditschuldner einsetzen können und zudem in der komfortablen Situation sind, mit einer einst vom Souverän erhaltenen Mehrheit die Warnungen der Opposition ignorieren können, kann das sehr lange dauern.

3. Das Scheitern

Das Scheitern zeichnet sich ab, wenn die ersten Stimmen aus der Wirtschaft laut werden und einen Kurswechsel anmahnen. Man muss dabei in Rechnung stellen, dass die Wirtschaft sich in der Regel für lange Zeit ruhig verhält, weil ein einigermaßen gutes Verhältnis zur Regierung erforderlich ist, um erfolgreich rentable Geschäfte machen zu können. Wer sich also zu früh aus der Deckung wagt, den bestraft das Leben.

Dazu habe ich im einführenden Abschnitt meines Buches: „Wo bleibt die Revolution?“, die nachstehende, komprimierte Erläuterung gegeben:

In dieser Zeit der ersten Industrialisierung fand allerdings ein wichtiger Trennungsprozess statt: War ehedem das rein politische System durch die Art der Herrschaft zugleich auch im wesentlichen Eigentümer der Produktionsfaktoren Grund und Boden und Kapital, so trat daneben das sich immer weiter verselbstständigende System der Großindustrie auf die Bühne. Eine wichtige und einflussreiche Gruppierung, die sich dem öffentlichen Politikbetrieb nur noch indirekt widmete, jedoch – seit damals – einen ganz erheblichen Einfluss auf das politische System ausübt, weil seine wirtschaftliche Potenz zu einer unverzichtbaren Säule für die Existenz des politischen Systems geworden war.

Hätte Krupp keine Kanonen geliefert, Wilhelm II. hätte keinen Krieg führen können. Also war man auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen. So einfach war das damals. So einfach ist es auch noch heute.

Das Verhalten der großen Player der Wirtschaft ist maßgebliche Stütze des politischen Systems, so wie auch das Verhalten des politischen Systems die maßgebliche Stütze von Großindustrie und Kapital darstellt. Beide sind in einer so engen Symbiose gefangen, dass keiner mehr ohne den anderen kann, und das führt dazu, dass Volkswirtschaft heute dafür sorgen muss, dass beider Interessen möglichst vollständig befriedigt werden, weil das politische System – und damit der Staat, die Volkswirtschaft – sonst im Chaos versinken würde und vor der Gefahr des Unterganges stünde.

Mit den vorbeschriebenen Anforderungen, nämlich der Überlebensfähigkeit des politischen Systems und seiner Absicherung gegen innere und äußere Schadeinflüsse, ist das Spielfeld, auf dem jede Art von „Volkswirtschaft“ ausgeübt werden kann, hinreichend beschrieben. Ein Zurückgehen hinter diese Mindestanforderungen führt mehr oder minder schnell, aber zuverlässig, zur Auflösung von Staat und Volkswirtschaft.

Zeigt die Wirtschaft ihr Unbehagen öffentlich, selbst wenn sie mit den Zielen der Transformation einverstanden war und sich daraus gute Geschäfte erwartet hatte, wird diese Information die Kraft haben, die Mauern der Wagenburg zu durchschlagen.  Dies wird im Inneren der Filterblase aber nicht als konstruktive Kritik aufgefasst, sondern als Angriff oder auch als Verrat und zu Gegenreaktionen führen.

Die Regierung glaubt dann sogar, eine Rechtfertigung für wirtschaftsfeindliches Verhalten zu haben, eben weil die Wirtschaft die Gefolgschaft verweigert und nicht mehr mitziehen will.

So findet die Deindustrialisierung im feindlichen Einvernehmen eines auf Gegenseitigkeit beruhenden „Ihr-werdet-schon-sehen-was-ihr-davon-habt!“ statt. Dass Deutschland darüber in die Rezession und tiefer in die Inflation gleitet, wird als unvermeidlicher Kollateralschaden in Kauf genommen.

Der Wirtschaft folgen die Wähler. Zunächst nur drohend in den Umfragen, findet im Protest der Wechselwähler eine Abkehr von den Regierungsparteien statt, die den Verlust der Mehrheit anzeigt und sich auch in den echten Wahlen so zeigen wird.

Jetzt wäre die letzte Gelegenheit zum Einlenken gegeben. Dies würde jedoch die Fähigkeit zur Selbstkritik voraussetzen und die Einsicht in das eigene Unvermögen. Stattdessen folgt – unter  geringfügigen Abstrichen von der eigenen Position – ein verhärtetes „Nun-erst-recht-noch-vor-der-Sommerpause!“

Was die feministische Außenpolitik alleine nie geschafft hätte, was dem fortgesetzen Desaster in der Gesundheitspolitik, dem Versagen der Wohnungsbaupolitik, dem Gezerre in der Sozialpolitik und dem strammen Kurs  der Innenpolitik nicht gelungen wäre: Das Versagen des wirtschafts- und konsumentenfeindlichen Ministeriums für Klimaschutz mit seinen Fernwirkungen in die übrigen Ressorts, bis zum am Haushaltsentwurf verzweifelnden Finanzministerium, hat es geschafft:

Die Ampel ist gescheitert.

Und wo eine Ampel nicht funktioniert, gilt § 8 Absatz 1 Satz 1 der Straßenverkehrsordnung.