i, i, i, i – der Arbeitsmarkt

Die aus einer ANSTALT des Bundes hervorgegangene rechtsnachfolgende AGENTUR des Bundes (umgekehrt erschiene es mir rückblickend schlüssiger, aber ohne Neusprech geht halt längst nichts mehr), hat mit der ungeheuerlichen Präzision eines digitalen Uhrwerks pünktlich zum Monatsende ihre inzwischen zwei Wochen alten Zahlen veröffentlicht. Das war unter Jagoda auch noch anders.

Dass das, was in großen Lettern vorne drauf steht, durch das, was hinten im Kleingedruckten steht, in nicht unbeträchtlichem Umfang nach oben korrigiert wird, weil „arbeitslos“ seit Florian Gerster halt nicht einfach ist, wer arbeiten will, aber keine Arbeit hat, sondern durchaus mit einer ganzen Reihe von Sieben versucht wird, von dieser Art von Arbeitslosen möglichst viele auszusondern, die nicht in der Arbeitslosenzahl genannt werden sollen, ist längst kein Geheimnis mehr und soll daher auch nicht Gegenstand dieses Kommentars seins.

Es geht mir um diese vier Strichlein mit Pünktchen drauf, die vermutlich zumindest von jenen, die hier in diesem Blog lesen, eindeutig als Buchstaben, Vokale sogar, identifiziert werden. Denn es käme auf die vier I an (jetzt großgeschrieben), meinte Daniel Terzenbach aus den Kreis der Vorsteher der Agentur, wenn man mit dem Blick in die Glaskugel die Zukunft des deutschen Jobwunders erkennen wolle.

I Nummer 1: Insolvenzen

Darüber wisse man nichts, brachte Terzenbach zum Ausdruck, als er davon sprach, es handle sich um eine Unsicherheit (eine, 1). Es würden wohl Pleiten kommen, aber wir werden das erst feststellen, wenn sie eingetreten sind.

Nun, die Spekulationen der Experten reichen bis hinauf zur exorbitanten Zahl von 800.000 Zombie-Unternehmen, die nach dem Wegfall der Insolvenzantragspflicht in so schneller Folge ihre Insolvenz bekanntgeben würden, dass es weder eine ausreichende Zahl von qualifizierten Insolvenzverwaltern, noch freie Termine bei den Insolvenzgerichten gäbe.

Betrachtet man die Struktur der deutschen Unternehmen nach Rechtsformen, liegt die Annahme nahe, dass sich bei mindestens 80 Prozent der „Zombies“ um Einzelunternehmen mit 0 bis 9 Beschäftigten handeln muss, deren Inhaber allerdings in der Pleite ebenso ohne Einkommen dasteht, wie die auf die Straße gesetzten Mitarbeiter – Durchschnitt: vermutlich <5. Da kämen dann von Oktober 2020 bis März 2021 in etwa 3,2 Millionen Arbeitslose aus dem Zusammenbruch von Klein- und Kleinstunternehm zustande. Setzt man die übrigen 20% mit durchschnittlich nur 50 Mitarbeitern an, dann ergäbe das 8 Millionen, insgesamt also 11.2 Millionen zusätzliche Arbeitslose. Dies entsprich ungefähr  dem Dreifachen der momentan (geschätzt) Kurzarbeitenden und kann daher als vollkommen unrealistisch vom Tisch geschoben werden.

Die Ursache ist m.E. darin zu finden, dass

  1. die Zahl von 800.000 bereits insolventen, nur noch nicht vor dem Insolvenzrichter erschienenen Unternehmen maßlos überzogen ist.
  2. Der Bereinigungseffekt bei den Zombies zu einem erheblichen Teil durch notwendige Neueinstellungen bei den „Überlebenden“ kompensiert werden wird, und
  3. Etliche der Insolvenzkandidaten nach einer Reorganisation, mit mehr oder minder starkem Personalabbau, wieder im Markt mitmischen werden.

Von daher sehe ich die Belastung des Arbeitsmarktes durch insolvenzbedingt verloren gehende Arbeitsplätze für den Stichtag 31.03.2021 bei einer Zahl von rund 1 Million. Das entspricht ungefähr 25 bis 30 Prozent der derzeitigen Kurzarbeiter – und ist, weißgott, schlimm genug.

I Nummer 2: Internationale Risiken

Die Weltwirtschaft befände sich auf Erholungskurs, aber der BREXIT und der Ausgang der US-Wahlen könnten sich auf Unternehmen und Beschäftigte auswirken.

Es geht hier um die künftigen Exportchancen der deutschen Industrie. Also ist es sinnvoll die Entwicklung der Zahlen der Beschäftigten des verarbeitenden Gewerbes mit mehr als 50 Beschäftigten anzusehen. Im Mai 2020 war hier gegenüber dem Vorjahr ein Rückgang um 122.000 Personen (-2,1%) festzustellen. Gleichzeitig befanden sich im Mai 2020 25% der rund 5,5 Millionen Beschäftigten des Verarbeitenden Gewerbes in Kurzarbeit. Dieser Anteil ist inzwischen auf bedrohliche 40 Prozent angestiegen. In absoluten Zahlen sind jetzt 2,2 Millionen von 5,5 Millionen Beschäftigten in Kurzarbeit, im Mai, nach der Lockerung des Lockdowns, waren es erst 1,4 Millionen.

Dies ist ein starkes Indiz dafür, dass die benötigten Exportaufträge immer noch nicht da, sind während die Unternehmen versuchen, ihr qualifiziertes Personal auf Kosten des Steuerzahlers zu halten, für den Fall, dass es doch wieder aufwärts geht.

Die Krise der deutschen Wirtschaft hat aber schon vor Corona eingesetzt und ist durch Corona lediglich verstärkt worden. Insbesondere in der wichtigen Autobmobilwirtschaft sind die Weichen mit der Mobilitätswende gegen die deutschen Autobauer und Zulieferer gestellt worden, was sich auch weit in alle anderen Branchen hinein auswirkt.

Ich gehe davon aus, dass wir im Verarbeitenden Gewerbe bis Ende 2021 rund 500.000 Arbeitsplätze verlieren werden, einerseits, weil die Weltwirtschaft das Niveau von 2019 bis dahin nicht wieder erreicht haben wird, andererseits weil die Mobilitätswende dazu beiträgt, die führende Position der deutschen Automobilindustrie auf dem Weltmarkt zu verlieren.

Die von der Bundesregierung beschlossene Verlängerung der Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes auf 24 Monate bei gleichzeitiger Erhöhung auf 80 % bis Ende 2021 weist eindeutig in die gleiche Richtung.

I Nummer 3: Infektionsgeschehen

Terzenbach meint, man wisse es nicht, es könne aber Risiken für Binnennachfrage und Außenhandel bergen.

Ich halte es für nahezu ausgeschlossen, dass es in Deutschland und den übrigen wichtigen Industrieländern erneut zu einem totalen Lockdown kommen wird. Man wird versuchen, Infektionsherde zu isolieren, und sollte das nicht gelingen, doch dazu übergehen, unter Inkaufnahme zusätzlicher Todesfälle auf die Herdenimmunität zu setzen.

Allerdings werden die Einschränkungen für die Touristik, das Gast- und Veranstaltungsgewerbe noch lange spürbar bleiben und dort einen Beitrag zu den unter dem ersten I genannten, insolvenzbedingten Entlassungen leisten.

I Nummer 4: Investitionen

Hier erklärt Terzenbach, dass die Investionen wichtig seien, dass die Umsätze der Investitionsgüter-Industrie wieder wachsen, während die Mundwinkel der Unternehmer jedoch weiterhin unten bleiben. Für das Bauhauptgewerbe könnte sich eine Abkühlung der Baukonjunktur andeuten.

Nun, wer investiert schon in einen Markt mit sinkender Nachfrage? Nur, wer sich von der Investion einen Kostenvorteil verspricht, also – im Wesentlichen – die Personalkosten senken kann. Den Anteil des Exports der Investitionsgüterindustrie habe ich schon im Zusammenhang mit dem Verarbeitenden Gewerbe besprochen. Insgesamt sehe ich keine Chance, bis Ende 2021 auf das Vorkrisen-Niveau zurück zu kommen.

Interessant ist die Andeutung bezüglich des Bauhauptgewerbes. Sowohl im Gewerbebau als auch beim Bau privater Wohnimmobilien vergeht zwischen dem Beginn der Entscheidungsfindung – bauen, oder nicht bauen – sehr viel Zeit bis zur Baufertigstellung. Das, was heute noch in den Auftragsbüchern des Bauhauptgewerbes steht und mit Vollauslastung abgearbeitet wird, stammt noch aus den Jahren 2017, 18 und 19 – und dieses Polster schwindet allmählich dahin. Es kann also nicht davon gesprochen werden, dass sich da eine Abkühlung andeutet, die Krise in der Bauwirtschaft steht vor der Tür und wird vermutlich im nächsten Frühjahr im Bauhauptgewerbe sichtbar werden, und, mit einem halben Jahr Verzögerung, auch im Ausbaugewerbe. Das drückt auf die Aktien der Zementwerke und Ziegelbrennereien, der Dämmstoffhersteller, der Bodenbelagsproduzenten ebenso wie auf die Hersteller von Sanitäreinrichtungen, Aufzügen und schmiedeeisernen Balkongittern …

Das führt zur zweiten Insolvenzwelle, die sich an die Abarbeitung der ersten lückenlos anschließen wird. Von rund 2,5 Millionen Beschäftigten im Baugewerbe, werden sich – eine massive Bautätigkeit der Öffentlichen Hände zur Kompensation der privaten Bautätigkeit vorausgesetzt – Ende 2021 vermutlich 250.000 als Arbeitlose oder in Kurzarbeit wiederfinden. Bauen der Bund, die Länder und die Kommunen nicht im erforderlichen Umfang, kann sich diese Zahl leicht verdoppeln.

Ich unterstelle, dass man im Vorstand der BA von vergleichbaren Szenarien ausgeht.

Doch wie hat es Innenminister de Maiziere im November 2015 angelegentlich der Absage eines Fußballspieles wegen terroristischer Bedrohung so schön formuliert:

Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern.